Infobrief 3|24 Mayr: EU-Abstimmverhalten – Fehlverhalten auf Ratsebene
Infobrief 3|24 Mayr: EU-Abstimmverhalten–Fehlverhalten auf Ratsebene © AK WIEN
September 2024

EU-Abstimmverhalten: Zum „krassen Fehlverhalten“ auf Ratsebene

Aus aktuellem Anlass der Debatte zum EU-Renaturierungsgesetz ergeben Unterschiede zwischen nationalem und EU-Recht ein interessantes Bild mit zwei Facetten, nämlich einem Innen- und Außenverhältnis. Dabei drängt sich die Frage auf, was die Unterschiede zwischen nationalem und EU-Recht sind und ob bzw. welche rechtlichen Konsequenzen es nach sich zieht, wenn Minister:innen auf EU-Ebene gegen den Willen des Koalitionspartners stimmen. 

Autor: Felix Mayr

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Über den Autor

Felix Mayr ist Jurist und arbeitet als Referent für europarechtliche Angelegenheiten in der Abteilung EU und Internationales der AK Wien.
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Felix MAYR © privat

Kurz und Knapp

  • Auf EU-Ebene steht fest: die zuständigen Minister:innen sind alleine wahlberechtigt und können ihr jeweiliges Land durch den Beschluss neuer Rechtsakte binden.
  • Interne Unstimmigkeiten sind nicht unüblich in einer Koalition, dass diese aber auf EU-Ebene ausgetragen werden, erscheint nicht angebracht.


Aus aktuellem Anlass der Debatte zum EU-Renaturierungsgesetz ergeben Unterschiede zwischen nationalem und EU-Recht ein interessantes Bild mit zwei Facetten, nämlich einem Innen- und Außenverhältnis. Dabei drängt sich die Frage auf, was die Unterschiede zwischen nationalem und EU-Recht sind und ob bzw. welche rechtlichen Konsequenzen es nach sich zieht, wenn Minister:innen auf EU-Ebene gegen den Willen des Koalitionspartners stimmen.

Eine Ministerin stimmt im Rat (der EU, Anm.) für eine Regelung, ohne dass eine Einigung in der Koalition darüber herrscht. Losgelöst von der Frage, ob dies vom Koalitionspartner in jüngster Vergangenheit nicht gehäuft in die Gegenrichtung genauso geschehen ist – ganz ohne moralisierende Rhetorik –, ergeben sich betreffend die Rechtmäßigkeit derartig beschlossener EU-Rechtsakte zwei unterschiedliche Blickwinkel – jener des nationalen (Verfassungs-) wie des EU-Rechts, womit man gleichsam von einem Innen- und Außenverhältnis unterscheiden kann.

Im Außenverhältnis: Das Abstimmverhalten auf Ratsebene

Im „Außen“ ist die Situation vollkommen klar: gemäß Art. 16 Abs. 2 EUV besteht der Rat aus „je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene, der befugt ist, für die Regierung des von ihm vertretenen Mitgliedstaats verbindlich zu handeln und das Stimmrecht auszuüben.“ Daran ändert sich auch nichts, wenn der Bundeskanzler zuvor in Brüssel bekanntgibt, dass keine Koalitionseinigung herrscht. Überdies sind nach der Verfassung Bundeskanzler:in und Minister:innen hierarchisch gleichgestellt; und schließlich ist für Angelegenheiten der Klima- und Umweltschutzpolitik sowie Artenschutz  laut Bundesministeriengesetz die Klimaministerin zuständig. Damit ist sie eindeutig wahlberechtigte Ministerin im Rat. Insofern war es naheliegend, dass man sich von belgischer Seite dem Brief des Bundeskanzlers gegenüber gelassen zeigte und darauf verwies, dass die internen Streitigkeiten in Österreich für die Abstimmung unerheblich seien. 

Dass der im Bundeskanzleramt angesiedelte Verfassungsdienst zuvor (unverbindlich) in einem Informationsschreiben an die Ministerien argumentiert hat, dass bei einer geteilten Zuständigkeit auf EU-Ebene nur im Einvernehmen mit der:dem jeweiligen anderen Minister:in abgestimmt werden darf, ist somit eine jedenfalls weder mit dem Wortlaut der EU-Verträge noch der Bundesverfassung übereinstimmende Ansicht, was bei einer Institution wie dem Verfassungsdienst doch enttäuscht. So weicht das betreffende Schreiben des Verfassungsdienstes vom Mai 2024 in seinem „anlassbezogenen Charakter“ im konkreten Fall auch wesentlich von einem früheren Rundschreiben (ohne jegliche Erwähnung des bisherigen Schreibens) ab.

Im Innenverhältnis: Zur notwendigen Einigkeit der Koalition

„Österreich wird eine Nichtigkeitsklage beim EuGH einbringen“, so der Bundeskanzler. Gleichzeitig wird vorgebracht, dass das Votum nicht dem innerstaatlichen Willen der Koalition entspricht und somit „nicht verfassungskonform abgegeben werden“ konnte. Warum erscheint dies weder realistisch noch aussichtsreich?

Einerseits wird sich die Koalition nicht darauf einigen können, eine Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 AEUV beim EuGH einzubringen: denn für eine solche bedarf es seit der mit dem 2. Covid-19-Gesetz eingeführten Änderung in Art. 69 BV-G Einstimmigkeit der Bundesregierung. Dadurch ergibt sich zumindest jene Situation, dass der übergangene Koalitionspartner somit keinen EU-Rechtsakt wegen angeblichem Verfassungsbruch für nichtig erklären lassen kann, ohne dabei selbst verfassungsbrüchig zu werden. Sollte nun damit spekuliert werden, die Nichtigkeitsklage erst nach den Nationalratswahlen mit einem anderen Koalitionspartner einzubringen, wird dies im konkreten Fall wiederum im EU-Recht dadurch verhindert, dass eine Nichtigkeitsklage innerhalb von zwei Monaten nach Veröffentlichung des Rechtsakts beim EuGH eingereicht werden muss, womit im Fall des Renaturierungsgesetzes genau mit 29. September die Frist abgelaufen sein wird.

Schließlich ergeben sich zweierlei gute Gründe, weshalb der EuGH selbst bei Anrufung keine Nichtigkeit aussprechen wird: einerseits sind Beschlüsse auf EU-Ebene, selbst wenn im Zuge der Beschlussfassung nationales (Verfassungs-)Recht gebrochen worden sein sollte, dennoch gültig, was sich auch aus der Hierarchie des EU-Rechts über nationalem Recht ergibt. Aus diesem Grund hält Art. 16 Abs. 2 EUV auch nicht fest, dass eine Stimme im Einklang mit nationalem Recht abgegeben werden muss. Angesichts der vielen verschiedenen Koalitionssituationen und Rechtslagen in den Mitgliedstaaten würde dies immerhin eine gewaltige Rechtsunsicherheit für alle andere Mitgliedstaaten bedeuten. Andererseits befindet der EuGH lediglich über EU-rechtliche Fragestellungen, nicht über Streitigkeiten, die sich rein auf der nationalen Ebene abspielen. Hier dürfte eine eingebrachte Klage also schon auf formeller Ebene scheitern.

Exkurs: Zur einheitlichen Länderstellungnahme

Eine andere Thematik, die innerstaatlich tatsächlich nicht vollkommen eindeutig ist, ist jene der einheitlichen Länderstellungnahme, an die die Ministerin im Fall des EU-Renaturierungsgesetzes gemäß Art. 23d B-VG gebunden gewesen sein könnte. Zuvor haben nämlich alle neun Bundesländer Kritikpunkte am damaligen Entwurf in einer solchen bekundet. Hier stellt sich die Frage, ob diese nach wie vor (formell) Gültigkeit besaß, obwohl Wien und Kärnten (materiell) ihre Kritikpunkte zuvor aufgegeben haben. Denn wie eine solche Stellungnahme zustande kommt bzw. abgeändert oder aufgehoben werden kann ist nicht abschließend geregelt. Muss hier eine erneute Stellungnahme beschlossen werden, mit der die frühere aufgehoben wird? Dies wird gerade in Fällen eben nicht mehr bestehender Einstimmigkeit wohl kaum realisierbar sein. Oder ist es ausreichend, dass die in der Stellungnahme erwähnten Punkte in einem späteren Vorschlag für eine Richtlinie oder Verordnung angemessen berücksichtigt wurden – und die Stellungnahme somit ihre Grundlage verloren hat?

Selbst wenn die Ministerin an die Stellungnahme gebunden gewesen war, stellt sich wiederum die Frage nach der daraus resultierenden rechtlichen Folge. Denn eine Minister:innenanklage vor dem VfGH benötigt einen gleichlautenden Beschluss aller Landtage, der im konkreten Fall unwahrscheinlich scheint. Durchaus denkbar wäre ein Feststellungsverfahren (auf Antrag nur einer Landesregierung), wonach der VfGH beurteilt, ob die Länderstellungnahme im Zeitpunkt der Abstimmung im Rat (noch) bindend war oder nicht. Selbst wenn der VfGH aber die Verbindlichkeit bestätigen sollte, kann ein:e Minister:in jedoch von dieser dennoch aus „zwingenden außen- bzw. integrationspolitischen Gründen“ abweichen, wobei hier von einem erheblicher Entscheidungsspielraum ausgegangen wird.

Abschließende Anmerkung

Interne Unstimmigkeiten sind nicht unüblich in einer Koalition, dass diese aber auf EU-Ebene –­ geschweige denn vor dem EuGH – ausgetragen werden, sorgt für ein gewisses Aufsehen. 

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