Anti-Bürokratieprogramm der EU auf Kosten von Gesellschaft und Umwelt?
Bereits in der letzten Legislaturperiode hat EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen Maßnahmen gegen eine überbordende Bürokratie und Verwaltungslasten ausgerufen. In den nächsten fünf Jahren dürften nun zahlreiche Unternehmenspflichten gestrichen werden. Die Befürchtung: Beschäftigungs-, Sozial- und Umweltstandards könnten dadurch ausgehöhlt werden. Erste Anzeichen dafür gibt es bereits.
Die Arbeiterkammer Wien hat gemeinsam mit dem Brüsseler AK-Büro eine Studie zur sogenannten Besseren Rechtsetzung in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse nun vorliegen: Die Analyse zeigt, wie das ursprüngliche Anliegen, EU-Gesetze einfacher zu gestalten, über einen langen Zeitraum hinweg immer mehr zu einem Instrument verändert wurde, das Unternehmenswünschen auf Kosten der Gesellschaft nachkommt. Geplant ist unter anderem ein Abbau von Berichtspflichten und Verantwortlichkeiten für Unternehmen: Im Draghi-Bericht zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Unternehmen ist angedacht etwa die Hälfte derartiger Berichte zu streichen.
Die AK übt an diesen unterschiedslosen Streichungen dezidierte Kritik. Mit derartigen quantitativen Zielen ist die Gefahr groß, dass Regeln mit hohem Mehrwert für Beschäftigte, Verbraucher:innen, die Umwelt beziehungsweise die Gesellschaft gestrichen werden. Die AK schlägt vor, Regelungen über Gesetze und Pflichten kontinuierlich zu überprüfen und sollte sich herausstellen, dass die Regeln nicht mehr zeitgemäß sind, sollte sie entweder novelliert oder auch gestrichen werden. Wenn sich jedoch ein Mehrwert bestätigt, sollten die Pflichten auch nicht gestrichen werden.
Ein weiteres Beispiel, das die EU-Kommission bereits vor fünf Jahren angeführt hat, ist der One-In-One-Out-Ansatz, bei dem für jedes neue Gesetz ein altes wegfallen muss. Auch hier besteht die Gefahr, dass mit der Kettensäge wichtige Regelungen ohne Not gestrichen werden. Ein Bericht der Kommission zu Bürokratie und Verwaltungslasten lässt hier die Alarmglocken schrillen: Eine neue Richtlinie zum Schutz der Arbeitnehmer:innen vor Asbest bezeichnete die EU-Kommission als Belastung, ohne dies mit Gesundheitskosten, Arbeitsfähigkeit und daraus resultierenden Steuer- und Sozialversicherungsbeiträgen gegenzurechnen. Ein weiterer Punkt, der nach der Corona-Pandemie besonders absurd klingt, ist der Vorschlag die Berichtspflichten in Fällen von Tierseuchen zu reduzieren.
Die AK warnt auch davor einen Weg einzuschlagen, bei dem auf wichtige Regeln verzichtet wird. Was dann passiert, hat die Finanzkrise ab 2008 gezeigt, weil entsprechende Regeln zur Vergabe von Krediten oder hinsichtlich des Eigenkapitals von Finanzinstituten gefehlt haben. Kreditausfälle haben kaskadenartig die gesamte Volkswirtschaft erfasst, die Immobilienpreise sackten ab, etliche Unternehmen mussten Konkurs anmelden, viele Länder landeten in einer Rezession und auch die Staatsverschuldung ging in einigen Staaten steil nach oben. Der Schaden aus dieser Narrenfreiheit betrug mehrere tausend Milliarden Euro.
Neben diesen fragwürdigen Erleichterungen für einige Unternehmen, ist auch vorgesehen, dass ein eigener KMU-Beauftragter eingesetzt wird, der direkt der Kommissionspräsidentin zugeordnet ist und außerdem an den Sitzungen des Regulatory Scrutiny Board teilnehmen kann. Dieses ist dem Gesetzgebungsprozess praktisch vorgelagert, die EU-Kommission veröffentlicht z.B. Gesetzesentwürfe erst, wenn sie vom RSB abgesegnet wurden. Damit verleiht Kommissionspräsidentin von der Leyen Wirtschaftsvertreter:innen außerordentlich viel Macht. Keine andere Interessensgruppe hat direkten Zugang zur Kommissionspräsidentin und der EU-Gesetzgebung. Eine derartige Regelung ist auch demokratiepolitisch höchst bedenklich.
Die Beispiele zeigen, dass es zwar gut ist, Gesetze und Regelungen regelmäßig auf ihre Notwendigkeit zu überprüfen, „überbordende“ Streichungen können jedoch sogar negative Effekte haben und im schlimmsten Fall zu Krisen führen.
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