Aufsichtsräte reichen sich die Hände.
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Gruppendynamik im Aufsichtsrat

Die Aufsichtsratspraxis zeigt, dass trotz klarer Rechte und Pflichten im Aufsichtsrat andere Faktoren als „formelle“ die Entscheidungsfindung und die Qualität der Aufsichts­ratsarbeit beeinflussen. Formale Regeln werden oftmals von gruppendynamischen Abläufen überlagert. Im folgenden Artikel wollen wir „einen Blick hinter die Kulissen“, also hinter die menschliche Fassade von „Schauspielern“ werfen, die ihre Rollen im Theaterstück „Der Aufsichtsrat“ eingenommen haben. Der (mögliche) Inhalt des Stückes: Finde die Wahrheit. Die Rollen: Die Suchenden, die Besitzer der Wahrheit, die hohen Repräsentanten-Wächter über die Wahrheit.

Einflussfaktoren auf Gruppenprozesse

Die Gruppenprozesse im „Theaterstück“ werden von den persönlichen Interessen, Emotionen, Zielen, Werten und Normen, Wahrnehmungen, Einstellungen, fachlichen und sozialen Fähigkeiten der Aufsichtsratsmitglieder mitbestimmt. Ebenso beeinflusst werden sie von den Interessen und den Aufträgen, Zielen und Erwartungen jener Personengruppen deren VertreterInnen die Aufsichtsratsmitglieder sind. Die Rollen unseres Theaterstückes „Der Aufsichtsrat“ und die Inhalte sind also bereits durch das Aktiengesetz (AktG) festgelegt.

Der Fortgang des „Theaterstückes“ wird aber auch von „externen“ (außerhalb des AktG) Bedingungen beeinflusst. Dazu gehören die Vorbereitung der Sitzung, die Art und Weise (Regie) der Durchführung der Sitzung als auch die örtlichen und zeitlichen Rahmenbedingungen. Ebenfalls von Bedeutung sind der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens und seine organisationalen Rahmenbedingungen, sowie die (globalen) wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Entwicklungen und Herausforderungen.

Das „Rollenspiel“

Die Dynamik in Gruppen kann aufgrund von zugeteilten Rollen und Rollenerwartungen näher erklärt werden. Die „soziale Rolle“ stellt die Gesamtheit der einem gegebenen Status (z.B. Mutter, Vorgesetzter) zugeschriebenen „kulturellen Modell“ dar. Dazu gehören insbesondere vom sozialen System abhängige Erwartungen, Werte, Handlungsmuster und Verhaltensweisen. Diesen Anforderungen muss sich ein „Sozialer Akteur“ entsprechend seiner Position stellen. Die Gruppendynamik wird weiters dadurch bestimmt, inwieweit die RollenträgerInnen ihre Rollen erwartungsgemäß annehmen und erfüllen oder aber auch ablehnen bzw. schlecht spielen. Für das Training von BetriebsrätInnen im Aufsichtsrat wäre es durchaus unterstützend für diese ein wenig ihre eigenen Rollen in diesem Gremium zu überdenken, aber auch darüber zu reflektieren, welche „Rolle“ sie den anderen Aufsichts­ratsmitgliedern (bewusst oder auch unbewusst) zuteilen bzw. welche Erwartungen sie an diese haben. Oft sind es „falsche“ Rollenbilder und Erwartungen die vom Wesentlichen ablenken und zu heiklen Entscheidungen führen können.

Kommunikation in Gruppen

Im Folgenden werden einige Forschungsergebnisse vorgestellt, die generell für Sitzungen relevant sind.

  • Die Menge der Diskussionsbeiträge einer Person ist bei weitem wichtiger als deren Qualität. Wer viel redet, gilt als kompetent und wird für fähig gehalten, eine Führungs­position zu erfüllen.
  • Intelligente Beiträge zu liefern, kann in Gruppensituationen anscheinend sogar Nachteile bringen. Personen, die zwar wenig sprechen, aber meistens zielführende Beiträge leisten, werden hinsichtlich ihrer Führereignung am schlechtesten beurteilt.
  • Am häufigsten wird man von Personen angesprochen, deren Status dem eigenen gleich ist. Kommunikations­partner mit höherem Status werden bevorzugt.
  • Wichtig für eine zielführende und effektive Kommunikation ist es zu wissen, welche sozial kontrollierende Verhaltensweisen dafür geeignet sind, wie z.B. Einsatz von gezielten Unterbrechungen und Themenwechsel, Art und Häufigkeit von Fragestellungen u.ä.m.
  • Aber auch die Ausdrucksweise ist bei der gegenseitigen Beurteilung von Bedeutung. So wird z.B. Menschen mit Dialekt eher ein niedrigerer Status und allgemeine Inkompetenz zugeordnet als hochdeutsch Sprechenden.

Macht in Gruppen

In Gruppen geht es aber auch oft genug um Macht bzw. Machtdemonstration. So hängt Macht z.B. nicht nur vom Sympathiegrad einer Person ab. Machtverhältnisse werden weitgehend dadurch determiniert, in welchem Ausmaß jemand einer anderen Person positive Reize und Strafreize darbieten bzw. vorenthalten kann. „Positive Reize“ in Sitzungen können z.B. sein, dass man geäußerte Meinungen einer Person unterstützt und daran in der Kommunikation anknüpft (= Anerkennung einer Person). „Strafreize“ hingegen können z.B. das Negieren von Äußerungen sein oder das Vorenthalten bzw. das Verzögern von Information.

Risikobereitschaft von Gruppen

Immer wieder ist die Auffassung zu hören, dass der Erfolg von Geschäften/Investitionen mit der Bereitschaft Risiko zu übernehmen bzw. einzugehen korreliert. Auch in Gruppen gibt es Personen die zu weniger oder auch zu mehr Risiko bereit sind. Untersuchungen zeigen, dass risikofreudige Personen einflussreicher sind. Menschen, die von Anfang an zu riskanten Entscheidungen neigen, treten überzeugender auf und sind in der Gruppendiskussion einflussreicher.

Verantwortung in der Gruppe

Im Zusammenhang mit dem Thema Risiko steht auch das Thema Verantwortung bzw. deren Verteilung in der Gruppe. So konnte festgestellt werden, dass bei einer Gruppen­entscheidung der Einzelne „weniger verantwortlich“ für die Folgen dafür ist. Es sind wenig/kaum aversive Konsequenzen für sich zu befürchten. Aber: Je mehr Mitglieder einer Gruppe für die Gruppenentscheidung verantwortlich gemacht werden, desto stärker sinkt die Risikobereitschaft der Gruppe insgesamt. In diesem Zusammenhang erscheint es als durchaus sinnvoll, vor wichtigen bzw. heiklen und kritischen Entscheidungen im Aufsichtsrat darauf hinzuweisen, dass jeder Einzelne für „Fehlentscheidungen“ vor Gericht haftbar ist.

Vertrauen versus Misstrauen

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Ein Sprichwort, oft gebraucht jedoch immer schwerer zu praktizieren. Die wirtschaftlichen Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten haben zu einer Komplexität von Organisationen geführt, die für den Einzelnen nur mehr schwer zu durchschauen sind. Um diese Komplexität „in den Griff zu bekommen“ ist das Vertrauen ein „Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität“. Dort wo die rationale Abwägung von Informationen (aufgrund unüberschaubarer Komplexität, wegen Zeitmangels zur Auswertung oder des gänzlichen Fehlens von Informationen überhaupt) nicht möglich ist, befähigt Vertrauen dennoch zu einer auf Intuition gestützten Entscheidung. Starkes Vertrauen entwickelt sich gegenüber einer Person dann, wenn man diese als kompetent und fähig einschätzt und man glaubt, dass diese Person auch einen in Zukunft unterstützt bzw. einem Wohlwollen entgegenbringt.

Grundlegend verlangt man bzw. erwartet man von Entscheidungsträgern, dass sie ihre Entscheidungen auf rein rationaler Basis treffen, was auch legitim und verständlich ist. Trotzdem (meistens unbewusst) spielen Emotionen – wie sie bei Vertrauen und Misstrauen mit beinhaltet sind – bei Entscheidungen eine durchaus treibende Rolle.

Zusammengefasst kann gesagt werden, dass das Zusammenspiel von Wissen über die wirtschaftlichen und juristischen Aspekte und dem Wissen über psycho­dynamische und sozialpsychologische Gruppenphänomene die Aufsichtsratsmitglieder bei ihrer Tätigkeit verstärkt unterstützen kann, das Wohl des Unternehmens unter Berücksichtigung der Aktionäre, der Arbeitnehmer und der Öffentlichkeit zu beachten (§ 70 AktG).

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