AK Infobrief 3|24: Frank Ey: Das Europäische Parlament nach der Wahl 2024
AK Infobrief 3|24: Frank Ey: Das Europäische Parlament nach der Wahl 2024 © AK WIEN
September 2024

Wer nun im Europäischen Parlament das Sagen hat: Das Europäische Parlament nach der Wahl 2024

Nach den EU-Wahlen im Juni 2024 ist das Europäische Parlament deutlich nach rechts gerutscht. Rechte und konservative Kräfte konnten starke Zugewinne verbuchen, während liberale und linke Fraktionen teils erhebliche Verluste verzeichneten. Die Veränderungen bei den Kräfteverhältnissen sorgen nun bei den Schlüsselpositionen für ein Sesselrücken. Wichtige Schaltstellen wurden neu besetzt. Im Zusammenhang mit der EU-Kommission gilt es noch, wichtige Entscheidungen zu treffen.

Autor: Frank Ey

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Europäisches Parlament neu zusammengesetzt

Aus den EU-Wahlen ging neuerlich die Europäische Volkspartei (EVP) mit 188 von insgesamt 720 Sitzen im EU-Parlament als stärkste Kraft hervor. Damit ist die EVP bereits seit 25 Jahren durchgehend die größte Fraktion im Europäischen Hohen Haus. Dahinter folgen mit großem Abstand die Europäischen Sozialdemokrat:innen (S&D) mit 136 Mandaten. 


Über den Autor

Frank Ey ist Experte für EU-Binnenmarktpolitik in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien sowie Lektor an der WU Wien.
Frank Ey
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Kurz und Knapp

  • Rechtsextreme und populistische Parteien haben starke Zugewinne verzeichnet und vereinen nun rund 26 Prozent der Stimmen im EU-Parlament
  • Industrieausschuss und Binnenmarktausschuss werden stark aufgewertet, das EU-Parlament könnte einen ständigen Ausschuss für Gesundheit und einen Sonderausschuss für das Wohnungswesen erhalten
  • Das EU-Parlament spielt bei der Ernennung eine entscheidende Rolle. Es kann im Zuge der Anhörung Kandidat:innen ablehnen, was es in der Vergangenheit auch bereits gemacht hat.

Auf den Plätzen dahinter gab es erhebliche Veränderungen: Waren in der abgelaufenen Legislaturperiode noch die Liberalen und die Grünen dritt- und viertstärkste Kraft, so sind es nun die beiden Rechtsaußen-Parteien Patriots for Europe (PfE) mit 84 und die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) mit 78 Sitzen. Patriots for Europe ist eine neu gebildete Fraktion, in der sich unter anderem die Freiheitliche Partei Österreichs, die französische Rassemblement National, die ungarische Fidesz und die Partij voor de Vrijheid aus den Niederlanden befindet. 

Auf den Plätzen fünf und sechs folgen die Europäischen Liberalen mit 77 und die Grünen mit 53 Sitzen, die damit deutlich an Mandaten eingebüßt haben. Einen Achtungserfolg erzielten die Linken, die nun auf 46 Sitze kommen und damit 9 Mandate mehr haben als bisher. Die kleinste Fraktion, Europa der Souveränen Nationen (ESN), wurde erst knapp vor der konstituierenden Sitzung im EU-Parlament gegründet und stellt 25 Sitze. In dieser neuen rechtsextremen Fraktion sind zum größten Teil die Abgeordneten aus der Alternative für Deutschland wiederzufinden. 

Zusammengenommen vereinen die drei Rechtsaußen-Parteien im Europäischen Parlament 187 Sitze, das entspricht einem Stimmenanteil von rund 26 Prozent.

Spitzenfunktionen neu verteilt

Die neuen Kräfteverhältnisse führen bei den Spitzenpositionen im EU-Parlament zu deutlichen Änderungen beziehungsweise zu handfesten Diskussionen. Bei der Verteilung der höchsten Positionen, also der EU-Parlamentspräsidentin und der Vizepräsident:innen sowie der Ausschussvorsitzenden und ihrer Stellvertreter:innen, einigten sich die EU-Abgeordneten dahingehend, eine „Brandmauer“ gegen die rechtsextremen PfE und ESN zu errichten. Ausgehend vom D-Hondtschen Verfahren, das ein System für die Verteilung der Sitze ist, erhob die PfE Anspruch auf den Vorsitz im Verkehrs- und im Kulturausschuss in der Sitzung der Fraktionsvorsitzenden. 

Durch die Einigung der anderen Fraktion, die PfE und die ESN von Spitzenfunktionen auszuschließen, haben diese beiden Gruppen keine Berücksichtigung gefunden. Die Rassemblement National aus Frankreich und Ministerpräsident Viktor Orbán kritisierten diese Entscheidung und griffen deswegen vor allem die EVP an. Harald Vilimsky, stellvertretender Vorsitzender in der PfE-Fraktion sprach deshalb von einem „Pakt mit dem Teufel“.

Im höchsten Gremium des EU-Parlaments, dem Präsidium, bekam die EVP den Präsidentinnenposten, sowie die ersten drei Vizepräsident:innen. Die Sozialdemokrat:innen bekamen fünf Vizepräsident:innenposten, die Liberalen zwei, die Grünen und die Linken jeweils einen. Es verwundert jedoch, dass die rechtspopulistische Fraktion der EKR zwei dieser begehrten Posten erhielt. Die EKR ist also nicht von dieser Brandmauer umfasst. Mitglied bei der EKR sind unter anderem die Abgeordneten der Fratelli d’Italia von Ministerpräsidentin Georgia Meloni und die polnische PiS.

Im Vergleich zur letzten Legislaturperiode, bei der sowohl die ÖVP als auch die SPÖ mit Othmar Karas und Evelyn Regner zwei der begehrten Vizepräsident:innenposten erhielt, ging Österreich diesmal leider leer aus.

Neue Ausschüsse mit teils neuen Ausschussvorsitzenden

Noch vor der Sommerpause einigten sich die EU-Abgeordneten darauf, dass es 20 ständige Ausschüsse sowie vier Unterausschüsse geben soll. Die Ausschüsse widmen sich Fachbereichen wie der Umweltpolitik, dem Verkehr, dem Binnenmarkt oder der Gesundheit. Stark aufgewertet wurde der Industrieausschuss mit 12 zusätzlichen Sitzen (insgesamt nun 90) und liegt nun gleichauf mit dem Umweltausschuss, der ebenfalls 90 Sitze umfasst (plus zwei). Der Binnenmarktausschuss (plus sieben auf 52), der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (plus sechs auf 75 Plätze) und der Ausschuss für Beschäftigung und Soziales (plus fünf auf 60 Sitze) wurden ebenfalls deutlich aufgewertet.

Letzten Informationen zufolge könnten die beiden Unterausschüsse für öffentliche Gesundheit und der Verteidigungsausschuss zu ständigen Ausschüssen „upgegraded“ werden. Bemerkenswert ist auch, dass es Diskussionen gibt, einen Sonderausschuss für das Wohnungswesen zu schaffen.

Auch bei den Ausschussvorsitzenden erhielten weder die PfE noch die ESN einen Vorsitzposten. Die anderen Fraktionen wurden entsprechend ihrer Wahlergebnisse berücksichtigt. Die Tabelle zeigt für einzelne ausgesuchte Ausschüsse, wer die Leitung der jeweiligen Gremien übernimmt:

Die Tabelle zeigt für einzelne ausgesuchte Ausschüsse, wer die Leitung der jeweiligen Gremien übernimmt
Die Tabelle zeigt für einzelne ausgesuchte Ausschüsse, wer die Leitung der jeweiligen Gremien übernimmt © AK WIEN


Auch bei den Ausschüssen erhielten Österreichs EU-Abgeordnete keinen der einflussreichen Vorsitzposten. Selbst bei den stellvertretenden Vorsitzenden gibt es bei den Ausschüssen mit der neuen EU-Abgeordnete Sophia Kircher nur eine Person, die dieses Amt im Ausschuss für Verkehr und Tourismus bekleidet. Für die österreichischen EU-Abgeordneten ein sehr mageres Ergebnis, wenn man beachtet, dass unter den österreichischen Mandatar:innen einige sehr erfahrene Politiker:innen sind. 

Anhörungen der Kommissarskandidat:innen im Herbst

Ab September 2024 nimmt das Europäische Parlament seine reguläre Arbeit auf. Gleich zu Beginn müssen sich die EU-Abgeordneten mit den Kandidat:innen für das Amt als EU-Kommissar:in befassen. Noch im Juli hat das Plenum des EU-Parlaments Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin für eine zweite Amtszeit bestätigt. Eine der ersten Amtshandlungen der Kommissionspräsidentin war die Aufforderung an die EU-Mitgliedsstaaten, pro Land eine Kandidatin und einen Kandidaten für den Posten der Kommissarin bzw des Kommissars zu nominieren. 

Dieser Prozess läuft bereits und einzelne EU-Länder haben ihr Kandidat:innen schon nominiert. So auch Österreich, das BM Magnus Brunner ins Rennen um den EU-Kommissar schickt. Die von der Kommissionspräsidentin geforderte Nennung einer Kandidatin hat die Regierung und Bundeskanzler Nehammer missachtet. Warum keine Kandidatin nach Brüssel gemeldet wurde, darüber kann man nur spekulieren. 

Von den anderen EU-Ländern ist bislang vereinzelt von Kandidat:innen zu hören, die von den Regierungen nominiert wurden. Im Falle Frankreichs soll beispielsweise Thierry Breton für eine zweite Amtszeit als Kommissar nach Brüssel gemeldet werden. In Luxemburg läuft gerade eine Diskussion, ob Nicolas Schmitt neuerlich als EU-Kommissar nominiert werden soll. Die Entscheidung sollte demnächst getroffen werden. In Italien läuft die Diskussion noch, der jetzige Minister für europäischen Angelegenheiten, Raffaele Fitto, wird dabei am öftesten genannt. Schweden hat wiederum Jessika Roswall, eine Vertreterin der konservativen schwedischen Moderaten Partei, nominiert.

Mehrere abgelehnte EU-Kommissar:innen bei den Anhörungen 2019

Die EU-Mitgliedsstaaten haben noch bis 30. August 2024 Zeit ihre Vorschläge an Kommissionspräsidentin von der Leyen zu übermitteln. Danach folgen voraussichtlich im September/Oktober 2024 die Anhörungen der Kandidat:innen durch die EU-Abgeordneten. Dass das EU-Parlament immer wieder Bewerber:innen um das Kommissarsamt auch ablehnt, haben die EU-Mandatar:innen in der Vergangenheit bereits wiederholt gezeigt: Vor fünf Jahren lehnte das EU-Parlament gleich drei Kandidat:innen ab. Die Anwärter:innen aus Ungarn und Rumänien wurden wegen finanzieller Interessenkonflikte vom Rechtsausschuss gleich gar nicht zur Anhörung zugelassen. Und die französische Kandidatin Sylvie Goulard sorgte für Unmut unter den EU-Abgeordneten angesichts der Scheinbeschäftigung eines Assistenten von Goulard im Europäischen Parlament zwischen 2014 und 2015. Sie musste wegen dieser Affäre in Frankreich 2017 sogar als Verteidigungsministerin zurücktreten. Kritisch wurde auch ihre Beraterinnentätigkeit für einen amerikanisch/deutschen Think Tank aufgenommen, für die sie 10.000 € monatlich erhielt. Das EU-Parlament nimmt damit auch bei den Ernennungen zu EU-Kommissar:innen eine entscheidende Rolle ein.

Wie sich die EU-Abgeordneten bei den Anhörungen diesmal verhalten und wie sie es aufnehmen, dass einzelne Länder der Kommissionspräsidentin gar keine Wahl lassen, zwischen zwei Kandidat:innen zu entscheiden, wie im Falle Österreichs, wird sich noch weisen. Überraschungen sind jedenfalls nicht auszuschließen.  

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