Dominik Wührer
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Wirtschaft auf Italienisch

Die italienische Ökonomie im Wandel der Zeit – Gibt es noch einen Platz für Gewerkschaften?

Dominik Wührer, Italien
Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL)

Italiens Ökonomie ist eine durchwachsene Landschaft geformt von hoher Staatsverschuldung, Jugendarbeitslosigkeit, einer alternden Bevölkerung und einer instabilen Regierungsbildung. Der wirtschaftlichen Lage entsprechend sind auch die italienischen Gewerkschaften am Ende ihrer Glanzzeit angelangt. Obwohl jeder vierte Italiener Gewerkschaftsmitglied ist, sind viele von Ihnen bereits pensioniert, was ein großes Problem für die Zukunft der Gewerkschaften darstellt. Was sind die Gründe dafür, und was muss unternommen werden um das Ruder noch herumzureißen?

Italiens Ökonomie im Wandel der Zeit

Um die wirtschaftlichen Probleme Italiens und die stagnierende Situation der Gewerkschaften evaluieren zu können muss man sich vorerst die historische Entwicklung dieses Landes genauer ansehen, vor allem den Wandel der sich in der Bevölkerungsstruktur Italiens vollzogen hat.

Obwohl Italien die viertgrößte Volkswirtschaft Europas aufweist, hat der südeuropäische Staat mit einer Reihe von Problemen zu kämpfen, die sich negativ auf die Bevölkerung auswirken. Diese Probleme sind teils historisch und teils demografisch bedingt. Wie in jedem anderen Land auf der Welt auch, liegt ein Bevölkerungsanstieg bzw. Bevölkerungsrückgang meistens in einem Anstieg der Geburten- bzw. Sterblichkeitsraten begründet. Ursachen dafür sind vor allem die Industrialisierung, Fortschritte in der Medizin und der Ausbau von Infrastruktur und sozialen Einrichtungen. 

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Italien gehört zu den drei EU Staaten mit dem größten Zuwandereranteil. Im Jahr 2006 betrug der Anteil der legal in Italien wohnenden Immigranten 3,7 Millionen. Die ISTAT verzeichnete von 2005-2006 eine Zunahme von 20 %; und diese Zahl steigt weiterhin an. Gründe für die enorme Zuwanderung in Italien waren zu dieser Zeit verfügbare Arbeitsplätze, vor allem in der Industrie und im Dienstleistungssektor. Ohne die massive Zuwanderung würde die Bevölkerung Italiens zunehmend schrumpfen und wäre nicht in der Lage; die Kapazität der Arbeitsplätze auszufüllen. 

Grund dafür ist die alternde Bevölkerung Italiens - die hohen Sterbezahlen können nicht mit den Geburtenzahlen ausgeglichen werden, somit schrumpft die Bevölkerungszahl stetig. Zum Großteil verantwortlich hierfür ist Italiens Empfängnisverhütung, welche bis 1978 strengstens verboten war. Seit 1978 gilt in Italien eine Fristenregelung.

WWII und zu schnell wachsende Städte

Der 2. Weltkrieg hatte wie auf andere Länder weltweit großen Einfluss auf die Wirtschaft und die Bevölkerung Italiens. Ungefähr 456.000 italienische Menschen ließen im Zweiten Weltkrieg ihr Leben - eine Bilanz, die im Vergleich zur Gesamtzahl der Opfer von 5.907.900 beträchtlich ist.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchsen Italiens Städte, obwohl öffentliche und soziale Einrichtungen sowie Verkehrsmittel fehlten, viel zu schnell. Zwischen 1951 und 1971 war der Anteil der Beschäftigten in der Industrie von 32,1 % auf 44 % gestiegen, und auch im Dienstleistungssektor gab es einen Anstieg von 25,7 % auf 38,5 %. Der Landwirtschaftssektor hingegen schrumpfte von 42,2 % auf 17,2 %. 1975 lebten 37,9 % der Bevölkerung in Städten mit über 50.000 Einwohnern.

Die demografische Zukunft Italiens

Rom, Neapel, Turin, Genua und Mailand waren um 1981 bereits Millionenstädte. Laut Zählungen der Statista (2012) betrug die Bevölkerung Italiens im Jahr 2011 ca. 60,2 Millionen, damit ist Italien auf Platz 4 der höchsten Einwohnerzahl europäischer Länder.Hauptgrund dafür ist die enorme Immigration aus Osteuropa, Afrika, Lateinamerika und Asien aufgrund des Arbeitsplatzreichtums in Italien.

Ohne die vielen Zuwanderer würde Italiens Bevölkerung schrumpfen, was einen chronischen Arbeitskräftemangel zur Folge hätte. Es wird zwischen 2020 und 2080 ein stetiger Rückgang der Bevölkerung erwartet, da der Anteil der älteren Bevölkerungsgruppe höher ist als die der jüngeren und viele Menschen zur gleichen Zeit ihr Höchstalter erreichen werden.

Laut Diagnosen der ISTAT wird die Wohnbevölkerung Italiens im Jahr 2045 auf 59 Millionen und im Jahr 2065 auf 54,1 Millionen schrumpfen. Das würde einen Rückgang von 6,5 Millionen von 2017 bis 2065 bedeuten. Berücksichtigung der mit demografischen Ereignissen verbundenen Variabilität reicht die Bevölkerungsschätzung bis 2065 von mindestens 46,4 Millionen bis maximal 62.

Die Wahrscheinlichkeit eines Bevölkerungswachstums bis 2065 beträgt 9%. Es wird hier jedoch zu einer Landflucht kommen und der Norden wird im Jahr 2065 71% der Einwohner gegenüber den heutigen 66% beherbergen, der Süden und die Insel würden stattdessen 29% gegenüber den aktuellen 34% erhalten. Das Bevölkerungsgewicht verlagert sich somit von den südlichen in die nördlichen Gebiete des Landes.

Auch die voraussichtlichen Lebendgeburten werden nicht ausreichen, um die prognostizierten Todesfälle auszugleichen. Langfristig rechnet man von einem Geburtenrückgang von -400 Tsd. Die Fruchtbarkeit wird von 1,25 auf 1,59 Kinder pro Frau steigen, und auch das Überleben wird voraussichtlich weiter zunehmen. Bis zum Jahr 2065 würde die Lebenserwartung bei der Geburt für beide Geschlechter um 5 Jahre zunehmen und 86,1 Jahre bzw. 90,2 Jahre für Männer und Frauen erreichen (80,6 und 85 Jahre im Jahr 2016).

Der italienische Arbeitsmarkt

Die ISTAT verzeichnete im März 2018 23.134 Millionen Beschäftigte, das sind + 0,3% gegenüber Februar. Arbeitslose gab es im März 2,865 Millionen, das macht ein Plus von + 0,7% gegenüber dem Vormonat. Die Beschäftigungsrate betrug 58,3%, ein Plus von +0,2 Prozentpunkte gegenüber dem Vormonat. Die Arbeitslosenquote betrug 11,0%, gegenüber Februar 2018 gleichbleibend und die Inaktivität betrug 34,3%, -0,3 Prozentpunkte in einem Monat.

Die Jugendarbeitslosenquote (15-24 Jahre) betrug 31,7%, -0,9 Prozentpunkte gegenüber dem Vormonat und die Jugendarbeitslosenquote in der gleichen Altersgruppe lag bei 8,3%, -0,3 Prozentpunkte gegenüber Februar 2018. Ende März 2018 betrug die Deckungsquote (Anteil der für Tarifgestaltung geltenden nationalen Tarifverträge) 65,1 Prozent der Beschäftigten und 62,1 Prozent der gesamten Lohnsumme.

Im März 2018 stiegen außerdem der Stundenindex und der Pro-Arbeitnehmer-Index gegenüber dem Vormonat um 0,2 Prozent. Gegenüber März 2017 stiegen beide Indizes um 1,0 Prozent. Im Zeitraum von Januar bis März 2018 stieg der Stundenindex um 0,8, während der Pro-Arbeitnehmer-Index im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 0,9 Prozent gestiegen ist.

Gewerkschaften in Italien 

Die Gewerkschaften in Italien sind von der Struktur her ähnlich aufgebaut wie die in Österreich, nur, dass es sich hier um fraktionelle Gewerkschaften mit kommunistischen Wurzeln handelt. Die CGIL ist die größte Gewerkschaft in Italien mit rund 6 Mio. Mitgliedern, und somit steht ihnen die christliche Gewerkschaft CISL mit ca. 5 Mio. Mitgliedern und die sozialistische Gewerkschaft UIL mit ca. 2,5 Mio. Mitgliedern in nichts nach.

Dies klingt auf den ersten Blick nach sehr vielen Mitgliedern, da es sich hier nur um die drei größten von insgesamt ca. 12 Gewerkschaften handelt, und Italien europäisch gesehen das Land mit den meisten Gewerkschaftsmitgliedern ist. Auf den zweiten Blick jedoch kann man erkennen, dass zwar jeder vierte Italiener Gewerkschaftsmitglied ist, die Hälfte der Mitglieder jedoch bereits pensioniert sind und es kaum Mitglieder unter 40 gibt.

In Italiens Gewerkschaften setzt man sich sehr stark mit dem Wandel der Gewerkschaftswelt nach der Krise auseinander, und durch dieses Verharren in der Vergangenheit wird auf die Zukunft der Gewerkschaften, die Jugend, vergessen. Das hat vor allem finanzielle Gründe, denn Hierzulande beschäftigt man sich nicht mit der Frage, wo es noch Einsparungen geben könnte, sondern wie man sich mit dem geringen Budget noch über Wasser halten kann.

Norditalien und im speziellen Mailand sind traditionell eher reichere Regionen. Nach bzw. während der Krise wurden vom Staat systematisch die Ausgaben für Soziales, Wohnen, Bildung uvm. gekürzt, und wo ist diese Kürzung am naheliegendsten? Natürlich bei den Regionen, die vermeintlich noch das meiste Geld haben. Durch diese massiven Eingriffe seitens der rechten Regierung ist das Sozialsystem in dieser Gegend fast zum Erliegen gekommen. 

Die Folgen der Krise sind auch in anderen Bereichen zu spüren. Bei der Betriebsversammlung einer Firma im Bereich der FILCAMS in Como glich die Stimmung der bei einem Begräbnis. Zu diesem Zeitpunkt hatte die besagte Firma nur noch ca. 2000 Mitarbeiter der ehemals fast 4000 in ganz Italien und soll nun auf Grund eines Konkurses verkauft werden. Die Mitarbeiter haben Einkommenseinbußen hinnehmen müssen und werden nun auch den Ausverkauf der letzten Waren organisieren, jedoch in der Ungewissheit, wie es weitergeht oder ob gar der Standort geschlossen wird.

Hier zeigt sich wieder sehr deutlich das Problem des italienischen Gewerkschaftssystems, denn ein vereintes Vorgehen der verschiedenen Gewerkschaften ist aufgrund alter Streitigkeiten nicht möglich; so sind zum Beispiel an einem Standort drei verschiedene Gewerkschaften, die sich lieber gegenseitig blockieren als gemeinsam für die Rechte der Belegschaft zu kämpfen. TUTELA I TUOI DIRITTI – Schütze deine Rechte trifft also in allen Bereichen der Gewerkschaft zu, jedoch sind diese öfter als es ihnen lieb ist mit sich selbst beschäftigt.

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