Infobrief 2_2024 | Schöggl/Templ/Wukovitsch: EU-Wahlen 24: Umbau als zentrale Herausforderung
Infobrief 2_2024 | Schöggl/Templ/Wukovitsch: EU-Wahlen 24: Umbau als zentrale Herausforderung © AK WIEN
Mai 2024

EU-Wahlen 2024: Sozialer und ökologischer Umbau bleibt zentrale Herausforderung

Die Klimakrise ist bittere Realität. Wir belasten das Klimasystem der Erde mit Treibhausgasen und das System reagiert mit immer stärkeren Wetterextremen. Daher muss auch in der nächsten EU-Legislaturperiode die Bewältigung der Klimakrise ein zentraler Schwerpunkt sein. Mit dem Grünen Deal wurden in den letzten Jahren die Weichen für den Übergang zur Klimaneutralität bis 2050 gestellt. Wird die EU das Ambitionsniveau halten? Und werden die sozialen Herausforderungen des Übergangs mehr Aufmerksamkeit bekommen?

Autor:innen: Astrid Schöggl, Norbert Templ und Florian Wukovitsch

Diesen Artikel downloaden

 

Die globale Erwärmung beschleunigt sich

Mit einer globalen Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche von 1,45°C über dem vorindustriellen Referenzwert war 2023 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. „Was wir im Jahr 2023 erlebt haben, insbesondere angesichts der beispiellosen Erwärmung der Ozeane, des Gletscherrückgangs und des antarktischen Meereisverlusts, gibt Anlass zu besonderer Sorge“, fasste die Generalsekretärin der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) den aktuellen „State of the Global Climate 2023“ zusammen. In der Klimawissenschaft wird bereits diskutiert, ob der „Klimawandel in eine gefährliche neue Phase eingetreten“ ist und wesentlich schneller voranschreitet als ursprünglich angenommen. Vor diesem Hintergrund stehen wir möglicherweise an einem entscheidenden Wendepunkt der Menschheit. Die Bewältigung der Klimakrise ist – bei allen kriegerischen Konflikten und geopolitischen Spannungen – die zentrale Herausforderung unserer Zeit. 

Über Die Autor:innen

Astrid Schöggl ist Referentin für ökologische Ökonomie und Umweltpolitik in der Abteilung Klima, Umwelt und Verkehr in der AK Wien.

Astrid Schöggl
Astrid Schöggl © AK WIEN

Norbert Templ ist Referent in der Abteilung EU und Internationales der AK Wien

Norbert Templ
© Lisi Specht

Florian Wukovitsch ist Referent im Brüsseler Büro der Bundesarbeitskammer (AK EUROPA) mit den Schwerpunkten Umwelt-, Klima-, Energie-, Verkehrs- und Konsument:innenpolitik.

emokratiepaket: Licht… EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen hat bereits zu Beginn ihrer Amtszeit mit einem Demokratiepaket Maßnahmen angekündigt, die zu einer Stärkung der Demokratien in der EU führen sollen. Tatsächlich wurden mehrere neue EU-Gesetze verabschiedet, die demokratiepolitisch zu begrüßen sind. Das neue EU-Medienfreiheitsgesetz stellt beispielsweise sicher, dass journalistische Arbeit besser geschützt wird. Medien sollen vor politischer und wirtschaftlicher Einflussnahme geschützt werden. Medien müssen ihre Eigentumsverhältnisse offenlegen, es muss klar sein, wer die Medien kontrolliert. Öffentliche Medien müssen zudem redaktionell unabhängig arbeiten können. Medien müssen künftig auch über Werbung aus staatlichen Mitteln Auskunft geben, sowie über Werbegelder aus Drittstaaten. Dieses Gesetz geht auch Hand in Hand mit einer EU-Initiative gegen sogenannte SLAPP-Klagen: Bei dieser Methode versuchen Unternehmen und/oder Personen über rechtsmissbräuchliche Klagen gegen kritische Berichterstattung vorzugehen. Autor:innen bzw. Medien werden dabei mit Klagen eingedeckt, um diese einzuschüchtern und weitere Berichte  zu verhindern. Es werden oft hohe Geldforderungen gestellt, häufig begleitet von Diffamierungen in der Öffentlichkeit. Merkmal ist weiters, dass es bei diesen Klagen an belastbaren Grundlagen fehlt und diese bei einem Verfahren dann auch vom Kläger nicht gewonnen werden. Mit dem neuen EU-Gesetz sollen SLAPP-Klagen verhindert werden.
Florian Wukovitsch © AK WIEN

Kurz und Knapp

  • Die Bewältigung der
    Klimakrise ist die zentrale
    Herausforderung unserer Zeit. 
  • Mit dem ­Grünen Deal sollen auch die Wertschöpfungsketten in Europa gestärkt werden.
  • Soziale Konflikte gefährden den Erfolg der Klimapolitik, daher braucht es jetzt einen „Social Green Deal“, der für einen gerechten Übergang zur Klimaneutralität sorgt.
  • Die nächste EU-Kommission muss eine umfassende Investitionsagenda auf den Weg bringen.
  • Das Europäische Parlament als wichtiger Akteur des sozialen und ökologischen Umbaus muss aufgewertet werden. 

Der Grüne Deal als Antwort der EU

Der Grüne Deal ist die Strategie der Europäischen Union, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen und das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung zu entkoppeln. Das Ziel der Strategie ist anspruchsvoll, soll die EU doch im Zuge dessen auch „zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft werden“. Dass der Grüne Deal weit mehr als Symbolpolitik ist, zeigen die zahlreichen Maßnahmen in unterschiedlichen Politikbereichen, die in den letzten fünf Jahren auf den Weg gebracht wurden. Von zentraler Bedeutung ist das im Juli 2021 in Kraft getretene „Europäische Klimagesetz“, mit dem das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 und das Zwischenziel, die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 zu senken, gesetzlich verankert wurden. Diese Ziele sind ambitioniert, reichen aber noch nicht. Daher hat die Europäische Kommission Anfang Februar 2024 vorgeschlagen, als neues Zwischenziel den Ausstoß von Treibhausgasen in der EU bis 2040 um 90 % zu verringern (verglichen mit dem Wert im Jahr 1990). Dieses Ziel bedeutet tiefgreifende Veränderungen des Wirtschaftssystems und eine fast völlige Umstellung der energetischen Basis auf erneuerbare Energieträger.

Umstellung unserer Arbeits- und Produktionsprozesse

Mit Blick auf die kommenden EU-Wahlen ist der Grüne Deal zu einem Wahlkampfthema geworden. Innerhalb der Europäischen Volkspartei (EVP) gab es Versuche, im Wahlmanifest eine Überarbeitung des EU-Verkaufsverbot für neue Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2035 festzuschreiben, was allerdings nicht gelang. Insbesondere konservative und rechte Parteien rütteln massiv am Grünen Deal oder fordern sogar seine Abschaffung. Erforderlich wäre aber seine konstruktive Weiterentwicklung. Unbestritten ist, dass die notwendige Umstellung unserer Arbeits- und Produktionsprozesse sowie unseres Konsumverhaltens große Umbrüche mit sich bringen wird, insbesondere für Geschäftsmodelle, Sektoren und Branchen, die bisher stark von der Nutzung fossiler Energieträger abhängig sind. Gleichzeitig entstehen zahlreiche neue Wertschöpfungsketten in für die Erreichung der Klimaneutralität zentralen Zukunftsfeldern wie digitale Technologien, künstliche Intelligenz, Halbleiter, treibhausgas- und ressourcenschonende Produktion, Elektromobilität, Wasserstoff, erneuerbare Energien, Recycling, Kreislaufwirtschaft und Wärmetechnik. 

Die Rolle Europas in der Weltwirtschaft

Entscheidend ist, dass diese Wertschöpfungsketten auch in Europa forciert werden. Insofern ist der Grüne Deal heute auch eine Antwort auf die Umbrüche in der Weltwirtschaft hin zu einer Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten, ausgelöst insbesondere durch die geopolitischen Rivalitäten zwischen den USA und China. Der 2022 beschlossene Inflation Reduction Act (IRA) soll nicht nur die Energie- und Mobilitätswende in den USA vorantreiben, er zielt auch auf eine massive Stärkung der industriellen Basis durch Subvention und Schutz der inländischen Produktion. China wiederum strebt die globale Technologieführerschaft in wichtigen Zukunftsfeldern der Wirtschaft an (Strategie „Made in China 2025“) und ist mittlerweile führend in der Solarzellenproduktion und im Batteriesektor. Mit dem „Netto-Null-Industrie-Gesetz“ als Teil des „grünen Industrieplans“ ergänzt die EU den Grünen Deal um eine starke industriepolitische Komponente mit dem Ziel, bis 2030 mindestens 40 % des jährlichen Bedarfs der EU an sauberen Technologien selbst zu decken. Entscheidend für dieses Vorhaben ist, dass die Nachfrage nach Rohstoffen durch Diversifizierung der Rohstoffquellen („Critical Raw Materials Act“) sichergestellt wird. Insgesamt dürfen die Dekarbonisierungsvorhaben aber nicht dazu führen, dass die EU ihre einseitig auf Liberalisierung ausgerichtete Handelspolitik und den aggressiven Zugriff auf Ressourcen des Globalen Südes weiter fortschreibt. Stattdessen wäre es sinnvoll, auf eine Reduktion des Rohstoffverbrauchs durch Recycling, Kreislaufwirtschaft und Substitution zu setzen und regionale Versorgung und Wertschöpfung ins Zentrum zu stellen. 

Die Baustellen des sozialen und ökologischen Umbaus

Der Grüne Deal kann eine Blaupause für den sozialen und ökologischen Umbau der europäischen Wirtschaft sein. Ökologisch bedeutet, Produktion und Konsum auf jenen Pfad einzulenken, der notwendig ist, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Auf dem Weg zur Klimaneutralität müssen Heizsysteme getauscht, Gebäude saniert, der öffentliche Verkehr und erneuerbare Energien ausgebaut, Energienetze ertüchtigt und die Industrie auf klimaneutrale Produktion umgestellt werden. Damit diese Veränderung nicht auf dem Rücken der Beschäftigten passiert, braucht es auch einen sozialen Umbau. Eine Klimapolitik, die vor allem als von oben verordnet wahrgenommen wird, wird zu heftigen sozialen Verwerfungen führen und letztlich nicht erfolgreich sein. Es braucht Verteilungsgerechtigkeit, öffentliche Investitionen in die Grundversorgung, Ordnungspolitik gegen Überkonsum statt Preismechanismen, eine planende Wirtschaftspolitik, Demokratie auf allen Ebenen, umfassende Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen und eine begleitende Politik, die die EU auf die weitere Verschärfung der Klimakrise vorbereitet und für umfassende soziale Absicherung sorgt. 

Der Grüne Deal muss zu einem „Social Green Deal“ weiterentwickelt werden, der für einen gerechten Übergang (Just Transition) sorgt. Bereits in der laufenden Legislaturperiode wurden auf EU-Ebene mit dem Fonds für einen gerechten Übergang und dem Klima-Sozialfonds Fördertöpfe beschlossen, die dazu beitragen sollen, die Härten des Übergangs abzufedern. Mit der Empfehlung des Rates zur Sicherstellung eines gerechten Übergangs zur Klimaneutralität vom Juni 2022 gibt es auch einen umfassenden Leitfaden für die Mitgliedstaaten, wie sie einen gerechten Übergang unterstützen können. Darin werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, „gegebenenfalls in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern umfassende und kohärente Maßnahmenpakete anzunehmen und umzusetzen, in denen die beschäftigungs- und sozialpolitischen Aspekte berücksichtigt werden, um einen gerechten Übergang in allen Politikbereichen, insbesondere in der Klima-, Energie- und Umweltpolitik, zu fördern“. Im November 2023 wurde ein erster Umsetzungsbericht vom Rat gebilligt.

Ganz zentral ist, dass die Arbeitnehmer:innen über die für den Umbau erforderlichen Kompetenzen verfügen. Hier braucht es, neben Initiativen auf Ebene der Mitgliedstaaten, aber auch Rechtsansprüche auf europäischer Ebene, für arbeitssuchende Menschen muss EU-weit das Recht auf Zugang zu geeigneten Aus- und Weiterbildungen bei existenzsichernder finanzieller Absicherung verankert werden. Ebenso muss es einen Rechtsanspruch der Arbeitnehmer:innen auf ein Mindestmaß an Weiterbildung während der Arbeitszeit und auf bezahlte Bildungskarenz geben. Der kürzlich mit dem Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung ausgezeichnete Ökobooster, eine 2023 auf Initiative der Arbeiterkammer Wien in Zusammenarbeit mit dem AMS und dem Wiener Arbeitnehmer*innen Förderungsfonds waff geschaffene Ausbildungsschiene, in der junge Menschen ohne abgeschlossene Ausbildung zu Fachkräften in klimarelevanten Berufsfeldern ausgebildet werden, könnte hier ein Vorzeigemodell für ganz Europa werden.

Forderungen für die nächste Legislaturperiode

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat auf Ersuchen des belgischen Ratsvorsitzes schon Ende 2023 einen mit großer Mehrheit beschlossenen Maßnahmenkatalog „zur Schaffung eines EU-Rahmens für den gerechten Übergang“ vorgelegt und betont, dass die Frage eines gerechten Übergangs zur Klimaneutralität in der nächsten Legislaturperiode der EU ganz oben auf der politischen Agenda stehen muss. Darin fordert er unter anderem eine EU-Agenda für nachhaltige Entwicklung bis 2050, die Ernennung eines Kommissionsmitglieds für den gerechten Übergang und die Einrichtung einer entsprechenden Beobachtungsstelle. Nicht unumstritten war die Forderung nach der Verabschiedung einer europäischen Richtlinie für den gerechten Übergang, die die Mitgliedstaaten zur Modernisierung ihrer Sozialsysteme, zur gerechten Verteilung der Vorteile des Wandels und zur Gewährleistung des Zugangs zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse anregen soll. Die neue EU-Kommission sollte diesbezüglich aber möglichst rasch von ihrem Initiativrecht Gebrauch machen und einen Richtlinienvorschlag vorlegen. 

Unumstritten ist, dass enorme Investitionen notwendig sind, um die Klimaziele der EU zu erreichen. Auch wenn sich diese relativieren, wenn man sie mit den Kosten des Nichthandelns vergleicht, muss die nächste EU-Kommission jedenfalls eine umfassende Investitionsagenda auf den Weg bringen. Angesichts dieser Herausforderung ist es sehr bedauerlich, dass die jüngste Reform der EU-Fiskalregeln den budgetären Spielraum für grüne Investitionen nur begrenzt erweitert hat. Zur Absicherung und Beschleunigung des sozialen und ökologischen Umbaus sollte daher ein neuer EU-Klimainvestitionsfonds eingerichtet werden. Gleichzeitig sollten die Mitgliedstaaten den Weg für höhere Staatseinnahmen freimachen, etwa durch die Einführung vermögensbezogener Steuern und Maßnahmen gegen Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und aggressive Steuerplanung der Konzerne. Beim letzten Europäischen Rat konnte man sich nur auf diese Formel einigen: „Investitionen in maßgebliche strategische Sektoren und Infrastrukturen erfordern eine Kombination aus ineinandergreifender öffentlicher und privater Finanzierung. Der EU-Haushalt und die EIB-Gruppe spielen weiterhin eine wichtige Rolle“. Wie ein Leak des Entwurfs der strategischen Agenda für die nächste Legislaturperiode zeigt, werden ökologische und soziale Ziele zunehmend einer neuen Wettbewerbsagenda  unter­geordnet.

EU-Demokratie im Umbau

Ein sozialer Umbau bedeutet demgegenüber nicht zuletzt Demokratie auf allen Ebenen. Damit auch auf europäischer Ebene die Demokratie gestärkt wird und ein weiterer Rechtsdruck verhindert werden kann, muss die Klimapolitik die Interessen der arbeitenden Menschen ernst nehmen. Das bedeutet auch, die dreifache Ungleichheit bei der Klimapolitik in den Blick zu nehmen und jene, die die Klimakrise am meisten anheizen, auch zur Verantwortung zu ziehen. Umgekehrt sollen jene Menschen, die besonders unter ihren Folgen leiden, auch wirklich mitbestimmen können. 

Bezogen auf die europäische Ebene heißt das: Das Europäische Parlament als wichtiger Akteur des sozialen und ökologischen Umbaus muss durch eine hohe Wahlbeteiligung gestärkt und durch eine Reform der EU-Verträge aufgewertet werden. Gleichzeitig gilt es, den sozialen Dialog auf allen Ebenen zu stärken und den übermäßigen Einfluss der Unternehmen auf die EU-Politik zurückzudrängen. Die Wahlen zum EU-Parlament sind jedenfalls ein wichtiger Eckpfeiler der demokratischen Mitbestimmung im Umbau. 

Diesen Artikel downloaden


Kontakt

Kontakt

Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien

Abteilung EU & Internationales
Prinz Eugenstraße 20-22
1040 Wien

Telefon: +43 1 50165-0

- erreichbar mit der Linie D -