
Nachverhandelt: Das EU-Mercosur-Abkommen 2024
Das Ergebnis der Nachverhandlungen zu einem Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten liegt seit Ende 2024 auf dem Tisch. Während die EU bestrebt war, die Nachhaltigkeitsverpflichtungen vor allem im Hinblick auf die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes zu erhöhen, legte vor allem Brasilien seinen Fokus auf industriepolitische Fragen. Was bleibt nun unterm Strich?
Autorin: Monika Feigl-Heihs
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Rückblick
Die Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) starteten bereits vor über einem Vierteljahrhundert. Was 1999 mit dem Ziel begann, die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen den beiden Blöcken zu vertiefen, erreichte 2019 eine erste politische Einigung. Doch diese stieß innerhalb der EU auf massiven Widerstand, da insbesondere die stark steigenden Entwaldungsraten im Amazonas-Regenwald für heftige Proteste sorgten, die auch die EU-Spitzenpolitik erreichten. So positionierte sich beispielsweise auch die frühere deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das Abkommen zunächst grundsätzlich unterstützte, ablehnend zum Abkommen. Aus einer Nachhaltigkeitsperspektive wurde am Abkommen insbesondere kritisiert, dass es Regenwaldabholzung, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen begünstigt, während verbindliche Schutzmechanismen fehlen.
Mit dem Amtsantritt von Luiz Inácio da Silva als Präsident Brasiliens und seiner Zusage, den Schutz des Regenwaldes voranzutreiben, öffnete sich ein Fenster für Nachverhandlungen des Abkommens. Diese starteten damit, dass die EU 2023 einen Vorschlag für ein Zusatzinstrument vorlegte, das Nachhaltigkeitsfragen adressieren sollte. Ziel war es, insbesondere die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens sicherzustellen und die fortschreitende Entwaldung einzudämmen. Brasilien bemühte sich unterdessen, seine Industrie stärker zu schützen, zumal Lula den 2019 ausverhandelten Vertrag als einseitig zugunsten der EU empfand. Er betonte, keinen Handelsvertrag abschließen zu wollen, der die brasilianische Industrie gefährdet und das Land auf die Rolle eines reinen Rohstofflieferanten reduziert.
Nach einem etwa zweijährigen Verhandlungsprozess wurde – für die Öffentlichkeit völlig überraschend – Ende 2024 eine neuerliche politische Einigung erzielt, die von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen und den vier Präsidenten der Mercosur-Staaten verkündet wurde. Von der Leyen sprach von einer „Win-Win-Situation“ für beide Blöcke und für Vorteile für die Verbraucher:innen und Unternehmen auf beiden Seiten. Doch wie ist das aktualisierte Abkommen, das in einem nächsten Schritt sowohl auf europäischer Ebene als auch von den Mercosur-Staaten zu ratifizieren wäre, hinsichtlich der Anforderungen an Nachhaltigkeit zu bewerten? Bietet es tatsächliche Fortschritte beim Schutz von Klima, Umwelt und für Beschäftigte oder handelt es sich lediglich um kosmetische Anpassungen?
Änderungen 2024: „Brasilien-Paket“
Aus Sicht der EU sollte in der überarbeiteten Fassung des Abkommens Nachhaltigkeit und insbesondere der Schutz des Amazonas-Regenwaldes aufgrund seiner zentralen Bedeutung für das Weltklima stärker in den Fokus rücken. Das dafür den Mercosur-Länder vorgelegte Zusatzpapier wurde von diesen als überbordender grüner Protektionismus quittiert. Umgekehrt verfolgte Brasilien, das auf Seite der Mercosur-Staaten die Federführung bei den Nachverhandlungen hatte, eine eigene Agenda und versuchte die aus seiner Sicht wesentlichsten Benachteiligungen bzw. Schieflagen zu korrigieren. Ein Blick auf die neuen Bestimmungen soll zeigen, welche Änderungen vorgenommen wurden.
Schutz des Automobilsektors des Mercosur
Ein wesentlicher Teil bei Handelsabkommen umfasst den möglichst umfassenden Zollabbau zwischen den Handelspartnern, der bereits 2019 vereinbart wurde. Seither befindet sich die Autoindustrie weltweit nicht zuletzt aufgrund neuer technologischer Antriebsarten und dem Bestreben, den Verkehrssektor zu dekarbonisieren, in einem tiefgreifenden Wandel. Vor diesem Hintergrund und angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung der Branche für Brasilien setzte das Land hier an und verhandelte mit der EU längere Zeiträume für die beabsichtigten Zollsenkungsfristen. Der ursprünglich für 15 Jahre vorgesehene Abbau der Zölle für den Export von europäischen Autos in die Mercosur-Staaten wurde ausgedehnt. Für E-Fahrzeuge erfolgt die Zollsenkung nun über 18 Jahre, bei Wasserstofffahrzeugen über 25 Jahre und mit einer tilgungsfreien Zeit von 6 Jahren. Für Fahrzeuge mit neuen Technologien beträgt die Frist 30 Jahre, ebenfalls mit einer 6-jährigen tilgungsfreien Zeit. Außerdem haben die Mercosur-Länder einzelne Fahrzeuge mit Benzinmotoren (z.B. mittelgroße bis große PKW), mittelgroße bis große Diesellastwagen sowie bestimmte Traktoren überhaupt von der Zollsenkungsliste genommen und damit der Abschaffung der bestehenden Zölle entzogen.
Zusätzlich haben die Mercosur-Staaten ausverhandelt, im Falle eines Anstiegs von PKW- sowie Nutzfahrzeug-Einfuhren aus der EU, die der lokalen Autobranche schaden, die gewährte Zollsenkung auszusetzen bzw. den für Importen aus anderen Ländern geltenden Zollsatz für max. 5 Jahre wieder einzuführen.
Trotz dieser Änderungen im Autosektor zugunsten der Mercosur-Länder begrüßte der Verband der europäischen Autohersteller (ACEA) diese Einigung ausdrücklich. „The conclusion of this deal will contribute to strengthening the global competitiveness of European automobile manufacturers by eliminating high tariffs and addressing technical barriers to trade in their exports to the Mercosur market,“ erklärte ihre Generaldirektorin Sigrid de Vries. Mit zahlreichen Produktionsstandorten im Mercosur spielt die EU-Autoindustrie eine führende Rolle im interregionalen Handel und sorgt seit vielen Jahren für einen großen Handelsüberschuss zugunsten der EU gegenüber den Mercosur-Staaten. Besonders der Handel mit Automobilteilen ist dabei weitaus wichtiger als der mit fertig montierten Fahrzeugen.
Abgesehen von den oben beschriebenen Zollmaßnahmen im Autosektor bleibt das Abkommen in dieser Frage so, wie es seit 2019 auf dem Tisch liegt: Laut der Europäischen Kommission werden 91 % der aktuell bestehenden Zölle zwischen EU und den Mercosur-Staaten im Laufe der Jahre abgebaut. Darunter fallen z.B. Autoteile, Maschinen und Chemikalien – Bereiche, in denen die EU bereits jetzt hohe Exportanteile in die Mercosur-Staaten hat. Umgekehrt sind diese Branchen beispielsweise in Brasilien und Argentinien wesentliche Stützen ihrer Industrie, die mit einer beträchtlichen Anzahl an Beschäftigten einhergeht. Aufgrund der nun vereinbarten Zollsenkungen werden die EU-Produkte günstiger werden, was laut Studien zu einem Verdrängungswettbewerb in den Mercosur-Staaten, einer damit verbundenen Deindustrialisierung und folglich zu massiven Arbeitsplatzverlusten führen könnte. Befürchtet wird daher eine Zunahme von Arbeitskonflikten und sozialen Protesten in den genannten Branchen, insbesondere in Argentinien und Brasilien.
Einschränkungen bei öffentlicher Beschaffung
Ein zweiter Bereich, der für Brasilien ein wesentliches Anliegen bei den Nachverhandlungen darstellte, ist das öffentliche Beschaffungswesen. Im Vertrag 2019 ist bereits vereinbart, den öffentlichen Beschaffungsmarkt für Waren, Bauleistungen und Infrastruktur sowohl auf nationaler als auch auf subföderaler Ebene für Unternehmen des jeweils anderen Wirtschaftsblocks zu öffnen. Der aktuellen brasilianischen Regierung gingen die Zugeständnisse ihrer Vorgängerregierung zu weit, weshalb sie nun weitere Ausnahmen vereinbarten. Zu den Neuerungen bei der öffentlichen Beschaffung auf Seite Brasiliens gehören nun u.a. der vollständige Ausschluss des Gesundheitssystems, die Beibehaltung der Möglichkeit begrenzter Ausschreibungen für technologische Zwecke, zur Förderung von Kleinst- und Kleinunternehmen sowie landwirtschaftlichen Familienbetrieben. Auch die Möglichkeit der bevorzugten Behandlung von nationalen Waren und Dienstleistungen bei der öffentlichen Beschaffung bleibt aufrecht. Mit diesen Änderungen hat sich Brasilien seinen politischen Handlungsspielraum in einem für Entwicklungs- und Versorgungsfragen der eigenen Bevölkerung zentralen Bereich etwas erweitert. Das Ergebnis ist für die EU-Kommission, die die Verhandlungen geführt hat, offensichtlich akzeptabel, bietet das Gesamtpaket europäischen Unternehmen immer noch gute Zugangsmöglichkeiten zum öffentlichen Beschaffungssektor in den Mercosur-Ländern.
Möglichkeit von Exportsteuern bei Rohstoffen
Während das Abkommen die Erhebung von Ausfuhrzöllen auf den Handel zwischen den Mercosur-Staaten und der EU grundsätzlich verbietet und drei Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens bestehende auszulaufen haben, hatten sich im Vertrag 2019 nur Argentinien und Uruguay in sehr begrenztem Maße Ausnahmen davon gesichert. Im Fall Argentiniens handelt es sich dabei z.B. um Soja, Biodiesel und Leder, wiewohl sich umgekehrt das Land gleichzeitig dazu verpflichtet, die Exportsteuern auf Soja und Biodiesel abzusenken. Darüber hinaus hat Argentinien in seinen Ausnahmelisten Rohstoffe wie etwa Gold, Silber, Kupfer oder Lithium, für die derzeit Exportsteuern gelten, nicht genannt, womit diese dem oben beschriebenen Regime des Auslaufens unterliegen würden.
In den Nachverhandlungen hat Brasilien nun ebenfalls Ausnahmen aus dem Verbot, Ausfuhrzölle zu verhängen, vereinbart. Diese Ausnahmen beziehen sich z.B. auf mineralische Rohstoffe (z.B. Sulphur, Eisenerz, Magnesium), bestimmte Edelmetalle (z.B. seltene Erden, Nickel, Kupfer), Metalle der Platingruppe (z.B. Platin, Palladium), Ferro-Legierungen sowie andere Metalle (z.B. Cadmium, Niob). Damit hat sich Brasilien die Option gesichert, in Zukunft gegenüber der EU bei diesen Rohstoffen Ausfuhrzölle erheben zu dürfen, wenn es dies für angemessen hält, um beispielsweise die lokale Wertschöpfung zu fördern. Derzeit erhebt das Land auf diese Rohstoffe keine Ausfuhrsteuern. Sollte Brasilien eine solche auf die genannten Produkte einführen, muss der für die EU geltende Satz niedriger sein als der gegenüber anderen Drittländern und darf 25 % nicht überschreiten.
Neben Primärrohstoffen zählt Elektroschrott zu einer wesentlichen Ressource für Industrieprodukte, die etwa im Hinblick auf grünes Wirtschaften z.B. für die Produktion von Windrädern, Solarzellen oder E-Autos benötigt werden. Weder Brasilien noch Argentinien haben hier Ausnahmen vereinbart, weshalb auch für Brasilien die oben dargelegten Ausnahmen nur ein halbes Bild im Hinblick auf industrielle Entwicklungsmöglichkeiten ergeben. Zudem könnte das unterschiedliche Vorgehen der beiden Länder negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Dynamik innerhalb des Mercosur-Bündnisses haben.
Einrichtung eines Ausgleichsmechanismus
Zudem wird nun auf Wunsch Brasiliens ein neuer Mechanismus zur Kompensation von einseitigen Maßnahmen eines Handelspartners eingeführt, wenn diese das im Abkommen vereinbarte Gleichgewicht stören. Wird durch ein Schiedsgericht ein Verstoß festgestellt, können die Ausgleichsmaßnahmen z.B. von der Gewährung zusätzlicher Marktöffnung bis hin zum Aussetzen von Handelspräferenzen reichen. Der Ausgleichsmechanismus soll allerdings nicht erst ab Inkrafttreten des Abkommens gelten, sondern auch für Regelungen, die ab 2019 erlassen wurden, aber bis Dezember 2024 noch nicht vollständig umgesetzt waren. Darunter fallen etwa die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR), das EU-Lieferkettengesetz oder die EU-Zwangsarbeitsverordnung.
Aus Sicht Brasiliens hat die EU nach der Einigung von 2019 Rechtsvorschriften erlassen, die den Handelsdeal beeinträchtigen könnten. Als Beispiel nennt Brasilien, dass die Zugangsquoten für brasilianisches Rindfleisch zum EU-Markt in den Nachverhandlungen nicht mehr geöffnet wurden. Brasilien befürchtet nun, dass bei Inkrafttreten der EU-Entwaldungsverordnung diese Zugangsquoten nicht ausgeschöpft werden könnten, was das Land als Benachteiligung wahrnimmt.
Änderungen hinsichtlich
Nachhaltigkeit
Pariser Klimavertrag als „essential element“:
Auf das Konto der EU geht nun eine stärkere Verankerung des Pariser Klimaabkommens im Vertrag. Dieses soll neben Menschenrechtsverpflichtungen und dem Verbot des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen als wesentliche Klausel („essential element“) aufgenommen und von beiden Vertragsparteien „in gutem Glauben“ umgesetzt werden. Bereits das Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich sowie Neuseeland kennt eine derartige Klausel, durch die bei Verstößen das Abkommen ganz oder teilweise ausgesetzt werden kann. Im EU-Mercosur-Abkommen ist die Formulierung jedoch sehr eingeschränkt: Nur der Austritt eines Vertragspartners aus dem UN-Vertrag kann sanktioniert werden. Im Gegensatz dazu definiert die entsprechende Klausel im EU-Neuseeland-Abkommen einen wesentlich breiteren Tatbestand, indem sie Handlungen oder Unterlassungen erfasst, die Ziel und Zweck des Pariser Abkommens erheblich beeinträchtigen.
Annex zum Nachhaltigkeitskapitel mit viel Prosa
Weiters wird das Nachhaltigkeitskapitel, das auf Fragen von Arbeits-, Umwelt- und Klimastandards Bezug nimmt, um einen 16-seitigen Anhang ergänzt, der zur näheren Erläuterung dient. Darin wird einmal mehr das Bekenntnis zur Einhaltung internationaler Umwelt- und Sozialstandards unterstrichen und die Bedeutung des Pariser Klimaabkommens hervorgehoben. Der Schutz der Biodiversität soll beispielsweise durch Förderung nachhaltiger landwirtschaftlicher Praktiken erfolgen und es sollen Maßnahmen ergriffen werden, um die weitere Abholzung des Regenwaldes zu verhindern. Dies jedoch erst ab 2030. Damit fällt diese Regelung hinter bereits anderen zugesicherten globalen Verpflichtungen zurück (z.B. Glasgow-Deklaration zu Wäldern und Landnutzung der COP 26) oder selbst dem aktuellen Ziel der brasilianischen Regierung, bis 2030 die Entwaldung stoppen zu wollen.
Bezüglich Arbeitsstandards wird im neuen Anhang in Erinnerung gerufen sowie bekräftigt, was bereits im Nachhaltigkeitskapitel enthalten ist. Dabei geht es z.B. darum, die ILO-Kernarbeitsnormen zu respektieren, zu fördern und effektiv anzuwenden sowie um ein kontinuierliches und nachhaltiges Bemühen zur Ratifizierung von ILO-Konventionen, Protokollen und anderen so genannten ILO-up-to-date-Konventionen, zu denen die Vertragsparteien noch nicht beigetreten sind (Art. 25). Darüber hinaus werden in den beiden Papieren unterschiedliche Schwerpunkte gelegt. Während im Text aus 2019 z.B. Maßnahmen gegen das Verbot von Zwangsarbeit hervorgehoben werden (Art. 4 Abs. 5 Nachhaltigkeitskapitel), werden im neu hinzugefügten Text aus 2024 Maßnahmen gegen Kinderarbeit, die Vereinigungsfreiheit, Recht auf Kollektivvertragsverhandlungen (Art. 26) oder der soziale Dialog (Art. 27) besonders gewürdigt.
Darüber hinaus sind im Vertragstext aus 2019 die damals gültigen vier Grundprinzipien der ILO erwähnt. Die ILO hat 2022 beschlossen, den Arbeits- und Gesundheitsschutz als neues Grundprinzip aufzunehmen und damit ihren Grundwertekanon zu erweitern. Diese neue Entwicklung haben die beiden Vertragsparteien im neuen Vertragsentwurf jedenfalls nicht mitvollzogen.
Aufhorchen lassen hingegen neue Vereinbarungen in Bezug auf Nachhaltigkeitsmaßnahmen, die den Handel beeinflussen und die EU-Entwaldungsverordnung adressieren. Durch diese werden ab Ende 2025 Unternehmen, die beispielsweise Rindfleisch, Soja oder Holz in der EU verkaufen wollen, zum Nachweis verpflichtet, dass diese Produkte nicht aus illegaler Entwaldung stammen. Im neuen Anhang wird nun festgeschrieben, dass Informationen zur Legalität und Nachhaltigkeit von Mercosur-Produkten, die von den zuständigen Behörden geliefert werden, von den EU-Behörden als zuverlässig anzuerkennen sind (Klausel 55 und Klausel 56 (c)). Zudem soll das EU-Mercosur-Abkommen – sollte es ratifiziert werden –, bei der von Seite der EU vorzunehmenden Einteilung von Staaten hinsichtlich des Risikos, dass gehandelte Produkte im Zusammenhang mit Entwaldung stehen könnten, als „günstig“ (Klausel 56 (a)) berücksichtigt werden. In der EU-Regelung ist grundsätzlich vorgesehen, dass die Risikoeinstufung auf objektiven Kriterien basiert. Im Hinblick auf diese neue Formulierung besteht nun die Gefahr, dass Mercosur-Länder unabhängig von der realen Situation eine niedrigere Risikostufe bekommen (sollen). Schließlich werden die von Mercosur anerkannten Zertifizierungssysteme zur Erfüllung der Rückverfolgbarkeitsanforderungen herangezogen, was im Widerspruch zur Verordnung steht, die Zertifizierungen allein nicht als Garantie für die Einhaltung anerkennt (Klausel 56 (b)). Diese Neuerung stellen somit ein Einfallstor zur Aushöhlung der EU-Entwaldungsverordnung dar, die nicht nur anderen südamerikanischen Ländern, sondern auch anderen Drittstaaten ein Dorn im Auge ist.
Finanzielle Unterstützung der EU für Nachhaltigkeitsagenda
Darüber hinaus hat sich die EU bereit erklärt, für die Umsetzung insbesondere der Nachhaltigkeitsaspekte des Abkommens € 1,8 Mrd. für die Mercosur-Staaten in einer eigens dafür zu schaffenden Programmlinie über das Global Gateway-Programm zur Verfügung zu stellen. Das Global Gateway-Programm der EU, das als europäische Antwort auf Chinas „Belt and Road-Initiative“ ins Leben gerufen wurde, zielt darauf ab, weltweit nachhaltige Infrastrukturprojekte in Bereichen wie Digitalisierung, Energie und Verkehr zu fördern. Insbesondere vor dem Hintergrund des notwendigen sozial-ökologischen Umbaus des weltweiten Wirtschaftssystems könnte diese Programmlinie einen wesentlichen Beitrag leisten.
Bisherige bzw. geplante Projekte zeigen allerdings gravierende Mängel auf. Ein zentraler Kritikpunkt ist, dass Global Gateway vor allem geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen der EU dient, statt primär auf die Bedürfnisse der Partnerländer einzugehen. Gleiches gilt insbesondere für die mangelnden Beteiligungsmöglichkeiten lokaler Gemeinschaften. Zudem wird kritisiert, dass die geplanten Projekte zwar häufig unter dem Schlagwort „nachhaltig“ laufen, es jedoch an klaren sozialen und ökologischen Standards mangelt, die Nachhaltigkeit in der Realität gewährleisten könnten.
Finanzielle Unterstützung für Bäuer:innen in der EU
Zu den vehementesten Kritiker:innen des EU-Mercosur-Handelsabkommens zählen innerhalb der EU die Landwirte, die aufgrund steigender Agrarimporte aus dem Mercosur negative Auswirkungen bis zu Existenzgefährdungen befürchten. Die EU-Kommission hat daher angekündigt, im EU-Budget für Landwirte eine Milliarde Euro an Ausgleichszahlungen bereitzustellen für den Fall, dass nachweisbare Störungen im Agrarbereich eintreten. Dieser Vorschlag stößt bei den Bäuer:innen jedoch auf Skepsis und Ablehnung. Sie plädieren für faire Wettbewerbsbedingungen und Produktionsstandards, die ihre Existenzen langfristig absichern. Während Bäuer:innen in der EU strenge Auflagen z.B. hinsichtlich Umwelt-, Klima- und Tierschutz erfüllen müssen, gelten solche Standards in den Mercosur-Staaten oft nicht in gleichem Maße. Diese Diskrepanz führt zu niedrigeren Produktionskosten und somit einer preislichen Konkurrenz, der die europäischen Bauern kaum standhalten können. Zudem fürchten sie, dass die EU-Milliarde lediglich ein kurzfristiges Trostpflaster darstellt, anstatt strukturelle Probleme wie unfaire Handelspraktiken zu lösen.
Darüber hinaus stellt sich grundsätzlich die Sinnhaftigkeit eines Austauschs von landwirtschaftlichen Gütern, die in beiden Erdteilen produziert werden (können). Beispielsweise werden große Mengen an Rindfleisch, Geflügel oder Zucker aus den Mercosur-Staaten importiert, während die gleichen Produkte im europäischen Raum ebenfalls verfügbar sind. Zudem verschärft der Transport dieser Produkte über tausende Kilometer die Treibhausgasbilanz. Landwirt:innen sowohl in der EU als auch in den Mercosur-Staaten fordern daher ein Handelsmodell, das die regionale Produktion und nachhaltige Landwirtschaft fördert, anstatt auf Kosten von Umwelt und Lebensgrundlagen regionale Betriebe zu gefährden.
Klimaschädliches Abkommen – reloaded
Wie sind die Nachverhandlungen des Abkommens nun in seiner Gesamtheit zu beurteilen? Sie brachten vor allem für Brasilien in einigen wenigen Bereichen (z.B. öffentliche Beschaffung, Autosektor) Verbesserungen, doch die grundlegenden Herausforderungen stellen sich nach wie vor. Das Land bleibt weiterhin in der Rolle eines Rohstofflieferanten gefangen und wäre durch das Abkommen dem verstärkten Wettbewerb mit europäischen Industriegütern ausgesetzt. Zudem dürfte der ökonomische Nutzen des Abkommens weiterhin gering bleiben. Aufgrund der nur punktuellen Änderungen in Bezug auf die zu erwartende Handelstätigkeit zwischen den beiden Blöcken spricht Vieles dafür, dass die bisherigen Prognosen eines minimalen BIP-Wachstums weiterhin Bestand haben könnten. Aus ökonomischer Perspektive bietet das Handelsabkommen der EU mit dem Mercosur mit einem prognostizierten BIP-Wachstum für die EU von nur +0,1 Prozent bis 2032 bei einem drohenden Verlust von Arbeitsplätzen von bis zu 120.000 (gesamt EU) wenig Nutzen.
Aus einer Nachhaltigkeitsperspektive ist die Verankerung des Pariser Klimaabkommens zwar grundsätzlich zu begrüßen, sie greif allerdings zu kurz. Das Abkommen weist folgenden inhärenten Widerspruch auf: Während es auf dem Papier die Klimaziele bekräftigt, fördert es zugleich eine treibhausgasintensive Handelstätigkeit. Studien prognostizieren aufgrund der intendierten Ausweitung der Handelstätigkeit und den damit verbundenen Landnutzungsänderungen sowie dem verstärkten Transport zwischen den beiden Regionen einen Anstieg der Treibhausgasemissionen, sollte das Abkommen umgesetzt werden. Dies ist angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise hochproblematisch, müssten weltweit drastische Reduktionen der klimaschädlichen Treibhausgase erfolgen, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen.
Darüber hinaus ist zu hinterfragen, ob die Erfüllung des Pariser Klimavertrags „in gutem Glauben“ auf die argentinische Regierung unter ihrem derzeitigen Präsidenten Milei zutrifft. Dieser hatte das argentinische Verhandlungsteam nur drei Tage nach Beginn der letzten Klimakonferenz im November 2024 von dieser abgezogen und damit einen deutlichen Widerspruch zur späteren Einigung im EU-Mercosur-Abkommen markiert.
Gefahr der weiteren Entwaldung bleibt aufrecht
Durch den Abbau von Zöllen sowie Erhöhung von Exportquoten aus den Mercosur-Ländern für Agrarprodukte wie (Rind-)Fleisch, Soja oder Zucker in die EU wird ein Agrarmodell unterstützt, das u.a. von Brandrodung, dem Einsatz chemisch intensiver Monokulturen sowie ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen zum Teil sogar von moderner Sklavenarbeit bei der illegalen Entwaldung geprägt ist. Um mehr Anbauflächen für den Export zu gewinnen, droht die weitere Entwaldung des Amazonas-Regenwaldes, der im vergangenen Jahr wieder ein besorgniserregendes Ausmaß an Waldbränden verzeichnete. Auch die Cerrado-Savanne fällt der Expansion von landwirtschaftlichen Exportgütern immer mehr zum Opfer und gefährdet Existenzgrundlagen vieler Kleinbäuer:innen.
In diesem Zusammenhang ist auch mit einem verstärkten Einsatz von Pestiziden zu rechnen, die zwar in der EU aufgrund von z.B. Gesundheitsrisiken für Menschen verboten sind, allerdings für den Export in andere Länder in der EU produziert werden. Der Einsatz dieser Pestizide wie z.B. Paraquat führt zu erheblichen, negativen Auswirkungen: Sie gefährden die Gesundheit von Landarbeiter:innen, die häufig ohne ausreichenden Schutz diesen Substanzen ausgesetzt sind und beeinträchtigen die Biodiversität, da sie etwa Bestäuberinsekten wie Bienen schädigen. Zudem belasten sie Böden und Gewässer langfristig, was wiederum die landwirtschaftliche Produktivität sowie die Lebensgrundlagen der örtlichen Bevölkerung gefährdet. Schließlich gibt es Hinweise darauf, dass Rückstände dieser Pestizide in exportierten Lebensmitteln enthalten sein können, die trotz ihres Verbots in der EU und aufgrund mangelnder Kontrollen in den europäischen Lebensmittelkreislauf gelangen könnten. Zwar müssen die in der EU geltenden sanitären und phytosanitären Produktstandards eingehalten werden, allerdings sind bereits jetzt die Kontrollmechanismen in der EU unzureichend. Außerdem wird im Vertrag gleichzeitig vereinbart, dass Importkontrollen aus den Mercosur-Ländern zurückgefahren werden sollen.
Mercosur-Staaten droht Deindustrialisierung
Europäische Firmen, die diese und andere Chemikalien herstellen, zählen aufgrund des in Aussicht genommenen Zollabbaus ebenso zu den Profiteuren des Abkommens, wie z.B. die Auto- oder Maschinenbauindustrie. Diesen Branchen werden in den Mercosur-Staaten zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten attestiert, was die Befürchtung weckt, dass die lokale Industrie dadurch unter Druck geraten könnte. Studien zeigen auf, dass aufgrund der Vorteile für europäische Firmen im Produktionsbereich in den Mercosur-Staaten Deindustrialisierung verbunden mit hohen Arbeitsplatzverlusten droht. Damit könnte das Abkommen die Handelsungleichgewichte zwischen den Blöcken weiter vertiefen.
Außerdem soll das Abkommen den Rohstoffhandel für in der EU benötigte Grundstoffe wie Eisenerz, Kupfer, Lithium zur Weiterverarbeitung fördern. Der Abbau dieser Rohstoffe ist allerdings von menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und regelmäßigen katastrophalen Unfällen geprägt und geht mit Umweltschäden und gesundheitlichen Risiken sowohl für Minenarbeiter:innen als auch die Bevölkerung vor Ort einher.
Verstöße gegen gesellschaftliche Schutznormen bleiben ohne Konsequenzen
Die Vertragsbestimmungen helfen nicht, diesen Missständen effektiv zu begegnen bzw. sie zu beheben. Das Nachhaltigkeitskapitel mit seiner Ergänzung, das neben Arbeitsstandards Umwelt- und Klimaschutz absichern bzw. ein hohes Schutzniveau garantieren soll, schafft hier ebenso keine Abhilfe wie etwa im Zusammenhang mit der Gefahr weiterer Entwaldung des Amazonas-Regenwaldes. Da diese Nachhaltigskeitsstandards nicht dem allgemeinen Streitbeilegungsverfahren des Abkommens unterliegen, sondern nur eine Art Mediationsverfahren vorgesehen ist, drohen bei Verstößen mangels Sanktionen keine Konsequenzen.
Umgekehrt könnten in Zukunft Maßnahmen der EU, die die oben beschriebenen oder ähnliche Missstände bekämpfen sollen, von den Mercosur-Staaten durch den neuen Ausgleichsmechanismus rechtlich angefochten und mit wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen belegt werden. Gesellschaftlich berechtigte Schutzmaßnahmen könnten mit einer roten Karte geahndet werden. Diese asymmetrischen Regelungen untergraben nicht nur den Schutz von Mensch und Umwelt, sondern stehen auch im Widerspruch zur globalen Verantwortung, den Klimawandel zu bekämpfen oder für menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu sorgen. Statt die Weichen für mehr Nachhaltigkeit zu stellen, könnte das Abkommen zu einem Hindernis für nötige Reformen im Rahmen eines sozial-ökologischen Umbaus werden. Einmal mehr soll eine Politik verfestigt werden, die Handelsinteressen über den Schutz der Lebensgrundlagen stellt.
Ein kooperatives Modell der Handelsbeziehungen zwischen EU und den Mercosur-Ländern wäre angesichts der aktuellen geopolitischen Herausforderungen essenziell, um den sozial-ökologischen Umbau der Volkswirtschaften sowohl in der EU als auch im Mercosur voranzutreiben. Handel sollte daher nicht länger auf undifferenzierte Marktöffnung gerichtet sein, sondern vielmehr ein Instrument zur Förderung nachhaltiger Entwicklung werden. Zum Beispiel könnten nachhaltige Produkte und Produktionsweisen mit Zollsenkungen belohnt werden, während klimaschädliche Branchen nicht in diesen Genuss kommen. In Bezug auf Branchen, die von ausbeuterischen und/oder gefährlichen Arbeitsbedingungen profitieren, könnte die EU z.B. mit ihrem Know-How unterstützen, wie ökologische Schäden vermieden und Arbeitsbedingungen verbessert werden könnten. An Vorschlägen, wie Handelsbeziehungen kooperativ und nachhaltig gestaltet werden könnten, mangelt es nicht. Das nun nachverhandelte EU-Mercosur-Abkommen entspricht diesem Geist jedenfalls nicht.
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