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Verschweigen oder Veröffentlichen?

Ein aktueller Vorfall im Aufsichtsrat eines österreichischen Unternehmens sowie eine neue Entscheidung des OGH zur Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern möchte ich zum Anlass nehmen, ein gewisses Dilemma darzustellen, in dem sich Kontrollorgane mitunter befinden. Bei Einhaltung von grundlegenden Empfehlungen zur Verschwiegenheitspflicht (1. Gebot: Ein Schriftl ist ein Giftl; 2. Gebot: Keine exakten Zahlen bekanntgeben, sondern allerhöchstens Richtwerte und Tendenzen – näher dazu Gagawczuk u.a., Der Aufsichtsrat, Kapitel 8, Neuauflage in Bearbeitung) lässt sich die Gefahr einer schadenersatzrechtlichen Haftung aber in aller Regel vermeiden.

Der Arbeitnehmervertreter im öffentlichen Rampenlicht

Ein Arbeitnehmervertreter wurde vom Aufsichtsratsvorsitzenden schriftlich „abgemahnt“, weil er in einer Fernsehsendung diverse Informationen zur Lage, insbesondere zur bevorstehenden Übernahme des Unternehmens bekannt gegeben hatte. Allerdings waren diese Fakten (Kreis der Anbieter, Verlauf der Übernahmevertragsverhandlungen) schon über einige Wochen davor in den Zeitungen breit getreten worden.

Eine „Abmahnung“ einzelner Aufsichtsratsmitglieder durch den Aufsichtsratsvorsitzenden ist gesellschaftsrechtlich nicht vorgesehen und per se ohne Rechtswirkung. Allerdings könnte die Tatsache, dass ein AR-Mitglied schon auf eine bestimmte Sorgfalts- oder Verschwiegenheitspflicht aufmerksam gemacht wurde, in einem Beweisverfahren (im Rahmen eines Verfahrens wegen Verletzung der Verschwiegenheitspflicht nach § 99 AktG bzw § 33 GmbHG iVm §§ 1295 ff ABGB = Schadenersatz; insbesondere iVm § 1330 ABGB = Ersatz des Schadens wegen Ruf- oder Kreditschädigung) eine bedeutende Rolle spielen. Nach dem „Grundsatz der freien Beweiswürdigung“ der Zivilprozessordnung bleibt es aber dem beurteilenden Gericht trotz „Abmahnungen“ und Gegenäußerungen („Entgegnungen“) völlig frei gestellt, welcher Partei oder welchem Zeugen eher geglaubt wird.

Was sind „vertrauliche Angaben“?

Darunter sind Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse (erstere betreffen eher technische Daten, zweitere kaufmännisch-wirtschaftliche) zu verstehen,

  • an denen die Gesellschaft ein objektives Geheimhaltungsinteresse hat, weil etwa der Mitbewerb begünstigt oder die Kunden, Lieferanten, Geschäftspartner etc. negativ beeinflusst werden könnten, und
  • die tatsächlich noch nicht „öffentlich“ gemacht sind, sowie
  • durch deren Veröffentlichung die Gefahr eines wirtschaftlichen Schadens für die Gesellschaft besteht.

Alle drei Kriterien müssen vorliegen, um von einer „vertraulichen Angabe“ im Sinne des Gesellschaftsrechts (AktG, GmbHG, GenossenschaftsG, VereinsG, etc.) sprechen zu können: Objektives Geheimhaltungsinteresse (und nicht bloßes Dafürhalten des Vorstands oder Aufsichtsratspräsidenten) + tatsächliche Unveröffentlichtheit + Schädigungsmöglichkeit. Im vorliegenden Fall war in diversen österreichischen Zeitungen bereits über alle möglichen Übernahme-Interessenten spekuliert worden, es war über eine Unternehmensberater- Studie mehrfach berichtet worden usw, der Fall war also schon „öffentlich“. Einige Fakten, die der Arbeitnehmervertreter im Fernsehen gesagt hatte, waren in dieser Form zwar noch nicht veröffentlicht gewesen, aber diese zusätzlichen Details hätten die Gesellschaft keinesfalls schädigen können. Somit konnte die AK in einem Gutachten festhalten, dass keine Haftung nach den oben zitierten Paragrafen in Frage kommt. Außerdem: in Sonderfällen kann ein Durchbrechen der Verschwiegenheitspflicht sogar geboten sein, um einen größeren (als den durch den Geheimnisverrat drohenden) Schaden von der AG abzuwenden. Lehrbuchbeispiel bei Doralt/Novotny/Kalss, AktG-Kommentar: um einen spontanen Streik der Belegschaft zu verhindern. Aktuelles Beispiel lt. OGH 2008: um einen Absturz der Aktie zu verhindern – womit wir beim zweiten Aspekt wären.

„Vertuschen“ und Golden Handshake: rechtlich korrekt gehandelt!

Für börsenotierte Gesellschaften gelten diverse Insidervorschriften: Kursrelevante Informationen sind zu schützen und jegliche Form des Ausnützens von derartigen Informationen ist bei Strafe verboten (Börsegesetz, Emittenten-Compliance-Verordnung, etc. ➛ siehe www.fma.gv.at). In einer AG hatten nun die beiden Vorstandsmitglieder zwischen 2001 und 2003 nicht nur sämtliche Finanzziele drastisch verfehlt, auch der Aktienkurs war von über 80 Euro auf 45 Euro gesunken. Dennoch gaben die Aufsichtsratsmitglieder grünes Licht für eine großzügige freiwillige Abfindung („golden Handshake“) der beiden unfähigen Manager in Höhe von 1,2 Millionen Euro. Das wollte sich der Mehrheitseigentümer nicht gefallen lassen und klagte die Mitglieder des Kontrollorgans (das ja die Gesellschaft bei Geschäften mit den Vorständen vertritt) auf Schadenersatz.

Der Oberste Gerichtshof (Erkenntnis vom 11. 6. 2008, GZ 7 Ob 58/08t) hielt dagegen: Die Alternative, nämlich eine Suspendierung des Vorstands, hätte den Aktienkurs weiter nach unten getrieben. Denn das Börsegesetz schreibt vor, dass eine derartige Tatsache sofort veröffentlicht werden muss, um allen Kapitalmarktteilnehmern den gleichen Informationsstand zu gewährleisten (ad-hoc-Veröffentlichungspflicht). Die Aufsichtsratsmitglieder hatten daher das geringere Übel gewählt und zwar kein „Schweigegeld“ gezahlt, aber unter Abwägung von „Wirtschaftlichkeit“ und „Zweckmäßigkeit“ einen Weg gewählt, der – im Zeitpunkt ihrer Entscheidung – jedenfalls sorgfältig getroffen wurde. Nämlich sorgfältig im Sinne des Schutzes des Gesellschaftsvermögens (Aktienkurses).

Fazit

„Schweigen ist Gold – aber Reden kann am Finanzmarkt Börse mitunter geboten sein.“ Und dass nicht nur das Schweigen sondern auch die damit verbundene Verabschiedung für so manchen (unfähigen) Manager goldeswert ist, lehrt uns nur allzu oft ein Blick in die Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen.


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