Profite mit dem Hunger
Frauenlob: Profite mit dem Hunger © AK Wien – EU & International
September 2022

Profite mit dem Hunger: Instabilität und Spekulation auf den globalen Agrarmärkten

Autorin: Miriam Frauenlob

Nachdem der Preis für Weizen in Folge des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine von einem ohnehin schon hohen Niveau in die Höhe geschnellt ist, ist er Mitte Mai wieder gefallen. Allein durch Angebot und Nachfrage lassen sich diese Turbulenzen aber nicht erklären. Während der Krieg natürlich einen großen Einfluss auf die Agrarmärkte hat, zeigt sich auch, dass Spekulation auf den Finanzmärkten die Schwankungen noch weiter erhöhen kann. Schon die letzte Lebensmittelpreiskrise hat die Instabilität dieses Systems gezeigt.

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Miriam Frauenlob arbeitet als Referentin zu Handelspolitik und globalen ökonomischen Fragen in der AK Wien.

Miriam Frauenlob
Miriam Frauenlob © AK Wien

Kurz & Knapp

  • Nur durch die direkten Folgen des Kriegs lassen sich die enormen Preissteigerungen nicht erklären.
  • Über die Jahre hat sich ein Markt für Derivate entwickelt, an dem Investor:innen – ohne Interesse an den Rohstoffe dahinter – mit Finanzprodukten handeln.

  • Noch bevor es Durchbrüche bei den Verhandlungen zu Getreidelieferungen aus der Ukraine gab, fiel der Weizenpreis wieder und ist aktuell niedriger als vor Ausbruch des Kriegs.

  • Eine bessere Regulierung der Finanzmärkte ist daher nur eine von vielen notwendigen Reformen.

Rekordpreise auf den globalen Rohstoffmärkten 

Schon wenige Tage nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine warnten Zeitungen und NGOs vor einer drohenden Nahrungsmittelkrise. Da Russland und die Ukraine beide große Agrarproduzent:innen sind, wurde eine Nahrungsmittelkrise durch ausgefallene Ernten, Blockaden und andere Kriegsfolgen befürchtet. Innerhalb weniger Tage erreichten die Börsenpreise für Weizen ein Rekordhoch von über 400 Dollar pro Tonne. 

Doch schnell zeigte sich: nur durch die direkten Folgen des Kriegs lassen sich die enormen Preissteigerungen nicht erklären. Eine nicht zu unterschätzende Rolle kommt hier Spekulation auf den Rohstoff- und Finanzmärkten zu. Recherchen zeigten auf, dass die Aktivitäten auf den Rohstoffmärkten auch eine gewichtige Rolle spielten: innerhalb weniger Tage flossen im März 4,5 Milliarden Dollar in Fonds, die mit Agrarrohstoffen handeln – so viel, wie sonst in einem Monat. In die beiden größten Agrarfonds flossen allein bis 12. April 1,2Milliarden Dollar, was mehr als sechsmal so viel ist wie im gesamten Jahr 2021. Spekulant:innen nutzen die Krise sichtlich als Möglichkeit für Profite. 

Die Finanzialisierung von Rohstoffmärkten

Schon bei den letzten Lebensmittelpreiskrisen 2007/08 und anschließend 2011/2012 sorgte die Finanzialisierung der Rohstoffmärkte als Ursache für Preisschwankungen für intensive Diskussion. Da es in den Jahren zuvor zu verstärkter Aktivität an den Rohstoffbörsen gekommen war, befürchteten Wissenschaftler:innen und NGOs, dass die Preise durch exzessive Spekulation verfälscht seien. Über die Jahre hatte sich ein Markt für Derivate entwickelt, an dem Investor:innen mit Finanzprodukten handeln, ohne jemals auch nur Interesse an den Rohstoffen dahinter zu haben. Das hat sich auch seit der letzten Krise wenig verändert. 2019 wurden in den USA und Europa Futures-Verträge über fünf Milliarden Tonnen Weizen abgeschlossen und damit fast sieben Mal so viel, wie die gesamte Ernte ausmachte. Durch diese starke Aktivität, so die Hypothese, können die Finanzinvestoren die Preise mitbestimmen. 

Wissenschaftliche Untersuchungen haben das weiter untermauert: eine Studie der UNCTAD deutet darauf hin, dass die Aktivitäten von großen Indexfonds langfristig zwar nicht die großen Preistreiber sind, aber durchaus für kurzfristige Schwankungen verantwortlich sind. Diese wiederum machen kleineren Produzent:innen, die sich gegen Schwankungen absichern müssen, das Leben schwer. Andere Studien kamen wiederum zu dem Schluss, dass sich die Preise verschiedener Rohstoffe immer stärker synchron entwickeln würden und mit Aktienpreisen korrelieren, auch wenn es in den jeweiligen Märkten dafür keine Basis gäbe. 

Spekulation – auch dieses Mal 

Neben den Finanzflüssen in Rohstofffonds gibt es weitere Zeichen, die dafür sprechen, dass auch dieses Mal Spekulant:innen am Werk waren. Ein Indikator von exzessiven Finanzmarktaktivitäten ist der rapide Preisfall noch im Mai 2022. Noch bevor es Durchbrüche bei den Verhandlungen zu Getreidelieferungen aus der Ukraine gab, fiel der Weizenpreis wieder und ist aktuell niedriger als vor Ausbruch des Kriegs. Die Ökonomin Ann Pettifor erklärt dies damit, dass die Spekulant:innen damit rechnen würden, dass mit dem Ende der lockeren Geldpolitik eine Rezession bevorstünde und die Preise somit wieder fallen werden. Auf steigende Preise zu wetten, würde dann keinen Sinn mehr machen. Alternativ lässt sich die Korrektur der Preise auch damit erklären, dass Spekulant:innen und Produzent:innen erkannt haben, dass der Schock durch die Ukraine von anderen Ländern ausgeglichen werden kann8 und es somit eben global gesehen zu keinen Knappheiten kommen wird. Angebot und Nachfrage von Weizen werden sich 2022 nicht groß verändern, wie aktuelle Daten zeigen. 

Wer verdient an der Krise? 

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Spekulation den Weizenpreis auch dieses Mal mitbeeinflusst hat. Doch den Fokus auf Spekulant:innen zu legen reicht nicht aus. Über die Frage, welche Aktivitäten überhaupt als „Spekulation“ gelten und welche nicht, herrscht schon lange eine Debatte. Nach der letzten Lebensmittelpreiskrise wurde sowohl in den USA als auch in Europa versucht, den Markt stärker zu regulieren und zu verhindern, dass gewisse Akteure so viele Positionen an den Märkten halten können, dass sie den Markt verzerren können. Doch trotzdem bleibt es schwierig zu differenzieren, was noch „normales“ und erwünschtes Verhalten ist und was schon verzerrt und spekulativ ist. So sind es die großen, oligopolistischen Lebensmittelhändler, ADM, Bunge, Cargill and Louis-Dreyfus, (auch „ABCD“ genannt), die knapp 70% des Getreidemarkts kontrollieren, die mit am meisten Wissen über die Finanzmarktaktivitäten haben. Durch ihre Größe und Finanzkraft können sie es sich leisten, umfangreiches Risikomanagement zu betreiben und sich gegen Preisschwankungen abzusichern. Dadurch haben sie mehr Informationen als viele andere, kleinere Akteur:innen und die Grenze zwischen Risikomanagement und Spekulation ist dünn. Trotzdem fallen ihre Aktivitäten nicht klassisch unter Spekulation, da sie ja auch mit den echten Produkten handeln. Schon in der letzten Nahrungsmittelkrise konnten sie ihre Profite auf Kosten der hungernden Menschen steigern. Das internationale Panel für nachhaltige Ernährungssysteme schreibt in diesem Zusammenhang, dass die Tatsache, dass solche riesigen Firmen nicht veröffentlichen müssen, wie hoch ihre Lagerstände sind, ihre Marktmacht noch vergrößert und fordert größere Transparenz ein.

Ein durch und durch problematisches System 

Unabhängig davon, wer schlussendlich für die Preisschwankungen verantwortlich war, zeigt es sich, dass es problematisch ist, die Preisbildung für lebensnotwendige Güter rein den Märkten zu überlassen. Eine bessere Regulierung der Finanzmärkte ist daher nur eine von vielen notwendigen Reformen.  Denn wenn (Fehl)einschätzungen auf den Märkten gepaart mit exzessiver Spekulation dazu sorgen, dass Preise explodieren und dann wieder rapide fallen, hat das fatale Konsequenzen für die, die von den Rohstoffen abhängig sind. Im aktuellen Fall sind das vor allem ohnehin schon arme, verschuldete Staaten in Afrika, die auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind. Aber auch fallende Preise können für Produzent:innen ein Problem darstellen. 

Langfristig braucht es somit große Veränderungen in der Finanzmarktarchitektur und der Entwicklungspolitik, um zu verhindern, dass kurzfristige Preisschwankungen Menschen in Armut und Hunger stürzen. Immer noch erschweren die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) etwa strategische Lagerhaltung, damit Staaten kurzfristige Preisschwankungen ausgleichen können.  Sogar das Welternährungsprogramm ist auf kurzfristige Verträge zu aktuellen Marktpreisen angewiesen. Auch in größerem Maßstab muss überlegt werden, welche Mechanismen für Stabilität sorgen könnten. Anleihen könnten man sich hier etwa an den Internationalen Rohstoffabkommen des 20. Jahrhunderts nehmen, bei denen Mindest- oder Höchstpreise festgelegt wurden. Auch wenn diese gegen Ende mit vielen Problemen konfrontiert waren, war die vollständige Liberalisierung und der Fokus auf Finanzmärkte sichtlich keine stabile Lösung. Als Ausgangspunkt für Alternativen ist es in einem ersten Schritt einmal wichtig zu erkennen, dass Preisschwankungen, wie wir sie die letzten Monate erlebt haben, kein Naturgesetz sind! 


Die vollständigen Quellenangaben finden Sie
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