Tage im Feuer: Überlebt die Demokratie die Klimakrise?
Infobrief 3 2023 | Soder: Buchrezension Tage im Feuer © AK WIEN
Oktober 2023

Rezension: Tage im Feuer – Überlebt die Demokratie die Klimakrise? 

„Demokratie gibt es nur auf einem bewohnbaren Planeten – und das Klima wird sich nur mit demokratischen Mitteln retten lassen“, das ist eine der zentralen Aussagen im Buch von Jonas Schaible. Sein Konzept für eine zukunftsfähige Klimademokratie zeigt auf, wie wir die Klimakrise demokratisch bewältigen können.

Autor: Michael Soder

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„Sie ist vielleicht die mächtigste Idee der Galaxie; Geboren in Griechenland; Millionen gibt sie Hoffnung, Diktatoren fürchten sie“ – die Demokratie. Diese Zeilen schrieb die deutschen Punkrock Band „Die Ärzte“ auf ihrem letzten Album „Dunkel“. Wir leben in unsicheren Zeiten die durch globale Krisen, Krieg, Pandemie, Klima, gekennzeichnet sind und in denen von verschiedenen Seiten die Demokratie selbst immer stärker unter politischen Druck gerät. 

Über den Autor

Michael Soder ist Referent in der Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien mit Schwerpunkt grüner Strukturwandel, Industriepolitik, Forschung, Technologie und Innovation.

Michael Soder
Michael Soder © AK WIEN

Kurz & Knapp

  • Der entscheidende Hebel für mehr Klimaschutz liegt nicht im Individuellen, sondern im Politischen.
  • Eine zukunftsfähige Klimademokratie setzt sich aus verschiedenen Strategien zusammen.

Die komplexen Zusammenhänge, die scheinbare Alternativlosigkeit und ein sich daraus speisendes Gefühl der stummen Ohnmacht bilden die Ausgangslage für krude Verschwörungstheorien und den Wunsch nach einer starken Führungsperson, die endlich einmal durchgreift und Ordnung schafft. Doch die Unsicherheit wird weiter anwachsen, wenn wir nicht rasch Lösungen entwickeln, um mit den Krisen unserer Zeit nachhaltig umzugehen. Gelingt uns dies nicht, dann steht nicht nur die Demokratie als Errungenschaft des menschlichen Zusammenlebens auf dem Spiel, sondern noch viel mehr: unsere Lebensgrundlage. 

Die Klimakrise als die wohl größte Krise des menschlichen Handelns kümmert sich nicht um unsere beständige Sehnsucht nach Stabilität. Was wir als „Normalität“ empfinden ist für sie nur ein Zustand von Vielen und in Konsequenz bedeutet unser Handeln, dass die Welt in dreißig Jahren jedenfalls nicht mehr so aussehen wird wie wir sie heute kennen. Egal ob wir die Veränderung rechtzeitig aktiv gestalten oder ob wir uns im Chaos der Anpassung an neue Gegebenheiten zurechtfinden müssen. Nur eines ist wahrlich stabil und dass ist die Notwendigkeit zur Veränderung. Heilsversprechungen nach der Bewahrung des Ist-Zustandes oder „Normalität“ sind damit schlussendlich nichts weiteres als politische Chimären. Der Treppenwitz der Geschichte ist in diesem Zusammenhang womöglich, dass eine konservative, ja reaktionäre Haltung, vor dem Hintergrund der Klimakrise in ihrem Ziel des Bewahrens des Bekannten, eigentlich revolutionär agieren müsste. Denn um das Bestehende zu bewahren ist große und rasche Veränderung nötiger denn je. Radikale Forderungen nach Veränderung müssten in ihrem Bestreben damit paradoxerweise konservativ sein. 

Veränderung und Unsicherheit machen Angst. Berechtigte Angst, was diese Veränderungen für einen selbst eigentlich bedeutet und was sie von einem abverlangen wird. Deshalb ist die oft nachvollziehbare Reaktion eine vehemente Verteidigung des Bestehenden und das Infragestellen der Normalität wird grell und scharf abgelehnt. Ein Ausdruck, der durch das Fehlen von vorstellbaren Alternativen und Perspektiven nur noch verstärkt wird. So ist man eher gewillt Klimaktivist:innen als Terroristen hinter Gitter bringen als die Dysfunktionalität unserer (westlichen) Wirtschaftsweise anzuerkennen. Auf der anderen Seite wird moralisiert und die Nutzung von PKWs und der Urlaubsflug im Sommer als Todesstoß der Zukunft hochstilisiert. Eine politische Gemengelage die die gemeinsame Arbeit an Perspektiven und Maßnahmen nicht gerade erleichtert. Und die Zeit läuft erbarmungslos weiter. Jedes Jahr, jeden Monat, ja jeder Tag, an dem weiter zu wenig für den Klimaschutz passiert, vergrößert die auf uns zukommenden Herausforderungen. 

Buchtipp

Jonas Schaible: Demokratie im Feuer
Jonas Schaible: Demokratie im Feuer © Deutsche Verlagsanstalt

Jonas Schaible

Demokratie im Feuer –
Warum wir die Freiheit nur bewahren, wenn wir das Klima retten und umgekehrt

Deutsche Verlags-Anstalt, 2023.

Jonas Schaible arbeitet seit 2019 als Redakteur im SPIEGEL-Hauptstadtbüro und schreibt regelmäßig über die Klimaschutzbewegung und die Klimapolitik. 

Die Klimakrise wird daher nicht nur umgestalten wie wir produzieren und konsumieren, sondern sie wird auch unsere demokratischen Prozesse verändern. Denn wie Jonas Schaible in seinem Buch „Demokratie im Feuer“ schreibt, liegt der entscheidende Hebel für mehr Klimaschutz nicht im Individuellen, sondern im Politischen. Es mangelt nicht an Wissen und Ideen, sondern an der praktischen Umsetzung konkreter Maßnahmen und an einer Umgestaltung der Strukturen. Lebensstilfragen können niemals politische Steuerung ersetzen und sind wirkungslos, wenn eine begleitende politische Steuerung ausbleibt. Aber dasselbe gilt umgekehrt. Die Politik beschließt zwar aus ihrer Perspektive ambitionierte Maßnahmen. Ambitioniert im Sinne des politisch Möglichen, aber dies muss nicht zwangsläufig das naturwissenschaftlich Notwendige sein. Doch die Politik stapelt, nach Schaible, (Pfad-)Unsicherheit auf Unsicherheit. Das Was-Wäre-Wenn verhindert an beherztes Vorangehen und ist gleichzeitig Barriere für alles weitere.

Doch wie könnte eine Klimademokratie aussehen? Jonas Schaible versucht mit seinem Buch „Demokratie im Feuer“ Vorschläge dazu zu unterbreiten. Denn Demokratie an sich ist immer auch Demokratisierung unserer Systeme und Strukturen. Sie ist ein Prozess, kein Ort. Sie muss pluralistisch und jederzeit revidierbar sein. Durch den prozesshaften Charakter gilt es für uns, trotz der drängenden Zeit, die Gesellschaft weiter mit Demokratie zu fluten. Wie das gelingen kann? Nur durch Versuch und Irrtum. Klimademokratie ist auch ein Such- und Lernprozess. Schließlich kam es bisher in der Geschichte der Menschheit nicht oft zu so großen Veränderungen der gesamten energetischen Basis unseres Handelns. 

Nach Schaible kann sich eine zukunftsfähige Klimademokratie aus verschiedenen Strategien zusammensetzen. Eine Wahlrechtsreform, um die Zukunft stärker ins System zu holen, eine Entprofessionalisierung von Entscheidungen über Bürger:innenräte, eine Interessensbündelung in eigenen Behörden mit Klage-, Veto- und Kontrollrechten, eine weitere Selbstbindung der Politik durch Verfassungsklauseln, Verrechtlichung und Effizienzsteigerungen in der Verwaltung inkl. der Verankerung von Klimanotständen. Einige der von Schaible ins Feld geführten Vorschläge können wir in unterschiedlichster Ausprägung bereits in der Praxis beobachten wie sozialpartnerschaftliche Transformationsräte, Transition Towns, Bürger:innenräte, Transformationsagenturen, Klimaklagen usw. Andere sind noch weit entfernt oder im Detail diskussionsbedürftig. Dazu zählt insbesondere der Umgang mit einer Notstandsgesetzgebung. Der Weg ins Ungemach ist oft gepflastert mit guten Vorsätzen. Ja, die Zeit drängt, aber es gibt keine Alternative zum Versuch, ein Mehr an Demokratie zu wagen. Auch der Wunsch, aus ökologischer Perspektive rasch und hart durchzugreifen, da Demokratien oft langsam und schwerfällig sind, ist ein gefährlicher. Wie Schaible selbst schreibt, Autokratien waren und sind noch nie Vorreiter im Umweltschutz gewesen. 

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