Digitalisierung MIT-GESTALTEN
Tipps für einen selbstbewussten Umgang mit Digitalisierung
Die Welt ist VUKA: Sie ist volatil, unsicher, komplex und ambivalent. Neue disruptive Geschäftsmodelle à la Uber und Airbnb verändern Branchen und lassen etablierte Organisationen alt aussehen.
Im Zuge des Transformationsprozesses ergeben sich auch veränderte Rollen und Anforderungen im Rahmen der Corporate Governance – also der Überwachung und Steuerung – von Unternehmen und in der Folge für die in den Aufsichtsrat entsandten Betriebsrät:innen. Die Arbeitnehmer:iInnenvertretung hat zum einen zu überwachen, wie der digitale Wandel umgesetzt wird und zum anderen, die aktive Beteiligung der Beschäftigten an der Gestaltung der digitalen Arbeitswelt einzufordern.
Die Digitalisierung verändert und globalisiert auf vielfältige Weise Geschäftsmodelle, Beschäftigungsformen und Machtverhältnisse in der Wirtschafts- und Arbeitswelt. Neue disruptive Geschäftslogiken beschäftigen die Strategieabteilungen der Konzerne: Unter dem Stichwort der „Sharing Economy“ übernehmen digitale Plattformen zunehmend die Koordination von Vermittlungstätigkeiten oder anderen Dienstleistungen und leiten damit einen sektoralen Wandel ein. Der Fahrtvermittler Uber gräbt den herkömmlichen Taxiunternehmen Umsätze ab, hat jedoch selbst keine eigenen Autos. Die Unterkunftsplattform Airbnb – die Beherbergungsunternehmen deren Erträge streitig macht – besitzt selbst keine eigenen Zimmer.
Die neuen Plattformunternehmen definieren auch den Betriebsbegriff neu. Sie sind international tätig, verfügen oft über keine nationale Registrierung oder Niederlassung, sind intransparent bezüglich ihrer eigenen Unternehmensdaten, haben oft nur wenige eigene Beschäftigte, vergleichsweise geringe Vermögenswerte und werden dennoch aufgrund positiver Netzwerkeffekte von Risikokapitalgebern immens hoch bewertet.
Die neu entstehenden und mit enormen Tempo wachsenden Internetkonzerne dringen damit in „traditionelle“ Branchen ein und verschieben die Wettbewerbssituation. Die Geschwindigkeit dieser Entwicklung nimmt kontinuierlich Fahrt auf und wird zur immer größeren Herausforderung für Vorstand und Aufsichtsrat. Aufsichtsräte der „Old Economy“ kommen an dieser Entwicklung nicht vorbei, sie müssen sich mit den Auswirkungen digitaler Geschäftsmodelle ernsthaft auseinandersetzen. Neue Mitbewerber – wie etwa Google als Autobauer oder Amazon als Finanzdienstleister – müssen ständig am „Radar“ sein, um die eigene Unternehmensstrategie kontinuierlich anzupassen und aktiv weiterzuentwickeln.
Welche Geschäftsmodelle Zukunft haben werden, lässt sich gut am Trend aktueller Firmenübernahmen ablesen: Corum – ein weltweit führender Experte für Unternehmenszusammenschlüsse im Softwarebereich – präsentiert in seinem M&A-Bericht die Top-Trends für Firmenakquisitionen im Jahr 2018: Dazu zählen etwa Tätigkeiten zur Ermöglichung künstlicher Intelligenz, digitale Währungs- und Kapitalflusssysteme, die Verwertung von „Big Data“, die Verknüpfung von Gesundheitsdaten- und Gesundheitsservices oder intelligente Logistiksysteme.
Im stetigen Wandel begriffen sind aber auch die Fertigungsprozesse in der „traditionellen“ Sachgüterindustrie und Angestelltentätigkeiten etwa im Financeoder Verwaltungsbereich. In der Sachgüterindustrie nimmt die Automatisierung und Vernetzung von Unternehmen und Wertschöpfungspartnern unter dem Schlagwort Industrie 4.0 eine neue Dimension an. Das klassische „Computer Integrated Manufacturing (CIM)“ aus den 1980er- und 1990er-Jahren wird weiterentwickelt und abgelöst durch hochautomatisierte, miteinander vernetzte und mit komplexer Sensortechnik ausgestattete Fertigungsroboter. Die Wertschöpfungskette wird komplett neu ausgerichtet und ständig weiter optimiert, mit dem Ziel, die Effizienz zu steigern.
Die vertikale Wertschöpfungskette – von den Produzenten über den Großhandel zum Einzelhandel bis hin zum Endkonsumenten – verändert sich in der Welt der Plattformen; Anbieter und Abnehmer tauschen ihre Produkte und Services direkt aus. Weiters verkürzen sich Produkt- und Innovationszyklen. Drei Jahre alte Smartphones gelten mittlerweile als alt. Ein ständiger Reform- und Innovationsdruck ist die Folge, um wettbewerbsmäßig nicht überholt zu werden.
Im Angestelltenbereich nehmen einerseits nicht routinierte analytische Tätigkeiten zu, andererseits werden Tätigkeiten mit hohem Standardisierungsgrad mithilfe von Softwarelösungen automatisiert. Möglich werden diese Veränderungen durch sich rasant weiterentwickelnde Informations- und Kommunikationstechnologien. Damit verändern sich in der Folge auch die Steuerungs- und Kontrollaufgaben zwischen Mensch und Technik. Ständige Veränderungen und Umstrukturierungen werden zur „neuen Stabilität“ in den Unternehmen und sind in den Tagesordnungen der Aufsichtsratssitzungen nicht mehr wegzudenken.
Mit einer Neuausrichtung der inhaltlichen Anforderung geht auch eine Digitalisierung der Aufsichtsratstätigkeit selbst einher. Arbeitsweisen und Arbeitsmittel im Aufsichtsrat werden digitalisiert: Die Verwendung von Firmen-Laptop/Tablet, Smartphone, E-Mail-Account und Cloud-Laufwerken als technische Unterstützung sind bereits seit vielen Jahren gang und gäbe. Auch Video- und Telefonkonferenzen werden – je nach Ausrichtung und Akzeptanz des Unternehmens – bereits häufig eingesetzt, insbesondere in international aufgestellten Konzernen.
Neu kommt hinzu, dass mithilfe von Clouddiensten elektronischen Abläufe, wie z. B. die elektronische Unterschrift (DocuSign) oder Arbeits- und Abstimmungsanweisungen via App, vereinfacht werden. Die Verwendung von E-Learning-Programmen bzw. Tutorials zu gewissen Fragestellungen (z. B. Erklärung neuer Kennzahlen, Hintergrundinfos bzw. Mobile Reporting) wird sich auf die Vorbereitung von Aufsichtsratssitzungen auswirken. Der „Digital Boardroom“ hält Einzug in die Steuerungszentralen insbesondere großer Konzerne. So stellt SAP’s „Digital Boardroom“ – ein schwarzer Touchscreen in einer Größendimension von mehreren Quadratmetern – Echtzeitdaten mit Finger-Interaktion sofort zur Verfügung und ermöglicht Detailabfragen oder Umsatzprognosen direkt während der Aufsichtsratssitzung.
Wo liegen Chancen und wo verbergen sich Risiken? Aktuell und in Echtzeit können damit Finanzprozesse, Kostenentwicklungen, Umsätze, Kapitalflüsse, Personalkennzahlen analysiert oder Verkaufsprognosen erstellt und Entscheidungen vorbereitet werden. Jedoch bleiben Menschen soziale Wesen, die ihre Entscheidungen nicht nur basierend auf digitalen Daten, sondern auf sozialen Verhaltensweisen, gegenseitigem Diskurs, Präferenzen und natürlich den jeweiligen strategischen Überlegungen aufbauen. Entscheidungen allein auf der Analyse von Daten zu treffen, birgt die Gefahr, dass die Entscheidungsgrundlagen nur auf messbaren oder erfassbaren Kriterien beruhen. „Garbage in, Garbage out“, sprich sämtliche Entscheidungsgrundlagen, die nicht in Daten erfasst oder abgebildet werden, fließen nicht in die Entscheidungsgrundlagen ein; Fehleinschätzungen drohen. Auch Haftungsfragen könnten sich neu stellen. Der Aufsichtrat könnte künftig Zugriff auf ein enormes betriebliches Datenuniversum erhalten und damit über umfangreiche Informationen verfügen. Könnte daraus auch abgeleitet werden, dass Mandatare permanent die Entwicklung über ihren Bildschirm verfolgen müssen und – wenn sie etwas übersehen – zur Verantwortung gezogen werden können?
Die Veränderung hin zum digitalen Aufsichtsrat macht auch vor Arbeitnehmervertreter:innen nicht halt. Betriebsrät:innen sind angehalten, tragfähige Unterstützungsstrukturen aufzubauen, wie z. B. Kontaktpflege mit ExpertInnen in Unternehmen, Kooperation mit Gewerkschaften und Arbeiterkammern, die Nutzung von Betriebsratsnetzwerken und vermutlich auch die Suche nach Verbündeten bei der lokalen Geschäftsführung oder dem / der einen oder anderen Kapitalvertreter:in im Aufsichtsrat. Der digitale Wandel muss zum Thema im Aufsichtsrat gemacht werden, eine aktive Einbeziehung der Beschäftigten und Betriebsrät:innen eingefordert werden. Gerade dies ist aber in der Praxis leider selten der Fall. Oft geht die Einbeziehung über bloße Informationsweitergabe an den Betriebsrat nicht hinaus.
Durch die veränderte Organisationsstruktur in der digitalisierten Arbeitswelt besteht im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung (Mitbestimmung 4.0) ein verstärkter Handlungsbedarf: Die Sicherstellung von Entscheidungsspielräumen im Arbeitsprozess, der Umgang mit Daten, die Zeitsouveränität und faire Verdienstchancen werden eine immer wichtigere Rolle spielen. Und natürlich wird die Beschäftigungssicherheit und Qualität der Arbeit für langfristig orientierte, erfolgreiche und innovative Unternehmen ein wesentlicher Erfolgsfaktor sein.
Die digitale Transformation birgt Chancen und Risiken: Der erfolgreiche Wandel in die neue digitale Wirtschafts- und Arbeitswelt kann nur gemeinsam im Rahmen der betrieblichen und überbetrieblichen Sozialpartnerschaft unter aktiver Einbindung der Beschäftigten funktionieren. Und jede weitere Digitalisierung in den Unternehmen kann nur schrittweise stattfinden und benötigt im Rahmen dieses Prozesses auch eine sozial ausgewogene Miteinbeziehung der Beschäftigten. Denn was macht eine Organisation großartig? Es sind die in der Organisation arbeitenden Menschen.
Simon Schumich, MA ist Wirtschaftsberater bei der IMU Institut GmbH.
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