Mein linker Platz ist leer ... ?

Warum eine Standortbestimmung für Gewerkschaften aus meiner Sicht wichtig ist am Beispiel von Portugal und Österreich. 

Karin Kádár, Portugal
Sindicato dos Enfermeiros Portugueses (SEP)

So sehr sich Portugal und Österreich in Größe, Bevölkerungszahl und Staatsform ähneln, so sehr unterscheiden sie sich in ihrer Organisation der ArbeitnehmerInnen-Vertretung.

Während in Österreich sowohl eine gesetzliche als auch eine freiwillige Interessensvertretung existieren, gibt es in Portugal, basierend auf dem „Código do Trabalho“, ausschließlich freiwillige Interessensvertretungen.

Der Österreichische Gewerkschaftsbund als überparteilicher Verein mit seinen derzeit 7 Teilgewerkschaften ist Teil der Sozialpartnerschaft.

In Portugal ist die Gewerkschaftsarbeit mit den beiden Dachverbänden, der CGTP (ca. 153 Einzelgewerkschaften und Zusammenschlüsse) und der UGT (ca. 55 Einzel- u. Untergewerkschaften), und insgesamt ca. 450 Gewerkschaften und gewerkschaftlichen Organisationen stark parteipolitisch orientiert, und eine Sozialpartnerschaft ist derzeit kein Thema.

Während die CGTP als größter Dachverband der kommunistischen Partei nahesteht, ist es bei der UGT die Sozialistische Partei, wobei die Zusammenarbeit der beiden Dachverbände aus meiner Wahrnehmung eher auf tönernen Füßen steht.

Die jeweiligen Gewerkschaften deklarieren sich freiwillig zu einem der beiden Dachverbände oder bleiben freie Gewerkschaften.

Zu allem Überfluss sind die portugiesischen Gewerkschaften auch völlig unterschiedlich strukturiert. Es gibt lokal, regional und national tätige Gewerkschaften, solche für bestimmte Berufsgruppen - z.B. die SEP (Sindicato dos Enfermeiros = Krankenpflege), die national agiert – oder welche für ganz bestimmte Bereiche, z.B. STAL (Sindicato dos Trabalhadores da ADMINISTRAÇÃO LOCAL e REGIONAL). Daraus resultieren erhebliche Unterschiede in der gewerkschaftlichen Arbeit. 

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Martin Pakarinen  

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Viel Arbeit, wenig Hofbräu

In Österreich stützt sich die gewerkschaftliche Arbeit zum Gutteil auf organisierte Betriebe, d.h. auf solche, in denen es Betriebsräte (BR) gibt.

Nicht organisierte Betriebe ohne BR und Kleinbetriebe sind nach meiner Wahrnehmung in der Gewerkschaftsarbeit unterrepräsentiert. Nicht nur, weil die personellen und zeitlichen Ressourcen knapp sind, sondern auch, weil das Funktionärssystem zur Ausübung eines ehrenamtlichen Mandats an der Betriebsratstätigkeit hängt. Ein einfaches Gewerkschaftsmitglied kann keine Funktion übernehmen. Damit ist es schwer, regelmäßigen Kontakt mit sehr kleinen und/oder nicht-organisierten Betrieben zu haben oder einfache Mitglieder nachhaltig in die gewerkschaftliche Arbeit zu integrieren.

In Portugal gibt es zwar grundsätzlich die Möglichkeit, einen Betriebsrat zu gründen, es ist aber de facto, bis auf wenige Ausnahmen (z.B. VW) so gut wie nicht verbreitet. Zudem sind die meisten portugiesischen Betriebe/ Unternehmen noch sehr viel kleinteiliger als in Österreich – Klein-und-Mittelbetriebe mit bis 9 MitarbeiterInnen beschäftigen fast die Hälfte aller ArbeitnehmerInnen. Den größten Teil macht mit fast 70 % der Dienstleistungssektor aus.

Statt BR-Gremien haben sich in Portugal sogenannte Representantes etabliert, gewählte ArbeitnehmerInnen, die im Betrieb die jeweilige Gewerkschaft vertreten, der sie angehören (das können in größeren Betrieben durchaus mehrere verschiedene im gleichen Bereich agierende Gewerkschaften sein).

Je nach Betriebsgröße und Mitgliederzahl haben sie unterschiedlich viel Zeit für ihre Tätigkeit als ArbeitnehmerInnen-Vertreter zur Verfügung – von ganz wenigen Stunden pro Monat bis hin zur freigestellten Tätigkeit in der Gewerkschaft.

Die Koordination dieser RepräsentantInnen, sei es für Informationsaustausch, gemeinsame Kongresse oder Aktionen, ist extrem aufwändig. Der Vorteil liegt allerdings darin, dass auch Kleinstbetriebe aktiv in die Gewerkschaftsarbeit miteingebunden sind.

Betrieblich, überbetrieblich, kollektiv

Da die portugiesische Regierung seit der Krise 2007/2008, spätestens aber seit 2011 auf Druck der Troika (Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds, EU-Kommission) die Allgemeinverbindlichkeit von Kollektivverträgen (KV) stark eingeschränkt oder ganz eingestellt hat, bzw. den gesetzlichen Rahmen für Unternehmen schuf, diese zu kündigen, geschieht ein Großteil der Verhandlungen über Arbeitsbedingungen und Einkommen zwischen den verschiedenen Gewerkschaften und einzelnen Betrieben. Hatten es die Gewerkschaften früher vorwiegend mit ArbeitgeberInnen-Zusammenschlüssen zu tun, mit denen KVs verhandelt und auf deren Mitglieder die ausverhandelten KVs ausgerollt wurden, so sind es heute vorwiegend Einzelunternehmen mit Einzelverträgen. 

Das ist organisatorisch, personell und zeitlich die sprichwörtliche Sisyphusarbeit.

Die Gewerkschaften haben in den Krisen-Jahren überdies erheblich an Mitgliedern verloren, was auch die finanziellen Ressourcen stark betrifft. Die Mitgliederzahlen (z.B. der SEP) erholen sich in den letzten Jahren zwar langsam wieder, liegen aber noch immer unter dem Ausgangsniveau.

Die Maßnahmen der Regierung und der Troika führten landesweit zu erheblichen Einkommenseinbußen. Überdies gibt es im öffentlichen Bereich seit über 9 Jahren keine Lohnerhöhungen mehr – weder die vereinbarten Vorrückungen, noch Inflationsanpassungen. Die Kaufkraft in Portugal ist enorm geschwunden und liegt im Vergleich zu Deutschland (=100 %) trotz niedrigerem nationalen Preisniveau bei gerade mal 57 % gemessen am nationalen Durchschnittseinkommen.

Ein Gespenst geht um ...

Für mich eine ganz neue Erfahrung waren nicht nur die Animositäten zwischen den beiden portugiesischen Dachverbänden CGTP und UGT, sondern auch die Tatsache, dass sozialistisch oder sozialdemokratisch nicht zwangsläufig links oder sozial bedeuten.

Die PSD, Partido Social Democrata (Sozialdemokratische Partei) ist eine konservativ-liberale, mitte-rechts Partei. 

Die PS, Partido Socialista (Sozialistische Partei), wird als mitte-links Partei beschrieben, ihre Ausrichtung ist die „des dritten Wegs“ und hat wohl Ähnlichkeiten mit der österreichischen SPÖ. Zusammen mit dem BS, Bloco de Esquerda (Linksblock), einem parteiähnlichen Zusammenschluss linker (kommunistischer) Parteien bildet die PS seit 2015 eine Minderheitsregierung. Sozialistisch ist also durchaus nicht immer links.

Und innerhalb dieser Minderheitsregierung verlaufen meiner Wahrnehmung nach auch die Gräben zwischen UGT und CGTP.

So wie in der EU sozialdemokratische oder gar sozialistische Regierungen misstrauisch beäugt werden, so misstrauen einander offenbar in Portugal die Sozialisten und die Linken.

Die UGT/ PS wirft der CGTP/ BS unbedachten Aktionismus, Retro-Kommunismus und fehlende Verhandlungsbereitschaft vor. Die CGTP bemängelt im Gegenzug an der UGT Paktieren mit der Regierung (PS) zu Gunsten einiger Weniger (z.B. der Gewerkschaftsmitglieder unter der UGT Ägide) und zum Nachteil vieler Schwächerer vor, sowie fehlende Aktionsbereitschaft. 

Mir fehlt die ausreichende Innensicht, aber angesichts der klaren Forderungen der CGTP bezüglich Mindestlohn (liegt jetzt bei € 580,- mtl., Lohnausgleich und Inflationsanpassung, den Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Branchen und der eindeutigen Haltung gegenüber der allgegenwärtigen Deregulierung (vom Kündigungsschutz über Privatisierungen bis Vermietung und Immobilienmarkt), halte ich persönlich etwas mehr links und etwas weniger vom „dritten Weg“ für durchaus sinnvoll.

Welche Auswüchse diese New Labour Haltung, oder eben der dritte Weg mit der Verabschiedung von keynesianischer Wirtschaftspolitik haben können, zeigten Großbritannien und Deutschland (u.a. mit Hartz IV, incl. aller Verunglimpfung und Ausgrenzung der betroffenen Mitmenschen).

Dass in Österreich auch von namhaften SPÖ-Akteuren immer wieder über z.B. die Kürzung der Familienbeihilfe für ausländische ArbeitnehmerInnen nachgedacht wurde und wird, schlägt aus meiner Sicht in die gleiche unsägliche Kerbe.

Wie gesagt - nicht überall, wo sozial draufsteht, ist auch sozial drin.

Lechts und Rinks können nicht verwechselt werden!?

Aber was ist denn nun links oder rechts, und was ist Mitte?

Gibt es einen Unterschied zwischen (partei-)politisch links und gesellschaftlich links? Oder gibt es gar Abstufungen von links, sozialistisch, sozialdemokratisch oder Mischungen? Gibt es grundlegende, verbindliche Werte?

Und welche Relevanz hätte das für die Gewerkschaft?

Viele ÖsterreicherInnen zucken ja schon bei dem Wort sozialistisch zusammen und haben dabei Trotzki, Stalin, Pol Pot und eine kommunistische Diktatur samt Enteignung im Hinterkopf.

Umso wichtiger erscheint mir das Herausarbeiten gemeinsamer linker/ sozialistischer/ sozialdemokratischer Werte als Orientierungshilfe und Annäherungspunkt.

Solidarität über gesellschaftliche Gruppen hinweg, sozialer Ausgleich, Inklusion, Gleichberechtigung, Schutz und Förderung von Schwächeren, Chancengleichheit, persönliche Freiheit, Austausch auf Augenhöhe, Verantwortung übernehmen... wären für mich z.B. einige wichtige Werte, die ich als gesellschaftlich links und als zutiefst demokratisch wahrnehme.

Nationalismus („wir gegen die anderen“), Abgrenzung („Leistungsträger gegen Leistungsempfänger“), Ausgrenzung, Kultur-Chauvinismus („wir sind die Guten, unser So-Sein ist das Richtige“), Populismus, Rassismus und Sexismus empfinde ich als gesellschaftlich rechts und für das demokratische Zusammenleben gefährlich.

Und die Mitte? Da bin ich mir nicht sicher, die ist möglicherweise gar nichts davon, etwas ganz anderes oder eine laue Mischung aus beiden Richtungen. Wer weiß das schon.

Die Zuordnung zu links und rechts ist nicht immer eindeutig möglich. Jemand kann für Chancengleichheit und persönliche Freiheit eintreten und trotzdem ein populistischer Chauvinist, eine populistische Chauvinistin sein. Die Frage, die sich mir dabei stellt ist, kann jemand, der z.B. Chancengleichheit nur für eine bestimmte Gruppe einfordert und mit kultur-chauvinistischen Plattitüden anderen Betroffenen überhaupt die Möglichkeit auf eine solche Entwicklung abspricht, überhaupt ein gesellschaftspolitisch linkes Bild vertreten? 

Fazit

My two cents... man könnte es auch persönliches Fazit nennen: Dass sich österreichische Gewerkschaften, anders als die portugiesischen, überparteilich und eben nicht parteipolitisch engagieren, halte ich für sehr wichtig. Die gesellschaftlichen Alltagsbedürfnisse der Menschen überschreiten die Parteigrenzen bei weitem. Was aber z.B. die (unvollständigen) Grundwerte anbelangt, so steht es uns gut an, hier bei Bedarf klar und über die Fraktionsgrenzen hinweg Flagge zu zeigen.

Wenn politische Akteure, egal welcher Couleur, fordern, ausländische ArbeitnehmerInnen bei der Familienbeihilfe zu benachteiligen, oder scharf gemacht wird gegen MindestsicherungsbezieherInnen, Gleichberechtigung und/oder Gleichbehandlung missachtet werden, Chancengleichheit für Kinder nach wie vor hohle Phrasen sind (Förderunterricht, Mittelschule vs. Gymnasium...), Gesellschaftsgruppen gegeneinander ausgespielt werden, Persönlichkeitsrechte verletzt oder BürgerInnenrechte untergraben werden... dann wünsche ich mir ein klares Auftreten der Gewerkschaft und eine gesellschaftlich linke Position sowie das Fördern und Einfordern dieser Wertehaltung von allen Beteiligten.

Nur so denke ich, dass wir als Gewerkschaftsbewegung wieder eine breite gesellschaftliche Relevanz bekommen bzw. behalten können.


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