Ak Infobrief 4|24: Wegerer: Just Transition – Die neue EK in die Pflicht nehmen
Ak Infobrief 4|24: Wegerer: Just Transition – Die neue EK in die Pflicht nehmen © AK WIEN
Dezember 2024

Niemanden zurücklassen: Die neue EU-Kommission für eine „Just Transition“ in die Pflicht nehmen

Eine zentrale Forderung der Gewerkschaften an die neue EU-Kommission lautet: Dem gerechten Übergang zur Klimaneutralität muss Vorrang eingeräumt werden. Denn was es jetzt braucht, ist ein umfassender europäischer Just Transition-Rahmen, der die spürbaren Veränderungen in Europas Wirtschaft und Industrie beschäftigungs- und sozialpolitisch antizipiert und begleitet. Noch ist es nicht zu spät, die grüne Wende sozial gerecht zu gestalten und tiefgreifende soziale Verwerfungen zu verhindern.

Autorin: Julia Wegerer

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Über die Autorin

Julia Wegerer ist Referentin in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien und befasst sich mit europapolitischen Fragestellungen.

Kurz und Knapp

  • Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass die grüne Wende sozial gerecht erfolgen muss:  nur so stößt sie auf breite Akzeptanz und gelingt ihre politisch nachhaltige Verankerung.  
  • Im Gegensatz zum Europäischen Grünen Deal mit all seinen verbindlichen Umweltrechtsakten wird die soziale Dimension der Transformation im Vagen  gehalten.
  • Ob der gerechte Übergang gelingt, ist nicht zuletzt eine Frage des Geldes.
  • Die sogenannte Just Transition-Richtlinie muss den gerechten Übergang in der Arbeitswelt sichern. Denn die betroffenen Beschäftigten verlangen nach vorausschauender Politik, aktiver Gestaltung der grünen Wende sowie konkreten Zukunftsaussichten.

Es bleibt beim „Ja“ zur grünen Wende

Die EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen hält in ihren politischen Leitlinien für die EU-Legislaturperiode 2024-2029 fest: Das Ziel zur Klimaneutralität bis 2050 bleibt. Der Weg zur Klimaneutralität soll mit der gesetzlichen Verankerung eines neuen Zwischenziels bis 2040 untermauert werden, bis dahin sollen 90 % der Treibhausgasemissionen eingespart sein. Dieses Zwischenziel hat die alte EU-Kommission im Februar 2024 in einer Empfehlung ausgesprochen und soll 2025 im EU-Klimagesetz verankert werden.

Zugleich stellt die EU-Kommission aber fest, dass die EU-Mitgliedsstaaten und insbesondere auch Österreich noch nicht genug Anstrengungen zur Erreichung der Klimaziele unternommen haben. Aus heutiger Sicht ist bereits das erste Zwischenziel, die Senkung der Emissionen bis 2030 um 55 %, vom Scheitern bedroht. Dabei wird das „Ja“ zur grünen Wende von der Bevölkerung in Österreich mitgetragen: Eine kurz vor der Nationalratswahl durchgeführte Umfrage zeigte, dass quer über alle Wähler:innengruppen hinweg konkrete Klimaschutzmaßnahmen wie etwa weniger Bodenversiegelung, Gebäudesanierung, Bekämpfung des Fachkräftemangels, der Ausbau erneuerbarer Energien und das Ende der finanziellen Förderung klimaschädlicher Produkte von einer breiten Mehrheit befürwortet werden. 74 % der befragten Menschen sagen dezidiert, dass ihnen Klimaschutz ein wichtiges Anliegen sei.

Wenn die grüne Wende aber von den Menschen unterstützt und von der EU-Politik forciert wird, wieso gelingt es bis dato nicht, dem Willen ausreichend Taten folgen zu lassen?  

Klimapolitik ist Sozialpolitik

Ein Grund dafür ist darin zu sehen, dass (unter anderem) die EU es bisher verabsäumt hat, den Europäischen Grünen Deal mit einem umfassenden beschäftigungs- und sozialpolitischen Rahmen zu flankieren. Im Gegensatz zum weitreichenden Europäischen Grünen Deal mit all seinen verbindlichen Umweltrechtsakten wird die soziale Dimension der Transformation völlig unzureichend adressiert. Seit der Verkündung des Europäischen Grünen Deals im Jahr 2019 erklärte zwar EK-Präsidentin Von der Leyen wiederholt, dass bei der grünen Wende niemand zurückgelassen werden dürfe („leave no one behind“). Die Präsidentin der EU-Kommission hat offenbar das Bewusstsein dafür, dass die grüne Wende sozial gerecht erfolgen muss, um einerseits von der breiten Bevölkerung akzeptiert zu werden und andererseits auch politisch nachhaltig zu sein. Doch realpolitisch folgten diesen Worten bisher nur wenige Taten.

Eingeführt wurden der Just Transition Mechanismus mit dem Just Transition Fonds sowie der Klima-Sozialfonds: Beide stellen finanzielle Mittel bereit, um gewisse sozioökonomische Auswirkungen des Strukturwandels abzufedern. So sollen mit dem Just Transition Mechanismus als Kohäsionsinstrument bestimmte Regionen in Europa, die am stärksten vom Übergang in eine klimaneutrale Zukunft betroffen sind wie etwa Kohleabbaugebiete, für einen nachhaltigen Strukturwandel unterstützt werden. Der Fonds ist befristet für den Zeitraum von 2021-2027 eingerichtet worden und soll insgesamt 55 Milliarden Euro mobilisieren. Der Klima-Sozialfonds hingegen soll ab 2026 bis 2032 zusätzliche Belastungen für benachteiligte Haushalte, Kleinstunternehmen und Verkehrsnutzer:innen abfedern, die durch die Erweiterung des EU-Emissionshandelssystems auf die Bereiche Gebäude und Verkehr erfolgen. Die Mittel werden einerseits aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten und andererseits aus einem Zuschuss durch die Mitgliedsstaaten generiert. 

Zudem veröffentlichte der Rat am 16. Juni 2022 eine (unverbindliche) Empfehlung zur Sicherstellung eines gerechten Übergangs zur Klimaneutralität, der sich insbesondere an die Mitgliedsstaaten richtet und einen Leitfaden darstellt, welche sozial- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen zur Transformation der Wirtschaft notwendig sind. In einer ersten Evaluierung zur Umsetzung der genannten Maßnahmen hielten der Beschäftigungs- und der Sozialausschuss im November 2023 insbesondere fest, dass „Mitgliedsstaaten begonnen haben, sich mit den komplexen Herausforderungen der grünen Wende zu beschäftigen“, jedoch die meisten Mitgliedsstaaten sich trotz eines „starken politischen Commitments zu einer fairen grünen Wende“ noch in der „frühen Phase der Umsetzung der Empfehlung“ befänden.

Die bisher gesetzten Finanzierungsmaßnahmen sind bruchstückhaft, befristet und reaktiv, die Ratsempfehlung unverbindlich und werden den Herausforderungen schlicht nicht gerecht. Angesichts der Tatsache, dass jeder Strukturwandel neben Chancen auch Risiken und die Gefahr tiefgreifender sozialer Verwerfungen birgt und sich diese bereits jetzt zu manifestieren drohen, ist die EU-Kommission dringend gefragt, den Strukturwandel in Wirtschaft und Industrie durch eine aktive Wirtschaftspolitik zu antizipieren, zu planen und zu begleiten, um ein „change by disaster“ zu vermeiden und stattdessen mit einem „change by design“ eine (immer noch mögliche) positive Zukunftsvision zu entwerfen.

Der gerechte Übergang als gesamtheitlicher Ansatz

Damit der Übergang gerecht erfolgt, muss er in allen Politikbereichen mitgedacht und umgesetzt werden. Es ist zu begrüßen, wenn Von der Leyen in ihren politischen Leitlinien schreibt, dass „die Menschen und ihre Arbeitsplätze stets im Mittelpunkt unserer sozialen Marktwirtschaft stehen [müssen], auch wenn sich unsere Industrien und Volkswirtschaften verändern.“ Es reicht aber nicht aus, den gerechten Wandel zu erwähnen, er muss in seiner gesamtheitlichen Relevanz für den sozial-ökologischen Umbau gesehen und als Querschnittsmaterie in allen Gesetzesakten rund um die Umsetzung des Grünen Deals berücksichtigt werden. 

Die Diskursverschiebung, die sich seit der neuen Zusammensetzung der EU-Institutionen deutlich zeigt, lässt aber Zweifel daran aufkommen, dass dem gerechten Übergang die ihm zukommende Bedeutung tatsächlich eingeräumt wird. War die Verwirklichung eines klimaneutralen, grünen, fairen und sozialen Europas noch dezidierte Priorität der vergangenen Legislaturperiode, so dominieren jetzt die Themen Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau den Diskurs. Hier gilt es zu verhindern, dass bereits erkämpfte Arbeitnehmer:innenrechte durch ein enggefasstes Wettbewerbsverständnis oder im Rahmen von vermeintlichem „Bürokratieabbau“ zur Disposition gestellt werden.

Mit großer Spannung zu erwarten sind daher Vorhaben der EU-Kommission wie etwa der Aktionsplan zur Umsetzung der Säule sozialer Rechte, der Fahrplan für hochwertige Arbeitsplätze und der neue Pakt für den europäischen sozialen Dialog, der bereits Anfang 2025 vorgelegt werden soll. Denn neue grüne Jobs sind nicht per se hochwertig, weil sie den künftigen Bedürfnissen am Arbeitsmarkt entsprechen. Um hochwertige Arbeitsplätze sicherzustellen, müssen Arbeitsrechte gestärkt, umgesetzt und klimafit ausgestaltet werden. Kollektivverhandlungen müssen sichergestellt und angemessener sozialer Dialog gestärkt werden, Beschäftigte und ihre Vertretungen müssen wirksam in alle sie betreffenden Maßnahmen des gerechten Wandels einbezogen werden.

Eine Frage des Geldes

Ob der gerechte Übergang gelingt, ist aber vor allem auch eine Frage des Geldes. Es ist in diesem Sinne zunächst zu begrüßen, dass Von der Leyen die Just Transition-Mittel im nächsten langfristigen Haushalt erheblich aufzustocken gedenkt. Denn die beiden dezidierten Just Transition-Instrumente in Form des Just Transition Fonds sowie des Klima-Sozialfonds sind in ihrer jetzigen Form unzureichend dotiert und werden nur in sehr spezifischen Teilbereichen negative Auswirkungen des Strukturwandels in gewissen Regionen bzw. bei besonders vulnerablen Gruppen abfedern. Eine Aufstockung (und nötige Verstetigung) dieser beiden Just Transition Instrumente ist unabdingbar, aber bei weitem nicht ausreichend: Der bevorstehende Strukturwandel betrifft die breite Bevölkerung und es müssen erhebliche Investitionen getätigt werden, um die Dekarbonisierungsziele zu erreichen, die Beschäftigten zu befähigen, die Jobs der Zukunft auszuüben, und den Zusammenhalt der Regionen zu fördern. Die Diskussionen rund um einen EU-Transformationsfonds müssen daher erfolgreich geführt und zu Ende gebracht werden. Denn mit dem Auslaufen der Aufbau- und Resilienzfazilität Ende 2026 fällt fast die Hälfte des EU-Förderrahmens für die Transformation weg.  

Wiewohl es bereits eine Mammutaufgabe darstellt, genügend Gelder für notwendige Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau aufzustellen, zeigen die Erfahrungen, dass es auch und insbesondere bei der Vergabe der Mittel krankt. Dies gilt es im Hinblick auf künftige Finanzierungsinstrumente zu bedenken. Ein Schwachpunkt ist die bislang fehlende Verankerung sozialer Konditionalitäten bei Förderungen und der Vergabe öffentlicher Aufträge: Die Mittelvergabe darf nicht mit der Gießkanne erfolgen, sondern muss Beschäftigungssicherheit und -qualität sicherstellen und nachhaltigen Wohlstand sichern. Es darf keine Förderungen ohne die Zusage der Einhaltung von Grundprinzipien wie Kollektivvertragsverhandlungen und sozialen Dialog geben. 

Just Transition Richtlinie als Nagelprobe 

Ob es der neuen EU-Kommission wirklich ernst ist mit dem Bekenntnis, niemanden zurück zu lassen, wird sich daran zeigen, ob sie der zentralen Forderung der Gewerkschaften nach einer Just Transition Richtlinie für den gerechten Übergang in der Arbeitswelt durch Antizipation und Veränderungsmanagement nachkommt. Eine solche Richtlinie soll die Grundlage dafür bilden, den vom Wandel betroffenen Beschäftigten konkrete Rechte in ihrer jeweiligen Situation zu bieten. Droht der Jobverlust, weil bestimmte Industriezweige rückgebaut werden müssen, soll so eine konkrete Zukunftsperspektive mit der Aussicht auf einen qualitativ hochwertigen neuen grünen Job entstehen. Dafür müssen beschäftigungs- und sozialpolitische Aspekte der grünen Wende verknüpft werden. Die Europäische Säule sozialer Rechte stellt das Fundament einer solchen Richtlinie dar und die darin verankerten Rechte müssen klimafit und durchsetzbar gemacht werden: Es braucht das Recht auf Job-to-Job-Transition, das Recht auf Weiter- oder Umbildung sowie eine europäische Arbeitsplatzgarantie für Menschen, die arbeiten möchten, aber am privaten Arbeitsmarkt keine Stelle finden. Mit einem starken sozialen Dialog, der Konsultation und Einbeziehung der Beschäftigten und effektiven Kollektivverhandlungen sollen Änderungen etwa im Betrieb antizipiert und gemeinsam Übergangspläne erarbeitet werden. Wenn Jobs aufgrund der Dekarbonisierungsziele wegfallen, muss der Fokus auf einer Höherqualifizierung liegen, um Beschäftigten die Möglichkeit zu geben, im gleichen Unternehmen beschäftigt zu bleiben. Ist das nicht möglich, muss gewährleistet werden, dass Beschäftigte mit finanzieller Unterstützung genügend Zeit für eine Neuorientierung haben, die es ihnen auch ermöglicht im gleichen Sektor und in der gleichen Region zu verbleiben. Neuorientierung benötigt manchmal auch mehr Zeit: Damit das gelingt, müssen die Mitgliedsstaaten ihre soziale Sicherungssysteme stärken und armutsfest machen.  

Ausblick

Es obliegt der gesamten neuen EU-Kommission und allen voran EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen ihrer Verantwortung nachzukommen und die soziale Dimension der grünen Transformation in ihrer vollen Bandbreite zu adressieren. Obgleich ein grundsätzliches Bewusstsein für die Notwendigkeit, niemanden zurückzulassen, vorhanden ist, ist derzeit nicht erkennbar, dass der Dringlichkeit entsprechende, angemessene Maßnahmen in Gang gesetzt werden. Aus Beschäftigtenperspektive ist es daher umso wichtiger, die Forderungen nach einem umfassenden, kohärenten Rahmen für die gerechte Wende nachdrücklich an die EU-Kommission heranzutragen. Mit einem Vorschlag für eine Just Transition-Richtlinie für die Arbeitswelt kann die EU-Kommission beweisen, dass ihr die Zukunftsaussichten der Beschäftigen in der EU tatsächlich ein Anliegen sind.

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