Mara Markovic
© Mara Markovic

EU-Beitrittskandidat Serbien

Serbien ist einer der wenigen Staaten in Europa, welcher nicht zur EU gehört. Seit 2014 laufen die Beitrittsverhandlung – zu jedem Preis?

Mara Markovic, Serbien

UGS Nezavisnost (IER)

Was macht man nicht alles, um ausländische Investoren anzuziehen? Eine Werbeschaltung bei CNN „Invest in Serbia – high skiled, low-cost worker“.

Löhne, Gehälter, und Pensionen werden gekürzt. Staatseigentum wird unter dem Wert verkauft, staatliche Unternehmen werden privatisiert und das Arbeitsrecht zu Gunsten der Unternehmen gelockert. Was macht man nicht alles für einen schnellen EU-Beitritt?

Gewerkschaftsarbeit unter sehr schwierigen Bedingungen

Vor nicht einmal 20 Jahren, damals noch Bundesrepublik Jugoslawien, lag der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei ~ 80 %, heute zwischen 20 und 25 %.

UGS Nezavisnost „Unabhängige Gewerkschaft“ und SSSS Savez samostalnih sindikata srbije „SSSS der Selbstständigen Gewerkschaften Serbiens“ sind die zwei repräsentativen Gewerkschaften in Serbien - und auch die größten Rivalen.

Neben diesen beiden Gewerkschaften sind in Serbien noch ungefähr 3.000 Gewerkschaften / Betriebsgewerkschaften registriert. 

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Martin Pakarinen  

martin.pakarinen@akwien.at

Banu Celik 
banu.celik@akwien.at

AK Wien - Bildungszentrum 
Theresianumgasse 16-18
1040 Wien

Ab 3 ArbeitnehmerInnen kann eine Betriebsgewerkschaft gegründet werden. So ist es in Serbien gang und gäbe, dass in einem Unternehmen mehrere (Betriebs)-Gewerkschaften vertreten sind und diese, wenn überhaupt, unterschiedlichen Dachverbänden angehören können. Als wäre das nicht undurchschaubar genug, kann ein Arbeitnehmer/eine Arbeitnehmerin bei mehreren Gewerkschaften im Betrieb Mitglied sein.

Der Gewerkschaftsbeitrag beträgt je Mitglied 1 % vom Bruttolohn/Bruttogehalt. Die Betriebsgewerkschaften sind nicht verpflichtet, einem Dachverband anzugehören. Die Vergünstigungen, z.B.: Heizöl, Küchengeräte, Urlaube, aber auch kurzfriste Darlehen werden angeboten. Will eine Betriebsgewerkschaft – z.B. jahrzehntelange Erfahrung, Rechtsschutz, Unterstützungen bei Kollektivvertragsverhandlungen - bei einem der wenigen Dachverbänden in Serbien nutzen, so gehen ungefähr ca. 60 % der Mitgliedsbeiträge an den Dachverband und die Fachgewerkschaft; dies schmälert jedoch das Budget der Betriebsgewerkschaftskassa und führt zu eigenständigem Handeln. 

Betriebskollektivverträge können ab einem Organisationsgrad von 10 % in privaten Unternehmen bzw. ab 15 % in staatlichen Unternehmen verhandelt werden.

Für einen Branchenkollektivvertrag war früher ein Organisationsgrad von 30 % nötig. Eine kürzlich erfolgte Gesetzesänderung führte dazu, dass ein Organisationsgrad von 50 % vorhanden sein muss, um einen Branchenkollektivvertrag abzuschließen; dies erschwert die ohnehin schwierige Situation sehr. Branchenkollektivverträge werden nur im staatlichen/öffentlichen Bereich, z.B. Polizei, Medien, Bildung etc. und im privaten Bereich im Straßenbau abgeschlossen. 

Wenn die Löhne/Gehälter nicht zum Leben reichen

In Serbien gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn/Mindestgehalt von ~ € 210,- für eine 40‑Stunden-Woche, und der Durchschnittslohn/Durchschnittsgehalt für eine 40‑Stunden-Woche liegt bei ~ € 350,-. Die Preise unterscheiden sich kaum von unseren Preisen in Österreich - Ausnahmen sind Brot, Zigaretten und Alkohol.

Im Falle des Arbeitsplatzverlustes besteht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld, dessen Höhe sich aus dem vorherigen Verdienst berechnet und ca. 80 bis maximal 180 % vom Mindestlohn (€ 168,- bis € 378,-) betragen kann. Bei ArbeitnehmerInnenkündigung besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Es kommt in Serbien öfter vor, dass ArbeitgeberInnen die Löhne und Gehälter über Monate nicht auszahlen (können), und ArbeitnehmerInnen haben keinen Anspruch auf Austritt und in weiterer Folge Arbeitslosengeld. So sind die ArbeitnehmerInnen gezwungen, auch ohne Geld weiter zu arbeiten. „Besser einen Job als keinen und jeden Tag hoffen, dass das Geld am Konto landet.“ Ein Arbeits- und Sozialgericht wie in Österreich gibt es in Serbien nicht, so würde eine einfache Leistungsklage bei Gericht Monate bis Jahre andauern.

Der/die ArbeitgeberIn ist verpflichtet, den ArbeitnehmerInnen einen Jahreslohnzettel auszuhändigen. Dies soll verhindern, dass ArbeitnehmerInnen ohne deren Wissen nur mit dem Mindestlohn angemeldet werden. Viele ArbeitnehmerInnen sind mit dem Mindeslohn/gehalt angemeldet und erhalten zusätzlich noch ein Kuvert in die Hand, was für die ArbeitnehmerInnen wiederum am Ende des Tages erhebliche Nachteile bringt in Bezug auf Arbeitslosengeld oder Pension.

Leiharbeit boomt auch in Serbien. Ein neues Gesetz zu Leiharbeit regelt, dass LeiharbeiterInnen nicht länger als 2 Jahre überlassen werden dürfen. Dies führt dazu, dass nur befristete Verträge vereinbart werden, um nicht über die 2 Jahre zu kommen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit würden sich die LeiharbeiterInnen in Serbien wünschen. Sie verdienen erheblich weniger als Stammbeschäftigte - in den meisten Fällen gerade einmal den Mindestlohn/-gehalt und haben auch nicht die gleichen Rechte im Unternehmen wie Stammbeschäftigte.

Frauen verdienen im Vergleich zu Männern um ca. 11 % weniger bei gleicher Arbeit. Eine Frauenförderung bzw. eine Frauenquote gibt es nicht, gut bezahle „Managerposten“ sind in Männerhand.  

Relativ gut bezahlte Bereiche in Serbien sind zum Beispiel die Bereiche Finanz und IT - hier besteht sogar ein Fachkräftemangel - sowie Consulting.

Gewerkschaftsarbeit und Solidarität kennen keine Grenzen

Die Gewerkschaft UGS NEZAVISNOST GS IndustrijaEnergijaRudarstvo „Unabhängige Gewerkschaft Industrie-Energie-Bergbau“ und die Gewerkschaft PRO-GE organisierten in der ersten Aprilwoche gemeinsam ein Seminar für junge GewerkschafterInnen aus ganz Serbien. Sinn und Zweck dieses Seminars war es, die Gewerkschaftsarbeit besser kennenzulernen und auch einen internationalen Austausch und Perspektiven zu ermöglichen. Die 25 TeilnehmerInnen nutzen diese Gelegenheit, um sich auszutauschen, zu informieren oder über ihr persönliches Leid im Betrieb zu klagen.

Einige Problemstellungen der TeilnehmerInnen sind mehr als erschreckend und katastrophal. TeilnehmerInnen berichteten, dass Arbeitssicherheitsvorschriften kaum eingehalten werden, Arbeitsunfälle als Freizeitunfälle gezählt werden, Frauen eine Kennzeichnung bekommen, wenn sie die Periode haben, und somit um 10 Minuten länger Pause machen dürfen, oder ihr Zuckerl an Naturallohn gestrichen wird, wenn sie einer Gewerkschaft beitreten.

Hierbei handelt es sich in den meisten Fällen um namhafte internationale Konzerne, welche das Land und die billigen Arbeitskräfte ausbeuten und dabei auf geltende Rechte keine Rücksicht nehmen oder Gesetze zugunsten der Unternehmen geändert werden. Mit Hilfe der solidarischen grenzüberschreitenden Gewerkschaftsarbeit konnte in der jüngsten Vergangenheit den ArbeitnehmerInnen z.B. bei GEOX geholfen werden. Das Seminar hat den jungen GewerkschafterInnen wieder mehr Hoffnung gegeben und war ein voller Erfolg. 

1. Mai – Gewerkschaftliche Protestaktion

Die beiden repräsentativen Gewerkschaften UGS Nezavisnost und SSSS Savez samostalnih sindikata srbije riefen am 25. April 2018 zur Pressekonferenz. Alle namhaften Fernsehsender und Zeitungsverleger wurden eingeladen. Ein großer Andrang von JournalistInnen war nicht gegeben.

Unter dem Motto „Die Löhne sollen steigen und die jungen Menschen bleiben“ starteten die beiden Gewerkschaften die Mobilisierung für die Protestaktion am 1. Mai 2018 um 12 Uhr im Zentrum Belgrads.

Der ausschlaggebende Grund für diesen Slogan war, dass Serbien in naher Zukunft eine weitere Krise erleben wird. Die Arbeitslosenquote liegt bei ungefähr 30 %. Die junge Generation hat kaum eine Möglichkeit, einen bezahlten Job zu finden - ein Grund zur Freude für die Hochschulen und Universitäten, was zur Folge hat, dass jährlich ca. 30.000 frisch ausgebildete junge Menschen ihre Heimat mit all dem erlernten Wissen verlassen, um im Ausland irgendeinen Job zu finden und etwas Geld zu verdienen - und ihrer Familie in Serbien finanziell auch unter die Arme zu greifen.

Der Wunsch nach Verbesserung bzw. besseren Zeiten ist groß in Serbien, dennoch kamen gerade mal 7000 Menschen zur Protestaktion. 

Fazit

Der EU-Beitritt könnte für Serbien eine große Chance sein. Jeder Mensch verdient faire Bezahlung und ein Leben in Würde. Jedoch braucht das Land richtige Unterstützung und nicht Richtlinien, Reformen wie Privatisierungen und extreme Lohnkürzungen, oder ausländische Investoren, die kommen und kaum neue Technologien in das Land bringen, sondern Subventionen kassieren und die billigen Arbeitskräfte ausnutzen und sich damit noch mehr bereichern. Die Gewerkschaften in Serbien müssen anfangen miteinander zu arbeiten anstatt gegeneinander, um gemeinsam mehr zu erreichen. 


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