Infobrief 2_2024 | Bruckner: Erklärung von La Hulpe – Bekenntnis zum sozialen Europa
Infobrief 2_2024 | Bruckner: Erklärung von La Hulpe – Bekenntnis zum sozialen Europa © AK WIEN
Mai 2024

Erklärung von La Hulpe als Fahrplan für die nächste EU-Legislaturperiode: Bekenntnis zum sozialen Europa – ohne Österreich

Am 16. April 2024 wurde in La Hulpe, einem Vorort von Brüssel, feierlich eine Erklärung zur Zukunft der Europäischen Säule sozialer Rechte unterzeichnet. Österreich, Schweden und der Industrieverband Business Europe haben als einzige nicht unterzeichnet. 

Autorin: Sarah Bruckner

Diesen Artikel downloaden


Am 15. und 16. April 2024 fand im Brüsseler Vorort La Hulpe auf Einladung der belgischen Ratspräsidentschaft eine hochrangige Konferenz zur Zukunft des sozialen Europas statt. Zwei Tage lang diskutierten die Arbeits- und Sozialminister:innen der EU-Mitgliedstaaten sowie andere hochrangige politische Entscheidungsträger:innen, Sozialpartner, Expert:innen und NGOs über sozialpolitische Herausforderungen und mögliche Lösungsvorschläge. Den Abschluss der Konferenz bildete die feierliche Unterzeichnung der Erklärung von La Hulpe zur Zukunft der Europäischen Säule sozialer Rechte. Es handelt sich um ein Referenzdokument für die kommende EU-Legislaturperiode und um ein Bekenntnis zum sozialen Europa, das mit breiter Unterstützung ausgearbeitet wurde.

Über die Autorin

Sarah Bruckner ist Referentin in der Abteilung EU und Internationales der AK Wien. 

Sarah Bruckner
Sarah Bruckner © AK WIEN

Kurz und Knapp

  • Die Erklärung von La Hulpe betont die Rolle des Sozialstaats in Krisenzeiten.
  • Die Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte soll in der nächsten EU-Legislaturperiode fortgesetzt werden.
  • Mit Österreich und Schweden haben genau jene zwei EU-Mitgliedstaaten der Erklärung von La Hulpe nicht zugestimmt, aus denen
    die Spitzen von Business Europe kommen.
  • Für 9 von 10 EU-Bürger:innen ist ein soziales Europa „persönlich wichtig“.


Weiterentwicklung des sozialen Europas 

Die Europäische Säule sozialer Rechte enthält 20 sozialpolitische Grundsätze, darunter faire Löhne, Unterstützung bei Arbeitslosigkeit und angemessene Pensionen. Sie wurde auf dem Sozialgipfel in Göteborg 2017 als gemeinsame Erklärung aller EU-Mitgliedstaaten verkündet. Auf dem Sozialgipfel in Porto 2021 wurde ein Aktionsplan zu ihrer Umsetzung, abermals von allen EU-Mitgliedstaaten gemeinsam, verabschiedet. Mit der Anfang 2024 in Val Duchesse in Belgien verabschiedeten Dreigliedrigen Erklärung für einen dynamischen europäischen sozialen Dialog und der Erklärung von La Hulpe wird der Blick in die Zukunft gerichtet und die Sozialagenda für die kommende EU-Legislaturperiode 2024–2029 vorbereitet.

Die Erklärung von La Hulpe verweist eingangs auf die Krisen der letzten Jahre; die Covid-19-Pandemie, Klimakrise, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, den geopolitischen Kontext und globalen Wettbewerb sowie die hohe Inflation und die damit verbundene Krise der Lebenshaltungskosten und betont die Rolle des Sozialstaats in Krisenzeiten. Die Fortsetzung der Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte wird bekräftigt und die Rolle der Sozialpartner und des sozialen Dialogs hervorgehoben. Die Erklärung widmet sich den Themen Chancengleichheit und Zugang zum Arbeitsmarkt, faire Arbeitsbedingungen, sozialer Schutz und soziale Inklusion und enthält abschließend Bemerkungen zum Europäischen Semester. 

Industrielobby stellt sich gegen Kompromiss auf breiter Basis 

Der Unterzeichnung der Erklärung von La Hulpe waren intensive Diskussionen vorangegangen. Es handelt sich bei dem Text um einen Kompromiss auf breiter Basis. Sowohl die EU-Mitgliedstaaten als auch die EU-Sozialpartner und alle anderen beteiligten Akteure waren in die Vorbereitung eingebunden. Die Erklärung wurde vom EU-Parlament, der EU-Kommission, von 25 EU-Mitgliedstaaten, von den EU-Sozialpartnern (Europäischer Gewerkschaftsbund und zwei von drei Arbeitgeberverbänden) sowie vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) und vom NGO-Verband Social Plattform mitgetragen und unterzeichnet. 

Dass schlussendlich Österreich, Schweden und der Arbeitgeber- und Industrieverband Business Europe (österreichisches Mitglied: Industriellenvereinigung) als einzige nicht unterzeichnet haben, stieß auf Unverständnis und Kritik: „(…) ausgerechnet das sozialpolitische Vorzeigeland mit der höchsten KV-Abdeckung: Österreich“, kritisierte ÖGB- und EGB-Präsident Wolfgang Katzian, der die Erklärung mitverhandelt hat.

„Wir können nicht zulassen, dass die Interessen einer mächtigen Wirtschaftslobby die grundsätzliche Einigung über Schwerpunkte der EU-Sozialpolitik infrage stellen“, kritisierte auch Sozialminister Johannes Rauch. Mit Österreich und Schweden haben genau jene zwei EU-Mitgliedstaaten nicht zugestimmt, aus denen die Spitzen von Business Europe kommen: Präsident Fredrik Persson ist Schwede und Generalsekretär Markus Beyrer ist Österreicher. Letzterer führte in seiner Rede in La Hulpe aus, dass Business Europe (als einziger EU-Sozialpartner) die Erklärung nicht mittrage, weil der wirtschaftliche Erfolg als Grundlage für sozialen Fortschritt nicht ausreichend betont werde. Der Arbeitgeberverband SME United (österreichisches Mitglied: Wirtschaftskammer) hingegen bekannte sich zum sozialen Dialog. Angesichts der kurzfristigen Ankündigung Österreichs, die Erklärung nicht zu unterzeichnen, erinnerte die belgische Ratspräsidentschaft daran, dass diese von den EU-Mitgliedstaaten noch im Rat zu verabschieden sei, sodass es noch eine Chance gebe, die Erklärung doch zu unterstützen. 

Ruf nach einem „Projekt der Hoffnung“

In der jüngsten Eurobarometer-Umfrage geben 9 von 10 Personen an, dass das soziale Europa für sie persönlich wichtig ist. Gefragt nach den Problemen, die von der Politik mit höchster Priorität angegangen werden sollten, nennt die Hälfte der Befragten die hohen Lebenshaltungskosten, ein Drittel nennt niedrige Löhne. EGB-Generalsekretärin Esther Lynch betonte in ihrer Rede in La Hulpe, dass es dringend ein „Projekt der Hoffnung“ brauche. Arbeitnehmer:innen brauchen mehr Schutz, höhere Löhne sowie bessere Arbeits- und Lebensbedingungen; die Erklärung von La Hulpe biete hierfür Ansätze. 

Welchen Stellenwert die Erklärung in Zukunft haben wird, wird die nächste EU-Legislaturperiode zeigen. Am Tag nach der Konferenz von La Hulpe trafen sich die Staats- und Regierungschef:innen der EU-Mitgliedstaaten zum außerordentlichen EU-Gipfel zum Thema Wettbewerbsfähigkeit. Dieses Thema hatte in La Hulpe bereits seinen Schatten vorausgeworfen. Mario Draghi, ehemaliger Ministerpräsident Italiens und ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank, wurde von der EU-Kommission beauftragt, Empfehlungen zur Wettbewerbsfähigkeit der EU auszuarbeiten. In La Hulpe präsentierte er erstmals seine Überlegungen. Seine Botschaft: Die EU fokussiere ihre Wettbewerbspolitik zu sehr nach innen statt nach außen auf den Rest der Welt; dies müsse sich ändern. Die Implikationen, die eine solche Neuausrichtung für die soziale Agenda der EU mit sich bringen könnte, blieben vorerst unerwähnt. Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, betonte, dass soziale Rechte und sozialer Schutz gerade dann, wenn es „hart auf hart“ kommt, nicht vernachlässigt werden dürfen; es müsse im Gegenteil der Fokus dann umso mehr auf das Soziale und die Menschen gelegt werden.

Diesen Artikel downloaden


Kontakt

Kontakt

Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien

Abteilung EU & Internationales
Prinz Eugenstraße 20-22
1040 Wien

Telefon: +43 1 50165-0

- erreichbar mit der Linie D -