Infobrief 1|25 | Wegerer: Europäisches Semester 2025: Fokus Wettbewerbsfähigkeit
Infobrief 1|24 | Wegerer: Europäisches Semester 2025: Fokus Wettbewerbsfähigkeit © AK WIEN
März 2025

Das europäische Semester 2025: Fokus Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigte außen vor?

Die Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik der EU-Mitgliedstaaten steht 2025 unter schwierigen Vorzeichen: So kommt erstmals die neue wirtschaftspolitische Steuerung zur Anwendung, die bedenklich Druck in Richtung Austeritätspolitik macht. Gleichzeitig klafft in Österreichs Budget ein erhebliches Loch, während wir uns auf ein drittes Jahr in Rezession einstellen müssen. Ein sozial ausgewogener Konsolidierungskurs gepaart mit Investitionen in den Arbeitsmarkt und Soziales sind mehr denn je gefragt.

Autorin: Julia Wegerer

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Mit der Präsentation des Herbstpakets Ende November 2024 hat die EU-Kommission das europäische Semester 2025 eingeleitet. Erstmals kommen dabei die neuen Bestimmungen zur Anwendung, die im Rahmen der Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung beschlossen wurden. An den Referenzwerten des Stabilitäts- und Wachstumspaktes wurde dabei nicht gerüttelt; ebenso wenig kam man der Forderung nach einer „goldenen Investitionsregel“ nach: Öffentliche Investitionen sind auch weiterhin nicht von der Neuverschuldung ausgenommen. Die EU-Fiskalregeln stehen dadurch weiterhin dem enormen Investitionsbedarf für die grüne und digitale Wende im Weg. In Kombination mit der aktuellen budgetären wie wirtschaftlichen Lage in Österreich eine bedenkliche Mischung, die Befürchtungen in Richtung Austeritätspolitik gepaart mit sozialen Rückschritten aufkommen lässt.



Über die Autorin

Julia Wegerer ist Referentin in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien und befasst sich mit europapolitischen Fragestellungen.

Julia Wegerer
Julia Wegerer © AK WIEN

Kurz und Knapp

  • Österreich muss bis Ende April 2025 seinen ersten Fiskalstrukturplan nach dem neuen EU-Fiskalregelwerk abgeben.
  • Die EU-Kommission hat jetzt größeren Einfluss auf die EU-Staaten: Ein längerer Konsolidierungszeitraum ist nur bei Umsetzung der Länderspezifischen Empfehlungen möglich.
  • Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ist die oberste Priorität der neuen EU-Kommission. Zu warnen ist indes vor einem zu engen Verständnis von Wettbewerbsfähigkeit, bei dem gesamtgesellschaftliche Interessen ins Hintertreffen geraten.
  • Neben Fragen der Wettbewerbsfähigkeit müssen sozial-, aber auch beschäftigungspolitische Fragestellungen stärker in den Länderspezifischen Empfehlungen berücksichtigt werden.

Österreich, das sich stets für eine rigide EU-Fiskalpolitik eingesetzt hat, steht angesichts seines milliardenschweren Budgetlochs nun selbst vor der Herausforderung, eine beträchtliche Budgetkonsolidierung vornehmen zu müssen. Im Zuge der Präsentation des Herbstpakets stellte die EU-Kommission für Österreich die Einleitung eines Defizitverfahrens in den Raum. Nachdem die zu diesem Zeitpunkt an einer Regierung verhandelnden Parteien FPÖ und ÖVP eine erste Liste mit Konsolidierungsmaßnahmen an die EU-Kommission übermittelt hatten, verkündete die Kommission, vorerst kein Defizitverfahren zu eröffnen. Mit dem Scheitern der Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP ist diese Liste nun hinfällig. Die EU-Kommission hatte aber bereits in ihrem Antwortschreiben darauf hingewiesen, dass sie im Frühjahr alle Dokumente prüfen wird, die Österreich aufgrund der Wahlen und Regierungsverhandlungen nicht fristgerecht abgegeben hat. Österreich muss nach jetzigem Stand bis Ende April 2025 seinen Haushaltsplan sowie seinen ersten mittelfristigen Fiskalstrukturplan abgeben. 

Mittelfristiger Fiskalstrukturplan

Der mit der neuen wirtschaftspolitischen Steuerung eingeführte Fiskalstrukturplan ersetzt das bisherige Nationale Reformprogramm sowie die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme. Der neue Plan beinhaltet insbesondere einen Nettoausgabenpfad, den Österreich in den kommenden Jahren einhalten muss. Es handelt sich dabei um einen einzigen Indikator, der den maximal zulässigen Anstieg der Nettoausgaben beschreibt. Damit soll die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sichergestellt werden. Alle Mitgliedsstaaten, die die Referenzwerte von einem öffentlichen Schuldenstand von mehr als 60 % des BIP bzw. einem Defizit von mehr als 3 % des BIP überschreiten, erhalten von der EU-Kommission einen Referenzausgabenpfad vorgegeben, der das Konsolidierungserfordernis darstellt. Der Plan soll sich über die Dauer einer Legislaturperiode erstrecken, kann aber auf insgesamt sieben Jahre verlängert werden. Das ist insbesondere dann sinnvoll, wenn ein sanfterer Konsolidierungspfad eingeschlagen werden soll, um etwa einer schwächelnden Wirtschaft nicht mit zu harten Einsparungsmaßnahmen den Weg zur Erholung zu verwehren. Im Gegenzug für eine Verlängerung der Frist auf sieben Jahre hat sich die EU-Kommission aber im neuen Regelwerk einen stärkeren Einfluss gesichert: Bei Fristverlängerung muss der betreffende Mitgliedstaat darlegen, wie er die Reformen und Investitionen umsetzt, die in den Länderspezifischen Empfehlungen von der EU-Kommission dargelegt werden.

Im kommenden Fiskalstrukturplan werden somit wichtige Maßnahmen abgebildet sein, die die künftige österreichische Regierung umzusetzen gedenkt. Eine substanzielle Einbindung der Sozialpartner in ein derart wichtiges Dokument ist dabei unabdingbar. Diese ist im EU-Regelwerk grundsätzlich vorgesehen, wobei sie bei der Abgabe des ersten Plans fakultativ ist. 

Neue EU-Kommission, neue Priorität: Wettbewerbsfähigkeit

Die Neuzusammensetzung der EU-Kommission wirkt sich ebenfalls auf den diesjährigen Semesterzyklus aus: Neben zeitlichen Verschiebungen im Ablauf wurde heuer erstmals keine jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum im Rahmen des Herbstpakets präsentiert. Die ersten genaueren Vorstellungen von den wirtschaftspolitischen Prioritäten und Zielsetzungen der EU-Kommission wurden mit der Präsentation des Wettbewerbskompasses am 29.1.2025 bekannt. Die darin bekannt gegebenen Inhalte wirken sich in mehrfacher Hinsicht auf das Europäische Semester aus: Die klare Priorität der neuen EU-Kommission lautet Wettbewerbsfähigkeit. Dies wird vor allem auch die Inhalte des Länderberichts und der Länderspezifischen Empfehlungen betreffen, die Reformen und Investitionen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zum Inhalt haben sollen. Hierbei wird maßgeblich sein, welches Verständnis von Wettbewerbsfähigkeit die EU-Kommission zugrunde legt. Ein enges Verständnis kann leicht dazu führen, dass lediglich Unternehmensinteressen in den Fokus genommen werden und gesamtgesellschaftliche Interessen ins Hintertreffen geraten. Dies zeigt sich gerade exemplarisch bei der Debatte um Bürokratieabbau, wo neben der unterstützenswerten Straffung von Genehmigungsverfahren oder der sinnvollen Schaffung bisher fehlender Kohärenz bei gesetzlichen Regelungen von Wirtschaftsverbänden plötzlich wichtige arbeitsrechtliche Regelungen in Frage gestellt werden.

Die Gefahr, dass beschäftigungs- und sozialpolitische Belange unter die Räder kommen könnten, wird nicht zuletzt dann deutlich, wenn die Kommission den Mitgliedsstaaten im Wettbewerbskompass rät, ihre Pensionssystem zu reformieren und damit längere Erwerbsleben zu erreichen. Viele Jahre hat die EU-Kommission in ihren Länderspezifischen Empfehlungen von Österreich einen hochumstrittenen Pensionsautomatismus gefordert. In den letzten Jahren ist es durch faktenorientierte Argumentation seitens der Arbeitnehmer:innenvertretung jedoch gelungen, die Kommission von einer solchen Empfehlung abzubringen. Obwohl die Pensionsquote – genauso wie im Übrigen die Sozialquote – in Österreich seit vielen Jahren stabil ist, wird von diversen Seiten versucht, das Bild drastisch ansteigender Pensionsausgaben zu zeichnen. 

Ein Wettbewerbskoordinierungstool („Competitiveness coordination tool“) soll künftig das EU-Semester ergänzen. Die EU-Kommission verweist darauf, dass im Rahmen des EU-Semesters und von NextGenerationEU Reformen und Investitionen, die von der EU als prioritär eingestuft wurden, erfolgreich auf nationaler Ebene umgesetzt werden konnten. Auch dabei versuchte die EU-Kommission, mehr Druck auf die Mitgliedsstaaten zur tatsächlichen Umsetzung europäischer Prioritäten sowie der Länderspezifischen Empfehlungen zu machen, weil die Ausschüttung von Mitteln an die Umsetzung entsprechender Reformen und Investitionen gebunden ist. Das Wettbewerbskoordinierungstool soll komplementär dazu in Schlüsselbereichen von strategischer Bedeutung und im gemeinsamen europäischen Interesse dazu dienen, grenzüberschreitend und EU-weit Aktionen zu setzen.

Wie das aus finanzieller Sicht gelingen soll, bleibt allerdings noch fraglich: NextGenerationEU hat mit der Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) über 700 Milliarden Euro an finanziellen Mitteln bereitgestellt. Die Gelder aus der ARF werden bis Ende 2026 ausgeschüttet. Ein – von den Gewerkschaften mit Nachdruck gefordertes – Nachfolgeinstrument ist derzeit noch nicht in Sicht. Verwiesen wird auf den neu einzurichtenden Wettbewerbsfonds, der nach einer ähnlichen Logik wie die ARF – Geld gegen die Umsetzung von Reformen und Investitionen – folgen könnte. Hier wird sich insbesondere die Frage stellen, wie eine entsprechende Zweckwidmung und soziale Konditionalitäten sichergestellt werden können und gleichzeitig eine zeitnahe Mittelzuwendung ermöglicht wird. 

Ausblick: Die Länderspezifischen Empfehlungen 2025

Die EU-Kommission gibt für den neuen Semesterzyklus eines klar zu verstehen: Sie ist bestrebt, den EU-Mitgliedsstaaten in diesem Jahr umfangreichere, detailliertere und an ihrem Wettbewerbsverständnis ausgerichtete Empfehlungen mitzugeben. Die EU-Kommission arbeitet derzeit intensiv an den Länderberichten, deren wichtigste Erkenntnisse sich dann in den Länderspezifischen Empfehlungen verdichtet wiederfinden. Sowohl der Länderbericht als auch die Länderspezifischen Empfehlungen werden für Ende Mai 2025 erwartet. Wiewohl auch eine stärkere Verankerung der Europäischen Säule sozialer Rechte im Rahmen des EU-Semesters diskutiert wurde, fand die EU-Kommission bisher keine klaren Worte dazu, ob sich dies auch in der Formulierung der Länderspezifischen Empfehlungen niederschlagen wird. Insbesondere hochrelevante Fragen zur Armut und Armutsbekämpfung sowie der Verteilungsgerechtigkeit wurden bis dato nicht adressiert.

Kein Geheimnis wird sein, dass die EU-Kommission Österreich empfehlen wird, sein Defizit in den Griff zu bekommen und die Staatsverschuldung zu senken. Inwieweit die EU-Kommission den Nationalstaaten konkrete und unter Umständen bedenkliche „Vorgaben“ zu Strukturreformen in Bereichen wie Pensionen, Gesundheitswesen und Pflege geben wird, bleibt abzuwarten. 

Notwendig wäre hingegen, wenn die Kommission angesichts der budgetären Lage in Österreich endlich klare Worte zum ungerechten Steuersystem in Österreich fände. Aus Beschäftigtenperspektive ist auch ein stärkerer Fokus auf Reformen am Arbeitsmarkt nötig, um dem enormen Qualifizierungsbedarf gerecht zu werden und insbesondere auch benachteiligten Gruppen am Arbeitsmarkt durch stärkere Unterstützung besser zu integrieren. Denn, wie die EU-Kommission auch im Wettbewerbskompass festhält: „Die Grundlage für Europas Wettbewerbsfähigkeit sind seine Menschen“. 

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