Unter Druck: Wie Lobbyist:innen das EU-Lieferkettengesetz abgeschwächt und verwässert haben
Nach langen Verhandlungen und Verzögerungen ist am 24. Mai 2024 das EU-Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz CSDDD) final beschlossen worden. Es verpflichtet Unternehmen dazu, Missstände in ihren globalen Aktivitätsketten durch menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten vorzubeugen und nach Möglichkeit abzustellen. Intensives Lobbying seitens der Wirtschaft und Politik hat zu einer Verwässerung der Richtlinie geführt, die Unternehmen Schlupflöcher bietet, um ihrer Verantwortung zu entgehen.
Autorin: Hannah Sattlecker
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Kinderarbeit, Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen: Unternehmen sind weltweit für eine Vielzahl von Missständen in ihren globalen Wertschöpfungsketten verantwortlich und bekannt. Und das, obwohl es bereits seit langem diverse unverbindliche Richtlinien und freiwillige Selbstverpflichtungen gibt, durch die Unternehmen ihrer Verantwortung nachkommen sollten. Doch es hat sich gezeigt: diese zeigen keine ausreichende Wirkung. Einer EU-Studie zufolge implementiert nur eines von drei Unternehmen freiwillig menschenrechtliche Sorgfaltspflichten – und auch das nicht auf die ganze Wertschöpfungskette bezogen. Daher braucht es ein Gesetz, das Unternehmen umfassend und verbindlich zur Verantwortung zieht. Die EU-Lieferkettenrichtlinie bietet genau diese Chance.
Grund für die Verzögerung im Verhandlungsprozess des EU-Lieferkettengesetzes war massives Lobbying von Wirtschaftsverbänden. Der präsentierte Text ist im Vergleich zur Trilog-Einigung im Dezember 2023 erneut abgeschwächt worden. So wurde der Anwendungsbereich des Gesetzes deutlich eingeschränkt: Lagen die Schwellenwerte ursprünglich bei 500 Mitarbeitenden und 150 Millionen Euro Jahresumsatz, soll die Richtlinie nun nach einer mehrjährigen Übergangsphase nur noch für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden und 450 Millionen Euro Vorjahresumsatz gelten. Damit sind von der aktuellen Richtlinie fast 70% weniger Unternehmen unmittelbar betroffen als zuvor angestrebt wurde, das heißt nur noch rund 5.400 statt 16.400 Unternehmen.
Zahlreiche Investigativrecherchen und Berichte, darunter von NGOs wie der Corporate Europe Observatory (CEO), der European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) und dem Investigativmedium Correctiv weisen den massiven Einfluss von Lobbyist:innen, primär großer Industrie- und Wirtschaftsverbände, auf das EU-Lieferkettengesetz nach. Dabei war es für Lobbyist:innen vorteilhaft, dass Gesetzgebungsprozesse in der EU sehr intransparent ablaufen und die Öffentlichkeit wenig Einblicke in die Beratungen und Verhandlungen bekommt. Die Lobbyingaktivitäten der letzten Jahre haben zu massiven Schlupflöchern im finalen Text der EU-Lieferkettenrichtlinie geführt, durch die sich Unternehmen ihrer Verantwortung entziehen können. Berichte über das Lobbying in den finalen Verhandlungsrunden wurden bislang noch nicht veröffentlicht.
Hauptakteur:innen gegen das EU-Lieferkettengesetz
Als Hauptakteur:innen der Lobbyarbeit gegen das EU-Lieferkettengesetz können unter anderem der europäische Arbeitgeberverband BusinessEurope, der Verband der europäischen Industrie- und Handelskammern (Eurochambres), verschiedene deutsche und französische Unternehmensverbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die französischen Unternehmensverbände AFEP und MEDEF sowie der dänische Arbeitgeberverband DI ausgemacht werden. Österreichische Mitglieder finden sich sowohl bei BusinessEurope (Industriellenvereinigung, IV) als auch bei Eurochambres (Wirtschaftskammer, WKÖ). Zum Europäischen Markenverband AIM gehört auch der MAV, der Österreichische Verband der Markenartikelindustrie.
In Österreich haben sich vor allem die Industriellenvereinigung, die Wirtschaftskammer und Wirtschaftsminister Martin Kocher bis zuletzt gegen das EU-Lieferkettengesetz ausgesprochen. Bedenken wurden insbesondere hinsichtlich möglicher Auswirkungen des EU-Lieferkettengesetzes auf den österreichischen Wirtschaftsstandort und kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ausgesprochen.
Lobbyaktivitäten rund um die
Verhandlungsphasen des EU-Lieferkettengesetzes
Vor dem Gesetzesentwurf – wie das Lobbying seinen Lauf nahm
Recherchen haben gezeigt, dass die Lobbybemühungen von Wirtschaftsverbänden wie BusinessEurope bereits begannen, kurz nachdem der EU-Justizkommissar Didier Reynders im April 2020 angekündigt hatte, 2021 einen Legislativvorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz vorlegen zu wollen. Der angekündigte Rientwurf strebte einen sektorenübergreifenden Ansatz an und sah verbindliche Sorgfaltspflichten, Sanktionen und Klagemöglichkeiten für Betroffene vor. Der europäische Arbeitgeberverband BusinessEurope, einer der offenkundigen Gegner des EU-Lieferkettengesetzes und einer der größten Unternehmenslobbyverbände in Europa, begann bereits ab Juli 2020 damit, auf die vermeintlich negativen Auswirkungen für Unternehmen gegenüber der EU-Kommission und EU-Justizkommissar Didier Reynders hinzuweisen.
Rund um die EU-Konsultation
Im Oktober 2020 startete die EU-Kommission den Konsultationsprozess zum angekündigten EU-Lieferkettengesetz. Während sich einzelne Unternehmen für ein ambitioniertes EU-Lieferkettengesetz aussprachen, waren Wirtschaftsverbände strikt dagegen. Verbände forderten unter anderem die umfassende Anerkennung von freiwilligen Brancheninitiativen. Weitere Forderungen bezogen sich auf eine abgeschwächte Implementierung der Sorgfaltspflichten und die Eliminierung der zivilrechtlichen Haftung. Durch diese könnten Betroffene von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden Entschädigung einklagen. BusinessEurope wurde aufgrund seiner guten Kontakte zur EU-Kommission auch bereits als „Todesstern der Konzernlobby" betitelt.
Der legislative Initiativbericht des Europäischen Parlaments (EP)
Am 10. März 2021 stimmte das Europäische Parlament mit einer breiten Mehrheit, inklusive CDU-Abgeordneten, für den legislativen Initiativbericht des Rechtsausschusses. Dieser ist ein Instrument, mit dem das EU-Parlament die EU-Kommission zum Handeln aufrufen kann. In diesem Bericht forderte das EP einen ambitionierten Gesetzesvorschlag, für den bis auf die Abgeordneten der ÖVP (Ausnahme: Othmar Karas) alle österreichischen EU-Abgeordneten stimmten. Der Vorschlag alarmierte die Wirtschaftslobby. Unter anderem warnte die CDU/CSU-nahe Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) einen Tag nach der Abstimmung in einem Schreiben an das deutsche Wirtschaftsministerium (BMWi) vor der Schwächung der „Erfolge“ des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, woraufhin das BMWi mit der Organisation einer Videokonferenz zur Planung von Maßnahmen Offenheit gegenüber den Forderungen signalisierte. Die MIT war auch maßgeblich an den Lobbybemühungen gegen das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beteiligt.
Reaktion der EU-Kommission und des RSB
Trotz über 100 Anfragen und Einladungen diverser Lobbygruppen nach Veröffentlichung des EP-Berichts reagierten EU-Justizkommissar Reynders und sein Kabinett mit rund 30 Treffen mit Lobbygruppen im Jahr 2021 verhalten. Der Bericht „Inside Job“ sieht in der Zurückhaltung der Generaldirektion Justiz und Verbraucher (GD JUST) einen wesentlichen Grund für die Änderung der Lobbyingstrategien der Wirtschaftsverbände.
Ab März 2021 begannen Lobbyverbände, allen voran der Verband der dänischen Industrie (DI) den Ausschuss für Regulierungskontrolle der EU-Kommission (RSB) zu kontaktieren und ihre Standpunkte und Forderungen zum EU-Lieferkettengesetz anzubringen. Das Regulatory Scrutiny Board (RSB) ist ein EU-Gremium, das dafür zuständig ist, die Folgen der von der EU-Kommission geplanten Gesetze auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt, die Gesellschaft und die Wirtschaft zu überprüfen. Der RSB hat die Möglichkeit, die von der Kommission erstellten Entwürfe zur Folgenabschätzung abzulehnen, wenn es darin wesentliche negative Auswirkungen für die genannten Bereiche sieht. Die Kritik am RSB betrifft primär seine Agenda zur „Besseren Rechtsetzung“, durch die Wirtschaftsinteressen gefördert und Regulierungsversuche geschwächt werden. Das wird auch darin deutlich, dass mehr als 90 % der 23 Treffen des RSB seit 2015 mit externen Akteur:innen mit Vertreter:innen von Wirtschaftsverbänden bzw. wirtschaftsnahen Think-Tanks stattfanden, drei davon mit BusinessEurope. Eine Studie der AK Wien und der Organisation LobbyControl zeigt außerdem einen Mangel an Transparenz und Rechenschaftspflicht des RSB auf, was seine Arbeit sehr intransparent und eine Neuausrichtung seiner Arbeit notwendig macht. Der RSB nahm in diesem Fall zweimal von der Möglichkeit Gebrauch, sein Veto einzulegen und stimmte gegen die Folgenabschätzung der EU-Kommission zum geplanten EU-Lieferkettengesetz, was zu einer Verzögerung des Gesetzesentwurfes um mindestens acht Monate führte.
Lobbyforderungen und -argumente
Forderungen
Die zentralen und immer wieder vorgebrachten Forderungen unterschiedlicher nationaler und europäischer Wirtschaftsverbände bezogen sich sowohl auf die Verwässerung der Sorgfaltsplichten als auch auf die Abschwächung oder gar Abschaffung der zivilrechtlichen Haftung. Durch Zweitere wird sichergestellt, dass Betroffene von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden Entschädigung einklagen können. In Bezug auf die Sorgfaltspflichten forderten Wirtschaftsverbände eine Einschränkung des EU-Lieferkettengesetzes auf die erste Zuliefererstufe (Tier-1) sowie eine Beschränkung des Anwendungsbereiches auf größere Unternehmen. Außerdem sprachen sie sich gegen klimabezogene Sorgfaltspflichten aus und wollten nicht für die Ergebnisse ihrer Sorgfaltspflichten zur Verantwortung gezogen werden können. In Bezug auf die zivilrechtliche Haftung wurde eine „Safe Harbor”-Klausel gefordert, also ein de facto Haftungsausschluss, etwa bei Vorliegen bestimmter Zertifizierungen.
Interessant ist es, die Taktiken und Argumente jener Unternehmen und Verbände zu betrachten, die angeblich ein EU-Lieferkettengesetz unterstützten, es jedoch durch verschiedene Strategien zu schwächen versuchten.
Argumente
Wie der von NGOs verfasste Bericht zum Lobbying zeigte, waren in diesem Kontext Argumente wie die Stärkung von „positiven Anreizen“ für Unternehmen, die Betonung von „pragmatischen Maßnahmen“ und die Anerkennung von Brancheninitiativen zentral. Sowohl einflussreiche Unternehmenslobbygruppen wie der Markenverband AIM und der Wirtschaftsverband Amfori, als auch große Einzelunternehmen wie H&M und Mars, nutzten diese und ähnliche Argumente, um sich nach außen hin als Befürworter:innen eines „machbaren“ EU-Lieferkettengesetzes zu präsentieren, in Wirklichkeit aber versuchten, es durch diese Vorschläge und Forderungen massiv abzuschwächen.
Auch die Schokoladenindustrie mit Akteuren wie der Europäischen Kakaovereinigung (ECA) und Unternehmen wie Mondelez präsentierten sich als Unterstützer:innen. Dabei haben gerade in diesem Sektor bisherige Bemühungen zur Minderung von Missständen, vor allem in Bezug auf Kinderarbeit und Abholzung, kaum gefruchtet. Neben der Stärkung von angeblich erfolgreichen freiwilligen Selbstverpflichtungen und dem Wunsch eines umsetzbaren Gesetzesrahmens ohne „übermäßigen Risiken“ war eine vielfach geäußerte Forderung auch die nach einer „Safe Harbor”-Klausel. Getarnt als Möglichkeit einer stärkeren Anerkennung freiwilliger Selbstverpflichtungen und einem Schutz vor Rechtsunsicherheit und Sanktionsmaßnahmen, sollte es in Wirklichkeit Betroffenen weiterhin erschwert werden, Unternehmen zu verklagen.
Was hinter diesen Argumenten steht
Die Wortwahl und Argumente verschleiern, dass wesentliche Elemente der EU-Lieferkettenrichtlinie durch diese Lobbyingversuche abgeschwächt oder sogar eliminiert werden sollten: mit der Forcierung „positiver Anreize“ sowie „freiwilliger Brancheninitiativen“ sprach man sich indirekt gegen die Verbindlichkeit von menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten aus, die den Kern der Lieferkettenrichtline bilden. Die Kritik an „zu strikten Haftungsregimen“ sowie „rechtlicher Unsicherheit“ kann in erster Linie als der Versuch der Schwächung bzw. Ablehnung der zivilrechtlichen Haftung verstanden werden. Die Idee eines „umsetzbaren“ Gesetzesrahmens impliziert insbesondere eine Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf die erste Zuliefererstufe (Tier-1) und damit die Verhinderung einer umfassenden und wirkungsvollen Risikoanalyse und -minimierung. Um eine wirkungsvolle Umsetzung von Sorgfaltspflichten zu garantieren, ist es wesentlich, dass sich diese auf die gesamte Wertschöpfungskette beziehen und damit der Produktion nachgelagerte Aktivitäten einschließen. Wenngleich diese Argumente mit der Behauptung, das EU-Lieferkettengesetz ‚verbessern‘ zu wollen, vorgebracht wurden – in Wirklichkeit zielten sie auf eine massive Abschwächung der Richtlinie ab.
Ausnahmen für den Finanzsektor
Auch gegen die umfassende Inklusion des Finanzsektors in das EU-Lieferkettengesetz wurde heftig lobbyiert. Während einige Branchenverbände wie die niederländische Bankiersvereinigung die Idee einer solchen Richtlinie unterstützten, stellten sich Finanzdienstleister wie BlackRock von Anfang an gegen den Einbezug der Finanzbranche in das EU-Lieferkettengesetz. Als politischer Hauptakteur kann vor allem der französische Präsident Emmanuel Macron gesehen werden, der sich gemeinsam mit anderen konservativen und liberalen politischen Kräften sowie Lobbyist:innen aus dem Finanzsektor dafür einsetzte, eine Ausnahmeregelung für den Finanzsektor zu erzielen. Letztendlich wurde der Finanzsektor zwar einbezogen, jedoch blieb sein Kerngeschäft in der nachgelagerten Wertschöpfungskette – also Finanzdienstleistungen und -produkte, die an Geschäftspartner verkauft werden und besonders relevant für menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten sind – ausgespart.
Nationale Gesetze nutzen
Unterschiedliche Analysen und Berichte zeigen auf, wie bestehende nationale Gesetze von der Lobby gegen das EU-Lieferkettengesetz instrumentalisiert wurden, um das EU-Lieferkettengesetz schwach zu gestalten oder gar bestehende nationale Gesetze zu verwässern. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat sich beispielsweise zunächst für ein EU-Regelwerk anstatt eines nationalen Gesetzes ausgesprochen. Jedoch waren die Forderungen, die der BDI im Rahmen der Konsultation an die EU-Kommission stellte, so angelegt, dass sie das EU-Gesetz noch schwächer ausgestaltet hätten als das bestehende, nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Unter den Forderungen war auch die Etablierung einer sogenannten „Positivliste“ für ‘unbedenkliche’ Länder wie Kanada oder Australien, die von den Sorgfaltspflichten ausgenommen werden sollen. Die Konsequenz eines nach BDI-Wünschen gestalteten EU-Lieferkettengesetzes wäre nicht nur ein schwacher europäischer Gesetzesrahmen, sondern gleichzeitig die deutliche Schwächung nationaler Regelungen gewesen.
In Frankreich nutzten Konzerne wie TotalEnergies und der Lobbyverband AFEP ihre Erfahrungen mit dem französischen Lieferkettengesetz, um 2020 bei der Generaldirektion Justiz & Verbraucher (JUST) für ein abgeschwächtes EU-Lieferkettengesetz zu lobbyieren. Ab Dezember 2020, als klar wurde, dass ein EU-Lieferkettengesetz jedenfalls von der Kommission vorgelegt werden wird, präsentierte sich AFEP plötzlich als Befürworter eines „pragmatischen“ EU-Lieferkettengesetzes. Die Forderungen, die sich vor allem auf die Verwässerung verbindlicher Sorgfaltspflichten und der zivilrechtlichen Haftung bezogen, sind nicht überraschend: Sowohl TotalEnergies als auch ein Mitglied von AFEP sind im Rahmen des französischen Lieferkettengesetzes aufgrund von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden geklagt worden.
Von Risiko- und Positivlisten
Der deutsche Konzern REWE brachte Ende Dezember 2020 einen eigenen „Vorschlag“ für ein EU-Lieferkettengesetz ein. Die CSDDD sollte sich an der IUU-Verordnung orientieren, einem EU-weiten System zur Bekämpfung illegaler Fischerei. Ein solches Modell würde den Schwerpunkt des EU-Lieferkettengesetzes, ähnlich wie bei der vom BDI geforderten „Positivliste“, von den Unternehmen auf die Staaten verlagern, und den Umfang der Sorgfaltspflichten durch länderspezifische Risikolisten einschränken.
Die deutschen CDU-Abgeordneten Daniel Caspary und Thomas Heilmann forderten im Jänner 2021 ebenfalls ein sogenanntes „digitales Lieferkettenregister“ nach Vorbild der IUU-Verordnung. Auch Wirtschaftsminister Kocher sprach sich für einen sogenannten „Listenansatz“ aus, der Unternehmen in „positive“ und „negative“ Listen aufteilen würde. Die Einbeziehung dieses Ansatzes würde bedeuten, dass der Präventionsaspekt, der mit Sorgfaltspflichten einhergeht, wegfallen würde.
Entwicklungen in Deutschland und Österreich
Eine Correctiv-Recherche vom Jänner 2023 zeigte auf, wie die deutsche Bundesregierung, vor allem die FDP, im Rahmen der Allgemeinen Ausrichtung des Rats im Herbst 2022 eine Abschwächung des EU-Lieferkettengesetzes vorangetrieben hat und damit direkt auf die Forderungen von deutschen Wirtschaftsverbänden eingegangen ist. Insbesondere lobbyierten die FDP und Wirtschaftsverbände wie der Bund Deutscher Industrie (BDI) für die Einführung einer „Safe Harbor”-Klausel. Auch klimabezogene Sorgfaltspflichten sollten eingeschränkt werden, indem keine Sanktionen für Unternehmen gelten sollten, die ihre Klimaziele nicht erreichen. Während die SPD und die Grünen für ein stärkeres Gesetz eintraten, stellte sich insbesondere Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP dagegen. Die FDP und die deutsche Wirtschaftslobby scheinen jedoch erheblichen Einfluss auf die Position der deutschen Bundesregierung genommen zu haben, insbesondere in Bezug auf die Forderungen zur Abschwächung des EU-Lieferkettengesetzes.
Ein weiterer Bericht zeigt, wie ein Großteil der politischen Forderungen aus Positionspapieren und Briefen von Wirtschaftsverbänden, vor allem vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) und dem Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) von Abgeordneten der CDU, CSU und der FDP kopiert wurden. Das betrifft vor allem die Forderung nach einer Beschränkung der Reichweite der Sorgfaltspflichten auf die vorgelagerte Wertschöpfungskette (upstream). Problematisch ist dabei vor allem, dass den Interessen der Wirtschaft durch regelmäßigen Austausch und Treffen mit Regierungsvertreter:innen und Abgeordneten deutlich mehr Beachtung geschenkt wurde als Vertreter:innen der Zivilgesellschaft.
Interessenskonflikte einer CSU-Abgeordneten
Bleibt man beim Lobbying deutscher Europaabgeordneter, so sind besonders die Aktivitäten Angelika Nieblers von der deutschen CSU relevant, die neben ihrer Funktion als Abgeordnete als Vorstandsmitglied bei der TÜV SÜD-Stiftung und in einer „freiberuflichen Tätigkeit“ (Of Counsel) in der US-Anwaltskanzlei Gibson, Dunn & Crutcher aktiv ist, für die sie jeweils rund € 1.000 – 5.000 monatlich verdient. Die TÜV SÜD-Stiftung ist Miteigentümerin des Zertifizierungsunternehmens TÜV SÜD, das im Jahr 2018 durch eine fälschlich ausgestellte positive Prüfung für den Damm in der Eisenerzmine von Brumadinho für dessen Bruch mitverantwortlich war. TÜV SÜD versuchte ebenso, bei EU-Politiker:innen in Bezug auf das EU-Lieferkettengesetz zu lobbyieren. Durch diese Nebentätigkeiten entstehen mehrfach Interessenkonflikte für Angelika Niebler. Diese betreffen Nieblers Funktion als Abgeordnete für das EU-Parlament, vor allem aber ihre Rolle für das CSDDD-Dossier. Auch wenn Niebler die fehlende Unabhängigkeit abstreitet, ist klar ersichtlich, dass die von ihr kurzfristig eingebrachten, zahlreichen Abänderungsanträge mit Vorteilen für TÜV SÜD und dessen Klient:innen verknüpft waren und auch den Interessen der Anwaltskanzlei entgegenkamen.
Öffentliche Debatten in Österreich
Noch im Jahr 2022 hat die ÖVP-Delegationsleiterin im EP, Angelika Winzig, Sorgfaltspflichten nicht per se kritisiert. Die spätere Kritik von ÖVP-Politiker:innen an der CSDDD, war jedoch direkt gegen das EU-Lieferkettengesetz gerichtet. Nachdem am 15.3.2024 im AStV eine Mehrheit erzielt werden konnte, schrieb MEP Angelika Winzig in einer OTS-Aussendung von einem unausgereiften Gesetz und bürokratischen Hürden. MEP Haider (FPÖ) brachte in einer OTS-Aussendung vom 15.12.2023 nicht nur vermeintliche Kritikpunkte an der CSDDD vor (bezüglich Bürokratie, Haftung und Wettbewerbsfähigkeit), sondern diffamierte auch Arbeitslose und Arbeitnehmer:innen. Zudem stellte er notwendige Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise in Frage. Bei den NEOS gab es sowohl Stimmen für und gegen die CSDDD. Sowohl die FPÖ als auch die NEOS änderten im Verlauf des Verhandlungsprozesses zum EU-Lieferkettengesetz ihre Position und stimmten letztendlich dagegen (FPÖ) oder enthielten sich (NEOS).
Darüber hinaus war für die Debatte in Österreich auch eine Studie34 relevant, die vom Kieler Institut für Weltwirtschaft im Auftrag des deutschen Arbeitgeberverbands Gesamtmetall verfasst wurde. Leiter des Kieler Instituts und Mitautor der Studie war zum damaligen Zeitpunkt Gabriel Felbermayr, der aktuell dem österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) vorsteht. Die politischen Empfehlungen des vor einem Jahr gegründeten Lieferketteninstituts (ASCII), sowie die Argumente, die Wirtschaftsminister Martin Kocher gegen das EU-Lieferkettengesetz vorgebracht hat, ähneln den in der Studie vorgebrachten Argumenten.
In der Argumentation werden drei Parallelen deutlich:
- Die Argumentation, dass die CSDDD negative Effekte auf den Globalen Süden haben könnte, auch mit Verweis auf entwicklungspolitische Aspekte.
- Die Forderung nach einem „Listenansatz“
- Der Verweis auf WTO-Recht und Protektionismus (wurde von Minister Martin Kocher am 9.2. in einer APA-Aussendung erwähnt)
Schlussendlich enthielt sich Österreich bei allen Abstimmungen im COREPER und im COMPET zum EU-Lieferkettengesetz.
Position der österreichischen Ministerien
In Österreich sind zwei Ministerien für die EU-Lieferkettenrichtlinie zuständig: Das Bundesministerium für Justiz (BMJ) sowie das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW). Während die grüne Justizministerin Zadić die EU-Lieferkettenrichtlinie von Anfang an unterstützte, kam vonseiten des Arbeits- und Wirtschaftsministers Kocher Ablehnung. In zwei einander widersprechenden Beantwortungen einer parlamentarischen Anfrage zwischen Justiz- und Finanzministerium wurde überdies die Rolle des Finanzministeriums bei der von Bundesminister Kocher gewünschten Ausnahme des Finanzsektors offenbar.
Und was hat das Lobbying gebracht?
Die Lobbying-Bemühungen haben insbesondere im Hinblick auf den eingeschränkten Anwendungsbereich der Richtlinie Wirkung gezeigt, da ein großer Teil der ursprünglich betroffenen Unternehmen im finalen EU-Lieferkettengesetz nicht mehr erfasst ist. Die Reichweite der Sorgfaltspflichten wurde stark eingeschränkt und gilt nur entlang der sogenannten Aktivitätskette. Für die Definition einer solchen wird die vorgelagerte Wertschöpfungskette und einzelne Teile der nachgelagerten Wertschöpfungskette verwendet. Bezüglich der nachgelagerten Wertschöpfungskette gibt es jedoch große Schlupflöcher. Der Finanzsektor ist weitestgehend nicht erfasst. Es gibt keine Klimasorgfaltspflichten. Allerdings beinhaltet das EU-Lieferkettengesetz Vorschriften für einen Klimaplan. Positiv zu sehen ist, dass die zivilrechtliche Haftung sowie Verbesserungen für Betroffene hinsichtlich des Zugangs zum Recht in der Richtlinie enthalten sind. Die Safe-Harbor-Klausel wurde entgegen den Interessen der Wirtschaft nicht in das EU-Lieferkettengesetz einbezogen.
Fazit
Während der gesamten Verhandlungs- und Abstimmungsphase des EU-Lieferkettengesetzes wurde erhebliches Lobbying betrieben, um die Richtlinie abzuschwächen und zu verwässern. Die größten und einflussreichsten Akteure in diesem Lobbying waren große europäische Wirtschaftsverbände. Neben diesen Verbänden und bestimmten Unternehmen lobbyierten auch Politiker:innen, insbesondere von der CDU/CSU und der FDP, gegen das EU-Lieferkettengesetz. Das Regulatory Scrutiny Board (RSB) der EU-Kommission hat zwar selbst keine aktive Lobbyarbeit betrieben, kann jedoch aufgrund seiner wirtschaftsnahen Interessen als ein wesentlicher Faktor für die Durchsetzung von Lobbying-Bemühungen angesehen werden. Durch die Lobbying-Bemühungen wurde die Richtlinie in wesentlichen Bereichen verwässert und abgeschwächt, nicht zuletzt durch die eingeschränkte Definition der Wertschöpfungskette.
Die Einflussnahme rund um das EU-Lieferkettengesetz macht deutlich, wie stark Lobbyarbeit politische Entscheidungen beeinflussen kann, was die Notwendigkeit einer ausgewogenen und transparenten Entscheidungsfindung und der Vermeidung von Interessenskonflikten unterstreicht. Für den Prozess der nationalen Umsetzung des EU-Lieferkettengesetzes wird es daher zentral sein, den Einfluss der Wirtschaftslobby zu begrenzen und sicherzustellen, dass die auf EU-Ebene beschlossenen Mindestvorgaben auf nationaler Ebene möglichst ambitioniert umgesetzt werden, um ein starkes, nationales Lieferkettengesetz zu gewährleisten.
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