Ak Infobrief 4|24: Epremian: RezensionMichael Soder – Grüne Revolution
AK Infobrief 4|24: Epremian: RezensionMichael Soder – Grüne Revolution © AK WIEN
Dezember 2024

Grüne Revolution oder soziale und ökologische Katastrophe? Wie eine neue Wirtschaftspolitik der Klimakrise begegnen muss

Die Klimakrise verändert die ökologischen sowie sozialen, kulturellen und technischen Systeme, in denen wir leben. Doch ob diese Veränderungen durch eine radikale Neuausrichtung unserer Wirtschaft („by design“) oder durch das Überschreiten ökologischer Kipppunkte („by disaster“) herbeigeführt werden, ist die drängende Frage. Michael Soder plädiert für ersteres: eine Wirtschaftspolitik der Weitsicht, Planungssicherheit und Gerechtigkeit, und stellt Maßnahmen für den Weg zur Klimaneutralität vor.

Autorin: Judith Epremian

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Über die Autorin

Judith Epremian studiert Socio-Ecological Economics and Policy an der Wirtschaftsuniversität Wien. Als Forschungsassistentin bei der AK Wien beschäftigt sie sich mit dem Gesetzgebungsverfahren der EU-Lieferkettenrichtlinie und dessen Implikationen für die normative Agenda der EU.
Judith Epremian
Judith Epremian © privat

Kurz und Knapp

  • Statt moralischer Überhöhung einzelner Konsumentscheidungen brauchen wir eine aktive wirtschaftspolitische Steuerung, die regionale und soziale Unterschiede ernst nimmt.  
  • Für einen klimagerechten Umbau bedarf es einer voraus­schauenden und planvollen politischen Steuerung.

Michael Soder spannt in seinem neuen Buch „Grüne Revolution“ den Bogen zwischen individuellen Sichtweisen auf die fortschreitende Klimakrise und den damit verbundenen politischen und gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen. Das Buch stellt wissenschaftliche Erkenntnisse und wirtschaftspolitische Ansätze zur sozial-ökologischen Transformation vor. Dabei wählt Soder den pragmatischen Zugang des „radikalen Inkrementalismus“: Er nimmt also den Status Quo als Ausgangspunkt, von dem aus viele handlungsmächtige Akteure an vielen Stellschrauben gleichzeitig drehen müssen, um die Transformation mithilfe dessen, was derzeit schon vorhanden ist, voranzutreiben.

Die Menschen mitnehmen

Was bedeutet die Klimakrise für eine Dorfgemeinschaft in den Alpen, die unter den Folgen von Extremwetterereignissen leidet und was bedeutet sie für eine Region, deren Wohlstand und Arbeitsplätze von der Automobilindustrie abhängen? Wie erleben von Armut betroffene, in prekären Wohnverhältnissen Lebende oder Erkrankte die Klimakrise und was bedeutet sie im Gegenzug für die Finanzpolitik, private Banken oder auch für börsennotierten Unternehmen, die im Öl- und Erdgasgeschäft tätig sind? Mit welchen individuellen (psychologischen) und welchen kollektiven (gesellschaftlichen und politischen) Folgen der sich zuspitzenden Klimakrise sind wir konfrontiert? Mit derartigen Fragen macht Soder deutlich, dass die Wahrnehmung der, sowie die Verunsicherung durch die Aufgabe der Dekarbonisierung stets kontextspezifisch ist. 

Somit entschlüsselt Soder den Begriff der Klimakrise als eine vielschichtige Krisensituation, die auf eine ungleiche Gesellschaft trifft und so die bestehenden sozialen Ungleichheiten in Sachen Einkommen und Vermögen, Bildung, Gesundheit und Chancen offenlegt. Die Veränderungen durch den Klimawandel und durch politische Maßnahmen treffen Menschen auf unterschiedlichste Art und Weise, je nach Alter, Lebensstil, Wohnort, oder Berufsbranche. Auch angesichts der gesellschaftlichen Konflikte, die daraus resultieren steht fest: Die Menschen müssen mitgenommen, und dürfen nicht abgehängt werden. Neue Entwicklungspfade müssen auf der Teilhabe in der Ausgestaltung von Klimawandelmaßnahmen fußen und glaubwürdig, vernünftig und nachvollziehbar sein. 

Wirtschaft als System 

Doch zunächst setzt Soder den Rahmen für sein systemisches Verständnis der notwendigen wirtschaftspolitischen Veränderungen. Erstens konstatiert er: wir leben in komplexen Systemen. „Die Wirtschaft“ müssen wir – wie ein Ökosystem – als ein komplexes Wertschöpfungsnetzwerk sehen, in dem neben Unternehmen verschiedenste Akteure eine Rolle spielen (Arbeitnehmer:innen, Konsument:innen, der Staat, Vereine und Verbände, zivilgesellschaftliche Organisationen), die wiederum in wechselseitigen Abhängigkeiten zueinanderstehen.  Innerhalb dieses komplexen Systems wirken verschiedene wirtschaftliche Logiken.

Zweitens: Wir leben, ungeachtet technischer und zivilisatorischer Errungenschaften, in einem unüberbrückbaren Abhängigkeitsverhältnis mit unserer ökologischen Lebensgrundlage. Die Logiken, denen die von uns erschaffenen Systeme folgen, haben reale und mentale Konsequenzen für dieses Abhängigkeitsverhältnis. Mit seinen aktuellen Wirkungsweisen sprengt unser Wirtschaftssystem die planetaren Grenzen, da die Strukturen, die wir in den letzten 150 Jahren erbaut haben, auf der Ausbeutung fossiler Energien und natürlicher Ressourcen basieren. Die Aufgabe muss es daher sein, das energetische Fundament von allem, was wir tun, zu verändern. 

Denn die erforderliche Transformation wird mit Sicherheit nicht durch individuelle Konsum- und Verhaltensweisen vollbracht werden. Stattdessen steht die strukturelle Ebene im Zentrum der neuen Industriepolitik. Wie das Austrian Panel of Climate Change (APCC) in seinem Bericht „APCC Special Report – Strukturen für ein klimafreundliches Leben“ feststellt, ist es derzeit „schwierig, in Österreich klimafreundlich zu leben“. Eine Veränderung der handlungsleitenden Strukturen ist also unabdingbar.  

Buchtipp

Soder: Eine grüne Revolution
Soder: Eine grüne Revolution © ÖGB Verlag

Michael Soder

Eine grüne Revolution.
Eine neue Wirtschaftspolitik
in Zeiten der Klimakrise

ÖGB Verlag, 2024


Zum Autor: Michael Soder ist Ökonom und promovierte am Institute for Ecological Economics an der Wirtschaftsuniversität Wien. Derzeit arbeitet er in der Abteilung Wirtschaftspolitik der Arbeiterkammer Wien, wo er sich mit Themen des grünen Strukturwandels, grüner Industriepolitik und der Just Transition beschäftigt. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen außerdem Innovation, Technologie und deren Rolle im Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft.


Transformative Industriepolitik 

Um die Strukturen als Antwort auf die Klimakrise zu verändern, bedarf es einer vorrausschauenden und planvollen politischen Steuerung. Obwohl konkrete Beispiele von Industriepolitik spätestens seit der Industriellen Revolution Ende des 18. Jahrhundert belegbar sind und sie auch für den Wiederaufbau in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg eine wesentliche Rolle spielte, wurde die Industriepolitik im Zuge der neoliberalen Ära ab den 1980er-Jahren gewissermaßen totgeschwiegen. Spätestens seit der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008 erlebt die Idee einer proaktiven (vertikalen) Industriepolitik aber eine Renaissance und „entdeckt [im Zuge der Klimakrise] ihren Instrumentenkoffer wieder“. Dabei muss eine gute industriepolitische Planung die schwierige Aufgabe erfüllen, durch verschiedene, ineinandergreifende Maßnahmen entlang öffentlicher und privater Ebenen zu wirken. Entlang der gesamten Produktions- und Wertschöpfungsketten muss sie aktiv gestalten und steuern. Das gesteckte Ziel ist dabei nichts Geringeres als eine grüne industrielle Revolution.

Hierbei erkennt Soder an, dass eine Spannung zwischen der notwendigen Weitsicht und Planbarkeit einerseits und dem wahrscheinlich kurvenreichen Weg auf dem weitgehend unbekannten Terrain der Klimaneutralität andererseits besteht. Doch das Buch zeigt gerade auch auf: es gibt durchaus gute Alternativen zum „Weiter wie bisher“. Diese müssen unter Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten und unter dem Gesichtspunkt sozialer Gerechtigkeit clever angewandt werden. Somit bietet die transformative Wirtschaftspolitik als stetig wachsendes wissenschaftliches Feld zwar kein allgemeingültiges Paket von politischen Antworten. Doch sie gibt eine Bandbreite wirtschaftspolitischer Leitlinien und Maßnahmen vor, die den Weg zur „Grünen Revolution“ ebnen sollen.

„Grüne Revolution“ bietet einen Überblick über die Schritte hin zu einem neuen wirtschaftspolitischen Verständnis. Es empfiehlt sich für alle, die sich am interdisziplinären Diskurs zu transformativer Wirtschaftspolitik beteiligen oder diesen besser verstehen möchten. Es erklärt, dass sinnvolle Ansätze bereits existieren und, dass sich ein gerechtes, planvolles Vorgehen angesichts der Klimakrise lohnen wird. 

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