Infobrief 2|24 | Feigl: Reform der EU Economic Governance unzureichend
Infobrief 2|24 | Feigl: Reform der EU Economic Governance unzureichend © AK WIEN
Mai 2024

Reform der EU Economic Governance Fiskalregel-Änderungen bleiben unzureichend

Gerade noch rechtzeitig vor den EP-Wahlen kamen Kommission, Rat und Parlament zu einer Einigung bei der Reform der Economic Governance. Grundsätzliche Änderungen für eine bessere wirtschaftspolitische Steuerung finden sich darin kaum. Wie bisher bleiben restriktive Auflagen für die nationale Budgetpolitik ihr Herzstück. Sie werden eine neue Kürzungswelle auslösen, wenngleich diese nun abgeschwächt ist. Dass das ausreicht, um die Sozialstaaten zu schützen und das Potenzial an öffentlichen Investitionen für den Klimaschutz zu heben, ist unwahrscheinlich. Vieles wird aber erst die konkrete Anwendung zeigen.

Autor: Georg Feigl

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Über den Autor

Georg Feigl ist Referent für öffentliche Haushalte und europäische Wirtschaftspolitik in der Arbeiterkammer Wien

Georg Feigl
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Kurz und Knapp

  • Economic Governance als langjährige Baustelle.
  • Reformprozess: Große Erwartungen, ernüchternde Vorschläge, einige Verbesserungen.
  • Schuldentragfähigkeitsanalyse als eingebautes Damoklesschwert.
  • Wenig Budgetspielraum für öffentlichen Zukunftsinvestitionen, drohende Einschnitte bei Sozialausgaben.  
  • Für Österreich könnte sich das neue EU-Regelwerk positiv auswirken.
  • Viel hängt nun davon ab, ob ein neuer, substanzieller europäischer Investitionsfonds kommt.

Die wirtschaftspolitische Steuerung auf europäischer Ebene ist ein historisch gewachsenes Flickwerk. Erst mit der Gründung des Euroraums gab es überhaupt erst den Anspruch auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik jenseits der einzelnen Mitgliedstaaten. Die vorherrschende Philosophie war zunächst, dass es keine umfassende Steuerung auf europäischer Ebene brauche, um das übergeordnete wirtschaftspolitische Ziel der nachhaltigen Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen bzw. die möglichst ausgewogene Berücksichtigung seiner Teilziele zu erreichen; die Einhaltung gewisser Mindestregeln wäre ausreichend. 

Kleine Geschichte der EU-Wirtschaftspolitik

1992 wurden Konvergenzkriterien als Voraussetzung für den Beitritt zum Euroraum festgelegt. In Dauerrecht überführt wurden anschließend nur die Obergrenzen für die öffentlichen Haushalte – besser bekannt als Maastricht-Kriterien: Ein maximales Defizit von 3% des BIP sowie die Stabilisierung der Staatsschuldenquote unterhalb des damaligen Durchschnitts von rund 60 % des BIP bzw. bei überdurchschnittlichem Startwert den Abbau auf dieses Niveau. 

Bereits damals gab es die Sorge, zu restriktive Regeln könnten Investitionen und Beschäftigung bremsen – das Ergebnis war ein Kompromiss aus (Budget-)Stabilität und Entwicklungsspielräumen in Form des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP), ergänzt in der Folge um wirtschaftspolitische Leitlinien mit Beschäftigungspolitik als soziale Erweiterung. Während die Maastricht-Kriterien rechtlich sanktionierbar waren, blieben die Leitlinien kaum bis locker koordiniert. Zunehmende Divergenzen waren die Folge, die aber nicht bearbeitet wurden – bis zur Finanz- und Wirtschaftskrise mit ihren schwerwiegenden Folgen. Mit dem beispiellosen Wirtschaftseinbruch und der sich verschärfenden Krise in Griechenland kam es zu einer adhoc-Verdichtung der wirtschaftspolitischen Steuerung auf europäischer Ebene – neuerlich mit einem klaren Fokus auf strengere Budgetregeln. 

Gesamtwirtschaftlich wenig überraschend löste der danach folgende harte Austeritätskurs eine zweite Rezession in der Eurozone aus. Erst die Intervention der europäischen Zentralbank konnte die Abwärtsdynamik stoppen. Der Bedarf für eine sofortige neuerliche Reform der Economic Governance war offensichtlich. Gleichzeitig wuchs das Bewusstsein, dass die soziale Entwicklung und die ungelöste Klima-Krise mehr wirtschaftspolitische Aufmerksamkeit erfordern. 

Reformprozess der von der Leyen Kommission 

Vor diesem Hintergrund leitete die Ende 2019 gestartete EU-Kommission eine Reform der Regeln und Prozeduren der europäischen Wirtschaftspolitik ein. Mit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie wurde sie auf Eis gelegt. Gleichzeitig kam es neuerlich ad hoc zu einer wahren Revolution der Economic Governance: Massiver Kauf von Staatsanleihen durch die EZB, eine gemeinsame Verschuldung der Mitgliedstaaten für einen im Vergleich zum EU-Regelbudget riesigen Fonds (Aufbau- und Resilienzfazilität) zur Abfederung der Krise und die Aussetzung aller Fiskalregeln. So wurde diesmal die Krise deutlich besser gemeistert und eine zweite Rezession mit hohen sozialen Kosten bislang vermieden. 

Mit dieser positiven Erfahrung im Hintergrund nahm die Kommission 2022 den Reformprozess wieder auf. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen von Gewerkschaften, Umwelt-NGOs und progressiven Ökonom:innen, dass der erfolgreiche Ausnahmezustand auch in eine weitreichende Änderung der wirtschaftspolitische Steuerung in normalen Zeiten mündet. 

Die Ernüchterung folgte mit den konkreten Änderungsvorschlägen der Kommission im Frühjahr 2023: Keine umfassende Ausrichtung auf die nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen, keine Demokratisierung durch weitreichende Mitentscheidungen des EU- Parlaments und nur eine beschränkte Erweiterung des Budgetspielraums – ohne goldene Investitionsregel und ohne einem neuen EU-Investitionsfonds. Zu stark waren offensichtlich immer noch jene Kräfte, die in einem möglichst ausgehungerten Staat die beste Grundlage für private Gewinne sehen. 

In Folge waren es auch genau diese Kräfte, die insbesondere in Form des deutschen Finanzministers im Rat den Kommissionsvorschlag weiter verwässerten. Das Europäische Parlament, das formell ohnehin nur bei einem Teil des Vorschlags Mitentscheidungsrecht hat, übte sich einerseits im Ausloten eines Kompromisses, beschloss aber andererseits punktuell auch progressive Verbesserungen wie eine bessere Verankerung der sozialen Säule, eine beschränkte Ausnahme für Investitionen im Rahmen von EU-Programmen oder mehr Transparenz und Debatte. 

Was weder Rat noch Parlament ausreichend am Schirm hatten: die wesentlichen Stellschrauben sicherte sich die Kommission gerade außerhalb der Verordnung, indem es weitgehend ihr überlassen bleibt, wie sie die entscheidende Schuldentragfähigkeitsanalyse durchführt und welche Kriterien sie wie genau bewertet und gewichtet, um die Konsolidierungsvorgabe zu strecken. 

Fiskalregeln: Nationale Haushaltspläne im Zentrum 

Was sind nun die konkreten Änderungen der Economic Governance? Im Zentrum bleiben die Fiskalregeln. Sogenannte mittelfristige Fiskalstrukturpläne sollen nun bestimmend werden, die sich grundsätzlich auf vier Jahre beziehen und einen mittelfristigen Abbau der Staatsschuldenquote gewährleisten sollen. Wird ein Paket an Reformen und Investitionen geschnürt, bekommen die Mitgliedsstaaten länger Zeit, um das Konsolidierungsziel zu erreichen, nämlich insgesamt sieben Jahre. 

Die EU-Kommission prüft die Pläne bei Vorlage; vor allem, ob – anhand selbst gewählter Methoden – die Gefahr besteht, dass die Staatsschuldenquote in den zehn Folgejahren wieder steigt. Ist das der Fall, kann sie die Vorgaben verschärfen. In Folge überwacht sie dann die jährlichen Fortschritte – gemessen vor allem am Wachstum der Staatsausgaben. Aber: Formell entscheidet weiterhin der Rat, der – auf Basis der Kommissionsanalyse – die Pläne billigen oder Sanktionen bei zu starken Ausgabenzuwächsen/Einnahmenkürzungen verhängen kann. 

Mittelfristige Fiskalziele: same, same – but different 

Die umstrittenen Maastricht-Regelwerte als Referenzpunkt bleiben unverändert. Nach wie vor gilt bei einer Verletzung des Defizitkriteriums, dass unmittelbar eine Konsolidierung des Staatsbudgets einzuleiten ist, wobei sich das Defizit um mind. 0,5 % des BIP pro Jahr verbessern muss. Bei einer Verletzung des Schuldenkriteriums wird ebenfalls wie gehabt ein Verfahren ausgelöst, wenn die Staatsschuldenquote nicht schnell genug sinkt – nun allerdings mit entschärftem Kriterium: Statt mind. jährlich 1/20 der Differenz zu den 60 % des BIP abzubauen, reicht nun ein Prozentpunkt pro Jahr (bzw. 0,5 für Länder zwischen 60 und 90 % Staatschuldenquote). Das bringt eine Entschärfung für alle Länder mit einer Quote über 70 % des BIP (der Euroraum-Durchschnitt liegt derzeit bei 90 %), also z.B. Frankreich, Spanien, Belgien – und geringfügig auch Österreich. Am meisten profitiert Italien, wo gemäß der alten Regeln die Quote um jährlich vier Prozentpunkte abgebaut hätte werden müsste. 

Wesentlichste Verbesserung ist aber das neue operative mittelfristige Ziel: Statt einem maximalen Defizit von 0,5 % des BIP sind nun 1,5 % des BIP sanktionsfrei möglich – und wenn die Staatsschuldenquote unter 60 % des BIP liegt, gibt es gar keine zusätzliche Begrenzung mehr. Zur Einordnung: ein Prozentpunkt mehr Spielraum ermöglicht alleine im Euroraum über 150 Mrd. Euro an zusätzlichen Ausgaben, die etwa für notwendige zusätzliche Investitionen für den Klimaschutz verwendet werden können – aber erst nach abgeschlossener Konsolidierung. Doch auch am Weg dorthin wird der Spielraum erhöht, wenngleich nur geringfügig und nur wenn das Defizit bereits unter 3 % des BIP liegt: statt bisher mindestens 0,5 % des BIP reicht – mit Investitions- und Reformpaket – nun eine halb so große jährliche Budgetverbesserung. Zudem gibt es mit den Konsolidierungsvorgaben übersetzt in maximale Zuwächse der öffentlichen Ausgaben für vier bis sieben Jahre nun wesentlich mehr Planbarkeit als mit dem bisherigen strukturellen Defizit, das eine bloße Schätzgröße ist und mit jeder Wirtschaftsprognose neu festgelegt wurde.

Bessere Planbarkeit wird in der Anwendung konterkariert

Allerdings gibt es ein eingebautes Damoklesschwert, die sogenannte Schuldentragfähigkeitsanalyse (kurz DSA) – das auch tatsächlich schneidet, wie eine Präsentation von Zsolt Darvas vom Bruegel-Institut auf Basis des maßgebenden Debt Sustainability Monitors 2023 der Kommission – und noch der alten EK-Prognose vom November – zeigt: Übersetzt man die dort angegebenen Werte, so drohen dem Euroraum bis 2028 Kürzungen und Steuererhöhungen in Höhe von rund 2,3 % des BIP (über 360 Mrd. Euro). Das wird nicht ohne deutliche Abstriche bei Bildung, soziale Sicherheit und Klimaschutz zu machen sein. Besonders betroffen ist Italien: Die dortige Regierung müsste demnach in den nächsten vier Jahren statt mindestens 1,75 % des BIP (in etwa 40 Mrd. Euro) gemäß Benchmark und Safeguards um bis zu 4,2 % konsolidieren (knapp 100 Mrd. Euro) – ein ökonomisch wie sozial gewaltiger Unterschied.

Bei der DSA wird geprüft, wie hoch das Risiko ist, dass die Staatsschuldenquote in den zehn Jahren nach Ende des Plans wieder steigt. Falls gegeben, wird nachgeschärft – ein äußerst gewagtes Unterfangen, sofortige zusätzliche Kürzungen auf Basis einer geschätzten Entwicklung der Schuldenquote bis 2041 vorzugeben. Neuerlich macht man Politik von ungenauen Schätzmethoden anstelle beobachtbarer Größen abhängig. 

Das Absurde an der DSA ist, dass sie die heutigen Fiskalregeln verschärft, weil sie von einem Bruch der Fiskalregeln in der Zukunft ausgeht. Konkret rechnet sie damit, dass die langfristig steigenden demographiebedingten öffentlichen Ausgaben nicht in den folgenden Fiskalstrukturplänen kompensiert werden, sondern ausschließlich mit höheren Schulden finanziert werden, obwohl die Fiskalregeln genau das ausschließen. Und um diesen Schuldenzuwachs vorzubeugen, soll bereits heute mehr gekürzt werden. Und: Schätzt die Kommission den langfristigen Anstieg der Pensions-, Gesundheits- und Pflegeausgaben zu hoch bzw. den der Erwerbstätigen zu gering ein, kann das zu einer unmittelbar wirksamen höheren Konsolidierungsverpflichtung führen.

Ein weiteres methodisches Problem ist die Ermittlung der Schranken für die jährlichen Ausgabenzuwächse. Es ist zwar geringer als beim strukturellen Defizit, aber in Form der beiden Schätzgrößen Produktionspotenzial und Inflationsprognose nach wie vor vorhanden. Immerhin werden Abweichungen bei beiden Indikatoren als Erwägungsgrund für die Kommission bei der Beurteilung einer Überschreitung angeführt (neben anderen Faktoren wie etwa schwere Rezessionen oder andere Effekte außerhalb der Kontrolle der Mitgliedstaaten). Hier dürfte es abermals von der gelebten Praxis der Kommission abhängen, ob die methodischen Probleme zu politischen mutieren – beispielsweise bei einem Wirtschaftsabschwung bei gleichzeitig höherer Inflation wie im Vorjahr. Das ist umso wichtiger, als dass nun Kontrollkonten geführt werden, sodass selbst bei minimalen Abweichungen (kumuliert 0,6 % des BIP) ein Korrekturmechanismus ausgelöst werden kann.

Zu wenig Spielraum für Zukunftsinvestitionen und sozialen Fortschritt

Die leichten Verbesserungen für Länder wie Österreich dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die neuen Regeln für Länder mit einem Defizit über 3 % des BIP keinen zusätzlichen Budgetspielraum bringen. Tatsächlich weisen aktuell gerade gewichtige Länder wie Frankreich, Italien, Spanien und Belgien übermäßige Defizite auf. Nach Auslaufen der Mittel aus der Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) werden sie es kaum schaffen, auch nur die Investitionen konstant zu halten. Dafür müsste nämlich insbesondere Italien zusätzlich zur Konsolidierungsvorgabe weitere Ausgaben kürzen bzw. Steuern erhöhen, um die wegfallenden EU-Mittel zu kompensieren. 

Da sich Investitionen sehr leicht zeitlich verschieben oder strecken lassen, sind sie ohne Ausnahmeregeln aber ohnehin besonders kürzungsgefährdet. Die sinngemäße Implementierung der goldenen Investitionsregel hätte diese Gefahr erheblich reduziert. Immerhin gab es aber in der finalen Phase der Fiskalregel-Verhandlungen die Verbesserung, dass kofinanzierte Investitionen nicht durch die Ausgabenregel eingeschränkt werden. Wie viel diese Ausnahme bringt, wird sich erst weisen. Mittelfristig ist sie ein wesentliches Potenzial für politische Verbesserungen: Zum einen bei der Ausgestaltung des EU-Finanzrahmens 2028 – 2034, zum anderen bei der Frage, ob die Aufbau- und Resilienzfazilität in ähnlicher Form nochmals aufgelegt wird. Diesbezügliche Fortschritte werden wesentlich darüber entscheiden, ob es der EU gelingen wird, den hohen und dringlichen öffentlichen Investitionsbedarf zur Erreichung der Klimaziele zu decken.

Und was ist mit der sozialen Dimension der Reform? Im Zuge der Haushaltsprüfung durch die EU-Kommission werden künftig sowohl die Prinzipien der Europäischen Säule sozialer Rechte als auch Risiken der sozialen Kohärenz berücksichtigt und gemessen. Dem steht gegenüber, dass angesichts der – in erster Linie krisenbedingt – höheren Defizite eine Konsolidierungswelle bevorsteht. Zwar wird diese gegenüber den alten Regeln abgemildert und zeitlich gestreckt, dennoch sind Einschnitte bei sozialen Ausgaben vorprogrammiert: Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsausgaben sind in allen Mitgliedstaaten die größten Budgetpositionen, sodass eine Konsolidierung fast zwangsläufig stark zu deren Lasten geht – zumindest dann, wenn nicht auch einnahmenseitig angesetzt wird.

Was würde die Umsetzung des Vorschlags für Österreich konkret bedeuten?

Damit sich die Fiskalregel-Reform positiv in Österreich entfalten kann, ist zunächst die Bundesregierung gefordert: Sie muss gemeinsam mit Ländern, Städten und Gemeinden die nationale Schuldenbremse reformieren, die sich stark an den alten europäischen Regeln orientiert, aber sogar noch rigider ausgestaltet ist. Davon bekam man allerdings bislang wenig mit, da sie erst 2017 in Kraft trat und mit Pandemie-Beginn 2020 bereits wieder ausgesetzt wurde, weil sie nicht mehr einzuhalten war. Heuer würde sie wieder gelten – und einen unmittelbaren Korrekturbedarf auslösen, da die Budgetplanung auf Bundesebene ein weitaus größeres Defizit als die vorgesehenen 0,35 % des BIP vorsieht. Im Zuge ihrer Reform sollte der Fehler der Vergangenheit vermieden werden, das Doppelgleisigkeiten zu den europäischen Regeln geschaffen werden – angesichts der neuerlichen Komplexität aber ein schwieriges Unterfangen. 

Das neue EU-Regelwerk selbst senkt die Konsolidierungsanforderung für Österreich im kommenden Jahr um 0,5 bis 1,3 Mrd. Euro – je nachdem, ob die Bundesregierung zusätzlich ein Investitions- und Reformpaket verabschiedet (das von der EU-Kommission auch als geeignet anerkannt wird) und welche Methoden die Kommission für die Schuldentragfähigkeitsanalyse anwendet. Mittelfristig steigt der Spielraum möglicherweise sogar um knapp 6 Mrd. Euro, da das Defizit nur mehr auf einen Wert (eben die 1,5 % des BIP) abgesenkt werden muss, der eine langfristige Staatsschuldenquote unter 60 % des BIP bewirkt. Funkt die Schuldentragfähigkeitsanalyse nicht dazwischen, sind diese Vorgaben mittelfristig mit einer wohlstandsorientierten Budgetpolitik gut vereinbar und entsprechen etwa dem formulierten Ziel in der AK-Budgetanalyse: Demnach ist ein über die Stabilisierung der Staatsfinanzen hinausgehender rascherer Schuldenabbau abzulehnen, da er zulasten von Möglichkeiten in der Zukunft geht (Investitionen in den Klimaschutz, Verbesserung der sozialen Dienste und der Daseinsvorsorge, Bildungschancen künftiger Generationen etc.). Kurzfristig ist die Konsolidierung aber auch für Österreich eine Herausforderung, mit einem Defizit 2023 von 2,7 % des BIP bei gleichzeitig gedämpfter wirtschaftlicher Entwicklung und offenen sozialen wie ökologischen Herausforderungen.

Schlussfolgerungen

Mit der Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung wurde eine Chance verpasst, eine ausgewogene Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene zu verankern. Sie bleibt einseitig fixiert auf Restriktionen für die Budgetpolitiken der Mitgliedstaaten – obwohl angesichts der vielfältigen Herausforderungen vielmehr daran gearbeitet hätte werden sollen, wie Europa handlungsfähiger gemacht werden kann. 

Mit der ARF wurde in der Krise ein gutes Mittel entwickelt, wie die negative Wirkung national beschränkter öffentlicher Haushalte ausgeglichen werden kann. Eine Nachfolgelösung sollte deshalb auf der europäischen Agenda bleiben, denn ohne Flankierung wird die in vielen Mitgliedstaaten objektiv notwendige Konsolidierung zu Lasten wichtiger anderer Ziele gehen – wie insbesondere dem sozialen Ausgleich und dem Klimaschutz. Allein Letzterer bedarf einen massiven Um- und Ausbau des öffentlichen Vermögens in der Größenordnung von 1 % des BIP. Die Reform der europäischen Fiskalregeln hat nun dafür gesorgt, dass der Widerspruch zwischen Investitionsnotwendigkeiten und Konsolidierungsvorgaben zumindest abgemildert wurde.

Wie groß die Spielräume künftig tatsächlich sein werden, wird sich erst in der Praxis weisen, da wesentliche Dinge wie der Umgang der Kommission mit den Investitions- und Reformpaketen oder den langfristigen Prognosen im Rahmen der Schuldentragfähigkeitsanalyse in den Verordnungen weitgehend unbestimmt bleiben. Hochproblematisch wäre eine Verknüpfung von Reformmaßnahmen, die zu Lasten der Arbeitnehmer:innen gehen, mit fiskalpolitischen Erleichterungen – wie sie etwa in Griechenland oder Portugal im Rahmen der sogenannten Troika-Verhandlungen gang und gebe war. Eine Handhabung wie im Zuge der ARF könnte hingegen Verbesserung bringen, da nationale Politiken stärker mit europäischem Mehrwert angereichert werden können. 

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