Viele "Alpha-Tiere" im Aufsichtsrat
Geschehnisse und Abläufe im Aufsichtsrat unterstehen, wie auch alle anderen Interaktionen zwischen Menschen, einer Gruppendynamik. Das Wissen über gruppendynamische Prozesse und Vorgänge kann für die Arbeit im Aufsichtsrat sehr hilfreich sein. Einerseits ist es wichtig für die „Identifizierung der eigenen Rolle“, andererseits unterstützt die Gruppendynamik, Persönlichkeitstypen zu erkennen und auf welche Weise sie in Gruppen wirksam werden.
Rangordnung in Gruppen
Nach dem Wiener Psychiater Raoul Schindler entwickeln sich in jeder Gruppe vier bestimmte Funktionen heraus, die von den Gruppenmitgliedern übernommen werden und die in jeder Gruppe vertreten sind. Er spricht in diesem Zusammenhang von der Rangordnung in Gruppen und benannte die Rangpositionen nach dem griechischen Alphabet. Die Grundannahme lässt sich auch auf die Gruppe des Aufsichtsrats umlegen und zeigt, welche Position den ArbeitnehmerInnen im Aufsichtsrat „automatisch“ zugeschrieben wird.
Die Alpha-Position
Die Alpha-Position wird jener Person in der Gruppe zugeschrieben, die die Führungsfunktion innehat. Sie repräsentiert die Gruppe und diese lässt sich von ihr führen. Im Aufsichtsrat wird diese Position dem/der AR-Vorsitzenden zugeschrieben.
Die Beta-Position
Die Beta-Position wird als BeraterInnen-Position verstanden. Diese Personen punkten mit ihrer fachlichen Kompetenz, sie unterhalten zu allen Gruppenmitgliedern gute Beziehungen und sie sind bereit, sich Alpha unterzuordnen. Auch diese Position ist im Aufsichtsrat keine unbekannte, es sind meist die engen Vertrauten des/der AR-Vorsitzenden.
Die Gamma-Position
Personen in der Gamma-Position werden als die „normalen“ Gruppenmitglieder bezeichnet; Gefolgsleute, die sich emotional mit Alpha identifizieren und ihm uneingeschränkt folgen.
Die Omega-Position
Personen in dieser Position sind oft negativ mit Alpha verbunden, sie nehmen Gegenpositionen ein und stehen oft auch in direkter Konfrontation mit Alpha. In der Gruppe wird ihnen oft eine AußenseiterInnen-Rolle zugeschrieben, sie fungieren auch als Blitzableiter oder Sündenbock. Im Aufsichtsrat übernehmen diese Funktion sehr oft die ArbeitnehmervertreterInnen. Ihre Handlungsmöglichkeiten im Aufsichtsrat sind aus dieser Position heraus sehr beschränkt. Sich dieser speziellen Position bewusst zu werden, ist Voraussetzung, um Spielräume ausloten und erfolgreiche Strategien ausarbeiten zu können.
Viele Alpha-Tiere im Aufsichtsrat
Betrachten wir den Aufsichtsrat durch die Brille des rangdynamischen Positionsmodells, so werden wir feststellen, dass die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats zwar eine ihrer Funktion bestimmte Positionen einnehmen, doch gruppendynamisch nicht selbstverständlich oder durchgehend aus einer bestimmten Rangposition heraus handeln.
In den Aufsichtsräten sind Vorstandsmitglieder und CEOs Personen, die es erfolgreich zu etwas gebracht haben. Sie haben sich durchgesetzt und gelernt, sich zu behaupten. Sie sind es gewohnt, Führung zu übernehmen. Schon anhand ihrer Funktion nehmen sie die Rollen von Alpha ein. Gefährlich wird es dann, wenn solche Alpha-Tiere auf schwache Aufsichtsräte treffen. Eine wichtige Aufsichtsratsanforderung ist es, dem Vorstand auf Augenhöhe zu begegnen und – wenn opportun – auch Einhalt zu gebieten.
So wird ein/e ArbeitnehmervertreterIn im Aufsichtsrat in der Gruppe von BetriebsrätInnen bei der Darstellung eines Sachthemas wahrscheinlich eine Alpha-Position einnehmen. Dieselbe Person kann in der Aufsichtsratssitzung in der Verhandlung über eine Standortverlegung mit vielen Argumenten und Hinweisen als sachkompetente/r Beta wahrgenommen werden oder sich aufgrund der Drittelbeteiligung auf eine schwache Omega-Opferrolle zurückziehen.
Doch um ein Durchwinken von Entscheidungen im Aufsichtsrat zu verhindern, braucht es AufsichtsrätInnen, die sich der gruppendynamischen Rollen in der konkreten Situation rasch bewusst werden und mutig agieren sowie engagiert ihre Standpunkte einbringen. Die Omega-Rolle ist für BetriebsrätInnen typisch, um kritische Fragen zu stellen, um Einwände zu formulieren und unpassende Entscheidungen zu stoppen.
Reflexionsfragen für die eigene Rolle und Arbeit im Aufsichtsrat
- Welche Positionen in einer Gruppe nehmen Sie bevorzugt ein?
- Welche Position liegt ihnen besonders?
- Welche ist Ihnen unangenehm?
- Welche Position in der Gruppe provoziert Sie am meisten?
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