AK Infobrief 3|25: Michael Reckordt: Europäische Rohstoffversorgung

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Oktober 2025

Europäische Rohstoffversorgung: Über Bemühen und Scheitern der EU-Rohstoffpolitik

2012 schrieb der Politikwissenschaftler Michael T. Klare das Buch „The Race for What’s Left: The Global Scramble for the World’s Last Resources“. Er beschreibt darin die zunehmende Konkurrenz um die verbliebenen Rohstoffe. Leicht zugängliche Vorkommen von Rohstoffen seien weitgehend erschöpft, konfliktreichere Fördermethoden werden zunehmen. Das verschärfe ökologische Zerstörung, geopolitische Konflikte und soziale Ungleichheiten. Wie die aktuellen Debatten zeigen, treten seine Befürchtungen ein.

Autor: Michael Reckordt 

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Die europäische Rohstoffpolitik der letzten zwei Jahrzehnte ist an ihrem zentralen Ziel, die langfristige Versorgung mit Rohstoffen zu sichern, gescheitert. Heute beträgt die europäische Abhängigkeit von China bei Schweren Seltenen Erden für Hochleistungsmagnete 100 Prozent (2011 war es 90 Prozent), bei Magnesium für Autoteile 97 Prozent (2011 waren es 82 Prozent), bei Lithium für Batterien 79 Prozent und bei Gallium für Halbleiter 71 Prozent. Eine der Ursachen für diese mangelnde Unabhängigkeit ist, dass die europäische Rohstoffpolitik vor allem zu einer Politik bestimmter Wirtschaftsinteressenvertretung verengt wurde. Sie hat nicht die Grundlage für Resilienz geschaffen, sondern strukturelle Abhängigkeiten verstetigt. Reduktionsziele für den Primärrohstoffverbrauch? Fehlanzeige! Technologieentwicklung und Innovation bei ressourcenleichten Produkten? Kaum entwickelt worden! Gezielter Aufbau und Förderung von Kreislaufwirtschaft von Seltenen Erden und anderen Spezialmetallen? Nicht mit der ausreichenden Ernsthaftigkeit verfolgt! All diese möglichen Weichenstellungen wurden in den letzten zwei Jahrzehnten verpasst. Politik und Wirtschaft konzentrierten sich lieber auf die Sicherung des gleichbleibend hohen Verbrauchs von metallischen Rohstoffen aus dem Bergbau. Das war billiger, weil China und andere Länder des Globalen Südens günstige Preise garantierten, und politisch opportuner, da es nicht gegen den Widerstand einiger mächtiger Industrieverbände durchgesetzt werden musste.


Über den Autor

Michael Reckordt arbeitet bei der Berliner NGO PowerShift seit knapp anderthalb Jahrzehnten zu den Auswirkungen der deutschen und europäischen Rohstoffpolitik. Er begleitet den CRMA von Beginn an aus zivilgesellschaftlicher Perspektive sehr eng.

Michael Reckordt
Michael Reckordt © PowerShift

Kurz & Knapp

  • Mögliche Weichenstellungen der EU-Rohstoffpolitik wurden in den letzten zwei Jahrzehnten verpasst.
  • Die zerstörerischen und rechtsverletzenden Stufen der industriellen Wertschöpfung auszulagern, ist an seine Grenzen gelangt und kollabiert.
  • Schon beim ersten Blick auf den CRMA fällt auf, dass bei Nachhaltigkeit und globaler Gerechtigkeit eklatante Lücken klaffen.
  • Die EU hat strategische Projekte entwickelt, um unabhängiger von Importen zu werden.
  • Vertreter*innen aus den Projektregionen befürchten, dass sie vor allem von den negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt betroffen sind.
  • Einige Sami beschweren sich darüber, dass sie nicht gleichberechtigt in die Entscheidungsfindung miteingebunden sind. Bis heute wehren sich Schweden und Finnland gegen die Ratifizierung der ILO Konvention 169, die Indigenen Gemeinschaften den sogenannten Free, Prior and Informed Consent (FPIC) garantiert.
  • Global Resources Outlook des UN-Umweltprogramms: „Die Verringerung der Ressourcenintensität ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung und letztlich für einen gerechten und lebenswerten Planeten für alle.“

Mehrfachkrisen der europäischen Rohstoffversorgung

Doch nicht nur die Importabhängigkeit von strategischen Rohstoffen von China ist unverändert hoch, weitere Risikofaktoren für die Versorgung sind hinzugekommen. Erstens haben die geopolitischen Konflikte zugenommen. Sowohl der russische Angriff auf die Ukraine und der seit Februar 2022 andauernde Krieg als auch der eskalierende Handelskonflikt zwischen China und den USA unterstreichen dies. Während das ostasiatische Land seine Marktdominanz in den Rohstofflieferketten nutzt, um im Handelsstreit mit den USA mit Hilfe von Exportbarrieren bei ausgewählten Rohstoffen Druck auf die USA auszuüben, von denen zum Teil auch die EU (perspektivisch) betroffen ist, haben europäische Unternehmen nach dem Angriff auf die Ukraine – zum Teil erst aufgrund von Sanktionen – ihren Einkauf, vor allem von Nickel, Aluminium, Titan und Platin-Metallen aus Russland beenden müssen. Zweitens eskaliert die Klimakrise und die verbundenen Wetterereignisse beeinträchtigen den Bergbau oder die Stromerzeugung. So wurde nach ungewöhnlich starken Regenfällen im Jahr 2021 in der chinesischen Provinz Shanxi die Kohleproduktion zurückgefahren. Energieintensive Industrien waren gezwungen, ihre Metallproduktion zu reduzieren, insbesondere Magnesium und Aluminium. Infolgedessen waren Fertigungsstraßen in der EU betroffen, in denen chinesisches Magnesium in der Automobilindustrie verarbeitet wurde. Drittens sind globale Rohstofflieferketten besonders störungsanfällig, weil sie vielfach mit der Verletzung von Menschen- und Arbeitsrechten in Verbindung stehen. So wurde 2023 nach anhaltenden Protesten beispielsweise eine Kupfermine in Panama von den nationalen Behörden aufgrund einer Entscheidung des obersten Gerichtes geschlossen, die seit Jahren mit schweren Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht wird. Viertens haben viele Export- und Förderländer andere Pläne als nur die EU mit einem kontinuierlichen Strom an Rohstoffen zu versorgen. Ein Beispiel dafür ist Indonesien, das den Export von (v.a. Nickel-) Erzen einschränkt, um die Verarbeitung und damit die Wertschöpfung im Land zu stärken. Auch andere Länder wie Mexiko oder Chile haben ihre Rohstoffpolitik stärker an nationalen Industrialisierungsinteressen ausgerichtet. Fünftens sind in den letzten Jahren weitere Akteure auf dem globalen Rohstoffmarkt erschienen, darunter die finanziell nur vor Kraft strotzenden arabischen Staaten, die eigene Rohstofflieferketten in kürzester Zeit aufgebaut haben oder ganze Abbauprojekte aufkaufen konnten.

Diese Faktoren unterstreichen: Das Wirtschaftsmodell, das die zerstörerischen, gefährlichen und rechtsverletzenden ersten Stufen der industriellen Wertschöpfung auslagert, ist an seine Grenzen gelangt und kollabiert. Gleichzeitig lassen weiterhin verschwenderischer Umgang mit metallischen Rohstoffen, militärische Aufrüstung, Energiewende samt Antriebswende und die Digitalisierung die prognostizierten Bedarfe an vielen Metallen zum Teil dramatisch steigen. Außerdem sind die entdeckten Rohstoffvorkommen, trotz stärkerer Förderung und Ausweitung von Exploration, nicht gleichmäßig mitgewachsen. Mit dem im Mai 2024 in Kraft getretenen Critical Raw Materials Act (CRMA) unternimmt die EU nun einen weiteren Anlauf, um Versorgungsrisiken zu minimieren und Kontrolle über Lieferketten zurückzugewinnen. Doch ohne Reduktion des global ungerechten Verbrauchs, die Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie zur Steigerung der Lieferkettenresilienz sowie faire Handelsabkommen, die auch die Interessen der Partnerländer gleichwertig berücksichtigen, wird auch dieser mutmaßlich erneut scheitern.

Eile ohne Weile: Die Entstehung des Critical Raw Materials Act

Und dann muss es auf einmal ganz schnell gehen: Am 14. September 2022 kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union ein Gesetz zur sicheren und nachhaltigen Versorgung mit kritischen Rohstoffen an, den CRMA. Nur wenige Monate später, im März 2023, präsentierte die EU-Kommission einen Entwurf für eine entsprechende europäische Verordnung. Im November 2023 wurde eine Einigung im Trilog verkündet und am 11. April wurde dieser unterzeichnet, sodass der CRMA am 23. Mai 2024 in Kraft treten konnte. Über Fraktions- und Landesgrenzen hinweg verbuchten Politiker:innen diese schnelle Einigung als Erfolg:

„Das Tempo der Verhandlungen und das Ausmaß der Ambitionen zeigen, dass Rohstoffe für die wirtschaftliche Sicherheit und Widerstandsfähigkeit Europas unerlässlich geworden sind. Von grünen und digitalen Technologien bis hin zu Verteidigung und Luft- und Raumfahrt steigt die Nachfrage nach kritischen Rohstoffen schnell an. Wenn Europa nicht handelt, riskiert es Versorgungsengpässe und unerwünschte Abhängigkeiten“, sagte der EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Thierry Breton, nach der politischen Einigung im Trilog im November 2023.

Was bietet der CRMA

Jetzt soll also der CRMA nachholen, was den vorherigen Rohstoffinitiativen, nationalen und europäischen Strategien, Partnerschaften und Handelsabkommen nicht geglückt ist. Schon beim ersten Blick fällt auf, dass bei den Themen Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit eklatante Lücken klaffen: Der CRMA ignoriert weiterhin den hohen und global ungerechten Verbrauch von Rohstoffen der Europäischen Union, wie auch die Arbeiterkammer kritisiert. In der EU leben weniger als sechs Prozent der globalen Bevölkerung, sie nutzt aber 25 bis 30 Prozent der globalen Rohstoffe, wie Friends of the Earth auf Grundlage von Daten des EU Raw Materials Scoreboard berechnet hat. Als industrie- und bevölkerungsreichste Nation spielt Deutschland eine Schlüsselrolle. Im Jahr 2022 importierte die deutsche Industrie laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe knapp 80 Millionen Tonnen an Metallen. Der Großteil waren Eisen und Stahl, Bauxit und Aluminium sowie Kupfer und Nickel. In Deutschland wiederum ist der Mobilitätssektor mit knapp einem Drittel der größte Verbraucher dieser Rohstoffe, gefolgt vom Wohnsektor mit einem Viertel. Das hat das Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu-Institut) in einer Studie für PowerShift errechnet.

Diese abstrakt großen Mengen an Rohstoffen werden leider nicht selten unter schweren Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen gewonnen. Häufig geht der Abbau mit Land- und Wasserkonflikten einher. Zudem tragen Bergbau und vor allem die ersten Schritte der Weiterverarbeitung von Erzen zu mehr als zehn Prozent der globalen CO2-Emissionen bei. Wenn gar nicht erst so viele Rohstoffe verbraucht würden, wären diese sozialen und ökologischen Auswirkungen eingedämmt und gleichzeitig die Abhängigkeit von anderen Ländern reduziert. Doch statt konkreter Reduktionsziele empfiehlt der CRMA nur die „Mäßigung des zu erwartenden ansteigenden Verbrauchs von kritischen Rohstoffen in der Union“. Darüber hinaus gibt es keine konkreten Maßnahmen oder Instrumente, den ökologisch katastrophalen Rohstoffverbrauch der EU zu adressieren, außer der Hoffnung auf einen größeren Anteil der Nutzung von recycelten Rohstoffen. Doch auch in der konkreten Ausgestaltung bleibt der CRMA hier vage und gibt eher Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten anstelle von klaren Vorgaben.

Mit Strategischen Projekten will die EU unabhängig werden

Da die EU weder eine eigene global bedeutsame Bergbauindustrie noch die EU-Kommission über große finanzielle Spielräume verfügt, hat die EU das Instrument der strategischen Projekte entwickelt, um weniger abhängig von Importen aus einzelnen Staaten zu werden. Mit ihnen will sie sowohl den Abbau, die Weiterverarbeitung als auch das Recycling von Rohstoffen unterstützen.

Das Ziel ist, bis zum Jahr 2030 zehn Prozent der genutzten Rohstoffe in der EU abzubauen, 25 Prozent aus Recycling zu gewinnen und 40 Prozent in Europa zu schmelzen oder zu raffinieren. Um diese Ziele zu erreichen, genießen ausgewählte strategische Projekte Prioritätsstatus. Das beinhaltet vor allem politische Unterstützung, aber auch national schnellere Genehmigungsverfahren. Zumindest in den EU-Mitgliedsstaaten sollen innerhalb von 27 Monaten Genehmigungen vorliegen. Dazu beitragen sollen zentrale Anlaufstellen in den Ländern, die die Unterlagen annehmen und die zügige Bearbeitung garantieren. Inwieweit sich diese Beschleunigung auch in außerhalb der EU gelegenen strategischen Projekten vollziehen lässt, ist noch offen. Zu befürchten ist, dass die EU diplomatischen Druck auf die Staaten ausübt, Genehmigungsverfahren schneller durchzusetzen. Das könnte bedeuten, dass zwar das europäische Umweltrecht davon unangetastet bleibt, aber außerhalb der EU gerade ökologische und soziale Bedenken noch schwieriger vorgebracht werden können. Auch innerhalb der EU könnte diese Beschleunigung auch zur Einschränkung für Beteiligungsverfahren der lokalen, vom Bergbau betroffenen Gemeinschaften führen. Kürzere Einspruchsfristen drohen. Dabei zeigen empirische Studien, dass eine gelungene öffentliche Beteiligung Genehmigungsverfahren sogar verkürzen können. Viele lokale Gemeinschaften in Europa gehen daher schon jetzt juristisch gegen die jeweilige Ernennung einzelner Projekte als strategisches vor.

Wenig überraschend ist die europäische Bergbauindustrie zufrieden mit dem CRMA. Sie hofft auf eine Revitalisierung des Bergbaus in Europa. Der europäische Bergbauverband Euromines träumt davon, dass durch die neue politische Unterstützung bis zum Jahr 2030 allein in Europa 20 bis 30 neue Minen eröffnet werden. Auch andere Industrieverbände wie der BDI oder Eurometaux verweisen schon seit Jahren auf die Notwendigkeit, den heimischen Bergbau stärker zu unterstützen. Zwar können sich theoretisch auch Projekte zur Gewinnung von Rohstoffen aus Abraumhalden als strategisch anerkennen lassen, bisher sind solche Projekte aber nicht ausgewählt worden. 

Kritik aus der Zivilgesellschaft und lokal Betroffener

Während der CRMA selbst sehr schnell verabschiedet wurde, verzögerte sich die Auswahl der strategischen Projekte selbst zeitlich. Der Bewerbungsschluss lag im August 2024, eine erste Liste mit Projekten sollte im November 2024 präsentiert werden, wurde aber erst am 25. März 2025 veröffentlicht. Die EU-Kommission nannte als Grund dafür, dass sich insgesamt 170 Projekte weltweit um den Status beworben hätten, was zu einem Mangel an Expert:innen führte, die diese Projekte begutachten konnten. Wer diese Expert:innen sind, ist leider nicht öffentlich. Die Geheimniskrämerei der EU führte zu Unmut in der Zivilgesellschaft, aber auch in Teilen der Industrie. So äußerten Vertreter:innen der Industrie gegenüber PowerShift durchaus die Befürchtung, dass Gefälligkeitsgutachten erstellt werden könnten, da diese Gutachter:innen unter anderem auch für die gleichen Antragsteller:innen der Industrie Aufträge annehmen könnten. 

Letztlich wurden 47 Projekte aus Europa in der ersten Runde ausgewählt, davon sind zwölf Projekte nur auf den Abbau konzentriert, elf Projekte beinhalten Bergbau und Weiterverarbeitung, zwölf weitere nur die Weiterverarbeitung und zehn Projekte widmen sich dem Recycling. Diese erste rein europäische Liste wurde am 4. Juni 2025 durch eine Liste mit 13 außer-europäischen Projekten ergänzt, wovon zehn Abbauprojekte sind.

Aus der europäischen Zivilgesellschaft gab es eine deutliche Kritik daran, dass viele Abbauprojekte in der Peripherie lägen, vor allem auf der iberischen Halbinsel, im Norden Skandinaviens und in Osteuropa (v.a. Rumänien und Griechenland). Vertreter*innen aus den Projektregionen befürchten, dass sie vor allem von den negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt betroffen sind, während die Projekte der Weiterverarbeitung und somit höheren Wertschöpfung stärker im Zentrum der EU (Frankreich, Deutschland, Italien und Belgien) angesiedelt seien. Zudem gab es Verwunderung über den Rohstoffschwerpunkt der europäischen Projekte, da 18 von 47 Projekten vor allem der Lithiumgewinnung oder –aufbereitung dienen. Von den insgesamt 60 weltweit ausgewählten Projekten fördern nur sieben Projekte Seltene Erden (drei Abbauprojekte in Schweden, Malawi und Südafrika), zwei Projekte Germanium (einmal, um den Rohstoff zu ersetzen und einmal, um ihn zu recyclen) und nur eines Gallium (im Rahmen eines Bauxit-Projekts in Griechenland). Auch zu Magnesium gibt es nur ein Projekt (in Rumänien). Dafür, dass bei all den genannten Rohstoffen die Abhängigkeit von China immens ist und die Industrie diese Rohstoffe immer als besonders zentral in der Debatte der akuten Versorgungssicherheit ins Feld führt, ist diese Schwerpunktsetzung doch überraschend einseitig, da auch nicht gesagt ist, dass alle diese Projekte am Ende wirklich Finanzierung finden und somit umgesetzt werden.

Von vielen lokal Betroffenen gab es darüber hinaus deutliche Kritik an der Auswahl einzelner Projekte. Viele Proteste richten sich gegen die zu befürchtenden negativen Umweltauswirkungen. Gerade die Frage der Wasserversorgung und die Angst vor Wasserverschmutzung sind wiederkehrende Gründe für Proteste. Am prominentesten ist sicherlich die Kritik am Lithium-Projekt von Rio Tinto im serbischen Jadar. Seit vielen Jahren gibt es großen Protest gegen das Vorhaben. Kritiker:innen warnen vor irreversiblen Schäden an Grundwasser, für die Landwirtschaft und Biodiversität sowie der mangelnden Transparenz und damit verbunden großes Misstrauen in die verantwortlichen Institutionen. So wurden unter anderem mehr als 38.000 Unterschriften gegen das Projekt gesammelt und notariell beglaubigt. Doch nach der Übergabe am 18. Mai 2022 ans serbische Parlament gingen diese unauffindbar verloren. Auch die aktuellen, landesweiten Proteste gegen den autoritär regierenden Präsidenten Aleksandar Vučić thematisieren immer wieder die Ungereimtheiten in dem Bergbauprojekt und fordern Rechtsstaatlichkeit ein. Doch diese Proteste ignoriert die europäische Politik, zu groß sind die europäischen (und deutschen) Wirtschaftsinteressen. Im Juli 2024 unterzeichneten die Europäische Union und Serbien eine Rohstoffpartnerschaft und vereinbarten eine engere Zusammenarbeit in dem Feld. Bei der Unterzeichnung dieser Partnerschaft waren unter anderem der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz und Mercedes-CEO Ola Källenius vor Ort. Mercedes gilt neben Stellantis als einer der potenziellen Abnehmer des Lithiums aus der Jadar-Mine.

Ein weiteres kontroverses Abbauprojekt auf der Liste der strategischen Projekte befindet sich im portugiesischen Barroso. Auch hier soll Lithium für die Automobilindustrie abgebaut werden. Ursprünglich war vorgesehen, das Lithium in Portugal weiterzuverarbeiten, doch aktuell ist das Projekt rein auf die Extraktion fokussiert. Denn im Juni 2024 kaufte ein Tochterunternehmen des deutschen Konzerns AMG Critical Materials knapp 16 Prozent der Eigenanteile an Savannah Resources, das den Bergbau vorbereitet. AMG Critical Materials betreibt in Bitterfeld-Wolfen eine Lithium-Aufbereitungsanlage, die im letzten Jahr feierlich eröffnet wurde und laut Konzernangaben bisher Lithium aus Brasilien verarbeitet. „Wir sind erfreut, mit Savannah bei der Entwicklung des Barroso-Lithiumprojekts, dem größten Spodumenprojekt Europas, zusammenzuarbeiten“, wird Dr. Heinz Schimmelbusch, Vorsitzender und CEO von AMG, auf deren Website zitiert. 

Weniger begeistert ist die örtliche Bevölkerung. „Der Abbau billiger Rohstoffe für die Autoindustrie in Deutschland und anderswo gefährdet unsere Lebensweise. Wir, die von nachhaltiger Viehzucht leben und auf saubere Flüsse und grüne Weiden angewiesen sind, würden nur Nachteile erfahren“, sagte etwa Nelson Gomes, Mitglied einer örtlichen Bürgerinitiative im Tagesspiegel Back­ground. Er verweist im Grunde auf die Arbeiten von Ulrich Brand und Markus Wissen, die den imperialen Lebensstil des Globalen Nordens schon seit vielen Jahren konkret kritisieren. Dieser imperiale Lebensstil und seine Rohstoffbedarfe könnten in Portugal dafür sorgen, dass eine von der Welternährungsorganisation (FAO) eingestufte, weltweit bedeutende Stätte des landwirtschaftlichen Erbes (GIAHS) zerstört wird. 

Am 12. Januar 2023 wurde als Hauptaufmacher in den deutschen (ARD-) Tagesthemen ein Fund von Seltenen Erden in Europa präsentiert. In dem Zusammenhang verwies der damalige EU-Kommissar Thierry Breton darauf, dass China diesen Rohstoff schon längst als geopolitisches Werkzeug nutzen würde. Sowohl Politik als auch Medien erwähnten aber nicht, dass auch dieses einzige Seltene Erden Projekt in Europa, das es auf die Liste der Strategischen Projekte schaffte, umstritten ist. Denn eigentlich baut das schwedische Bergbauunternehmen LKAB im nordschwedischen Kiruna Eisenerz ab. Jetzt habe man die Seltenen Erden Anteile im Gestein geprüft und würde diese Rohstoffe gerne zusätzlich gewinnen, so Unternehmensvertreter:innen. Sprecher:innen der Indigenen Gemeinschaft der Sami, die in der Region seit Jahrzehnten vom Abbau betroffen sind, sprechen unter der Hand davon, dass diese Funde derweil schon lange bekannt und genauso wenig überraschend wie neu seien. Doch sie dienen der Legitimation der Erweiterung der Eisenerzmine. Eisenerz befindet sich nämlich nicht auf der Liste der strategischen Rohstoffe und der Abbau kann daher nicht von der politischen Unterstützung profitieren. Seltene Erden hingegen schon.

Dabei ist der Eisenerzabbau schon seit vielen Jahren eine Bedrohung für die letzte Indigene Gemeinschaft Europas. Schon in der Vergangenheit gab es immer wieder Konflikte um Territorien. Die Sami befürchten, dass ihre Herden-Triebwege zerschnitten und zerstört werden und sie ihre Traditionen und ihren Lebensunterhalt so nicht aufrechterhalten können. Dabei sind nicht der Bergbau an sich, sondern vor allem die Verkehrswege problematisch, da immer wieder Rentiere getötet werden, wenn sie Schienen oder Straßen überqueren müssen. Einige Sami beschweren sich auch darüber, dass sie nicht gleichberechtigt in die Entscheidungsfindung miteingebunden sind. Bis heute wehren sich Schweden und Finnland gegen die Ratifizierung der ILO Konvention 169, die Indigenen Gemeinschaften den sogenannten Free, Prior and Informed Consent (FPIC) garantiert. Nur mit diesem freien, frühzeitigen und vollumfänglich informierten Konsens durch die Gemeinschaften sollten große Infrastrukturprojekte, wie Bergbau es ist, genehmigt werden, so die ILO-Konvention, die in Europa unter anderem Dänemark, Deutschland, Spanien und die Niederlande ratifiziert haben, andere Länder wie Österreich aber noch nicht. Schweden und Finnland hingegen legten sogar ein striktes Veto gegen eine stärkere Verankerung von Indigenenrechten im CRMA ein. FPIC galt beiden als unüberschreitbare rote Linie. Im Gegensatz dazu hat Norwegen, bekanntlich nicht EU-Mitglied, die ILO Konvention 169 ratifiziert. Im Sommer 2021 wurde der Kupferabbau in der Repparfjord-Region aufgrund von Protesten und Blockaden der Sami gestoppt. Das Projekt sollte vom norwegischen Konzern Nussir ASA durchgeführt werden. Im Juni 2025 war das Projekt von Nussir auf der Liste der strategischen Projekte gelandet, den bisherig erfolgreichen Protest der Sami komplett ignorierend.

Doch nicht nur einzelne Projekte, sondern die gesamte Liste der strategischen Projekte steht in der Kritik. Umweltjurist:innen von Green Legal Impact (GLI) kommen in einem Gutachten sogar zur Einschätzung, dass die Veröffentlichung der Liste nichtig ist. Denn laut GLI verstößt sie gegen EU-Primärrecht. Vor allem die mangelnde Transparenz und, dass die Bevölkerung im Unwissen über die Begründung der Entscheidung gelassen würde, sei ein massiver Verstoß gegen Unionsrecht. Vergleichbare Fälle haben in der Vergangenheit zu einer juristischen Annullierung der jeweiligen Entscheidung geführt, so GLI. 

Auch die Brüsseler NGO Client Earth hat eine Beschwerde bei der Europäischen Ombudsfrau eingereicht. Ihre Begründung ist die „Nichtbeantwortung eines Zweitantrags und Verweigerung des Zugangs zu Dokumenten über die ökologische und soziale Nachhaltigkeit von Projekten im Bereich kritischer Rohstoffe, für die im Rahmen des CRMA der Status strategischer Projekte beantragt wurde.“

Alternativen: Verschwendung können wir uns nicht mehr leisten

Rohstoffpolitik ist ein zu wichtiges Politikfeld, das nicht auf die Versorgungssicherheit der europäischen Industrie verengt werden darf. Wir leben in Zeiten der multiplen Krisen: Klimakrise, Verlust von Artenvielfalt, Schwächung von Demokratien und freier Presse, Schuldenkrise im Globalen Süden, kriegerische Auseinandersetzungen sowie handels- und geopolitische Konflikte. Viele dieser Krisen weisen starke Verbindungen zur Rohstoffpolitik auf. Deswegen müssen wir über Ressourcenschutz und somit die Reduktion unseres Rohstoffkonsums im Globalen Norden sprechen. Zu dem Ergebnis kommt auch der Global Resources Outlook des UN-Umweltprogramms: „Die Verringerung der Ressourcenintensität von Mobilitäts-, Wohn-, Nahrungsmittel- und Energiesystemen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung und letztlich für einen gerechten und lebenswerten Planeten für alle.

Reduktion bedeutet dabei nicht den kompletten Ausstieg aus dem Bergbau. Denn auch in Zukunft werden wir Metalle nutzen, zum Beispiel für den Ausbau der Erneuerbaren, Lebensmittelproduktion, Wohnungen und Infrastruktur oder für (eine andere) Mobilität und Kommunikation. Gerade wegen der zukünftigen Bedarfe können wir uns aber die heutige Verschwendung nicht weiter leisten. Viele metallische Rohstoffe, die unter Zerstörung der Umwelt und menschlicher Lebensgrundlagen gewonnen werden, nutzen wir nur wenige Jahre. Dann sind sie für die Menschheit verloren. Sie sind so verarbeitet, dass sie nicht zurückgewonnen werden können – obwohl Metalle theo­retisch lange genutzt werden können. Das aktuelle Produktdesign verhindert Langlebigkeit, Reparierbarkeit oder Kreislaufführung der Rohstoffe. Beispiele für diesen Verschwendungswahnsinn sind Einweg-Elektronikzigaretten oder Einweg-Powerbanks zum Aufladen von Smartphones. Und es ist auch nicht zukunftsfähig, immer schwerer werdende Autos zu fahren, die im Durchschnitt in Deutschland mittlerweile 1,7 Tonnen wiegen und zu über 60 Prozent Fahrtwege von unter 10 Kilometern zurücklegen, um durchschnittlich eine Person zum Ziel zu bringen. Durch einen anderen Umgang mit Rohstoffen könnten wir Metalle längerfristig nutzen und würden weniger verbrauchen. Zudem müssten die negativen Folgen des Bergbaus minimiert werden. Das Lieferkettengesetz zeigt hier erste Erfolge und sollte vollumfänglich umgesetzt werden. Gleichzeitig bräuchte es eine faire Handelspolitik, die das Interesse an einer Erhöhung der Wertschöpfung im Land ermöglicht. Als PowerShift nennen wir dies eine wirkliche Rohstoffwende, Michael T. Klare nennt es eine Abkehr vom Primärabbau hin zu Kreislaufwirtschaft, Recycling und effizienter Ressourcennutzung. Einig sind wir uns: Nur so ließen sich Abhängigkeiten, geopolitische Spannungen, Menschenrechtsverletzungen und ökologische Katastrophen vermeiden oder zumindest deutlich eindämmen.

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