Feigl-Heihs/Frauenlob: Arbeit und Klima
Feigl-Heihs/Frauenlob: Reform der Nachhaltigkeitskapitel © AK Wien – EU & Internationales
September 2022

Arbeit und Klima: Was sich hinter der geplanten Reform der Nachhaltigkeitskapitel in EU-Handelsabkommen versteckt 

Autorinnen: Monika Feigl-Heihs und Miriam Frauenlob

Ende Juni 2022 präsentierte die Europäische Kommission in einer Mitteilung ihre Position für eine stärkere Verankerung von Nachhaltigkeitszielen in EU-Handelsabkommen. Dabei finden sich viele schöne Formulierungen und der (nicht neue) Anspruch, die Nachhaltigkeitsagenden in Zukunft nachdrücklicher zu verfolgen. Gleichzeitig bleibt die Kommission bei ihrer grundsätzlichen, neoliberalen Ausrichtung. Dass sich diese Kombination schlecht ausgeht, ist offensichtlich.

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Die Überarbeitung der Nachhaltigkeitskapitel 

Die Mitteilung ist ein weiterer Schritt in einem jahrelangen Prozess, die EU-Handelspolitik mit Nachhaltigkeitsfragen zu verknüpfen. 2018 veröffentlichte die Kommission einen 15-Punkte Aktionsplan, anhand dessen die in Handelsabkommen getroffenen Vereinbarungen auch tatsächlich mit Leben erfüllt werden sollten. Neben einer Verbesserung der Kooperation mit Gewerkschaften und NGOs schlug die Kommission eine stärkere Sanktionierung von Verstößen und die bessere finanzielle Ausstattung von Beratungsgremien zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsagenda vor.

Im Zuge der Neuausrichtung der EU-Handelspolitik führte die EU-Kommission 2021 eine Konsultation zu den Nachhaltigkeitskapiteln durch und beauftragte eine Vergleichsstudie, wie Nachhaltigkeitsfragen in Handelsabkommen von Drittstaaten geregelt sind. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob der bisher von der EU-Kommission verfolgte Ansatz, bei der Durchsetzung von Arbeits- und Umweltrechten ausschließlich auf Dialog und Kooperation zu setzen, wirksam ist oder ob nachgeschärft und Sanktionen bei Verstößen verhängt werden sollten. 

Nachhaltigkeitskapitel: Zahnlose Tiger?

Seit Jahren kritisieren Gewerkschaften und NGOs die Nachhaltigkeitskapitel in EU-Handelsabkommen als ineffektiv, bürokratisch und Feigenblatt für die maßgeblichen restlichen, ganz und gar nicht nachhaltigen Teile der Abkommen. Zu diesem Bild zu kommen ist nicht schwierig. Bisher finden sich in den Kapiteln nur die Verankerung des Status Quos und unverbindliche Willensbekundungen hinsichtlich der Verbesserung von Arbeits- und Umweltstandards. Wird gegen diese verstoßen oder werden die getroffenen Vereinbarungen nicht umgesetzt, gibt es letztlich keine Sanktionsmöglichkeiten. Das Handelsabkommen zwischen der EU und Südkorea – das erste Abkommen, das ein Nachhaltigkeitskapitel beinhaltet – veranschaulicht die Problematik. Nach mehreren Verstößen dauerte es Jahre, bis die Missachtung mehrerer Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) überhaupt Gegenstand des bilateralen Streitbeilegungsmechanismus wurde. Durch die fehlenden Sanktionierungsmöglichkeiten standen am Ende nur Vorschläge, wie Südkorea die Missstände beheben sollte. Ob das Land diese nun aufgreift und umsetzt, kann die EU wiederum lediglich im Rahmen des Dialogprozesses einmahnen. 

 

Zu den Autorinnen

Monika Feigl-Heihs arbeitet als Expertin für EU-Handelspolitik in der AK Wien.

Miriam Frauenlob arbeitet als Referentin zu Handelspolitik und globalen ökonomischen Fragen in der AK Wien.

Miriam Frauenlob
Miriam Frauenlob © AK Wien

Kurz & Knapp

  • Nach mehr als zehn Jahren Nachhaltigkeitskapitel in EU-Handelsabkommen ist es trotz aller Versprechen bisher nicht gelungen, die sozialen und ökologischen Schieflagen, die aus Handelsabkommen resultieren, zu korrigieren oder abzumindern.

  • Im Kern geht es darum, ob der bisherige Ansatz  der EU-Kommission, bei der Durchsetzung von Arbeits- und Umweltrechten ausschließlich auf Dialog und Kooperation zu setzen, wirksam ist, oder ob nachgeschärft und Sanktionen bei Verstößen verhängt werden sollten.

  • Sanktionen sollen nur bei schwerwiegenden Verstößen gegen ILO-Kernarbeitsnormen oder das Pariser Klimaabkommen verhängt werden. Diese Einschränkung ist weder gerechtfertigt noch nachvollziehbar.

  • Wenn die EU-Kommission über die EU-Handelspolitik nachhaltige Entwicklung fördern möchte, dann müsste sie auch die negativen Auswirkungen des Rohstoffabbaus thematisieren.

  • Es braucht eine gänzliche Neuausrichtung der EU-Handelspolitik, um den sozialen und ökologischen Kosten des internationalen Handels Rechnung zu tragen.

Nach mehr als zehn Jahren Nachhaltigkeitskapitel in EU-Handelsabkommen ist es trotz aller Versprechen bisher nicht gelungen, die sozialen und ökologischen Schieflagen, die aus Handelsabkommen resultieren, zu korrigieren oder zumindest abzumindern. Der Fall Südkorea ist keine Ausnahme. Diverse Studien zeigen, dass die in EU-Handelsabkommen verankerten arbeitsrechtlichen Bestimmungen häufig nicht in der Lage sind, die negativen Effekte auf Arbeitsbedingungen durch verstärkten Wettbewerbsdruck abzufedern oder auszugleichen. Die Ausrichtung der Handelsabkommen an sich, die dem Profitstreben transnationaler Konzerne Vorrang gegenüber breit geteiltem Wohlstand, guten Arbeitsbedingungen sowie Klima- und Umweltschutz einräumt, führt zu vielfältigen negativen Konsequenzen für Beschäftigte und Umwelt. In den genannten Studien gibt es klare Belege dafür, dass Beschäftigte in wirtschaftlichen Sektoren, die auf Grundlage von EU-Handelsabkommen geöffnet wurden, Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen erfahren oder ihre Arbeitsplätze sogar verloren haben. Die alternativen Arbeitsplätze, die in den ökonomischen Vorabeinschätzungen der Handelsabkommen versprochen wurden, kamen in vielen Fällen nicht im angekündigten Ausmaß. Vielfach dokumentiert sind auch negative ökologische Auswirkungen von Produktionspraktiken entlang von Lieferketten, die auf Kosten der Umwelt und des Klimas gehen. 

Wo sieht die Kommission Verbesserungsbedarf?

An der grundlegenden Einschätzung und Ausrichtung der EU-Handelspolitik, dass Handelsabkommen einen wichtigen Beitrag zu wirtschaftlichem Wachstum und Schaffung von Arbeitsplätzen leisten würden, hält die EU-Kommission auch in der vorliegenden Mitteilung fest. Nach wie vor preist sie die positiven Effekte von Wachstum an, während die oben ausgeführten Schattenseiten der Globalisierung unter den Teppich gekehrt werden. Nachhaltigkeitsfragen sollen weiterhin im Rahmen von Nachhaltigkeitskapiteln in EU-Handelsabkommen adressiert werden. Der bisherige Ansatz, bei Verstößen gegen Arbeits- und Umweltrechte auf Anreize anstelle von Verpflichtungen und Sanktionen zu setzen, bleibt aufrecht. Bei folgenden sechs Themen sieht die EU-Kommission allerdings Verbesserungsbedarf:

  • Proaktivere Zusammenarbeit mit Partnern: Um Handelspartner zu bestärken, sowohl soziale als auch ökologische Nachhaltigkeitsanliegen voranzutreiben und umzusetzen, sollen vorhandene Dialogforen stärker genutzt werden.

  • Länderspezifischer Ansatz: Da die Handelspartner der EU auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen stehen und mit unterschiedlichen sozialen und ökologischen Herausforderungen konfrontiert sind, sollen für die Erreichung der Ziele auf das jeweilige Land maßgeschneiderte Lückenanalysen sowie Folgenabschätzungen durchgeführt werden.
       
  • Nachhaltigkeit als umfassender Zugang: Nachhaltigkeitsfragen sollten nicht nur in den Nachhaltigkeitskapiteln thematisiert werden, sondern in den Handelsabkommen durchgängig berücksichtigt werden. Als Beispiele werden die Liberalisierung von Umweltgütern und –dienstleistungen sowie die Sicherstellung eines unverzerrten Handels bei Rohstoffen und Energieerzeugnissen genannt, die für den Übergang zu klimaneutraler und ressourceneffizienter Wirtschaft benötigt werden.

  • Gemeinsame Überwachung der Umsetzung der Nachhaltigkeitskapitel und

  • Stärkung der Rolle der Zivilgesellschaft: Die Umsetzung der in den Nachhaltigkeitskapiteln vereinbarten Regelungen erfolgt über bilaterale Dialoge zwischen den Handelspartnern. Die Europäische Kommission möchte nun EU-Delegationen vor Ort sowie das Europäische Parlament über Vor-Ort-Besuche stärker in die Überwachung der Umsetzung der Vereinbarungen miteinbeziehen. Damit zivilgesellschaftliche Organisationen und Sozialpartner sich besser in diesen Prozess einbringen können, kündigt die Europäische Kommission eine Informationsoffensive für diese Gruppen an. Darüber hinaus stellt sie Hilfe beim Aufbau von Kapazitäten und Sachkenntnis von internen EU-Beratungsgruppen in Aussicht.  

  • Handelssanktionen als letztes Mittel bei Verstößen: Bezüglich der Durchsetzbarkeit von Nachhaltigkeitsbestimmungen schlägt die EU-Kommission vor, in zukünftigen EU-Handelsabkommen bei schwerwiegenden Verstößen gegen grundlegende ILO-Kernarbeitsnormen sowie gegen das Pariser Klimaabkommen als letztes Mittel Handelssanktionen zu verankern. Dabei handelt es sich um die im allgemeinen Streitbeilegungsmechanismus vorgesehenen Maßnahmen wie z.B. Rücknahme von Zollerleichterungen.  

Weshalb Einschränkung auf schwere Verstöße?

Mit dem Vorschlag, in künftigen Handelsabkommen zur Durchsetzung von Arbeits-, Sozial- und Umweltnormen Handelssanktionen vorzusehen, greift die EU-Kommission eine langjährige Forderung von Gewerkschaften, Sozialpartnern und zivilgesellschaftlichen Organisationen auf. Allerdings ist die Sichtweise der EU-Kommission sehr eng geführt. Einerseits sollen Sanktionen nur bei schwerwiegenden Verstößen gegen ILO-Kernarbeitsnormen oder das Pariser Klimaabkommen verhängt werden. Diese Einschränkung ist weder gerechtfertigt noch nachvollziehbar, bilden doch beispielsweise die Kernarbeitsnormen den internationalen arbeitsrechtlichen Mindestschutz, für den es keine Schwergrade von Verstößen gibt. Hier stellt sich die Frage, was der EU-Kommission etwa als nicht schwerwiegender Fall von Zwangsarbeit oder von Repression gegen gewerkschaftliches Engagement vorschwebt.

Andererseits sollen Sanktionsmechanismen für Nachhaltigkeitskapitel erst in künftigen Handelsabkommen Eingang finden. Die beträchtliche Anzahl an bestehenden oder bereits fertig verhandelten bilateralen Handelsabkommen, die ein breites Netz über die Welt aufspannen und Länder wie z.B. Ägypten oder Kolumbien mit zum Teil katastrophalen menschen- und arbeitsrechtlichen Bedingungen umfassen, soll unangetastet bleiben. Die Kommission lässt in ihrer Mitteilung auch offen, ob dieser neue Zugang bei bereits laufenden Verhandlungen zur Anwendung kommen wird. Insofern stellt sich die Frage, welche Wirkmächtigkeit überhaupt erzeugt werden kann, wenn ausschließlich bei zukünftigen Verhandlungspartnern, die sich aus einem sehr überschaubaren Kreis von Staaten ergeben, Sanktionen bei Verstößen gegen grundlegende Sozial-, Arbeits- und Umweltnormen in Betracht gezogen werden.  

Vor allem aber geht es nicht nur um die Frage, wie der Streitschlichtungsprozess bei Nichteinhaltung bzw. bei Verletzungen von Nachhaltigkeitsverpflichtungen gestaltet wird. Bereits ab Beginn von Handelsverhandlungen sind Nachhaltigkeitsfragen in den Mittelpunkt zu rücken und soziale und ökologische Ziele gegenüber wirtschaftlichen Interessen zu priorisieren. In diesem Sinn müssen vor Verhandlungsbeginn alle zehn ILO-Kernarbeitsnormen von allen Vertragsparteien ratifiziert, in nationales Recht umgesetzt und angewandt werden. Gleiches gilt für die up to date Konventionen und Empfehlungen. Weitere Anforderungen sind beispielsweise die Ratifizierung, Umsetzung und Anwendung multilateraler Umweltabkommen sowie die Verankerung der Menschenrechte als “essential element”-Klausel in einem eigenen Artikel der Abkommen.   

Im Zusammenhang mit den ILO-Kernarbeitsnormen fällt eine Leerstelle ganz besonders auf: Die EU-Kommission erwähnt in ihrer Mitteilung mit keinem Wort, dass insbesondere bei der Einhaltung von Arbeitsrechten die Zusammenarbeit mit der ILO gestärkt werden muss. Wenn die Europäischen Institutionen stärker mit der ILO kooperieren, könnte dies deren Arbeit größeres politisches Gewicht verleihen und damit Arbeitsbedingungen wirkungsvoller verbessern. Außerdem müssten keine unnötigen, kostenintensiven Doppelstrukturen geschaffen werden.    

Und der Klimawandel?

Was die Thematisierung des Klimawandels und des Beitrags der Handelspolitik zu dessen Bekämpfung anbelangt, fokussiert die EU-Kommission hier insbesondere auf die Liberalisierung von Umweltgütern und -dienstleistungen und damit auf die Ausweitung der Handelstätigkeit. Vergeblich sucht man in der Mitteilung allerdings die Thematisierung der Umwelt- und Klimaschädlichkeit des Handels selbst sowie des internationalen Gütertransports. Die Emissionen des mit Handel verbundenen Frachtverkehrs sind beträchtlich und dürfen nicht unterschätzt werden. Der Klimawandel ist längst zur Realität geworden, wie die vermehrten Hitzewellen, Dürren oder Unwetterkatastrophen zeigen. Umso unverständlicher ist es, dass die Frage der mit dem Handel verbundenen Treibhausgasemissionen bisher in den Papieren der Kommission nicht aufschlägt.  

Ein wichtiges Anliegen ist der EU-Kommission darüber hinaus die Sicherstellung des Zugangs von Rohstoffen wie Lithium, Kobalt oder Nickel über EU-Handelsabkommen. Diese sind notwendig für eine grüne, dekarbonisierte Wirtschaft sowie für die Energiewende. Wenn die EU-Kommission über die EU-Handelspolitik nachhaltige Entwicklung fördern möchte, dann müsste sie auch die negativen Auswirkungen des Rohstoffabbaus thematisieren. Dieser geht häufig mit Umweltkatastrophen, schweren Menschenrechtsverletzungen, Ausbeutung von Beschäftigten und auch oft mit Kinderarbeit einher. Dafür braucht es ebenso Lösungen wie für eine global gerechte Verteilung der vorhandenen Rohstoffe. Denn der ökologische Umbau ist weltweit umzusetzen und sollte als gemeinsames, kooperatives Projekt verstanden werden.

Kapitel für Nachhaltigkeit ausreichend?

Nicht zuletzt gilt, dass die Nachhaltigkeitskapitel – auch in der nun vorgeschlagenen Form – nur einen kleinen Teil der Verpflichtungen aus Handelsabkommen umfassen. Selbst wenn diese effektiv wären und entsprechende arbeits-, umwelt- und klimarelevante Verpflichtungen und Sanktionsmechanismen beinhalten würden, blieben die Handelsabkommen in anderen Bereichen weiterhin hochproblematisch. So müssen beispielsweise die Kapitel zu technischen Handelsbarrieren, zu sanitären und phytosanitären Standards, zur Liberalisierung von Dienstleistungen, zur Zusammenarbeit in Regulierungsfragen und zum Investitionsschutz gänzlich hinterfragt werden. Denn nach wie vor ist die einseitige Bevorzugung von Investor:innen nicht aufgelöst. Regulierungskooperation findet in undemokratischen Strukturen statt, die unsere Arbeits-, Gesundheits-, Konsument:innen- und Umweltschutzsysteme gefährden. Darüber hinaus ist das europäische Vorsorgeprinzip, das auf ein hohes Schutzniveau unserer Gesundheit und der Umwelt abzielt, in EU-Handelsabkommen nicht verankert. Ausnahmen für zentrale öffentliche und versorgungswichtige Dienstleistungen fehlen obendrein.  

Wenn es der EU-Kommission tatsächlich und nicht nur rhetorisch darum geht, die EU-Handelspolitik in den Dienst des notwendigen sozial-ökologischen Umbaus zu stellen, wird es nicht reichen, nur an der kleinen Schraube der Nachhaltigkeitskapitel zu drehen. Es braucht eine gänzliche Neuausrichtung der EU-Handelspolitik, um den sozialen und ökologischen Kosten des internationalen Handels Rechnung zu tragen. Dies beinhaltet vor allem, die Reduktion der Treibhausgase, den sozial ökologischen Umbau der Volkswirtschaften sowie Wohlstandsüberlegungen für alle in den Mittelpunkt der Handelspolitik zu rücken. Sämtliche bereits bestehenden bilateralen Handelsabkommen erfüllen weder in Bezug auf Arbeitsbedingungen noch hinsichtlich ökologischer Standards die Anforderungen, die für eine sozial gerechte Weltwirtschaft notwendig wären. Es besteht also dringender Handlungsbedarf. 


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