Infobrief 4|23 | Jaeger: EU-Lieferkettengesetz – eine Win-win-Situation
Infobrief 4|23 | Jaeger: EU-Lieferkettengesetz – eine Win-win-Situation © AK WIEN
Dezember 2023

Das EU-Lieferkettengesetz: Win-Win-Situation für Europa und den Globalen Süden

Das EU-Lieferkettengesetz stärkt Menschenrechte und Umweltschutz entlang globaler Wertschöpfungsketten und nimmt Unternehmen in die Pflicht. Dies wird positive Wirkungen auf die Wirtschaft haben: Das gilt sowohl für Europa als auch für den Globalen Süden.

Autor: Johannes Jäger

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Über den Autor

Johannes Jäger ist Fachbereichsleiter für Volkswirtschaftslehre an der FH des BFI Wien.

Johannes Jaeger
Johannes Jäger © Peter Rösler | FH des BFI Wien

Kurz und Knapp

  • Liberale Märkte führen nicht automatisch zu besseren Arbeits- und Lebensbedingungen oder zu einer Stärkung der Menschenrechte.

  • Die Achtung von Menschenrechten durch Unternehmen trägt wesentlich dazu bei, negative externe Effekte und andere Formen von Marktversagen zu reduzieren.

Liberale Märkte führen nicht automatisch zu besseren Arbeits- und Lebensbedingungen oder zu einer Stärkung der Menschenrechte. Vor dem Hintergrund anhaltender Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und traditionell schwacher Gewerkschaften in vielen Teilen des Globalen Südens werden immer wieder Rufe nach internationalen Sozial- und Umweltstandards laut. 

Private Labels und freiwillige Verhaltenskodizes sind keine wirksame Antwort auf anhaltende Menschenrechtsverletzungen. Sie unterliegen einem hohen Wettbewerbsdruck, ermöglichen kein kollektives Handeln der Betroffenen und bieten keine ausreichenden Informationen. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) veröffentlicht jährlich den Globalen Rechtsindex, der die Verletzungen grundlegender Arbeitnehmer:innenrechte weltweit dokumentiert. Die Ausgabe 2023 verzeichnet zum wiederholten Mal in Folge einen Anstieg an Rechtsverletzungen. Um eine Veränderung zu bewirken, braucht es daher verbindliche Regeln wie das EU-Lieferkettengesetz. Solche Regelungen schaffen, ähnliche wie universelle Tarifverhandlungen, „integrative“ Effekte für schwächere und weniger gut organisierte Arbeitnehmer:innen. 

Globaler Rechtsindex 2023: Verletzung von Arbeitnehmer:innenrechten
Globaler Rechtsindex 2023: Verletzung von Arbeitnehmer:innenrechten © AK WIEN / Quelle ITUC

Ein neuer Ansatz in der internationalen Wirtschaftspolitik 

Die Zeit der liberalen Globalisierung kommt zu einem Ende. Die bislang häufig neutrale Haltung gegenüber Unternehmensstrategien und Investitionsströmen wird zum Teil durch spezifischere wirtschaftspolitische Strategien ersetzt. Um einseitige, interessensgeleitete Politiken und protektionistische Tendenzen zu vermeiden, kann ein menschenrechtsbasierter Ansatz in der internationalen Wirtschaftspolitik als Grundlage herangezogen werden. Strenge Vorschriften und wirksame Kontrollmechanismen sind dabei unerlässlich, um Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden und eine integrative wirtschaftliche soziale Entwicklung zu fördern. Idealerweise sollten die bestehenden Probleme auf internationaler Ebene in Form von verbindlichen Standards gesichert werden. Das EU-Lieferkettengesetz bildet einen wichtigen Schritt in diese Richtung.

Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen

Das EU-Lieferkettengesetz verpflichtet künftig große europäische Unternehmen und Unternehmen aus Drittländern, die in den EU-Binnenmarkt exportieren, zur Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards. Auf diese Weise werden gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen. In den weitaus meisten Fällen wird dies dazu führen, dass die Unternehmen die Standards einhalten, ihre Geschäftstätigkeit fortsetzen und Menschenrechtsverletzungen vermeiden. In manchen Fällen werden Unternehmen ihre Lieferketten anpassen und in Einzelfällen möglicherweise ihre Geschäftstätigkeit beenden. In den letztgenannten Fällen ist jedoch davon auszugehen, dass die Unternehmen durch effizientere ersetzt werden. Es handelt sich dabei um einen normalen Prozess und um ein Merkmal funktionierender Märkte. Die Arbeitskosten im Globalen Süden – und damit allfällige höhere Kosten für die Einhaltung von Standards – machen überdies nur einen minimalen Teil der Gesamtkosten in der Wertschöpfungskette aus. Aufgrund des EU-Lieferkettengesetzes können sich damit zwar höhere Kosten ergeben, es ist aber nicht zu erwarten, dass globale Wertschöpfungsketten sich insgesamt signifikant verändern werden. Außerdem besteht ein erheblicher Teil der Ausfuhren aus dem Globalen Süden aus natürlichen Ressourcen, die nicht ohne weiteres ersetzt werden können. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass das EU-Lieferkettengesetz einen Anreiz zu vorwärts-gerichteter Spezialisierung in Richtung innovativer und zukunftsträchtiger Produktionsstrategien bietet. Anstatt weiterhin auf Menschenrechtsverletzungen zu bauen, ist ein Anreiz zur Modernisierung der Unternehmensstrategien zu erwarten, was langfristig Wettbewerbsvorteile schaffen kann. 

Die von Wirtschaftsverbänden vorgebrachten Bedenken, wonach Unternehmen sich aus Ländern des Globalen Südens zurückziehen könnten, müssen daher relativiert und in einen breiteren Kontext gestellt werden. Es reicht auch nicht aus, ausschließlich die Kosten für Unternehmen oder mögliche negative Auswirkungen zu betrachten, wenn es darum geht, die Auswirkungen des EU-Lieferkettengesetzes auf die Wirtschaft zu analysieren. Vielmehr müssen die potenziellen positiven wirtschaftlichen Auswirkungen und die zu erwartenden dynamischen Entwicklungen ebenso berücksichtigt werden. 

Integration von Wirtschaft und Menschenrechten 

Im Rahmen der gängigen neoklassischen ökonomischen Analyse müssen Menschenrechtsverletzungen und die damit verbundenen negativen Auswirkungen als externe Effekte berücksichtigt werden. Die Missachtung von Menschenrechten und Umweltzerstörung durch Unternehmen hat erhebliche negative externe Effekte, vor allem im Globalen Süden. Die Achtung von Menschenrechten durch Unternehmen aufgrund des EU-Lieferkettengesetzes trägt wesentlich dazu bei, negative externe Effekte und andere Formen von Marktversagen zu reduzieren. Dadurch erhöht sich der wirtschaftliche Wohlstand. Eine integrative Analyse der Auswirkungen des EU-Lieferkettengesetzes auf die Wirtschaft muss daher erstens die positiven direkten Auswirkungen berücksichtigen und zweitens auch indirekte bzw. dynamische Auswirkungen einbeziehen. Die sich aufgrund des Lieferkettengesetzes verändernden institutionellen Dynamiken können analytisch vor dem Hintergrund der „Global Value Chains“-Perspektive und des „Power Resources“-Theorie eingeordnet werden. Auf Basis dieser Perspektiven ist davon auszugehen, dass das EU-Lieferkettengesetz zu sich verändernden Machtverhältnissen führt. Die Einhaltung der Menschenrechte – wie etwa der Vereinigungsfreiheit – stellen einen zentralen Wirkungsmechanismus dar. Arbeitnehmer:innen und Gewerkschaften im Globalen Süden werden damit systematisch gestärkt.

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JAeGER_COVER_ExpectedEconomicEffects © AK WIEN


Johannes Jäger,
Gonzalo Durán, 
Lukas Schmidt

Expected Economic Effects of the EU Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). 

Verlag Arbeiterkammer Wien, 2023.

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Insgesamt ist zu erwarten, dass Unternehmen das EU-Lieferkettengesetz in der Regel einhalten werden. Der Rückzug einzelner Unternehmen wird eine seltene Ausnahme bleiben und eine signifikante Veränderung der Wertschöpfungsketten ist nicht zu erwarten. Das EU-Lieferkettengesetz ist ein grundlegender Beitrag zur Stärkung der Menschenrechte und des Umweltschutzes. Nicht nur die Verringerung negativer externer Effekte und die Behebung von Marktversagen versprechen wichtige Wohlfahrtsgewinne. Darüber hinaus wird die systematische Stärkung von Arbeitnehmer:innen, Gewerkschaften und Umweltorganisationen dazu beitragen, dass sich die Arbeits- und Lebensbedingungen für viele Menschen im Globalen Süden künftig verbessern. 

Ausblick 

Das EU-Lieferkettengesetz wird derzeit im Trilog zwischen Kommission, Rat und dem Europäischen Parlament verhandelt. Die Verabschiedung der Richtlinie vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 ist das Ziel. In ökonomischer Hinsicht ist es von entscheidender Bedeutung, dass ein wirksames EU-Lieferkettengesetz, das keine Lücken offenlässt und auch den Finanzsektor erfasst, umgesetzt wird. Damit kann sichergestellt werden, dass die in diesem Beitrag beschriebenen positiven wirtschaftlichen Auswirkungen eintreten.

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