Kontroverse rund um Zölle auch im Onlinehandel
Die meisten Menschen sind längst im Onlinehandel aktiv – ob durch das Streamen von Filmen und Musik oder das Herunterladen von E-Books. Dieser Teil des Onlinehandels ist nicht mehr wegzudenken und gewinnt weiter an Bedeutung. Das bestehende Abkommen der Welthandelsorganisation untersagt dabei unter anderem die Einhebung von Zöllen. Diese Regelung ist nicht unumstritten und konnte knapp noch auf 2 Jahre verlängert werden. Aber was dann?
Autorin: Elena Ellmeier
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Was schreibt die WTO im Internethandel vor?
Die 1994 gegründete Welthandelsorganisation (WTO) hat weltweit 166 Mittglieder und regelt den internationalen Handel. 1998 haben sich die WTO-Mitgliedstaaten mit dem sogenannten E-Commerce Moratorium erstmals darauf geeinigt, die Aussetzung der Zölle auf elektronische Übertragungen für die darauffolgenden zwei Jahre im Rahmen der WTO festzuhalten. Beim Streamen von Filmen oder Serien auf Netflix beispielsweise darf also der Staat Österreich keine Zölle erheben. Seit der Einführung 1998 wurde das Moratorium bei bisher jeder WTO-Konferenz verlängert, wie auch trotz langer Diskussionen bei der letzten Konferenz im Februar 2024. Seit 2019 wird zudem eine permanente Einigung verhandelt.
Der Geltungsbereich von elektronischen Transaktionen hat sich im Laufe der Jahre stetig erweitert, beschleunigt durch die voranschreitende Digitalisierung. Diese betrifft beispielsweise die Anwendung des Moratoriums auf E-Books, Filme, Videospiele, Software etc. Allerdings konnte man sich bis heute nicht auf eine genaue Definition elektronischer Übertragungen einigen, was auch Fragen zum Umfang des Moratoriums aufwirft. Die WTO definiert den Onlinehandel lediglich als den Handel mit „digitalisierbaren Produkten“. Strittig ist allerdings bis heute ob diese als Güter oder Dienstleistungen klassifiziert werden. Und weiter noch, wird der Inhalt der Übertragung – also z.B. die Musik auf einer CD oder das Trägermedium, somit die CD selbst – geregelt? Vieles ist also nach wie vor unklar.
Doch die E-Commerce Verhandlungen betreffen nicht nur den reinen Internethandel, sondern auch den Umgang mit Daten. Dabei werden auch diverse Einschränkungen diskutiert, wie das Recht von Regierungen, Daten im eigenen Land zu lokalisieren sowie Auflagen, die beispielsweise die Verpflichtung Quellcodes preiszugeben aufheben. Die fehlende Preisgabe von Quellcodes kann weitreichende Folgen haben: Bei Amazon konnte z.B. durch die Preisgabe des Quellcodes festgestellt werden, dass Frauen strukturell im Algorithmus diskriminiert werden.
Vorläufige Einigung: ein Minimalkonsens – ohne USA
Aufgrund der Kontroversen rund um das E-Commerce Moratorium, hat sich nur mehr ein Teil der WTO-Mitgliedsstaaten – rund 90 Länder – an den Verhandlungen für ein allgemeines E-Commerce-Abkommen beteiligt. Dabei konnte man sich im Juli auf einen Vertragstext einigen, der eine Kompromisslösung darstellt. Federführend dabei waren allen voran die EU und Länder wie Australien, Japan und Singapur. Viele besonders kontroverse Punkte des Abkommens, wie beispielsweise die Auflagen zur Preisgabe von Quellcodes oder die Lokalisierung von Daten wurden interessanterweise auf Initiative der USA gekippt. Ursprünglich noch Teil der Verhandlungen, hat sich diese – wie auch acht andere Staaten – nun endgültig aus der E-Commerce Einigung zurückgezogen. Das wirft Fragen auf – gerade, weil die größten Big-Tech Unternehmen aus den USA stammen und diese ein großes Interesse einer E-Commerce Abkommen haben. Vermutungen legen allerdings nahe, dass sich die USA Möglichkeiten offenlassen wollen, um mit den chinesischen Tech-Rivalen (Stichwort Tik Tok) einen Umgang zu finden. Der Vertragstext beinhaltet entsprechend also vor allem die Regelung eines zollfreien Internethandels. Er sieht außerdem eine Klausel vor, wonach nach fünf Jahren eine Evaluierung der Regeln stattfinden soll. Die besonders kontroversen Punkte der Verhandlungen, wie die Lokalisierung von Daten und die Preisgabe von Quellcodes wurde also de facto in die Zukunft verschoben.
Umstritten: Zölle und ihre Wirkung
Doch auch das bestehende Moratorium steht schon lange aus vielen Gründen in der Kritik. Dabei stellt sich grundsätzlich die Frage, ob die WTO für besonders sensible Fragen wie Data Governance die richtige Plattform darstellt, zumal Gewerkschaften bzw. Arbeitnehmer:innenverbände von den Verhandlungen ausgeschlossen werden und die Gespräche meist hinter verschlossenen Türen stattfinden. Die automatische Erweiterung des Moratoriums auf neue Technologien im Zeitalter der Digitalisierung birgt außerdem die Gefahr, den Handlungsspielraum von Staaten immer weiter einzuschränken und die Liberalisierung der Märkte weiter auszuweiten. Sollte sich die Verbreitung und Weiterentwicklung der 3D-Technologie ähnlich wie bisher fortsetzen, könnte der Anteil physischer Güter am Handel weiter durch den Onlinehandel ersetzt werden. Ein ähnlicher Punkt wird auch von Ländern des Globalen Südens, allen voran Indien und Südafrika, vorgebracht, wonach das Moratorium die Einnahmemöglichkeiten von Staaten immer weiter einschränke. Laut Berechnungen einer Studie der UN entgehen Entwicklungsländern dadurch etwa zehn Milliarden Dollar pro Jahr, während wohlhabende Länder lediglich rund 289 Millionen Dollar einbüßen. Dieses Ungleichgewicht resultiert hauptsächlich daraus, dass Entwicklungsländer überwiegend digitale Güter importieren müssen und diese nicht selbstständig „produzieren“ können. Der Aufbau eigener digitaler Industrien würde der Argumentation zufolge außerdem erschwert, da vor allem junge Unternehmen aus dem Globalen Süden in dem Bereich international nicht konkurrenzfähig sein könnten. Eine Studie der OECD widerspricht diesem Ergebnis allerdings und schlussfolgert, dass die Einnahmen der Länder ohne Moratorium lediglich bei rund 0,1% der gesamten Staatseinnahmen liegen würden. Die Studie argumentiert, dass die positiven Effekte eines zollfreien Onlinehandels eindeutig überwiegen. Planungssicherheit und weltweite, einheitlich Regeln im Internethandel seien laut Befürworter:innen des Moratoriums unabdinglich, um den Internethandel effizient und problemlos abwickeln zu können. Auch diese Frage bleibt also weiterhin strittig. In jedem Fall werden die fehlenden Einnahmemöglichkeiten als Hauptargument von Ländern des Globalen Südens gegen das Moratorium vorgebracht.
Big-Tech als Nutznießer?
Im Großen und Ganzen betonen Länder des Globalen Südens als auch Gewerkschafter:innen oder Organisationen wie Global Justice Now, dass die Deregulierung des Onlinehandels besonders im Interesse einiger weniger großen Konzerne ist. Die mit digitalen Produkten einhergehende Flexibilität ermöglicht es gerade Big-Tech-Unternehmen, Steuern zu umgehen und Gewinne in Steueroasen zu verlagern. Dabei entgehen sämtlichen Staaten signifikante Steuereinnahmen – immerhin betrug allein der Gewinn von Amazon im Jahr 2023 schon über 30 Milliarden Euro. Die WTO leistet dazu auch einen Beitrag: Zwar sind Steuern aus dem E-Commerce Abkommen explizit ausgenommen, die gezielte Besteuerung ausländischer (Tech-) Unternehmen steht aber möglicherweise im Widerspruch zu allgemeinem WTO-Recht. Solange dieser Missstand besteht, sollte den Mitgliedsstaaten – und allen voran Entwicklungsländern – nicht andere Einnahmemöglichkeiten im digitalen Handel wie die Einführung von Zöllen pauschal verwehrt werden. Gewerkschaften und NGOs kritisieren außerdem schon lange zurecht, dass sensible Themen wie der Umgang mit Daten und die Offenlegung von Quellcodes transparent verhandelt werden sollten und unter Einbeziehung von ILO (Internationale Arbeitsorganisation) und Gewerkschaften stattfinden müssen. Es bedarf breiter Diskussionen über die Zukunft des Onlinehandels und die Verteilungsperspektiven, die sich daraus ergeben, anstatt die Debatte auf eine rein technische Ebene zu reduzieren.
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