Schutz kritischer Infrastruktur: Wie private Kapitalinteressen unsere kritische Infrastruktur unterwandern
In den letzten Jahren haben internationale Konzerne und Finanzinvestoren immer mehr Bereiche der sozialen Infrastruktur vereinnahmt. In Österreich geht diese Entwicklung bislang vor allem schleichend voran. Ihre profitmaximierenden Geschäftsmodelle – u.a. Gewinnabschöpfung, Steuervermeidung, „cherry-picking“ bzw. gewinnbringende Risikoauslese – gefährden das Gemeinwohl und die Stabilität von Wirtschaft und Gesellschaft. Deshalb müssen Schutzvorkehrungen verstärkt werden.
Autoren: Leonhard Plank, Hans Volmary und Manfred Krenn
Dieser Text wurde im Arbeit & Wirtschaft-Blog am 23. März 2023 erstveröffentlicht.
Diesen Artikel downloadenDer Versorgungsbedarf in der Pflege, der Gesundheit sowie im Wohnungswesen steigt. Damit gerät diese kritische Infrastruktur ins Visier profitorientierter Investoren. Dass sie in die überwiegend öffentlich getragenen Bereiche drängen, sollte unsere Skepsis wecken. Denn ihre Geschäftsmodelle bergen erhebliche Risiken und Nebenwirkungen – vor allem für die Beschäftigten und jene, die auf diese lebensnotwendigen Dienstleistungen angewiesen sind.
Shareholder: Interesse an Profit, nicht am Gemeinwohl
Während viele ihren Alltag immer schwerer bestreiten können, wittern andere das große Geschäft mit Wohnen, Gesundheit und Pflege: In den letzten Jahren sind börsennotierte Konzerne wie Vonovia (Wohnen), Fresenius (Gesundheit) oder Orpea (Pflege) sowie Finanzinvestoren (z.B. Private Equity Fonds, Pensionsfonds, Versicherungen) in Bereichen der kritischen sozialen Infrastruktur im Vormarsch. Sie versprechen sich dadurch stabile Renditen bei einem weitgehend von der öffentlichen Hand gestützten, risikolosen Geschäft. Dabei veranlagen sie privates Kapital über unterschiedliche Wege u.a. in der Errichtung und dem Betrieb von Pflegeheimen, Facharztpraxen, Medizinischen Versorgungszentren sowie Studierendenheimen und im sozialen Wohnbau. Statt auf die Steigerung des Gemeinwohls zielen ihre Geschäftsmodelle auf die Maximierung des sogenannten „Shareholder-Values“: Vorrangiges Ziel ist es, das Kapital der Investoren zu vermehren. Besonders deutlich zeigt sich das in der stationären Altenpflege: Hier haben die 25 größten shareholderorientierten Investoren ihre Bettenkapazität in Europa seit 2017 um mehr als ein Fünftel auf geschätzt 455.000 Betten erhöht.
Rückzug der öffentlichen Hand
Dieses Vordringen von privaten Shareholderinteressen erfolgte parallel zum Rückzug der öffentlichen Hand aus diesen (über)lebensnotwendigen Versorgungsbereichen. Österreich ist von einer neoliberalen Demontage der kritischen Bereiche der Daseins- und Krisenvorsorge wie in anderen Ländern bisher vergleichsweise verschont geblieben. Gleichzeitig schreiten diese Entwicklungen aber schleichend voran. Exemplarisch zeigt sich dies im Vergleich mit England, wo seit den 1980er Jahren sämtliche Regierungen – in unterschiedlichen Konstellationen – künstlich Märkte konstruiert und damit gewinnorientierten Akteuren den Teppich ausgerollt haben.
Von zwei Drittel auf knapp 4 Prozent: So stark ist in England der Anteil öffentlicher Betten in der stationären Altenpflege seit den 1980er Jahren gefallen. Auch in Österreich ist er, wenngleich in geringerem Ausmaß, gesunken: von mehr als drei Viertel Mitte der 1980er Jahre auf weniger als die Hälfte. Im Bereich der englischen Wohnraumversorgung schrumpfte der Anteil öffentlicher Wohnungen von mehr als 30 Prozent zu Beginn der 1980er Jahre auf 6 Prozent im Jahr 2020. Im Unterschied dazu blieb der Anteil öffentlicher Wohnungsbestände in Österreich bei rund 22 Prozent stabil. Im Gesundheitsbereich ist der Anteil der öffentlichen Spitalsbetten in Österreich von rund drei Viertel Ende der 1980er Jahre auf etwa zwei Drittel gesunken. In England gibt es keine offiziellen, nach Trägern differenzierten Angaben zur Entwicklung der Spitalsbetten. Allerdings weisen verschiedenen Studien und Berichte auf die zunehmende Bedeutung von unterschiedlichen Beteiligungen (z.B. Outsourcing, Public Private Partnerships) gewinnorientierter Investoren am steuerfinanzierten NHS hin.
Politik rollte den Teppich aus
Diese Entwicklungen fallen nicht vom Himmel. Im Zuge neoliberaler „Reformen“ wurden seit den 1980er Jahren Wirtschaft, Staat und Gesellschaft zunehmend marktorientiert umstrukturiert. Als Teil eines größeren ideologischen Programms war manches davon geplant und offensichtlich. Dazu gehört die staatlich subventionierte Wohnungsprivatisierung an frühere Mieter:nnen unter der konservativen britischen Premierministerin Thatcher zu Beginn der 1980er Jahre. Ein anderes Beispiel sind die Spitalsprivatisierungen unter Rot-Grün in Deutschland um die Jahrtausendwende.
Andere politische Maßnahmen wirkten eher schleichend, etwa die Unterfinanzierung kommunaler Pflege in England, die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland oder die Mietrechtsliberalisierungen in Österreich. Manchmal öffneten sich „Gelegenheitsfenster“ für gewinnorientierte Investoren auch dort, wo die Politik dies gar nicht explizit beabsichtigt hatte. So etwa im Rahmen der Medizinischen Versorgungszentren, die in den vergangenen Jahren zum Einfallstor für Private Equity Investoren in Deutschland wurden.
Die Risiken für das Gemeinwohl
Mit dem Ausbreiten von shareholderorientierten Investoren halten auch deren Strategien und Geschäftsmodelle Einzug. Ihre oft wertextraktiven Geschäftsmodelle, die regelmäßig Gewinnabschöpfung, Steuervermeidung und „cherry-picking“ beinhalten, bergen aus Sicht einer gemeinwohlorientierten Risikobewertung zahlreiche Gefahren. Sie reichen von einem Mangel an leistbaren Angeboten über erhöhte Preisen hin zu fehlender Transparenz und Kontrolle. Auch die höhere Krisenanfälligkeit, die Gefahr einer schlechteren Versorgungsqualität bzw. von schlechteren Arbeitsbedingungen werden in den üblichen Diskursen gerne übersehen.
Was droht in der Praxis, wenn shareholderorientierte Geschäftsmodelle die kritische sozialen Infrastruktur unterwandern? Das zeigen die bisherigen Erfahrungen:
Ungleicher Zugang und Leistbarkeit: Gesundheit und Pflege sollten universell zugänglich, leistbar und qualitätsvoll sein. Das halten auch die europäischen Verträge fest. Shareholder-Geschäftsmodelle erhöhen hingegen das Risiko eines ungleichen Zugangs. Außerdem besteht die Gefahr einer räumlichen Konzentration gewinnträchtiger Dienstleistungen in einkommensstarken Regionen, während strukturschwache Gebiete unterversorgt werden. Ein aktuelles Beispiel für dieses „cherry-picking“ sind die von Finanzinvestoren geführten Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in Deutschland. Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass die investorengeführten zahnmedizinischen MVZs sich ausgerechnet in einkommensstarken Regionen ansiedeln, wo die Zahnarztdichte ohnehin bereits hoch ist.
Mehr statt weniger Kosten: Private arbeiten effizienter und sparsamer? Nicht in der kritischen sozialen Infrastruktur. Mehr als ein Viertel der Einnahmen fließen bei großen internationalen Pflegekonzernen wie Orpea oder Private Equity geführten Pflegeketten als leistungsloses Einkommen an Kapitalgeber bzw. Eigentümer von Pflegeheimen. Möglich wird das durch sogenanntes Financial Engineering (z.B. überhöhte Miet- oder Kreditzahlungen) und die Nutzung von Steuersümpfen und Schattenfinanzplätzen. Letztere spielen auch bei „Public Private Partnerships“ von Spitälern in England eine wesentliche Rolle. Hier entpuppte sich die kurzfristige Entlastung der öffentlichen Haushalte als langfristig teures Unterfangen, aus dem global orientierte Infrastrukturfonds Kapital schlagen.
Fehlende Transparenz und Kontrolle: Die wertextraktiven Geschäftsmodellen funktionieren mit komplexen, transnationalen Unternehmensstrukturen. Diese stellen ein Transparenz- und Kontrollrisiko dar. Gerät ein Unternehmen in Schieflage, wird das nur beschränkt oder zu spät für die öffentliche Hand sichtbar. Das gefährdet die stabile, alltägliche Leistungserbringung, wie etwa bei den Insolvenzen großer Pflegeketten in England.
Was in Österreich zu tun ist
Um Entwicklungen wie in England oder teilweise auch Deutschland zu verhindern und die Gemeinwohlorientierung der kritischen sozialen Infrastruktur sicherzustellen, sollten bestehenden Instrumente in Österreich angepasst und erweitert werden. Dazu zählen insbesondere:
- Gemeinnützigkeit stärken: Die bestehenden Regelungen zur Gemeinnützigkeit etwa in der Pflege haben Verbesserungsbedarf und könnten nach dem Vorbild der Wohnungsgemeinnützigkeit mit ihren Prinzipien (Vermögensbindung, Kostendeckung, Gewinnbeschränkung) umfassender geschützt werden.
- Shareholderinteressen zurückdrängen/Investoren abwehren: Ähnlich wie bei der Regelung von Primärversorgungszentren, wo Finanzinvestoren vorausschauend ferngehalten wurden, könnte man auch für andere Bereiche einen Schutzschirm überlegen. Im Wohnungsbereich steigt die Zahl von Moratorien und Abwehrmaßnahmen gegenüber ausländischen Investoren und in der Stadt Berlin wird an der rechtsstaatskonformen Enteignung großer Wohnungskonzerne gearbeitet.
- Investitionskontrolle mit Biss/Ausbau von Investmentscreenings: Das bestehende, stark auf geopolitische Sicherheitsrisiken ausgerichtete Investmentscreening sollte zusätzlich Risiken für das Gemeinwohl einbeziehen. Anknüpfungspunkte dazu liegen etwa im Kanadischen Investment Screening, wo der werbende Investor den Netto-Nutzen seiner Investition für Kanada darlegen muss.
- Investitionsoffensive durch die öffentliche Hand: Die Erneuerung und Weiterentwicklung des Immobilienbestands durch gemeinwohlorientierte Akteure würde den risikoreichen, schuldenfinanzierten Expansionsstrategien von gewinnorientierten Investoren das Wasser abgraben. Gleichzeitig hat die öffentliche Hand bessere Konditionen auf den Kapitalmärkten und kann entsprechend günstiger bauen. Schließlich könnte der öffentliche Sektor auch wieder selbst stärker direkt als Dienstleister in Erscheinung treten. Beispielsweise indem die ÖGK den notwendigen Ausbau der Primärversorgung in die Hand nimmt oder die Gemeinden gemeinsam mit anderen die Kommunalisierung von Pflegeheimen wie zuletzt in Norwegen oder Südkorea vorantreiben.
Vier Schritte von der Shareholder- zur Gemeinwohlorientierung
Um Entwicklungen wie in England oder teilweise auch in Deutschland zu verhindern und eine gemeinwohlorientierte Bereitstellung sicherzustellen, sollten bestehende Instrumente in Österreich angepasst und erweitert werden. Dazu zählen insbesondere:
- Gemeinnützigkeit stärken
- Profitinteressen zurückdrängen
- Investitionskontrolle mit Biss
- Investitionsoffensive durch die öffentliche Hand
Die zahlreichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts kann nur ein widerstandsfähiger Sozialstaat bewältigen. Die öffentliche Hand muss wieder mehr Verantwortung für die Bereitstellung, Finanzierung und Regulierung der kritischen (sozialen) Infrastruktur übernehmen, statt wie in der Vergangenheit die Verantwortung abzuschieben und Kosten abzuwälzen. Ansonsten droht eine Fortsetzung der Bereicherung aus öffentlich gespeisten Systemen, die vorrangig auf dem Rücken der Leistungsträgerinnen des Alltagslebens stattfindet.
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Leonhard Plank, Hans Volmary,
Manfred Krenn und Wolfgang Blaas:
Shareholderorientierte transnationale Investoren in der kritischen sozialen Infrastruktur
Die Studie kann hier heruntergeladen werden.
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