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2024 war ein weltweites Superwahljahr. Rund 3 Milliarden Menschen konnten in ihren Ländern ihre Vertreter:innen neu wählen. Allerdings: Die Möglichkeit, wirklich frei zwischen mehreren Wahlbewerber:innen entscheiden zu können, geht in vielen Ländern deutlich zurück. Untersuchungen zeigen, dass Demokratien in vielen Regionen immer stärker unter Druck geraten. Auch die Europäische Union ist dabei keine Ausnahme.
Autor Frank Ey
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Nicht nur die EU-Wahlen fanden letztes Jahr in Europa statt, sondern auch in mehreren Mitgliedstaaten waren die Bürger:innen zu den Wahlurnen aufgerufen: So beispielsweise in Portugal, Belgien, Rumänien, Kroatien, Litauen und Österreich. Kurzfristig kamen mit Deutschland und Frankreich auch noch die beiden größten Volkswirtschaften in der EU hinzu. In allen Ländern verzeichneten rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppierungen starke Stimmenzuwächse.
In Frankreich konnte die Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen im ersten Wahlgang mit einem Stimmanteil von mehr als 33 Prozent um 5 Prozentpunkte mehr Stimmen erringen als das zweitplazierte linke Bündnis Nouveau Front Populaire (NFP). Nur aufgrund des Mehrheitswahlrechts und damit verbunden einer Stichwahl zwischen den Kandidat:innen mit einem Stimmenanteil von mehr als 12,5 Prozent konnte die NFP stärkste Kraft im französischen Parlament werden, gefolgt von Macrons Ensemble pour la République. Die RN fand sich auf dem dritten Platz wieder.
In Österreich hingegen wurde die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) bei den Wahlen im Juni 2024 stimmenstärkste Partei. Nachdem sich die FPÖ jedoch mit der Österreichischen Volkspartei nicht auf eine Koalition einigen konnte, blieb jedoch auch sie – wie schon die französische RN – auf der Oppositionsbank.
Beim Urnengang in Deutschland im September 2024 wiederum kam die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) hinter der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) auf Platz zwei. Zu Regierungsehren kam die AfD aber ebenfalls nicht, weil keine einzige der anderen im deutschen Bundestag vertretenen Parteien mit ihr zusammenarbeiten möchte.
In anderen Ländern der EU sitzen populistische bis rechtsextreme Parteien bereits in Regierungen. Das bekannteste Beispiel ist Italien mit Giorgia Meloni von der Fratelli d’Italia in der Funktion als Ministerpräsidentin. In den Niederlanden gibt es nun eine Koalition unter maßgeblicher Beteiligung von Geert Wilders radikal rechter Partei voor de Vrijheid (PVV). In Belgien wiederum stellt seit Februar 2025 erstmals die flämische rechtsnationale Partei N-VA mit Bart de Wever den Premierminister.
In der Öffentlichkeit kaum bekannt ist, dass rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien bereits sechs Premierminister:innen stellen. In fünf weiteren EU-Ländern sind rechte Fraktionen in die Regierungsarbeit eingebunden. Im Rat stellt der Flügel rechts der Konservativen damit bereits einen ganz erheblichen Faktor dar. Zum Vergleich: Die Sozialdemokrat:innen stellen nur vier Premiers im Europäischen Rat, die Liberalen ebenfalls vier. Nach wie vor dominieren konservative Premiers auf Ratsebene und stellen dreizehn Ministerpräsident:innen.
Auch auf Ebene des Europäischen Parlaments gab es eine ähnliche Entwicklung wie im Rat. Rechtspopulistische bis -extreme Parteien stellen nun rund 26 Prozent der EU-Abgeordneten, die sich auf drei Fraktionen aufteilen: Die „Patriots for Europe“, in der auch die FPÖ wiederzufinden ist, die „Europäischen Konservativen und Reformer“ mit beispielsweise der italienischen Fratelli d’Italia und die Gruppe „Europa der Souveränen Nationen“ mit der AfD als prominente Vertreterin. Sie verfügen zusammen über 187 Abgeordnete, damit nur einen weniger als die größte Fraktion, die Europäische Volkspartei (EVP). Die Gruppe der Europäischen Sozialdemokrat:innen als zweitstärkste Fraktion hinter der EVP hält im Vergleich dazu nur 136 Mandate.
Damit sind bei Abstimmungen neue Konstellationen zur Erreichung einer Mehrheit möglich. Die neuen Koalitionen zeigten sich bereits im Herbst 2024 anlässlich der Verschiebung der EU-Entwaldungsverordnung. Diese wurde in der letzten Legislaturperiode beschlossen, aber aufgrund des Drucks der Branche sowie von Drittstaaten von der Kommission wieder geöffnet. Während die Kommission ausschließlich vorschlug, die Verordnung um ein Jahr zu verschieben, votierte das Europäische Parlament dafür, weitere Ausnahmebestimmungen für Unternehmen einzuarbeiten. Eine Mehrheit für die Wünsche der betroffenen Unternehmen fand die EVP zusammen mit den Fraktionen, die politisch rechts von ihr stehen. Die Abgeordneten der anderen Fraktionen und Umwelt-NGOs zeigten sich entsprechend entsetzt.
Wechselnde Mehrheiten sind in Demokratien grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Bedenklich wird es jedoch, wenn eine große Anzahl von Gesetzen, die gerade erst im Rahmen eines demokratischen Prozesses beschlossen wurden, bei der erstbesten Gelegenheit im Eilverfahren wieder rückgängig gemacht werden sollen. Im Rahmen des sogenannten Omnibus-Verfahrens (siehe auch den Artikel zu Omnibus in dieser Ausgabe des EU-Infobriefs) sollen nach dem Willen der Europäischen Kommission und insbesondere von Unternehmensvertretungen ganze Maßnahmenpakete im Rahmen des Grünen Deals gestrichen und/oder verwässert werden. Betroffen davon sind unter anderem die Sozial- und die Umweltberichterstattung sowie die Anwendung von Sorgfaltspflichten durch Unternehmen (EU-Lieferkettengesetz). Haftungs- und Kontrollbestimmungen sollen gestrichen werden, was der Aushöhlung von Nachhaltigkeitsbestimmungen gleichkommt. Das Inkrafttreten der verbleibenden Regelungen soll darüber hinaus um zwei Jahre verschoben werden. Ein Vorgang, den es seit Bestehen der Europäischen Union noch nie gab und der allen bisherigen demokratiepolitischen Konventionen zuwiderläuft.
Genauso brisant ist das Verhalten des Europäischen Parlaments beim Kampf gegen Korruption. In den letzten Jahren gab es gleich mehrere Korruptionsfälle, bei denen Abgeordnete und ihre Mitarbeiter:innen im Verdacht standen, sich gegen Informationen und andere Gefälligkeiten bestechen zu lassen. Dabei geht es insbesondere und immer wieder um Kontakte zu Russland und China. So gab es Einflussversuche seitens des chinesischen Technologiekonzerns Huawei, die von Transparency International bereits 2022 aufgedeckt wurden. Bis zu fünfzehn EU-Abgeordnete sollen in diese Bestechungsversuche verwickelt gewesen sein. Es folgte Katargate. EU-Mandatar:innen sollen dabei von Marokko und Katar Geld erhalten haben, um im Sinne dieser Staaten tätig zu werden. Während des Wahlkampfs zu den EU-Wahlen wurde ein weiterer Fall von möglicher Spionage durch China publik: Ein Assistent eines AfD-Abgeordneten soll Informationen über chinesische Dissident:innen an Vertreter:innen aus China weitergegeben haben. Ein Mitarbeiter des Büros des AfD-Mandatars steht zudem auch im Verdacht der Spionage für Russland.
Umso bemerkenswerter ist, dass nun der sogenannte Ethikrat, der für die Verfolgung von Korruption zuständig wäre und auch Sanktionen verhängen könnte, noch immer nicht eingesetzt wurde, obwohl sich alle EU-Institutionen im April 2024 in einer Vereinbarung zu diesem Rat bekannt haben. Doch im Europäischen Parlament wird die Einsetzung des Ethikrats mit den Stimmen der Europäischen Volkspartei und den Fraktionen rechts der Konservativen seit Monaten blockiert. Demokratiepolitisch ist das ein Alarmsignal, weil bekannt ist, dass insbesondere Russland über etliche Kanäle versucht, die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer zu destabilisieren.
Zuletzt schaffte es Russland beinahe, den kaum bekannten Kandidaten Georgescu in Rumänien zum Staatspräsidenten zu machen. Die Wahl wurde jedoch vom Obersten rumänischen Gerichtshof annulliert, nachdem zahlreiche Ungereimtheiten und eine Desinformationskampagne mit Ursprung Russland deutlich wurden. Die Wahlwiederholung am 4. Mai 2025 ergab nun einen Sieg für den Rechtsextremen George Simion, der demonstrativ Georgescu unterstützte und sich gegen eine weitere Unterstützung der Ukraine durch die EU angesichts der Aggression Russlands stellte. Bei Redaktionsschluss gab es noch kein Ergebnis von der Stichwahl. Sollte Simion gewinnen, wäre das eine weitere Hiobsbotschaft für die Ukraine, die derzeit über Rumänien Waren- und Waffenlieferungen von Unterstützerländern erhält.
Neueste Untersuchungen zeigen auf, dass Demokratien weltweit auf dem Rückzug sind. Gerade Osteuropa, Süd- und Zentralasien verzeichnen die schärfsten Rückgänge. Drei von vier Personen leben weltweit in autoritären Regimen und Diktaturen. Per 2024 stehen 88 Demokratien 91 Autokratien gegenüber. Dabei sind die letzten Entwicklungen aus dem Jahr 2024 noch gar nicht mitberücksichtigt. Wie die Autor:innen des Demokratieberichts die USA nun einstufen, bleibt abzuwarten.
Gerade für die Europäische Union bedeutet das neue Regime in den USA jedenfalls eine Zäsur: Denn nicht nur aus Russland, sondern nun auch aus den USA ist eine teils massive Einflussnahme auf Wahlen in einzelnen europäischen Ländern festzustellen. Während Russland verdeckt über verstecke Geldflüsse an einzelne Parteien und Politiker:innen sowie einschlägigen Social Media-Einschaltungen agiert, Elon Musk, ein einflussreicher Berater von US-Präsidenten Donald Trump, mittels Meldungen auf der Plattform X und hoher Geldspenden für rechtsextreme bzw -populistische Parteien Einfluss auf den Ausgang von Wahlen in Europa zu nehmen. So hat Musk in Deutschland unter anderem die rechtsextreme Partei AfD aktiv unterstützt und in Großbritannien die Partei Reform UK von Nigel Farage, die ebenfalls dem rechten Spektrum zuzuordnen ist.
Eine große Gefahr für Demokratien stellen zudem Cyberattacken dar. Bereits 2017 informierte der damalige NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg über einen massiven Anstieg von Cyberattacken, die zu einem Großteil von staatlichen Institutionen anderer Länder kämen. Seine Befürchtung damals: Hacker könnten versuchen, sich in nationale Wahlkämpfe einzumischen und Demokratien damit unterminieren. Die Bedrohungslage hat sich seither weiter verschärft. Cyberexpert:innen informieren darüber, dass Diktaturen wie Russland, China, Nordkorea und Iran ihre digitale Zusammenarbeit intensivieren – ein weiteres Alarmsignal für die Europäische Union.
Die Europäische Union hatte jahrelang Zeit, gegen diese demokratiepolitischen Gefahren vorzugehen. Tatsächlich hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen auch schon in ihren Leitlinien für die künftige Europäische Union 2019 – 2024 angekündigt, einen Aktionsplan für Demokratie vorzulegen und gegen Desinformation und Hetze im Internet vorzugehen.
Leider kamen ausgerechnet die Vorschläge für Maßnahmen zur Verteidigung der Demokratie viel zu spät, nämlich ein halbes Jahr vor den EU-Wahlen. Sowohl die Richtlinie, die einen Schutz gegen Einflussnahme aus Drittstaaten bieten sollte, und eine weitere Initiative zum Schutz vor Cyberbedrohungen und wahlbezogenen Informationen sind bis heute nicht in Kraft und hätten für die Mitgliedstaaten zudem nur Empfehlungscharakter.
Ein Instrument hat sich in der letzten Legislaturperiode als recht wirkungsvoll erwiesen: Das Rechtsstaatlichkeitsinstrument, das Förderungen aus dem EU-Budget mit der Einhaltung von Grundprinzipien der Demokratie koppelt, hat dazu geführt, dass sich Länder wie Polen und Ungarn gezwungen sahen, ihre nationale Gesetzgebung so weit anzupassen, dass sie mit den demokratischen Grundprinzipien übereinstimmt. Dennoch blieb ein zweistelliger Mrd.-Betrag für Ungarn eingefroren. 2024 gab Von der Leyen jedoch mehr als 10 Mrd. € an Förderungen für Ungarn frei. Der Verdacht: Die EU-Kommissionspräsidentin hat sich von Orbán erpressen lassen, um eine Zustimmung für ein Hilfspaket für die Ukraine zu bekommen. Das Europäische Parlament antwortete mit einer Klage gegen die Europäische Kommission – ein überaus seltener Schritt.
Mit den EU-Wahlen hat sich jedoch alles geändert. Von der Leyen, jahrelang um Distanz zu Rechtspopulist:innen bemüht, als auch Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament arbeiten nun mit Gruppierungen zusammen, die weit rechts von der EVP stehen. Ob diese 180 Grad-Wende hilft, die Demokratien in Europa zu stärken?
Gerade in Zeiten, in denen Demokratien immer stärker unter Druck stehen, braucht es entschlossene Maßnahmen, um gegen Populist:innen und autoritäre/autokratische Regime zu bestehen. Auch in ihrem neuen Regierungsprogramm verspricht EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen Schritte zu setzen, um Demokratien zu stärken und die Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen.
Die politische Praxis zeigt jedoch, dass es nicht nur innerhalb der Europäischen Union, sondern auch im Außenauftritt an der entsprechenden Entschiedenheit der Kommissionspräsidentin und ihrer Außenbeauftragten Kaja Kallas fehlt. Die aggressive Agitation Musks anlässlich der Wahlen in Deutschland und die wiederholte Unterstützung von europäischen Rechtsaußen-Parteien wurde von der EU-Spitze mit keinem Wort kommentiert, obwohl diese vor den Gefahren ausländischer Einflussnahme gewarnt und eine eigene Richtlinie dazu vorgeschlagen hat.
Seit Donald Trump zum zweiten Mal das Amt des US-Präsidenten übernommen hat, besteht nach innen wie nach außen der Eindruck, dass seine Politik vor allem aus Einschüchtern und Drohen besteht. Gegenüber Panama drohte er, sich den Panama-Kanal zurückzuholen. Bezüglich Kanada träumt er von dem Land als 51. Bundesstaat. Aus europäischer Sicht am beängstigendsten ist jedoch die wiederholte Ankündigung, Grönland annektieren zu wollen, und das notfalls mit militärischer Gewalt. Von EU-Seite ist bezüglich dieser Drohung kaum etwas zu hören. Nur Dänemark äußerte sich empört bezüglich der US-Annexions-Pläne.
Einzig bezüglich der Zölle zeigte die Europäische Union kurz ihre (Milch-)Zähne und drohte mit Gegenmaßnahmen. Das hielt die EU aber nicht lange durch: Die Kommission bot nun an, den USA Waren im Wert von 50 Mrd. € abzukaufen, vor allem Flüssiggas und Sojabohnen.
Ob diese Art der Diplomatie gegenüber autoritären Systemen angebracht ist, muss stark bezweifelt werden. Was der Europäischen Union fehlt, ist ein geschlossenes und entschiedenes Auftreten. Ein freundliches Lächeln während das Pendant die Funktionsträger:innen herablassend behandelt, ist eindeutig nicht der richtige Umgang mit diesem Schlag von Autokratien.
Die Demokratien stehen derzeit weltweit unter Druck. Mittlerweile gibt es mehr Diktaturen und Autokratien als Demokratien. Für autoritäre Regime sind heutzutage keine Staatsstreiche mehr nötig: Der massive Einsatz von „sozialen“ Medien und das Verbreiten von Desinformation ist wesentlich erfolgversprechender.
Die Europäische Union hat das Problem zwar bereits 2019 richtig erkannt, es aber völlig verabsäumt, umgehend zielgerichtete Maßnahmen zu ergreifen. Das Ende 2023, also ein halbes Jahr vor dem Ende der EU-Legislaturperiode veröffentlichte EU-Demokratiepaket, kommt viel zu spät.
Will die EU weiterhin ernst genommen werden, müssen die höchsten Vertreter:innen der EU nun schleunigst entschiedener gegen autokratische Systeme auftreten und sich (neue) Allianzpartner:innen suchen. Tut sie es nicht, droht die EU zwischen Autokratien und Diktaturen aufgerieben zu werden.
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