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Der erste von mehreren geplanten Omnibussen verwässert wesentliche Nachhaltigkeitsregelungen der EU. Offiziell soll die Initiative zur „Vereinfachung“ und „Entbürokratisierung“ der Bestimmungen dienen. Tatsächlich aber werden lang erstrittene Erfolge für Beschäftigte unter der neuen Kommission zerschlagen.
Autor Felix Mayr
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Das EU-Lieferkettengesetz, eigentlich die Richtlinie (EU) 2024/1760 über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit („CSDDD“), wurde am 13. Juni 2024 final verabschiedet und mit 5. Juli im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Große Unternehmen müssen ab Juli 2028 bzw. 2029 (in Wellen, gestaffelt nach Unternehmensgröße) Sorgfaltspflichten erfüllen. Nach diesen haben sie negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt im Zusammenhang mit ihrer eigenen Geschäftstätigkeit, aber auch jener ihrer Tochterunternehmen und Geschäftspartner zu verhindern bzw. zu mindern.
Das Lieferkettengesetz erlebte in seinem Entstehungsprozess einiges an Auf und Ab und stand im Frühjahr 2024 kurz vor dem Aus. Um einen Kompromiss noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni zu erreichen, wurden einige, oft kurzfristige Änderungen an der Richtlinie vorgenommen, die diese verwässerten. Insbesondere wurden die Schwellenwerte für betroffene Unternehmen drastisch erhöht. Gleichzeitig wird die Regelung nun erst zeitlich erheblich verzögert zur Anwendung kommen.
Auffällig schien bereits vor der Ankündigung des Omnibusses, dass die medialen Attacken gegen das Lieferkettengesetz auch nach dem Inkrafttreten der Richtlinie nicht abnehmen wollten. Nur: Genuine, eigene Berichtspflichten beinhaltet das Lieferkettengesetz gar nicht. Berichtspflichten beinhaltet lediglich die weit weniger politisierte Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie. Das Lieferkettengesetz enthält vielmehr Regelungen betreffend Risikoanalyse und -strategie, die in der Unternehmenspolitik im Sinne der Vermeidung von Risiken für Menschen- und Umweltrechte zu verankern sind. Der Nachweis über die getroffenen Maßnahmen soll nur zur Kontrolle der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen durch die Behörde dienen. Tatsächlich werden die Verwaltungslasten durch das Lieferkettengesetz für betroffene Unternehmen von der Kommission mit Mehrkosten von 0,005 % des jährlichen Umsatzes geschätzt.
Dem stehen jedoch erhebliche wirtschaftliche Potenziale gegenüber, wie auch die Kommission in ihrer damaligen Folgenabschätzung zur Richtlinie festhält. Auch eine von der AK Wien in Auftrag gegebenen Studie gelangt zum Ergebnis von einem deutlich positiven Nutzen für den Globalen Süden (faire Arbeitsbedingungen ohne Einsatz von Kinder- oder Zwangsarbeit) sowie einen Nettonutzen für die europäische Wirtschaft. Gerade im aktuellen Diskurs wird das Lieferkettengesetz jedoch fälschlicherweise oft als eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit dargestellt.
Was ebenfalls auffällt: Die Bürokratierhetorik wird derzeit weit über die EU hinaus im politischen Diskurs verwendet. Im US-Wahlkampf mobilisierte der Kampf gegen die „Bürokratie“ etwa die Massen stärker als demokratiepolitische Bedenken. Unter dem Vorwand von „Effizienz“ und „Bürokratieabbau“ schafft Elon Musk aktuell wesentliche staatliche Kontrollmechanismen ab bzw. hebelt diese aus. Auch der argentinische Präsident Javier „el loco“ Milei deklarierte im Rahmen seiner „¡Afuera!“-Kampagne selbstbewusst: „der Staat ist das Problem“. Durch nicht näher definierte mediale Kritik an Regelungen als unnötige Bürokratie oder „Bürokratiemonster“ wird jedoch auch staatliche Verwaltung ganz allgemein diskreditiert. Dies spielt nicht zuletzt populistischen, rechtsextremen Kräften in die Hände, die womöglich von einflussreichen Teilen der Wirtschaft sogar bewusst gefördert werden sollen: immerhin verspricht sich die Industrie von deren Regierungsbeteiligung weitgehende Liberalisierungen und ein „Recht des Stärkeren“, wie auch in Österreich im Rahmen der Koalitionsgespräche verfolgt werden konnte.
Die EVP ging aus den vergangenen EU-Wahlen als Siegerin hervor. Aktuell gehören 16 der 27 Kommissär:innen der EVP an. Ohne die EVP ist auch im Parlament praktisch keine Mehrheit zu erzielen. Bereits im Zuge ihrer Kandidatur als erneute Kommissionspräsidentin wurde von kritischen Stimmen angemerkt, dass Von der Leyen (EVP) mit ihrem Programmvorhaben für die nächsten fünf Jahre große Zugeständnisse an rechte und populistische Fraktionen machte. Das Wahlprogramm der EVP fiel insbesondere durch eine Verwerfung des Grünen Deals, dem Herzstück der EU-Klimapolitik unter der letzten Kommission, oft in Kombination mit einer Politisierung des Bürokratiethemas, auf. Dies betraf neben der EU-Entwaldungsverordnung auch das Lieferkettengesetz als „Bürokratiemonster“. In diesen Belangen ergab sich eine gewisse Schnittmenge mit Fraktionen von Rechtsaußen.
Anfang November 2024, und damit wenige Monate nach dem Inkrafttreten der Richtlinie – und gar fast drei Jahre vor ihrem Geltungsbeginn – kündigte Kommissionspräsidentin Von der Leyen geplante Änderungen am Lieferkettengesetz durch ein „Omnibus“-Gesetzespaket an. Ein sog. „Omnibus“ erlaubt der Kommission die Bündelung mehrerer Rechtsanpassungen in einem einzigen Gesetzesvorschlag. Nach langen, zähen Verhandlungen, die schließlich einen Kompromiss brachten, wurde mittels der am 26. Februar 2025 vorgestellten Omnibus-Initiative erneut Verhandlungen über das Lieferkettengesetz eröffnet. Das ein lange erstrittener demokratischer Kompromiss bereits nach so kurzer Zeit wieder einseitig von der Kommission geöffnet wird, ist ein Novum. Auch in der Vergangenheit wurde kein solch drastischer Richtungswechsel von einer neuen Kommission derart vorangetrieben.
Argumentativ baut der Omnibus auf den von der Kommission in Auftrag gegebenen Draghi-Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union auf. Darin werden u.a. die nachhaltigkeitsbezogenen Berichtspflichten kritisiert, da sie erhebliche Kosten mit sich bringen und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen beeinträchtigen würden.
Bereits in der Vergangenheit fielen Agenden der Deregulierung der Kommission durch mangelnde Sachlichkeit auf: so etwa pauschale Reduktionsziele zum Abbau von Verwaltungslasten (25% bzw. 35% für KMU) ohne Angabe der rechnerischen Grundlage, auf der diese eruiert werden. Andere Beispiele sind das sog. „one-in, one-out“-Prinzip, wonach für jede neue Rechtsvorschrift auf EU-Ebene eine bereits bestehende gestrichen werden soll. Ob sich Rechtsakte auf diese Weise quantifizieren lassen bzw. auf welcher Grundlage entschieden wird, welcher Rechtsakt für eine neue Vorschrift zu gehen hat, bleibt dabei offen. Wichtiger scheint es geworden zu sein, eine marketingtaugliche Schlagzeile zu punzieren.
Dass nun rechte und wirtschaftsliberale Kräfte in der neuen Kommission eine Chance zur Verwirklichung ihrer gemeinsamen politischen Anliegen sehen, ist das eine. Das andere ist: Im Zuge des Omnibusses wurde in auffälliger Weise von demokratischen Prozessen auf EU-Ebene abgegangen. So wurde entgegen den EU-Verträgen und der gängigen politischen Praxis keine Konsultation durchgeführt: mittels dieser wird der Öffentlichkeit die Möglichkeit zum Einbringen von Stellungnahmen oder Bedenken eingeräumt und auch die Qualität eines Rechtsaktes (wie bei der innerstaatlichen Begutachtung) sichergestellt. Selbst innerhalb der Kommission wurden betreffende Dienststellen mit einer Konsultationsfrist von nur 24 Stunden – dies an einem Wochenende – überrascht. Nach dem Ansatz „speed kills“ wurde das Dossier in einer unsachlichen Eile vorangetrieben, was sich auch in der „geringen formalen Qualität“ des Entwurfs bemerkbar macht.
Weiters wurde von der Kommission keine Folgenabschätzung vorgenommen. Diese soll sachlich darlegen, welche Kosten und Nutzen von einer geplanten Rechtsvorschrift erwartet werden. Durch das Unterlassen der Vornahme einer solchen – wie auch durch die unterlassene Konsultation – hat die Kommission gegen ihre eigenen Regeln zur „besseren Rechtsetzung“ verstoßen.
Fest steht jedenfalls: Sobald demokratische Prozesse missachtet oder ausgehebelt werden, zumal bereits so früh in einer Legislaturperiode, muss dies ein institutionelles Warnsignal sein. Unabhängig von politischen Mehrheitsverhältnissen darf sich eine Kommission – als „Hüterin der Verträge“ – nicht über rechtliche Bestimmungen und politische Prozesse hinwegsetzen. Das aktuelle Vorgehen schwächt die demokratischen Prinzipien der Union und darf keinesfalls zu einem Präzedenzfall für künftige Rechtsakte werden.
Als angestrebtes Ziel des nunmehrigen Omnibusses wird betont, dass lediglich „überschneidende, unnötige oder unverhältnismäßige Vorschriften“ in den betroffenen Rechtsakten korrigiert werden sollten. Nur: in einem Begleitdokument zum Rechtsvorschlag hält die Kommission selbst fest, dass es für eine tatsächliche Evaluierung der Instrumente derzeit noch zu früh sei. Es stellt sich mangels Transparenz und Nachvollziehbarkeit die Frage: Wie und von wem wurde im Rahmen des Omnibusses evaluiert, welche Bestimmungen „unnötig“ sind? Auffallend ist die Ähnlichkeit zwischen dem nun vorgestellten Omnibus und einem früheren Forderungspapier der Industrielobby, die bereits gegen die ursprüngliche Richtlinie stark mobilisiert hat: so etwa die Streichung der Minimal-Höchststrafe, die Streichung der zivilrechtlichen Haftung oder die Beschränkung auf direkte Geschäftspartner:innen (s.u.).
Wie schon nach der Ankündigung im November befürchtet werden konnte, droht das Lieferkettengesetz durch den aktuellen Omnibus stark abgeschwächt zu werden. Dies geht zulasten seines Schutzniveaus insbesondere für Beschäftigte. So soll etwa im Lieferkettengesetz die von Unternehmen zu beachtende Sorgfaltspflicht (außer bei begründeten Hinweisen) nur noch auf bloß direkte Geschäftspartner:innen beschränkt werden. Dies würde jedoch die Richtlinie im Hinblick auf ihre Zielsetzung gravierend abschwächen, wie auch die Kommission im Omnibus festhält. Denn menschen- und umweltrechtliche Risiken treten überwiegend in vorgelagerten Produktionsstufen auf, wo Arbeitsrechtsverletzungen und Umweltzerstörung besonders prävalent sind. Durch die Beschränkung auf direkte Geschäftspartner:innen wären Fälle wie jener der einstürzenden Textilfabrik Rana Plaza, der ein wichtiger Anstoß für das Lieferkettengesetz war, auch künftig nicht erfasst.
Weiters soll die harmonisierte zivilrechtliche Haftung gestrichen werden, die es Geschädigten bzw. deren Hinterbliebenen ermöglichen würde, im Falle von erlittenen Schäden aufgrund einer verletzten Sorgfaltspflicht Wiedergutmachung zu fordern. Die Streichung birgt die Gefahr, dass für die Betroffenen auch künftig keine Verbesserung ihrer Rechtstellung eintritt, selbst bei missachteter Sorgfaltspflicht. Hier führt die Kommission im Omnibus an, selbst nicht zu wissen, wie dadurch „Verwaltungslasten“ eingespart werden.
Weitere Änderungen betreffen die Möglichkeit, Maßnahmen zur Risikominderung nur noch alle fünf Jahre evaluieren zu müssen (anstatt regelmäßig, mindestens aber jährlich) oder eine Einschränkung der Stakeholder-Konsultation bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten in der Unternehmenspolitik. Dies würde insbesondere NGO oder menschenrechtliche Organisationen aus der Konsultation drängen. All diese Vorschläge gehen direkt zulasten der Effektivität in der Umsetzung und damit des Schutzniveaus der Regelung. Leidtragende dieser „Vereinfachung“ wären am Ende jene Menschen, für welche das Lieferkettengesetz jahrelang hart erkämpft wurde.
Derzeit wird auf Ratsebene über eine allgemeine Ausrichtung verhandelt, die die Position der EU-Mitgliedstaaten auf Minister:innenebene wiedergibt. Bezüglich der österreichischen Positionierung und dem Abstimmverhalten im Rat ist jedenfalls der im Regierungsprogramm festgeschriebene Kompromiss, nämlich dass jegliche Entbürokratisierung nicht zulasten von Arbeitnehmer:innen- und Konsument:innenrechten gehen darf, einzuhalten. Um dem Regierungsprogramm als Richtschnur Folge leisten zu können, sollte ein transparentes Verfahren unter Einbeziehung der Sozialpartner, der Zivilgesellschaft und aller betroffenen Ressorts angestrebt werden.
Nach der Vorlage der Positionierungen jeweils des Rats und des EU-Parlaments beginnen die Verhandlungen im sog. „Trilog“ zwischen diesen beiden Institutionen. Bis zu einer finalen Einigung kann sich der Omnibus inhaltlich also noch in alle Richtungen abändern – was für Unternehmen wiederum die Vorbereitung auf künftig geltende Regelungen bis auf weiters verunmöglicht. Auch deshalb haben namhafte Unternehmen den Omnibus im Vorfeld scharf kritisiert und fordern eine Beibehaltung der bisherigen Regelungen. Man darf angesichts der hochgradigen Politisierung der Thematik wohl von noch unerwarteten Richtungsänderungen ausgehen. Umso wichtiger muss das Einhalten demokratischer Prozesse sowie eine dringend notwendige Versachlichung der Debatte sein.
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