Problemfall Serbien

Danijel Radic, Serbien
Nezavisnost (IER)

Spätestens seit den vorgezogenen Parlamentswahlen im April 2016 regiert die aktuelle Serbische Fortschrittspartei SNS (Anm.: in Österreich wäre diese in etwa mit dem BZÖ Vergleichbar) mit fast absoluter Mehrheit im serbischen Parlament. Als Koalitionspartner holte man sich die Sozialistische Partei Serbiens SPS ins Boot. Diese wurde übrigens mit dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien 1990 als Nachfolgepartei des Bundes der Kommunisten gegründet und war von 1990 bis 2000 an der Macht.

Im Prinzip handelt es um die Fortführung derselben Koalitionsregierung wie vor den Wahlen.

Interessant ist aber, dass bei den letzten Wahlen nur etwa knapp mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten zur Wahlurne pilgerte. Der damalige Ministerpräsident Aleksandar Vucic, der übrigens seit 2017 Staatspräsident ist und auch weiterhin Vorsitzender der Serbischen Fortschrittspartei, konnte nicht alle Wahlberechtigten mit seinen Wahlversprechen überzeugen. Mit teilweise nationalistischer Rhetorik und dem gleichzeitigen Versprechen der „Friedensplicht“ Serbiens im Sinne des angestrebten EU-Beitritts wird nun seit fast einem ganzen Jahrzehnt versucht, von den wirklichen Problemen im Land abzulenken.

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Korruption, Vetternwirtschaft und Arbeitslosigkeit

Ein Argument, mit dem man in den SNS-Zentralen sehr gut überzeugen konnte, waren z.B. Geldgeschenke, wenn man „das Kreuzerl“ an der richtigen Stelle gemacht hat. Dafür musste man nur mit dem Smartphone in der Wahlkabine ein Foto von der „richtigen“ Stimmvergabe machen und im Parteilokal vorzeigen. Darüber wird natürlich nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen.

Wie wird von der aktuellen Regierung versucht, diesen Problemen entgegenzuwirken? Im Prinzip mit dem weiteren Ausverkauf des Landes. Vom aktuellen Präsidenten geht „eine der größten Beschäftigungsinitiativen in der neusten Geschichte des Landes“ aus.

Kurz gesagt: Es werden ausländische Investoren mit dreijähriger Steuerfreiheit angelockt.

Weiters gibt es für jeden Arbeitgeber pro beschäftigtem Mitarbeiter/beschäftigter Mitarbeiterin von der Regierung eine „Geldspritze“, um die Wirtschaft zu beleben.

Was passiert nach Ablauf dieser drei Jahre Sponsoring mit den Unternehmen und Mitarbeitern? Diese Frage konnte trotz mehrmaligen Nachfragen niemand beantworten. Aber bis zu den nächsten Parlamentswahlen wird sich schon eine Lösung finden …

Wortmeldung eines Gesprächspartners:
Die Gerichte, Polizei und alle, die „da oben“ in der Regierung sitzen, sind korrupt. Die sprechen sich alle untereinander ab und teilen sich dann das Geld auf. Und wenn etwas für uns „hier unten“ verteilt wird, dann ein Hungerlohn. Aber die können mich alle mal. Ich arbeite schon lange „schwarz“. So kann ich mich und meine Familie etwas über Wasser halten und zahle den Trotteln da oben zumindest keine Steuern, damit sie sich noch mehr auf unsere Kosten bereichern können.“

Der „Kuchen“ wird immer kleiner

Damit ein Staat wie Serbien trotzdem funktionieren kann, braucht es natürlich einen großen Beamten- und Überwachungsapparat bzw. Sektor Öffentlicher Dienst. Doch auch dieser gerät immer mehr unter Druck bzw. droht einigen Bereichen die Privatisierung.

Aber alles der Reihe nach. Hier einige Auszüge aus den Interviews mit unseren GesprächspartnerInnen.

Wieviel Beschäftigte hat Serbien?

In Serbien gibt es ca. 2,1 Mio. Beschäftigte bei ca. 7 Mio. Einwohnern. Davon arbeiten aber in Wirklichkeit nur ca. 1,5 Mio. für einen Reallohn. Alles andere spielt sich im Graubereich (Schattenwirtschaft) ab. Der größte Reallohnbereich mit ca. 850.000 Beschäftigten ist der Öffentliche Dienst.  

Wir haben gehört, dass einer dieser Sektoren privatisiert - also verkauft - werden soll?

Ja, der Kommunalbereich. Es ist immer dasselbe Spiel - zuerst wird alles heruntergewirtschaftet bzw. nichts mehr investiert, dann verweist man darauf, dass es sowieso besser ist, wenn es ein Privater aufkauft. Dieser würde dann bessere und neuere Technologien einführen. 

Dann fragen wir genauer. Wo kann man sich das meiste Geld aus dem Kommunalbereich holen?

Sicher nicht bei der Mühlabfuhr (lacht). Na, bei den Recyclingzentren und den Parkservice-Gebühren. 

Thema Verbraucherkorb. Wie sieht dieser in Serbien aus?

Im Durchschnitt 60.000 (Sechzigtauend) Dinar also ca. 500 (Fünfhundert) Euro.

Nur zum Vergleich. Der minimale Stundenlohn liegt hier bei 143,5 Dinar. Also knapp über einem Euro. Wenn wir das Ganze dann mit der durchschnittlichen Arbeitszeit von 174 Stunden multiplizieren, kommen wir auf rund 25.000 Dinar (215 Euro).

Wie sieht es mit Gerichtsverfahren bzw. der Aussicht auf Erfolg aus, wenn es um ArbeitnehmerInnen-Rechte in Serbien geht?

Eines der am längsten andauernden Verfahren läuft fast 10 Jahren. Wir sind aber immer bemüht, eine Lösung auf Betriebsebene zu finden, da Gerichtsverfahren in Serbien ewig dauern. Außerdem - und das ist jedem klar, der mit der Gerichtsbarkeit in Serbien zu tun hatte - ist ein beträchtlicher Teil der Richter korrupt bis ins Mark. 

Gibt es auch außerhalb dieses Landes Institutionen, die vielleicht helfen könnten? Konkret: der Europäische Gerichtshof?

(Lacht) Genau. Im besten Fall gewinnen wir einen Fall in Straßburg, aber das ist im Prinzip totes Recht. Die Umsetzung in Serbien bzw. dessen Vollziehung wird so gut wie nie umgesetzt, da alles kontrolliert und überwacht wird. 

Und die Zusammenarbeit mit dem IWF (Internationaler Währungsfonds)?

Die Auflagen für einen Kredit von denen gleichen im Prinzip einer Selbstverstümmelung.

Man muss z.B. ausländische Investoren ins Land lassen oder zumindest deren Produkte anstelle von heimischen anbieten.

Wenn ich hier nur erwähne, dass in Serbien mehr verpackt als erzeugt wird, müsste eigentlich alles klar sein.

Und das Schlimmste daran ist, das muss im Prinzip die eigene Regierung zuerst einmal zulassen. 

Wir sind ein „moderner“ Feudalstaat inmitten Europas. Ich kenne niemanden, der nicht von hier weg möchte bzw. niemanden, der nicht schon ein Familienmitglied oder Verwandtschaft hat, die in Westeuropa arbeitet.  

Tipp

Eine Empfehlung, die das ganze oben Beschriebene in einem einzigen Spot darstellt, findet man mit englischem Untertitel hier (Dubioza Kolektiv „Kazu“).

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