Helmut Blaziczek
© Helmut Blaziczek

Arbeiten im hohen Norden

Sicherheitsniveau auf finnischen Baustellen – Vorreiter für Österreich

Helmut Blaziczek, Finnland
Työväen Sivistysliitto TSL + Rakennusliitto

„Es kann nicht sein, dass wir abends nach der Arbeit nicht gesund nach Hause kommen“ - ein Spruch, den wir ArbeitnehmerInnen immer wieder mal von unseren Geschäftsführungen und Sicherheitsinspektoren auf unseren Baustellen gehört haben. Doch wie ehrlich der dann tatsächlich gemeint ist, sehen wir spätestens bei so manchen Sicherheitsvorkehrungen. In unserem Fall bezogen auf Baustellen. Immer wieder verdrängen die wirtschaftlichen Überlegungen am Ende sicherheitstechnische Aspekte.

Wie wichtig es allerdings ist, sich mit diesem Thema tiefergehender auseinanderzusetzen, habe ich sehr eindrucksvoll bei unseren Kollegen in Finnland erkannt. Hierzulande setzt man sich mit diesem Thema viel eingehender auseinander. Nicht nur überprüft eine Behörde die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften, sondern es gibt auf den Baustellen auch eigene Safety Reps, ähnlich unseren Sicherheitsvertrauenspersonen.

Jeder Unfall ist einer zu viel

Schon in den 90er Jahren hat man in Finnland begonnen, die Baustellen mit einer Art „Sicherheitsindex“ zu evaluieren. Dabei geht es darum, bei einer Baustellenbesichtigung die Sicherheitsausführungen zu kontrollieren und dann unter sowohl positive als auch negative Vorkommnisse in einem Formular festzuhalten. Daraus wird ein Wert berechnet, der die Qualität der vorhandenen Baustellensicherheit widerspiegelt. Diesen Wert gilt es so hoch wie möglich zu halten, indem penibel darauf geachtet wird, dass sämtliche Ausführenden auf der Baustelle wissen, wie sie mit Sicherungen umzugehen haben.

Im Jahr 1997 lag der Index bei 74,3 Prozent und bei einer Unfallhäufung von ca. 53 Arbeitsunfällen pro 1 Mio. Arbeitsstunden. Im Jahr 2017 hält der Index bei 90,6 Prozent und einer Unfallhäufung von nur mehr ca. 17 Arbeitsunfällen pro 1 Mio. Arbeitsstunden. Wie ernst diese Unfälle in Finnland genommen werden, zeigt die Abhaltung eines „silent moment“. Eine Schweigeminute, während der die ganze Baustelle zum Stillstand kommt und an die tödlich verunfallten Bauarbeiter gedacht wird.

Kontakt

Martin Pakarinen  

martin.pakarinen@akwien.at

Banu Celik 
banu.celik@akwien.at

AK Wien - Bildungszentrum 
Theresianumgasse 16-18
1040 Wien

Trockenübung im Safety Park

In Finnland setzt man sich mit hohem Aufwand mit dem Thema „Sicherheit auf Baustellen“ auseinander. Hierzu wurde mittlerweile schon der dritte „Safety Park“ in Finnland errichtet. Ein Park, der sowohl für Bauarbeiten als auch für Feuerwehr, Polizei, Militär usw. perfekte Trainingsbedingungen bietet. Im Baustellenbereich werden angehende und bestehende „Safety Reps“ mit den wichtigsten Sicherheitsmaßnahmen vertraut gemacht oder es werden diese auch einfach nur wiederholt. Die Sicherheitsschulung beginnt in einem Schulungsraum auf diesem Gelände, wo sämtliche BesucherInnen/ TeilnehmerInnen unterwiesen werden. Auch das Verhalten auf dem Areal, die Nutzung und Lage der Verkehrswege sowie die Sammelstellen werden erklärt. Schon hier zeigt sich, dass Sicherheit das oberste Gebot ist. Das „Baustellenareal“ ist in verschiedenste Arbeitsbereiche gegliedert. Bei Arbeiten im Inneren sind die ersten Unterschiede zu unseren Baustellen ganz schnell erkennbar:

  • vorgeschriebene Staubanzüge werden vorgestellt
  • Atemschutzmasken, die ein problemloses Arbeiten auch bei den staubigsten Tätigkeiten zulassen
  • sämtliche Maschinen sind auch mit einer Absaugeinrichtung ausgestattet 

Auch hat man sich hier mit der Ergonomie der Trockenbauarbeiten auseinandergesetzt. Der Industrie wurde ein Format der Gipskartonplatten abverlangt, um die Handlichkeit der Platten zu verbessern.

Baustellentreppen mit reinem Holzbelag wären hier absolut undenkbar. Sämtliche Stufen der provisorischen Treppen sind aus Stahl, was natürlich auf die Griffigkeit erheblichen Einfluss hat.

Auch bei der Absturzsicherung hat man hier viel mehr zu tun als in Österreich. Beim Abladen von LKWs zum Beispiel haben sich die Arbeiter jederzeit anzuseilen, sei es mit Hilfe einer „Laufleine“ am Fahrzeug oder mit einer eigenen Fangvorrichtung. Außerdem hat auch der Abladeplatz der Lastkraftwagen über eine „Bühne“ zu verfügen, um ein problemloses Betreten zu ermöglichen. Es mag vielleicht ein wenig aufwändig erscheinen, doch die sinkenden Unfallzahlen belohnen die Mühen.

In Österreich lässt die Vorschrift es zu, dass bei Arbeiten zu einer Absturzkante (nicht an einer Absturzkante) eine etwaige Arbeitsbühne ein Geschoß nachzieht. In Finnland eine undenkbare Vorgangsweise. Für diesen Fall werden in diesem Land entweder „Laufleinen“ gespannt oder in die Betonfertigteile Befestigungsanker fixiert. In beiden Fällen ist es möglich, sich mit der PSA (persönlichen Schutzausrüstung (Sicherheitsgurt)) anzuseilen.

Für sämtliche Situationen werden hier Lösungen angeboten, die sich auch jederzeit auf spezielle Fälle anpassen lassen. 

Theorie versus Praxis

Und wie läuft Sicherheit nun in der Praxis? Mit großem Erstaunen stelle ich fest, dass viel Theorie tatsächlich umgesetzt wird. So ist auch die Schutzkleidung ein wenig umfangreicher als hier in Österreich. Neben dem Sicherheitshelm und der Sicherheitsschuhe kommen in Finnland noch eine Jacke in Signalfarbe dazu und seit kurzem auch eine Schutzbrille. Ohne diese Ausrüstung ist es nicht erlaubt, eine Baustelle zu betreten, und darauf wird auch sehr genau geachtet.

Ein weiteres wichtiges Element ist das sichtbare Tragen eines Lichtbildaus-weises inkl. der Steuernummer. Diese Notwendigkeit hilft dabei, der Schwarzarbeit Einhalt zu bieten – insbesondere der Arbeiter, die illegal beschäftigt werden. Und die Erlangung solch einer Steuernummer ist gar nicht so einfach. Dafür muss beim Magistrat zuerst ein Arbeitsverhältnis mittels Arbeitsvertrag nachgewiesen werden, dann eine finnische ID und erst im Anschluss kann die Steuernummer beantragt werden.

Auf sämtlichen Baustellen, die ich besichtigt habe, wird das auch eingehalten. Gerüste gibt es deutlich weniger als in Österreich. Und wenn ein Gerüst benötigt wird, dann ist dies ca. doppelt so breit wie bei uns und auch mit Schutzfolien eingedeckt, womit ein Arbeiten bei sämtlichen Witterungen möglich ist. Die meisten Arbeiten werden mit großen Hebebühnen durchgeführt. Auch das Arbeiten im Bauwerk ist ein wenig durchdachter. So gibt es zum Beispiel in jedem Geschoß eine „Säule“ mit Stromanschluss, einem Feuerlöscher, einer Löschdecke und einer zentralen Sauganlage. An dieser Anlage ist es möglich, Maschinen anzuschließen und den anfallenden Staub gleich abzusaugen.

Fazit

Das finnische Niveau in Sachen Sicherheit auf Baustellen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt dem unseren in vielen Aspekten überlegen. Nicht unerreichbar, aber doch ein wenig weiter fortgeschritten. Warum sich bei uns so manche Maßnahmen schwer durchzusetzen lassen, vermag ich nicht zu erklären. Möglicherweise liegt es an der Kurzsichtigkeit der wirtschaftlichen Auswirkungen. Das wirtschaftliche Eigeninteresse wiegt anscheinend viel mehr als sich mit gemeinsamen Lösungen zu befassen. Investitionen in Arbeitssicherheit trifft die einzelnen Unternehmen direkt. Die Kosten auf Grund von Arbeitsunfällen treffen die Allgemeinheit und somit nicht mehr den einzelnen. Es ist daher zu befürchten, dass aus Eigeninteresse der Unternehmen die Annäherung an finnisches Niveau nicht möglich sein wird. Hier ist meiner Meinung nach der Gesetzgeber gefragt. Immerhin ist es der Staat, der wirklich mit den Folgekosten zu kämpfen hat. Die Gesetze bezüglich Arbeitssicherheit müssen verschärft, die Kontrollen erhöht - und Strafen tatsächlich vollzogen werden.

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