Frachtcontainer im Hafen von Le Havre. Frankreich
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24.5.2024

Durchbruch bei EU-Lieferkettengesetz: Zeit für Unternehmensverantwortung!

Nach einem langen Verhandlungskrimi gelang am 24. April 2024 endlich der Durchbruch: Das EU-Parlament stimmte in seiner letzten Sitzung vor dem Ende der Legislaturperiode mit einer breiten Mehrheit für das EU-Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz: CSDDD). 

AK Expertin Julia Wegerer

AK Expertin Julia Wegerer: „Endlich müssen Unternehmen Verantwortung für ihre Lieferketten übernehmen.“

EU-Parlament stimmt für verbindliche Regeln

Noch wenige Wochen zuvor war völlig unklar, ob es noch zu einer Einigung kommen würde. Denn obwohl bereits im Dezember 2023 ein von allen Seiten fertig ausverhandelter Kompromisstext vorlag, wurden bei der Abstimmung im EU-Ministerrat im Februar 2024 nicht die erforderlichen Mehrheiten erreicht. Zurückzuführen ist das auf massives Lobbying der Wirtschafts- und Industrieverbände sowie der plötzlichen Ankündigung Deutschlands, sich bei der Abstimmung zu enthalten.

Auch Österreich zählte zu den Ländern, die das EU-Lieferkettengesetz im EU-Ministerrat nicht unterstützten: Wirtschafts- und Arbeitsminister Kocher enthielt sich ebenfalls bei der Abstimmung, was einer Gegenstimme gleichkommt. Die ablehnende und nicht konstruktive Haltung Kochers im gesamten Verhandlungsprozess wurde von AK und ÖGB heftig kritisiert.

Trotz Zugeständnissen …

Im Zuge des Verhandlungsprozesses wurde der Kompromisstext an verschiedenen Stellen abgeschwächt und verwässert. Insbesondere der Anwendungsbereich der Richtlinie wurde stark eingeschränkt.

So sind künftig nur sehr große Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem Nettojahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro erfasst. Im Gegenzug enthält der Vorschlag eine Gruppenregelung (Unternehmen sind erfasst, wenn die Gruppe insgesamt die Schwellenwerte erreicht) sowie eine Erfassung von Unternehmen, die Franchise- oder Lizenzvereinbarungen vergeben und über Lizenzgebühren mehr als 22,5 Millionen Euro einnehmen und dabei einen Nettojahresumsatz von mehr als 80 Millionen Euro erzielen.

Auch nicht-europäische Unternehmen sind erfasst, wenn sie die jeweiligen Umsatzschwellenwerte in der EU erreichen.

Gestaffelt nach Unternehmensgröße sollen die Verpflichtungen der Richtlinie zwischen 3 und 5 Jahren ab dem Inkrafttreten der EU-Richtlinie zur Anwendung kommen. Konkret bedeutet das, dass die Unternehmen die Zeit bis 2027-2029 intensiv nutzen sollten, um dann den Anforderungen der Richtlinie zu entsprechen. EU-weit werden insgesamt nur etwa 5.500 Unternehmen direkt von der Richtlinie erfasst sein, also bedeutend weniger als vom ursprünglichen Vorschlag, der in etwa 16.000 Unternehmen erfasst hätte.  

Abschwächungen erfolgten auch bei der Definition der Wertschöpfungskette (im EU-Richtlinien-Sprech: Aktivitätskette), die darüber entscheidet, wo in ihren Wertschöpfungsketten Unternehmen hinsehen und kontrollieren müssen. Bei der nachgelagerten Aktivitätskette sind etwa die Verwendung und das Recycling von Produkten und/oder Dienstleistungen ausgenommen. Ein besonders heikler Punkt ist die Ausnahme von Finanzunternehmen bei der Ausübung von Sorgfaltspflichten für ihre nachgelagerte Lieferkette. AK und ÖGB kritisieren diese Ausnahme heftig, geht es dabei doch darum, dass der Finanzsektor weiterhin Finanzierungen gewähren kann, ohne zu überprüfen, was mit diesen Geldern geschieht. Der Finanzsektor stellt einen erheblichen Hebel dar, um die Einhaltung von Menschenrechten zu gewährleisten. So finanzieren Investmentbanken beispielsweise globale unternehmerische Tätigkeiten großer Agrar- oder Bergbaukonzerne.

… ein Paradigmenwechsel 

Trotz dieser Einschränkungen ist die Annahme des EU-Lieferkettengesetzes doch als Paradigmenwechsel zu sehen. Künftig werden große Unternehmen dazu verpflichtet, Verantwortung für die Auswirkungen ihres Handelns auf Mensch und Umwelt entlang globaler Lieferketten zu übernehmen.

In einem mehrstufigen Prozess müssen große Unternehmen ihre Lieferketten auf mögliche Verletzungen von Menschen- und Arbeitsrechten sowie Risiken im Hinblick auf Umweltzerstörung prüfen. Anhand des Ergebnisses der Prüfung sind sodann angemessene Maßnahmen zu setzen, um bestehende Verletzungen abzustellen und Risiken für künftige Verletzungen zu minimieren. Diese Sorgfaltspflichten sind als kontinuierlicher Prozess zu verstehen, die regelmäßig auf ihre Effektivität hin zu bewerten sind. Über die Umsetzung der Sorgfaltspflichten müssen die Unternehmen öffentlich berichten. 

Außerdem müssen Unternehmen einen Klimaplan umsetzen, der sicherstellt, dass die Unternehmensstrategie und das Unternehmensmodell mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C gewährleistet werden sollen. 

Zur Kontrolle der Einhaltung der neuen Regeln wird eine staatliche Behörde eingerichtet, die Strafen verhängen kann. Außerdem wird es in engem Rahmen die Möglichkeit für Betroffene geben, bei Gericht Klagen einzubringen. 

Ein großer Erfolg, doch es bleibt viel zu tun  

Ab dem Inkrafttreten der EU-Richtlinie haben die EU-Mitgliedstaaten zwei Jahre lang Zeit, die Regelungen in nationales Recht umzusetzen. Die künftige Bundesregierung ist damit am Zug, eine rasche und wirksame Umsetzung der Regelung sicherzustellen. Die EU-Richtlinie ist dabei als Mindeststandard zu verstehen: Das gibt die Möglichkeit, die im Zuge des europäischen Verhandlungsprozesses entstandenen Schlupflöcher zu schließen.  

Zugleich ist es für die EU jetzt höchst an der Zeit, sich weltweit für menschenwürdige Arbeitsbedingungen stark zu machen: Seit 2014 wird auf UN-Ebene über ein verbindliches internationales Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten verhandelt. Die EU hat sich bislang nicht aktiv in die Verhandlungen eingebracht, weil sie über kein Verhandlungsmandat verfügt. Nach Abschluss der Verhandlungen über ein EU-Lieferkettengesetz muss sich das ändern: Damit Sozial- und Umweltdumping keinen Wettbewerbsvorteil mehr darstellen kann, braucht es Mindeststandards für alle Unternehmen.

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