
EU-Mexiko-Abkommen: Menschenrechte und Nachhaltigkeit bitte warten!
Nach jahrelangen Verhandlungen kam die Einigung über den Abschluss der Nachverhandlungen zur Modernisierung des Globalabkommens zwischen EU und Mexiko Mitte Jänner 2025 überraschend. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe – kurz vor der Angelobung Donald Trumps als neuer US-Präsident – deutet darauf hin, dass die Intention einer verstärkten Zusammenarbeit auf geopolitischen Überlegungen basiert. Doch wie sind die ökonomischen Effekte des Abkommens im Verhältnis zu Nachhaltigkeitsfragen zu bewerten?
Autorin: Monika Feigl-Heihs
Diesen Artikel downloadenVerwirrung nach Verhandlungsabschluss
Am 17. Jänner 2025 verkündeten die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula Von der Leyen und der EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič den Abschluss der Nachverhandlungen zur Modernisierung des 2000 geschlossenen Globalabkommens zwischen der EU und Mexiko. Diese Einigung kam für Beobachter:innen des Prozesses überraschend, da die Verhandlungen jahrelang holperten. Vielmehr kann der Zeitpunkt – drei Tage vor der Angelobung Donald Trumps als neuer US-Präsident – als geopolitisches Zeichen der beiden Handelspartner wahrgenommen werden. Donald Trump hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, Zölle gegenüber allen Handelspartnern als zentrales wirtschaftspolitisches Instrument einsetzen zu wollen, um „America wieder groß“ zu machen („Make America Great Again“ – MAGA). Diese Ankündigung ließ – wie wir inzwischen wissen – rasch konkrete Schritte folgen: Zölle wurden verhängt, teilweise wieder ausgesetzt, und das Welthandelssystem erheblich destabilisiert.
Laut EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič sei es wichtig gewesen, „das Momentum zu ergreifen“, um die Bereitschaft zur engeren wirtschaftlichen Kooperation zwischen EU und Mexiko zu signalisieren. Allerdings herrscht seither Verwirrung darüber, was die EU und Mexiko nun tatsächlich vereinbart haben. Denn aus Mexiko kamen relativierende Aussagen zum Abschluss des Nachverhandlungsprozesses. So erklärte die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum in einer Pressekonferenz am 22.1.2025 – also fünf Tage nach der europäischen Verlautbarung –, dass noch keine endgültige Einigung vorliege. Das Abkommen müsse erst mit ihrem wirtschaftspolitischen „Mexiko-Plan“ abgestimmt werden. Die Europäische Kommission bleibt jedoch dabei, dass die Verhandlungen abgeschlossen seien.
Auf Basis dieser Informationen sollen nun im Nachfolgenden Prozess und wesentliche Inhalte des Abkommens zwischen EU und Mexiko nachgezeichnet und einer kritischen Einschätzung hinsichtlich seiner Nachhaltigkeitsaspekte unterzogen werden.
Was bisher geschah
Das ursprüngliche Handelsabkommen zwischen EU und Mexiko trat bereits im Jahr 2000 in Kraft. Schon damals wurden weitreichende Zollsenkungen umgesetzt und Bereiche wie das öffentliche Beschaffungswesen sowie öffentliche Dienstleistungen für internationale Investor:innen geöffnet. Zu dieser Zeit galt das Abkommen hinsichtlich seines Umfangs und seiner Reichweite das größte, das die EU bis dahin abgeschlossen hatte.
Die damaligen Bestrebungen zur stärkeren handelspolitischen Zusammenarbeit wurden durch den Abschluss des nordamerikanischen NAFTA-Abkommens im Jahr 1994 zwischen USA, Kanada und Mexiko motiviert. Dieses ließ europäische Unternehmen befürchten, auf dem mexikanischen Markt ins Hintertreffen zu geraten. Mexiko kamen die Kooperationsbestrebungen aus Europa gelegen, da das Land parallel zur regionalen Freihandelszone nach Wegen suchte, seine wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA zu verringern.
Doch bis heute sind die USA für Mexiko der bedeutsamste Handelspartner. Mexiko exportiert rund 80 % seiner Waren in die USA und lediglich 5 % in die EU. Diese Verteilung hat sich seit Abschluss des ursprünglichen Globalabkommens kaum verändert. Für die EU ist Mexiko nach Brasilien der zweitwichtigste Handelspartner in Lateinamerika. Die EU liefert hauptsächlich Maschinen, Fahrzeuge und pharmazeutische Produkte nach Mexiko, während Mexiko ebenfalls Maschinen und Transportausrüstung, optische und fotografische Instrumente sowie mineralische Rohstoffe in die EU liefert.
Geplante Vertiefung des Abkommens
Nachdem in den beginnenden 2010er Jahren China die EU als zweitwichtigsten Handelspartner für Mexiko überholt hatte, wurden Stimmen in der EU laut, das bestehende Handelsabkommen zu vertiefen. Außerdem hatten andere Handelsabkommen, die die EU zu dieser Zeit verhandelte – wie z.B. das Abkommen mit Kanada (CETA), die Messlatte für derartige Verträge höher gelegt. Die 2016 begonnenen Vertiefungsverhandlungen beinhalteten neben weiteren Zollsenkungen auf nahezu alle Warenkategorien insbesondere die stärkere Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens, die Förderung des Exports landwirtschaftlicher Produkte sowie die Einführung eines umfassenden Investitionsschutzes.
Im Jahr 2018 erzielten die Handelspartner eine grundsätzliche Einigung, doch technische Details, insbesondere zur Vergabe öffentlicher Aufträge, konnten erst 2020 geklärt werden. Trotzdem stockte ab diesem Zeitpunkt die Ratifikation: Der Hintergrund dafür lag in den geplanten, umfassenden Reformen im mexikanischen Energiesektor. Präsident López Obrador (2018-2024) setzte sich bereits seit Beginn seiner Amtszeit das Ziel, den mexikanischen Energiesektor wieder stärker unter staatliche Kontrolle zu bringen und frühere Energiereformen zurückzunehmen. So wurde unter anderem die Privatisierung des mexikanischen Energiesektors rückgängig gemacht, sodass Energieunternehmen nicht mehr zwingend Gewinne erwirtschaften müssen. Auch die seit Oktober 2024 amtierende mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum setzt diesen Kurs fort.
Damit haben europäische Energieunternehmen, die im mexikanischen Energiesektor tätig sind, das Recht verloren, wie ein mexikanisches Unternehmen behandelt zu werden. Laut Aussage eines Beamten der Europäischen Kommission, der Teil des Verhandlungsteams zur Erweiterung des bestehenden Handelsabkommens ist, wurden damit zuvor im Handelsabkommen verankerte Rechte europäischer Unternehmen beschnitten.
Um die aus der Sicht der EU entstandene Schieflage des Abkommens zu begradigen, wurde nun abermals nachverhandelt. Das Ergebnis beinhaltet laut Medienberichten vor allem, dass die EU ihre früher zugesagte Erhöhung der Importquoten für mexikanisches Geflügel, Rindfleisch und Ethanol wieder senkt. Zudem wurden günstigere Ursprungsregeln für den Export europäischer Industrieprodukte nach Mexiko vereinbart. Ursprungsregeln in einem Handelsabkommen legen fest, unter welchen Bedingungen Waren als aus einem Mitgliedsland stammend betrachtet werden, um Vergünstigungen wie zum Beispiel Zollermäßigungen zu erhalten.
Menschenrechte? Auf dem Papier …
Während Anpassungen am bestehenden Globalabkommen darauf abzielen, den Marktzugang für Unternehmen beider Handelspartner zu erleichtern und Zugangsbeschränkungen zu verringern, geraten Menschen- und Arbeitsrechte jedoch ins Hintertreffen. Bereits im ursprünglichen Globalabkommen von 2000 ist eine Menschenrechtsklausel verankert, die die Vertragspartner dazu verpflichtet, grundlegende Menschenrechte und demokratische Prinzipien zu respektieren und zu fördern. Verstöße gegen diese Verpflichtungen können zur Aussetzung oder Beendigung des Abkommens führen.
Bei den Verhandlungen zum Globalabkommen in den Jahren 1996 und 1997 leistete die mexikanische Regierung unter Präsident Ernesto Zedillo starken Widerstand gegen die Aufnahme einer Menschenrechtsklausel. Die Regierung fürchtete, dass die EU sich in Mexikos innere Angelegenheiten einmischen könnte. Erst als die Europäische Kommission den Druck des Europäischen Parlaments betonte und das mögliche Scheitern des Abkommens in Aussicht stellte, lenkte die mexikanische Regierung ein.
Insbesondere seit der Regierung von Präsident Felipe Calderón (2006) und dem militärischen Vorgehen gegen Drogenkartelle hatte sich die Sicherheitslage in Mexiko massiv verschärft. Über 150.000 Menschen starben, und 30.000 wurden Opfer durch gewaltsames Verschwinden. Menschenrechtsorganisationen dokumentieren zahlreiche Menschenrechtsverletzungen seitens der mexikanischen Sicherheitskräfte, die meist ungestraft blieben.
Mexiko gilt bis heute als besonders gefährliches Land für Menschen, die sich für ihre Rechte einsetzen. Menschenrechtsverteidiger:innen, Journalist:innen und Demonstrant:innen sind seit vielen Jahren der Gefahr von Kriminalisierung, übermäßiger Gewaltanwendung und Tod ausgesetzt. Auch 2024 kam es laut Amnesty International weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch das Militär und die Nationalgarde, einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen. Zwischen 2012 und 2022 wurden in Mexiko 185 Umweltaktivist:innen bzw. Menschen, die sich für Landrechte indigener und lokaler Gemeinschaften einsetzten, ermordet. Sie kämpften u.a. gegen zerstörerische Bergbauprojekte oder gegen illegale Abholzung.
Doch trotz zahlreicher dokumentierter Menschenrechtsverletzungen hat die EU die Menschenrechtsklausel gegenüber Mexiko nie zur Anwendung gebracht. Zwar adressierte das Europäische Parlament die Menschenrechtslage in Mexiko in mehreren Resolutionen, doch es unterließ es, die Aktivierung der Klausel und die Aufnahme offizieller Konsultationen zu verlangen. Aufgrund dieses Versäumnisses sah sich auch die Kommission nie gezwungen, entschlossene Maßnahmen zu ergreifen, die möglicherweise zu Handelssanktionen hätten führen können.
Die ursprüngliche Sorge Mexikos, dass sich die EU in interne Angelegenheiten einmischen könnte, bleibt bis heute unbegründet. Damit stellt sich auch die Frage der Glaubwürdigkeit der EU, wenn sie zwar Menschenrechtsverpflichtungen in einen Vertrag aufnimmt, nachweisebare Verstöße aber nicht mit den zur Verfügung stehenden Mitteln ahndet. Die Überarbeitung der Menschenrechtsklausel stand auch nicht auf der Agenda bei der geplanten Erweiterung des Globalabkommens.
Arbeitsrechte – zahnlose Klauseln
Das neue EU-Mexiko-Abkommen soll demgegenüber ein Nachhaltigkeitskapitel bekommen, das die EU seit 2008 in ihre Handelsabkommen integriert. Im Nachhaltigkeitskapitel sind Bestimmungen zur Förderung und Achtung von Umwelt- und Sozialstandards, einschließlich Schutzmaßnahmen für Arbeitsrechte und die Umwelt enthalten. Im Wesentlichen beziehen sich diese auf grundlegende Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowie auf multilaterale Umweltabkommen mit dem Bekenntnis, diese zu respektieren, zu fördern und wirksam umzusetzen.
Doch anders als bei der Menschenrechtsklausel unterliegt dieses Kapitel nicht dem allgemeinen Streitbeilegungsmechanismus, der – wie schon gezeigt wurde – theoretisch sanktionsbewehrt ist. Vielmehr gilt für das Nachhaltigkeitskapitel ein eigener Konsultationsmechanismus, bei dem Verstöße, die ein Handelspartner beim anderen ortet, zwar besprochen, aber nicht sanktioniert werden können. Mexiko braucht daher im Zusammenhang mit Arbeitsrechtsverletzungen erst gar keine Befürchtungen haben, da Sanktionsmöglichkeiten gleich von vornherein fehlen.
Wie zuvor schon im Zusammenhang mit der menschenrechtlichen Situation in Mexiko aufgezeigt wurde, sind für das Land auch seit Jahrzehnten massive Arbeitsrechtsverletzungen dokumentiert. Das mexikanische Maquiladora-System, das ursprünglich ausschließlich Fabriken für den Export mit schlechten Arbeitsbedingungen und niedriger Entlohnung umfasste, steht für schwere Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen. Niedrige Löhne, überlange Arbeitszeiten, häufige und katastrophale Arbeitsunfälle sowie gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen sind einige der bekannten Missstände. So zählt Mexiko laut dem Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) nach wie vor zu den Ländern mit „sehr schlechten Bedingungen für Beschäftigte“. Auch 2024 standen willkürliche Verhaftungen und strafrechtliche Verfolgung von Gewerkschafter:innen mit dem Ziel, die unabhängige Gewerkschaftsbewegung in Mexiko mundtot zu machen, auf der Tagesordnung. Mangels fehlender Sanktionen für das Nachhaltigkeitskapitel und vor dem Hintergrund der negativen Erfahrungen mit der Menschenrechtsklausel wird es weiterhin den notwendigen gesellschaftlichen Druck zur Verbesserung von Menschen- und Arbeitsrechten brauchen.
Keine Verknüpfung von Handel und Klimaschutz
Das Nachhaltigkeitskapitel ist aber nicht nur hinsichtlich Arbeitsrechte mangelhaft, sondern versäumt es auch, dringend notwendigen Maßnahmen für den globalen Klimaschutz zwischen den Handelspartnern festzuschreiben. Die Anforderungen, die sich aus den Pariser Klimazielen ergeben – etwa der Abbau fossiler Subventionen, Klimaschutzauflagen für Unternehmen oder ganz grundsätzlich der sozial-ökologische Umbau der Volkswirtschaften – werden im Abkommen nicht aufgegriffen. Vielmehr bleibt das Ziel des ungehinderten Marktzugangs zentral – unabhängig davon, welche Güter gehandelt werden und wie klimaschädlich diese sind. So ist es beispielsweise weiterhin möglich, umweltschädliche Agroindustrien oder treibhausgasintensive Industriegüter durch das Abkommen zu fördern.
Im Positionspapier der Europäischen Kommission zur Nachhaltigkeitsfolgenabschätzung des Abkommens werden die Auswirkungen des Abkommens auf die Treibhausgasemissionen allerdings als gering eingeschätzt. So heißt es dort: „Durch das modernisierte Abkommen wird es wahrscheinlich nicht zu einer signifikanten Erhöhung von Treibhausgasemissionen kommen.“ Damit verkennt die Europäische Kommission allerdings die Dringlichkeit zur raschen und entschlossenen Senkung des Niveaus der bestehenden Treibhausgasemissionen, zu der sich die EU im Rahmen des Pariser Klimaabkommens verpflichtet hat. Vielmehr erscheint es höchst fahrlässig, dass von der Europäischen Kommission angesichts der sich verschärfenden Klimakatastrophe der Anstieg von Treibhausgasemissionen relativiert wird.
Geopolitik statt Zukunftsfähigkeit
In geopolitischer Hinsicht wird das modernisierte Abkommen immer wieder als Antwort auf die protektionistische Politik des US-Präsidenten Donald Trump ins Spiel gebracht. Diese Strategie zielt darauf ab, eine engere wirtschaftliche Bindung zwischen der EU und Mexiko zu demonstrieren und den transatlantischen Handel zu stärken. Doch die Europäische Kommission selbst schätzt die wirtschaftlichen Effekte des Handelsabkommens in ihrem Positionspapier zur Vertiefung des Abkommens für beide Seiten – sowohl für die EU als auch für Mexiko – als äußerst gering ein. Ein Abkommen, das ohne große ökonomische Wirkung ist, aber durch das negative Folgen für das Klima drohen und Menschen- sowie Arbeitsrechte nur auf dem Papier geschützt sind, ist die falsche handelspolitische Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit.
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