Peter Fleck
© Peter Fleck

Die organisierten „fliegenden Holländer“

Wie Organizing die ArbeitnehmerInnen am Airport Schiphol stärkt

Hinweis

Günter Eck, Niederlande
Federatie Nederlandse Vakbeweging (FNV) + SBI Formaat

Die Niederlande - ein Land wo alles flach, gut durchdacht, geplant und organisiert ist (nun, fast alles). Dies ist auch absolut wichtig und notwendig, um die Sicherheit für die Bevölkerung zu gewähren in einem Land, das zu einem großen Teil unter dem Meeresspiegel liegt. Sicherheit ist ein, wenn nicht der Schlüssel zu einem unbeschwerten Leben, und mit „Sicherheit“ ist nicht die aktuelle Polarisierung in Politik und Medien gemeint. Vielmehr geht es um die erforderliche Sicherheit, um eine Familie gründen zu können und die Sicherheit, Arbeit zu haben, von der man gut leben kann. Aber genau dabei ist es wichtig, auf die Arbeitsbedingungen zu achten, damit der Arbeitsplatz für einen selbst und andere nicht zur Gefahr wird.

Und genau hier beginnt mein Beitrag über die „fliegenden Holländer“ und ihr Organizing am Airport Shiphol. Wir schreiben das Jahr 2018 im Tulpenmonat April, mein Name ist Käpten O.G. (Opa Gü) Eck, und ich reise zu der niederländischen Gewerkschaft FNV, um Erfahrung im Bereich Organizing zu sammeln.

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Martin Pakarinen  

martin.pakarinen@akwien.at

Banu Celik 
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AK Wien - Bildungszentrum 
Theresianumgasse 16-18
1040 Wien

Ich treffe Dirk Klosterboer, der in der Gewerkschaft FNV im Bereich Organizing als Researcher zuständig ist. Er evaluiert Datensammlungen, bevor er zu seinem Projekt „Organizing“ Stellung nimmt. Dafür hat er eine ökonomische Landkarte erstellt, auf der wertvolle ökonomische Schwerpunkte für Organizing ersichtlich sind. Solche Punkte sind unter anderem Großbetriebe mit hohem Umsatz bzw. Konzerne mit unterschiedlichen Beteiligungsfirmen.

Die Kampagne startet mit der Auswahl eines Unternehmens, über das eine genaue Recherche durchgeführt wird. Es erfolgt eine „Stichprobe“ bei den Beschäftigten vor Ort: Wollen sich die überhaupt gewerkschaftlich organisieren? Und: Welche Themen betrachten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für sich als besonders wichtig?

Nachdem die Gewerkschaft die Ressourcen für die Kampagne ermittelt und bereitgestellt hat, werden die Kontakte zu den Beschäftigten vor Ort aufgebaut. Im sogenannten „Blitz-Stepp“ wird die Kampagne dann medienwirksam öffentlich gemacht. Anschließend bildet sich in der Belegschaft das zentrale „Organizing-Komitee“. Dieses mobilisiert den Rest der Beschäftigten und nimmt die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber in Angriff. Der durch Kampagnenarbeit aufgebaute Druck soll den Arbeitgeber dazu veranlassen, die federführende Gewerkschaft anzuerkennen - was wiederum die Voraussetzung für die Aufnahme von Verhandlungen darstellt.

Zentraler Ansatzpunkt ist geplantes, systematisches und offensives Handeln statt reiner Reaktion. Dafür war der Flughafen Schiphol in Amsterdam mit einer Fläche von 20 km² und 65.000 Beschäftigten, wo teilweise unter schwierigsten Arbeitsverhältnissen gearbeitet werden muss, ein idealer Schwerpunkt für die Organizing Kampagne. Der Airport ist rund um die Uhr geöffnet und gehört dem niederländischen Staat. Er wird von einem kleinen Managementteam (Beamten) geführt. Teilbereiche wie Flughafenfeuerwehr oder das Controllcenter sind ebenfalls in staatlicher Hand. Der Rest der Beschäftigten teilt sich in einzelne „eigenständige“ Firmen auf, die im Durchschnitt 2.000 Beschäftigte haben (z.B. Security, Bodenpersonal, Reinigung uvm). 

Die Größe des zentralen Organizing Komitees am Airport wurde so gewählt, dass jeder Sektor im Unternehmen abgedeckt war. Es bestand aus insgesamt 18 Gewerkschafts-Vertrauensleuten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Jede und Jeder von ihnen war mit der Aufgabe betraut, Kolleginnen und Kollegen zu mobilisieren, die dann in ihrem Sektor Informationen so rasch wie möglich weiterleiten.

Dass der Airport Shiphol ein Schwerpunkt-Standort für diese Kampagne wurde, war auch eine Reaktion auf Aussagen des Managements: „Wir wollen der billigste und vorzüglichste Flughafen der Welt sein“ solche und weitere ähnliche Aussagen wurden getätigt, ohne dabei den Faktor „Mensch“ zu berücksichtigen.

Das Organizing Team unter der Leitung von Dirk Klosterboer und Cihan Ugural hatte sich ebenfalls eine klare Aufgabe zum Ziel gesetzt: „Verbesserung der Luftfahrt durch Sicherung von wirtschaftlicher Gerechtigkeit und Arbeitsplatzsicherheit für diejenigen, die zum Erfolg der Branche beitragen. Sie stellten sich daraufhin die Frage, wer über bei einem derart großen Flughafen wohl über die entsprechende Vertragsmacht verfüge. Immer mehr Fluggesellschaften und Flughäfen werden an Subunternehmen vergeben, wo die Arbeitsbedingungen nur allzu oft schlecht sind. Die Kostensenkungskultur hat zu einer hohen Personalfluktation und weniger erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geführt. Die ArbeiterInnen selbst erzählten, dass dies zu Flugverspätungen und erhöhten Sicherheitsübertretungen führt. Neue Arbeitnehmerinnen sind fast doppelt so oft an Vorfällen beteiligt.

Während mit immer weniger Personal die Durchlaufzeiten im Flugbetrieb erreicht werden müssen, wird dabei bewusst die Sicherheit aller gefährdet. Das führt dazu, dass Unternehmen durch unfaire Bezahlung der Beschäftigten immer reicher werden. Es muss wohl kaum betont werden, dass gut ausgebildete FlughafenmitarbeiterInnen für die Sicherheit und das Wohlbefinden der Passagiere unverzichtbar sind. Viele verschiedene Firmen, wo der „Kopf“ schwer oder teilweise gar nicht erreichbar ist, vergeben die Aufträge oft an Subfirmen, die wiederum Gewinne erzielen möchten und somit die Preise nach unten schrauben.

Ziel für die Gewerkschaft war es, gleiche Regeln zwischen den Unternehmen aufzustellen und einzuhalten. Es sollte für die Zukunft klare „Spielregeln“ geben, damit Firmen nicht gegenseitig ausgeboten werden und die Arbeitskräfte unter Lohndumping und andere prekären Arbeitsbedingungen leiden. In der Vergangenheit gab es bereits unterschiedliche Arbeitskämpfe in den einzelnen Sektoren. Jedoch waren die Ergebnisse bescheiden, da es nur um die eigenen Interessen ging.

Jetzt wurde jedoch ein anderes Konzept erstellt, um nicht als Einzelkämpfer, sondern als Kollektiv zu agieren. Es wurde vorab durch Veranstaltungen und Informationen an und durch Medien Druck auf das Airport Managment ausgeübt, um auf die Situation hinzuweisen. Danach begann mit der Unterstützung von ca. 7000 Airport-Gewerkschaftsmitgliedern die Arbeit bei den einzelnen vielen Firmen am gesamten Flughafen. Das Animieren und Motivieren der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestaltete sich dabei unterschiedlich. Beispielsweise ließen sich beim Bodenpersonal von KLM leichter Mitstreiter finden als bei der „billig Konkurrenz“ RyanAir (schlechterster Arbeitgeber am Airport Shiphol), wo es sehr schwierig war, das Vertrauen der Beschäftigten zu gewinnen.

Der Fokus lag auf „Vertragsarbeit“ und „besseren Arbeitsbedingungen“. Mitgliedergewinnung war für das Orginisationsteam sekundär. Ganz oben auf der ToDo-Liste stand, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu Stärke und Eigenständigkeit zu verhelfen. Dazu mussten vorrangig die aktiven Mitglieder in den verschiedenen Sektoren trainiert werden. Viele Gruppengespräche waren notwendig, um gemeinsam mit den zurückhaltenderen Kolleginnen und Kollegen das gleiche Ziel ins Visier zu nehmen.

Der Auftrag an die aktiven Gewerkschaftskolleginnen lautete, pro Sektor 20 Vertrauensleute zu organisieren. Diese Vertrauensleute sind Beschäftigte, die sich ehrenamtlich für gewerkschaftliche Themen engagieren. Durch ihre Unterstützung des Organizing Komitees können somit Informationen flächenmäßig leichter und schneller an die Kolleginnen und Kollegen vor Ort weitergegeben werden. Diese Abdeckung war insofern notwendig, um im Fall von Betriebsversammlungen oder Infoveranstaltungen eine wirksame Botschaft an das Flughafen Management zu senden.

Es konnte schließlich nach einer Projektzeit von ca. 2 Jahren ein Konsens gefunden werden, sodass einheitliche Verträge und somit auch bessere Arbeitsbedingungen erkämpft wurden. Es war in dieser Zeit in den einzelnen Gewerkschaften auch innerpolitisch schwierig, da es um sehr viel Geld und Einfluss ging. Der Erfolg gab ihnen am Ende des Tages allerdings Recht. 

Auf meine Nachfrage, wie die Nachhaltigkeit des Projekts Organizing gesichert wird, erzählte Dirk von Trainingsprogrammen für freiwillige Mitglieder (nicht zwangsweise Betriebsräte), die sich zweimal jährlich zu Informations- und Austauschgesprächen mit der Gewerkschaft treffen. Hier ist besonders hervorzuheben, dass diese Freiwilligen weder einen gesetzlichen Anspruch auf Bildungsfreistellung noch auf besonderen Kündigungsschutz haben. Dieses Engagement vieler Einzelner war es schließlich, das den Erfolg am Airport Schiphol ermöglichte.

Somit war für Dirk und Cihan der Weg für neue Projekte im Organizing-Bereich frei. Aktuelle Kampagnen sind unter anderem Helfscare (Pflegepersonal), Cleaning Workers (Reinigungskräfte), Young People (junge Beschäftigte, wie Lehrlinge). Dirk und Cihan strahlen Enthusiasmus und Einsatzbereitschaft aus, wenn sie über ihr Erfolgsprojekt sprechen.

Sie sind auch überzeugt, dass dieses bereits erprobte Organizing auf viele andere Branchen umsetzbar ist und durch erfolgreichen, engagierten Einsatz die Mitgliederzahl in den Gewerkschaften von allein steigt. Diese Sichtweise und Einstellung ist für mich beeindruckend und in einem größeren Rahmen wünschenswert.

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