Infobrief 1|24 | Theuerl: Die Europäische Arbeitsplatzgarantie
Infobrief 1|24 | Theuerl: Die Europäische Arbeitsplatzgarantie © AK WIEN
März 2024

Die Europäische Arbeitsplatzgarantie: Ein wesentlicher Beitrag, um Vollbeschäftigung zu erreichen

Persistente Arbeitslosigkeit gehört zu den ungelösten Problemen in der Europäischen Union. In den letzten Jahren ist es EU-Mitgliedsländer mit öffentlicher Arbeitsplatzbeschaffung gelungen, Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Eine Finanzierung auf europäischer Ebene ist möglich und würde existierende Projekte absichern und die weitere Implementierung auf regionaler Ebene durch Arbeitsmarktinstitutionen oder Zivilgesellschaftliche Akteure in weiteren Mitgliedsländern fördern.

Autor: Simon Theurl

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Hintergrund

Seit den 1990er Jahren kämpft die Europäische Union mit hoher Arbeitslosigkeit. Noch bis in die 1990er wurde das Ziel der Vollbeschäftigung von einflussreichen Ökonom:innen bei einer Arbeitslosenrate zwischen 1–3 % gesehen. Gemessen an diesen Maßstäben, verfehlt die EU das Ziel der Vollbeschäftigung deutlich. Zwar führte die gute Konjunktur zu einer Reduktion der Arbeitslosigkeit zwischen 2000 – 2008 und erneut ab 2013, fiel jedoch bis dato nicht unter 6%.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass Ursachen von Arbeitslosigkeit seit den 1980ern/90ern in zunehmendem Ausmaß beim Individuum gesucht werden und sich die monetaristische Idee einer „natürlichen“ Arbeitslosigkeit durchgesetzt hat. Abgelöst wurde die Idee, dass der Staat bzw. die Politik in ihrem Handlungsspielraum, mittels Nachfragemanagement für Vollbeschäftigung sorgen soll und kann. Übrig blieb Sucharbeitslosigkeit, also die Dauer von Arbeitslosigkeit und deren Reduktion, als Aufgabe der etablierten Arbeitsmarktpolitiken der europäischen Mitgliedsländer. Das soll im Wesentlichen durch Unterstützung bei der Arbeitssuche, aber insbesondere mittels Kontrollen und Sanktionen erreicht werden. Daneben wird mit variierendem Aufwand versucht mittels Qualifizierungsmaßnahmen die Chancen am Arbeitsmarkt zu erhöhen und Unternehmen mit öffentlichen Lohnsubventionen dazu motivieren, Arbeitslose anzustellen.

In kapitalistischen Gesellschaften, in denen Lohnarbeit einen zentralen Stellenwert einnimmt, ist ein Anteil von über 6% (unfreiwilliger) Arbeitsloser nicht akzeptabel; insbesondere dann, wenn es sich um lange andauernde Episoden von Arbeitslosigkeit handelt. Vor dem Hintergrund hoher (Langzeit-) Arbeitslosigkeit haben innovative Akteur:innen unterschiedliche Pilotprojekte initiiert. Diese orientieren sich an der Idee einer Jobgarantie. Europäische Finanzierungsmöglichkeiten können dazu beitragen bereits bestehenden Projekte abzusichern und weitere Initiativen zu ermöglichen.


Über den Autor

Simon Theurl ist Arbeitsmarktexperte in der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien und unterrichtet auf der Uni Graz.

Simon THEURL
Simon THEURL © AK WIEN

Kurz und Knapp

  • In kapitalistischen Gesellschaften, in denen Lohnarbeit einen zentralen Stellenwert einnimmt, ist ein Anteil von über 6% (unfreiwilliger) Arbeitsloser nicht akzeptabel.

  • Zwischen 2005 und 2020 lag die Langzeitarbeitslosenquote zwischen 34 % und 50%.

  • Es ist die Aufgab des Staates, Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, wenn der Markt versagt – wenn es also nicht genügend Arbeitsangebote für alle Arbeitssuchenden gibt.

  • Mit der Orientierung an den gewerkschaftlichen Lohnforderungen könnte eine Arbeitsplatz­garantie dazu beitragen, Aufwärtsentwicklungen im Niedriglohnbereich zu fördern.

  • Dass es sich bei der Arbeitsplatzgarantie nicht um eine rein theoretische Debatte handelt, zeigen eine Reihe an Beispielen von arbeitsplatzgarantieähnlichen Programmen.

  • Die Beseitigung von Langzeitarbeits­losigkeit soll als europäische Aufgabe verstanden werden.

  • Vor diesem Hintergrund ist die Existenz von (Langzeit)Arbeitslosigkeit bzw. die Existenz guter Lohnarbeit für alle, eine politische Entscheidung.

Langzeitarbeitslosigkeit bringt Grenzen der Arbeitsmarktpolitik zum Ausdruck

Indem wir den Blick auf Langzeitarbeitslosigkeit lenken, können wir dabei Grenzen der etablierten Arbeitsmarktpolitiken erkennen. Die Anzahl der Langzeitarbeitslosen schwankt naturgemäß abhängig von der Entwicklung der Arbeitslosigkeit bzw. Beschäftigung, also von jenen Faktoren die nicht(mehr) im Aufgabenbereich der Arbeitsmarktpolitik verstanden werden.

Das Verhältnis von Langzeitarbeitslosen zu den Arbeitslosen ermöglicht es, die Wirkung der Arbeitsmarktpolitik in diesem Bereich in den Fokus zu nehmen. So ermöglicht es die Quote der Langzeitarbeitslosen, Langzeitarbeitslosigkeit als Problemfeld der Arbeitsmarktpolitiken in Europa zu identifizieren, das selbst in guten Konjunkturlagen nicht verschwindet. Zwischen 2005 und 2020 lag die Langzeitarbeitslosenquote zwischen 34 % und 50 % (vgl. Abbildung).

Grafik: Langzeitarbeitslosigkeit
Grafik: Langzeitarbeitslosigkeit – EU 27 © AK WIEN


Langzeitarbeitslosigkeit wird nicht von selbst verschwinden

Dafür gibt es viele Ursachen, letztlich aber der Mangel an Arbeitsplätzen für diese Personengruppe, Einstelldiskriminierung und multiple Vermittlungsschwierigkeiten, die sich im Zeitverlauf gegenseitig verstärken. Arbeitslosigkeit, insbesondere lange andauernde Arbeitslosigkeit, ist eine Belastung für die Betroffenen. Soziale Ausgrenzung, ein zunehmendes Armutsrisiko und verschlechternde physische und psychische Gesundheit sind gängige Folgen. Die Aussichten auf Wiederbeschäftigung verringern sich im Laufe der Zeit aufgrund von Einstellungsdiskriminierung. So wird die Dauer der Arbeitslosigkeit selbst zu einer Ursache anhaltender, sich verfestigender Arbeits­losigkeit.

Es ist unwahrscheinlich, dass Langzeitarbeitslosigkeit von selbst verschwinden wird. Demografische Prognosen deuten auf eine alternde Bevölkerung hin. Obwohl dies in den kommenden Jahren einen dämpfenden Effekt auf die Arbeitslosigkeit haben wird, wird es wahrscheinlich die Langzeitarbeitslosigkeit unter der alternden Bevölkerung erhöhen, da das Risiko in Langzeitarbeitslosigkeit zu verharren mit dem Alter steigt. 

Die Idee einer progressiven und transformativen Arbeitsplatzgarantie für Europa

Im Kontext verschiedener Krisenerscheinungen wird die in den USA populäre Idee einer „Job Guarantee“, mittlerweile auch im europäischen Kontext verstärkt diskutiert. Dabei handelt es sich um ein vielversprechendes Instrument, das eingesetzt werden könnte, um Vollbeschäftigung zu erreichen, Armut zu reduzieren, die Wirtschaft zu stabilisieren, öffentliche Angebote auszubauen sowie einen sozialökologischen Übergang zu unterstützen.

Das Konzept ist einfach: Jede:r die oder der eine Arbeit sucht, bekommt vom Staat einen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt. Es ist die Aufgabe des Staates, Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, wenn der Markt versagt – wenn es also nicht genügend Arbeitsangebote für alle Arbeitssuchenden gibt.

Dabei erfüllt das idealtypische Modell einer progressiven und transformativen Arbeitsplatzgarantie eine Reihe an Ansprüchen. Das ist von zentraler Bedeutung um diese von öffentlichen Arbeitsverpflichtungen mit Zwangscharakter abzugrenzen.

Eine Arbeitsplatzgarantie ist freiwillig, die Einkommen entsprechen den geltenden Kollektivverträgen und diese liegen zumindest über der Armutsgrenze. Die Arbeitsverträge sind unbefristet und an die Arbeitszeitwünsche und -möglichkeiten der Teilnehmer:innen angepasst. Die Schaffung der Jobs wird demokratisch organisiert um den Bedürfnissen der Arbeitssuchenden und der Gemeinschaften, in denen die Jobs geschaffen werden, zu entsprechen.

Arbeitsplatzgarantie statt Arbeitszwang

Das Gebot der Freiwilligkeit ist ein zentrales Charakteristikum, das eine progressive Arbeitsplatzgarantie von öffentlichen Arbeitsplatzprogrammen mit Zwangs­charakter unterscheidet, die ab den 1980er Jahren an Popularität gewonnen hatten. Sogenannte „Workfare“ Programme bzw. „work for benefits“ Programme, wie die 1€-Jobs im Rahmen der Hartz-IV-Reformen, erhöhen den Druck, schlechte Jobs zu akzeptieren und wirken disziplinierend und stigmatisierend.

Faire Entlohnung 

Bei der Frage nach angemessenen Einkommen sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Höhere Einkommen bei einer Arbeitsplatzgarantie werden vermutlich auch zu einem höheren Widerstand der Kapitalseite führen, da diese dazu führen könnten, dass Arbeitskräfte niedrig bezahlte Jobs verlassen. Das hätte auch zur Folge, dass insgesamt weniger Beschäftigungseffekte – im Fall vom Wechsel von Privatbeschäftigung zu öffentlicher/geförderter Beschäftigung – zu beobachten sind. Ob eine solche Arbeitsplatzgarantie finanzierbar ist, hängt dann vom Selbstfinanzierungsgrad der Programme ab. Solange Unternehmen im Niedriglohnsektor Profite erwirtschaften, kann davon ausgegangen werden, dass sich ein solches Programm selbst finanzieren kann. Ob nun der Wettbewerb im Niedriglohnsektor erhöht werden soll, bzw. der Lohndruck nach oben erhöht werden soll, ist eine gesellschaftliche Frage, die nicht zuletzt politisch ausgefochten werden muss. 

Mit der Orientierung an den gewerkschaftlichen Lohnforderungen könnte eine Arbeitsplatzgarantie dazu beitragen Aufwärtsentwicklungen im Niedriglohnbereich zu fördern. Indem das Einkommen dabei jedenfalls über der Armutsgrenze liegen muss, würde eine Arbeitsplatzgarantie zur Reduktion von Armut beitragen.

Demokratische Beteiligung

Im Idealfall kann die Beteiligung von Sozialpartnern dazu beitragen unterschiedliche Interessen sinnvoll auszugleichen. Gelingt es, bei der Auswahl der zu schaffenden Arbeitsplätze die lokale Bevölkerung einzubinden, kann sichergestellt werden, dass Nachfrage für die neugeschaffenen Tätigkeiten bzw. Produkte besteht. Nicht zuletzt ist es notwendig die Arbeitssuchenden entsprechend einzubinden. Das leitet sich aus dem Gebot der Freiwilligkeit ab und hilft die Dropout-Rate aus dem Programm zu reduzieren.

Zielgruppenorientierung

Eine Arbeitsplatzgarantie kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Sie kann universell, also für alle zugänglich sein, oder sie kann auf bestimmte Zielgruppen, wie z.B. die am meisten benachteiligten und verwundbaren Gruppen gerichtet werden.

Eine Arbeitsplatzgarantie für Langzeitarbeitslose bietet eine Reihe an Vorteilen. Sie würde die Dynamik des Arbeitsmarktes signifikant steigern und die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt reduzieren. Darüber hinaus kann eine zielgruppenorientierte Arbeitsplatzgarantie dort ansetzen, wo die Arbeitsmarktpolitiken der Mitgliedsländer an ihre Grenzen stoßen. Nicht zuletzt reduziert eine zielgruppenorientierte Arbeitsplatzgarantie den administrativen Aufwand und kann dazu dienen, Erfahrungen mit Arbeitsplatzgarantieprogrammen zu erlangen, bevor diese weiter ausgerollt werden. 

Viele Vorteile eine Maßnahme

Eine Arbeitsplatzgarantie trägt dazu bei, das in den UN-Menschenrechten verankerte Recht auf gute Arbeit zu verwirklichen. Da Arbeitslosigkeit maßgeblich das Armutsrisiko erhöht, ist eine Arbeitsplatzgarantie ein geeignetes Instrument zur Armutsbekämpfung. Darüber hinaus kann sie regionale Entwicklungsstrategien fördern, öffentliche Dienstleistungen stärken und den Übergang zu einer emissionsfreien Wirtschaft unterstützen. Damit würde sie im Einklang mit den Zielen des Europäischen Grünen Deals stehen und die Grundsätze des Europäischen Pfeilers sozialer Rechte wahren.

Da wirtschaftliche Rezessionen zu einer Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit führen, helfen Programme zur Arbeitsplatzgarantie die Beschäftigungshindernisse adressieren, mit denen Langzeitarbeitslose konfrontiert sind. Im besten Fall greifen diese, bevor Menschen in eine Arbeitslosigkeitsabwärtsspirale geraten. Indem eine Arbeitsplatzgarantie mit Ausbildung am Arbeitsplatz kombiniert wird, unterstützt sie die Aufrechterhaltung sowie Aktualisierung beruflicher Kompetenzen.

Die Arbeitsplatzgarantie in der Praxis: aktuelle Beispiele aus Europa

Dass es ich bei der Arbeitsplatzgarantie nicht um eine rein theoretische Debatte handelt, zeigen eine Reihe an Beispielen von arbeitsplatzgarantieähnlichen Programmen weltweit, aber auch in Europa. Prominente und aktuelle Beispiele sind, „Kinofelis“ in Griechenland, das französische „Territoire Zéro Chômeur de Longue Durée“ (TZCLD), die Regionen mit null Arbeitslosigkeit in Wallonien und das „Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal“ (MAGMA) in Österreich. Darüber hinaus können wertvolle Erkenntnisse aus den Erfahrungen mit der EU-Jugendgarantie gewonnen werden. Die genannten Programme wurden jeweils an die spezifischen regionalen Gegebenheiten angepasst und unterscheiden sich darüber hinaus anhand der Zielgruppe. Beispielsweise ist das Programm in Wallonien in eine regionale industriepolitische Entwicklungsstrategie eingebettet. Alle vier Programme richten sich an Langzeitarbeitslose.

Im September 2016 startete in Griechenland das öffentliche Arbeitsbeschaffungsprogramm „Kinofelis“. Das Programm wurde über einen Zeitraum von drei Jahren in aufeinanderfolgenden Wellen ausgerollt und erreichte ungefähr 200.000 Langzeitarbeitslose. Im Jahr 2019 verlängerte die neue Regierung das Programm, das bis heute existiert.

2016 verabschiedete die französische Regierung ein Gesetz zur Finanzierung und Durchführung des TZCLD. Heute hat es 2.100 Teilnehmer:innen, wird auf lokaler Ebene durchgeführt, zielt auf Langzeitarbeitslose ab und erhält nationale Finanzierung. Im Jahr 2020 trat es in eine zweite Phase ein, in der sich 47 Regionen den vorherigen zehn anschlossen, mit etwa 2.000 zusätzlichen Teilnehmer:innen.

Inspiriert vom TZCLD startete die Wallonische Regierung am 28.4.2023 ihr eigenes öffentliches Arbeitsbeschaffungsprogramm. Es umfasst 17 Projekte, die Arbeitsplätze für mindestens 750 Personen bieten. Das Projekt ist Teil des wallonischen Aufbauplans, der zusätzlich zur Finanzierung von mehr als 65.000 Arbeitsplätzen im sozialökonomischen Sektor und im öffentlichen Dienst beiträgt. Die Hälfte der Finanzierung stammt aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF), die andere Hälfte aus der Wallonie. Die wallonischen TZCLD-Projekte reagieren auf ungedeckte lokale Bedürfnisse und ermöglichen die Einstellung von Personen, die seit zwei Jahren arbeitslos sind.

Österreich hat eine lange Tradition öffentlicher Arbeitsplatzschaffungsprogramme, beginnend mit der „Aktion 8.000“, der „Aktion 20.000“ und zwischen 2020 und 2024 das erste Arbeitsplatzgarantie-Experiment MAGMA in Gramatneusiedl. MAGMA bietet eine Beschäftigungsgarantie für Personen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, und hat die Langzeitarbeitslosigkeit nahezu beseitigt. Eine erste Bewertung findet positive Auswirkungen auf das wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche Wohlergehen der Teilnehmer.

Eine Europäische Arbeitsplatzgarantie ist finanzierbar

Die Kosten einer Arbeitsplatzgarantie wurden auf etwa 1,5% des BIP geschätzt. Das erscheint zunächst hoch, doch wenn man die Kosten von Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und höhere Steuereinnahmen und Sozialbeiträge auf der anderen Seite berücksichtigt, sind die effektiven Kosten deutlich geringer. 

Die Kosten von Arbeitslosigkeit, also Ausgaben, die für diverse Fürsorge- oder Versicherungsleistungen anfallen variieren zwischen den Ländern erheblich. In Österreich betrugen die Ausgaben für Langzeitarbeitslosigkeit im Jahr 2022 schätzungsweise 21.853 Euro pro Jahr. Auch im Vergleich der Nettoersatzraten, die Menschen erhalten, wenn sie ein Jahr lang arbeitslos waren, liegt Österreich leicht über dem Mittelwert aller EU-Mitgliedsländer.

Unter Berücksichtigung der Kosten von Langzeitarbeitslosigkeit und der Rückflüsse ins Budget auf Grund von Lohneinkommensbezogenen Steuern, betragen die Nettokosten einer Arbeitsplatzgarantie für Langzeitarbeitslose in Österreich grob geschätzt 8.000 Euro pro Person und Jahr. 

In der EU27 waren im Jahr 2022 etwa 5,1 Millionen Menschen länger als ein Jahr arbeitslos. Basierend auf dem österreichischen Beispiel, würden sich die Kosten einer Arbeitsplatzgarantie für alle Langzeitarbeitslosen in der EU auf rund 41 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr belaufen. Das wären 0,25 % des BIP.

Finanzierung auf europäischer Ebene

Die Finanzierung einer Arbeitsplatzgarantie sollte auf europäischer Ebene sichergestellt werden, da sie auf nationaler Ebene besondere Herausforderung darstellt. Gleichzeitig sollte die Beseitigung von Langzeitarbeitslosigkeit als europäische Aufgabe verstanden werden: eine Arbeitsplatzgarantie für Langzeitarbeitslose kann zu ökonomischer Stabilität beitragen, die Dynamik am Arbeitsmarkt erhöhen, stärkt die soziale Konvergenz und kann die Regionalentwicklung ebenso unterstützen wie den „Green Deal“.

Wird Arbeitslosigkeit als das verstanden, was es ist - eine ökonomische Krisenerscheinung - lassen sich konkrete Finanzierungsvorschläge aus bereits vorhandenen Krisenmaßnahmen der EU ableiten. Ebenso könnten die Verwendungsmöglichkeiten vorhandener budgetärer Mittel ausgeweitet werden, oder die fiskalpolitischen Restriktionen für eine Arbeitsplatzgarantie gelockert werden.

Modelle für soziale Anleihen können eine stabilisierende Wirkung auf öffentliche Haushalte haben und in Folge zur Stabilisierung der Wirtschaft beitragen, da sie automatische Stabilisatoren wie Arbeitslosenunterstützung von den Ratings der Finanzmärkte für Staatsanleihen trennen. Die EURO-Krise zeigte schmerzlich die negativen Auswirkungen panikgetriebener Ratings, die zu Teufelskreisen zwischen niedrigen Ratings und steigenden Staatsschulden führten. Ähnlich könnten solche für die Finanzierung von Arbeitsplatzgarantien geschaffen werden. Als die EU während der COVID-19-Pandemie ihre Fähigkeit demonstrierte, eine große Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise zu verhindern, bot das Instrument „Support to mitigate Unemployment Risks in an Emergency“ (SURE) finanzielle Unterstützung für Kurzarbeitsregelungen in ganz Europa. Ein solcher Mechanismus könnte also als Vorbild für eine neue Initiative zur Finanzierung von Arbeitsplatzgarantieprogrammen in Europa dienen. Dabei ist jedoch kritisch anzumerken, dass es gelingen muss den Mitgliedsländern sehr günstige Konditionen zum Geldborgen zur Verfügung zu stellen und Regeln geschaffen werden, die negative Wechselwirkung mit den Fiskalregeln ausschließen. Da auch Sozial-Bonds die Staatsverschuldung erhöhen laufen sie Gefahr, dass sie auf Grund der Fiskalregeln nicht greifen, da auch sie das Defizit erhöhen würden. 

In eine ähnliche Kerbe schlagen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank, die darauf abzielen können, die Kreditkosten der Anleihen der Mitgliedsstaaten auf einem ausreichend niedrigen Niveau zu halten. Mitgliedstaaten könnten Wertpapiere auf Finanzmärkten verkaufen, um ihre Arbeitsplatzgarantieprogramme zu finanzieren. Die Europäische Zentralbank könnte dann mit einem Programm ähnlich dem Public Sector Purchase Programme (PSPP) dafür sorgen, dass diese Wertpapiere in einem vorgegebenen Rahmen bleiben.

Eine andere Quelle bieten verschiedene Posten des EU-Budgets. Programme wie Next Generation EU könnten so gestaltet werden, dass sie die Finanzierung von Arbeitsplatzgarantieprogramme der Mitgliedstaaten ermöglichen. Posten im Budget, die ausschließlich zur Finanzierung von Arbeitsplatzprogrammen reserviert werden, hätten dabei eine besonders große Hebelwirkung. Ebenso könnten Finanzierungsmöglichkeiten über den Europäischen Sozialfonds ausgebaut werden. Das ist bereits möglich, um gezielt Arbeitsplatzprogramme zu fördern bräuchte es jedoch einzeln oder in Kombination: ein höheres Volumen, einen leichteren Zugang zu den Mitteln für regionale und nicht staatliche Akteure, oder eine Bindung der Mittel eben für eine Arbeitsplatzgarantie.Nicht zuletzt könnten Ausgaben für Arbeitsplatzgarantieprogramme von fiskalischen Regeln ausgenommen werden. 

Schluss – politischer Wille

Während kurze Episoden von Arbeitslosigkeit charakteristisch für dynamische Arbeitsmärkte sind, kommt es in einem erheblichen Ausmaß zu einer Verfestigung von Arbeitslosigkeit. Diese stellt eine Belastung für die betroffenen Individuen und im Fall von Massenarbeitslosigkeit für die Gemeinschaften, in denen sie leben dar. Ökonomisch handelt es sich hierbei einerseits um ein Marktversagen, andererseits schmälert niedrige Arbeitslosigkeit die Verhandlungsmacht der Lohnarbeitenden. Politisch kommt in der Langzeitarbeitslosigkeit ein Politikversagen zum Ausdruck. In der EU lag die Quote der Langzeitarbeitslosen bei 50% und erreichte 35% im Jahr 2020. 

Dieser ungebrochen hohe Anteil an Langzeitbeschäftigungslosen spiegelt die Grenzen der herkömmlichen Arbeitsmarktpolitik in den EU-Mitgliedsländern wider, welche in den letzten Jahren zu innovativen Experimenten geführt haben. In unterschiedlichem Ausmaß haben einige EU Mitgliedsländer Arbeitsplatzgarantieprogramme umgesetzt, mit denen sie effektiv Langzeitarbeitslosigkeit beseitigen konnten. Diese orientieren sich an dem Konzept einer staatlichen Arbeitsplatzgarantie. Wo Menschen, die arbeiten wollen, keinen Arbeitsplatz finden, ist der Staat dafür verantwortlich, die fehlenden Arbeitsplätze zu schaffen. Dabei soll es sich um freiwillige Arbeitsangebote handeln, die sich an den Lohnforderungen der Gewerkschaften orientieren, den Kollektivverträgen entsprechen und zumindest armutsabsichernd sind. Darüber hinaus soll die Schaffung der Arbeitsplätze demokratisch organisiert sein, beispielsweise durch das Einbeziehen der Sozialpartner:innen, der betroffenen Arbeitslosen sowie Menschen in den Gemeinschaften, in denen die Jobs entstehen sollen.

Ein zentrales Problem stellt die Finanzierung dieser Projekte dar, die es oft nicht über den Status kurzfristiger Programme hinausschaffen und dadurch viel ihres Potenzials einbüßen. Einerseits auf Grund ideologischer Vorbehalte und politischer Konflikte, die nicht zuletzt in der Arbeitslosenpolitik zum Ausdruck gebracht werden. Andererseits auf Grund fiskalpolitischer Restriktionen, die während wirtschaftlicher Rezession – wenn es besonders wichtig wäre, einem Anstieg der (Langzeit)Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken – verstärkend wirken. Dem könnte eine Finanzierung und Verankerung einer Arbeitsplatzgarantie auf europäischer Ebene Abhilfe schaffen. In Anlehnung an bisherige Maßnahmen, die von der EU zur Krisenbekämpfung herangezogen wurden, ließe sich eine Reihe an Möglichkeiten aufzeigen, wie eine Arbeitsplatzgarantie auf euro­päischer Ebene finanziert werden könnte. 

Vor diesem Hintergrund ist die Existenz von (Langzeit)Arbeitslosigkeit bzw. die Existenz guter Lohnarbeit für alle, eine politische Entscheidung.

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