Ak Infobrief 4|24: Mayr: Unternehmerische Verantwortung: Kommt nun ein globales Lieferkettengesetz?
AK Infobrief 4|24: Mayr: Kommt nun ein globales Lieferkettengesetz? © AK WIEN

Unternehmerische Verantwortung: Kommt nun ein globales Lieferkettengesetz?

Nach dem Inkrafttreten der EU-Lieferkettenrichtlinie im Juli finden Ende dieses Jahres die nächsten Verhandlungen für ein Abkommen auf UN-Ebene zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten statt. Warum die EU nun den nächsten Schritt setzen muss, anstatt zurückzurudern.

Autor: Felix Mayr

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Über den Autor

Felix Mayr ist Jurist und arbeitet als Referent für europarechtliche Angelegenheiten in der Abteilung EU und Internationales der AK Wien.
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Felix MAYR © privat

Kurz und Knapp

  • Zu lange wurde es verabsäumt, mit den weitreichenden Möglichkeiten globaler Unternehmen auch Verpflichtungen einhergehen zu lassen.
  • Unternehmerische Sorgfaltspflichten fördern langfristig nachhaltiges Wachstum und wirtschaftliche Stabilität.
  • Es an der Zeit für den nächsten Schritt: ein globales Lieferkettengesetz.

Was ist der UN-Treaty?

Der UN-Treaty on Business and Human Rights (der sog. „UN-Treaty“) ist ein internationales Abkommen, das Mitte Dezember in die 10. Verhandlungsrunde geht. Der UN-Treaty zielt darauf ab – ähnlich der EU-Lieferkettenrichtlinie – insbesondere internationale Unternehmen stärker zur Verantwortung zu ziehen, wenn es die Einhaltung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Arbeitsbedingungen in ihren Lieferketten geht. Die Verhandlungen dafür begannen bereits 2014 und folgen den 2011 beschlossenen, aber nicht verbindlichen Guiding Principles on Business and Human Rights der UN. Diese stellen bis dato den einzigen globalen Rahmen dar, der die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen detailliert beschreibt. Diese Grundsätze in ein weltweit verbindliches Regelwerk zu überführen würde einen gewaltigen Schritt hin zu gerechteren Arbeitsbedingungen und nachhaltigeren Wirtschaften bedeuten.

Steigt die EU von der Bremse?

Zu Beginn der 2010er-Jahre sprachen sich die EU-Mitgliedstaaten noch geschlossen gegen eine Arbeitsgruppe zum Entwurf eines solchen verbindlichen Instruments aus, da dies – so die Begründung – die Umsetzung der (unverbindlichen) UN-Grundsätze behindern würde. Auch danach nahm die EU, abgesehen von allgemeinen Stellungnahmen, eine bloß beobachtende Rolle in Verhandlungen ein. Dies könnte sich nun nach der umzusetzenden EU-Lieferkettenrichtlinie ändern. Dafür sprechen nicht nur Gründe der besseren Umsetzung und Verwirklichung der in der Richtlinie angestrebten Ziele: Auch rein wettbewerblich liegt es im immanenten Interesse der EU, wenn künftig im Sinne eines einheitlichen Standards unternehmerische Sorgfaltspflichten weltweit zu befolgen sind.

So zeichnet sich langsam ein Umdenken auf EU-Ebene ab: Denn mittlerweile üben nicht nur das EU-Parlament, sondern auch einzelne Mitgliedstaaten vermehrt Druck auf die EU-Kommission aus. Diese fordern, dass die EU-Kommission endlich einen Vorschlag für ein EU-Verhandlungsmandat vorlegen muss, um eine konstruktive Beteiligung der EU in den Prozess zu gewährleisten. Denn nur mit einem solchen Verhandlungsmandat kann die EU effektiv an inhaltlichen Ergänzungen mitarbeiten bzw. diese in Verhandlungen vorschlagen.

Warum ist das Thema auf UN-Ebene entscheidend?

Sorgfaltspflichten machen deutlich, dass Staaten Individuen vor Menschenrechtsverletzungen durch Dritte (in diesem Fall: Unternehmen) durch entsprechende Gesetze zu schützen haben. Die einseitige Liberalisierung, unter deren Vorzeichen die Globalisierung bis heute vorangetrieben wird, hat internationalen Unternehmen insbesondere des globalen Nordens ein Übermaß an wirtschaftlicher Macht wie Einfluss verschafft. Zu lange wurde es verabsäumt, diese weitreichenden wirtschaftlichen Möglichkeiten auch an Verpflichtungen zu binden. Dieses Machtungleichgewicht wird auch dadurch offenbar, dass (bloß) nationale Gesetze zunehmend weniger geeignet sind um der vermehrt internationalen, unternehmerischen Aktivität gerecht zu werden.

Denn heute liegen etwa 94% Prozent der Arbeitskräfte der weltweit 50 größten Unternehmen in undurchsichtigen Lieferketten versteckt, was Formen der Ausbeutung und Zwangsarbeit begünstigt und die Rechtsdurchsetzung für Betroffene erheblich erschwert wenn nicht regelrecht unmöglich macht. Die G20 Ländern alleine haben im Jahr 2021 Waren im Wert von 468 Milliarden(!) US-Dollar importiert, die mit Zwangsarbeit in Verbindung stehen. Umstände wie diese zeugen aber auch vom enormen Potential und der gewaltigen Hebelwirkung, die eine Inpflichtnahme dieser globalen Player in sich trägt.

Die EU wie andere Staaten, die internationale Unternehmen traditionell beheimaten, beginnen mittlerweile die Notwendigkeit sowohl für neue rechtliche Instrumenten als auch für verstärkte internationale Zusammenarbeit zu erkennen. Durch den tieferen Dialog und die multilateralen, überregionalen Verhandlungen auf UN-Ebene kann außerdem dem Risiko fehlender Akzeptanz aufseiten von Staaten, die nicht in betreffende Gesetzgebungsprozesse eingebunden waren, entgegengewirkt werden. Nun wäre es an der Zeit, bislang unverbindlichen Lippenbekenntnissen ein tatsächliches Regelwerk folgen zu lassen. 

Sorgfaltspflichten als Fundament nachhaltigen Wirtschaftens 

Ein UN-Abkommen, das die Einhaltung dieser Standards weltweit vorschreibt, würde Unternehmen dazu anhalten, langfristige Investitionen in menschenwürdige Arbeitsbedingungen und nachhaltige Produktionsweisen zu tätigen. Dies wäre nicht nur aus menschenrechtlichen Erwägungen empfehlenswert: So fördert die Umsetzung unternehmerischer Sorgfaltspflichten langfristig nachhaltiges Wachstum und wirtschaftliche Stabilität. Arbeitnehmer:innen würden von der erhöhten Stabilität und Sicherheit profitieren, da Unternehmen, die in nachhaltige Geschäftsmodelle investieren, tendenziell weniger häufig in Krisen geraten und Arbeitsplätze langfristig gesichert werden könnten. Den kurzfristigen Nettokosten – laut EU-Kommission sind bspw. für die Berichtspflichten im Rahmen der EU-Lieferkettenrichtlinie für große Unternehmen mit Mehrkosten von 0,005% des jährlichen Umsatzes zu rechnen – stehen somit erhebliche, langfristige Vorteile gegenüber. Auch kleine und mittlere Unternehmen profitieren nachweislich vom Aufbau resilienter und nachhaltiger Lieferketten. Gleichzeitig können diese bei der Umsetzung von den betreffenden Staaten auf diverse Weise Unterstützung und Anleitung erfahren, wodurch nicht zuletzt deren Position innerhalb von Lieferketten aufgewertet werden kann.

Statt Rückfall: Zeit für den nächsten Schritt

Einzelne Wirtschaftsakteure versuchen derzeit lautstark vergangene Erfolge auf EU-Ebene verzerrt darzustellen und das Rad unter der neuen Kommission zurückzudrehen. Zuletzt mehrten sich etwa die Versuche, bereits beschlossene Maßnahmen gegen Entwaldung im Nachhinein nochmals zu verwässern. In diesem rückwärtsgewandten Diskurs geht die Frage nach der Einhaltung eines Mindeststandards an Menschenrechten zunehmend unter. Diese scheint darin zu einer reinen Kostenziffer in wirtschaftlich kurzsichtigen Erwägungen nach Rentabilität zu verblassen.

In der Aussage üblicherweise nicht näher spezifizierte Kritik gegen eine „überbordende Bürokratie“ richtet sich in der Regel generell gegen Berichtspflichten. Sie gefährdet dadurch nicht nur die nachweisliche Einhaltung von Gesetzen für Sorgfaltspflichten, sondern auch jene des Arbeitsschutzes oder zur Einhaltung der Arbeitnehmer:innenrechte. Wer von einer solchen „Entlastung“ tatsächlich profitiert, wird dabei offengelassen.

Auf dem Spiel steht ein Rückschritt im menschenrechtlichen Schutzniveau, der entgegen dem Willen der Zivilgesellschaft von Unternehmen gefordert und unter Beihilfe rechter politischer Kräfte vorangetrieben wird. Die damit erzeugte Verunsicherung spielt letzteren wiederum in die Hände. Schon aus demokratiepolitischen Gründen muss dieses massive Lobbying zurückgedrängt werden. Anstatt bereits gemachte Schritte wieder infrage zu stellen ist die EU-Kommission nun am Zug, konsequent den nächsten Schritt in Richtung eines globalen Lieferkettengesetzes zu setzen. Das aktuelle, destruktive Taktieren dagegen führt dazu, dass notwendige Investitionen in ein nachhaltigeres Wirtschaftsmodell derzeit ausbleiben.

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