Bruckner: EU-Lieferkettengesetz: Gerechtigkeit geht alle an
Bruckner: EU-Lieferkettengesetz: Gerechtigkeit geht alle an © AK WIEN
Juni 2023

Gerechtigkeit geht alle an:­­ Das EU-Parlament will ein ambitioniertes EU-Lieferkettengesetz 

Das EU-Parlament hat am 1. Juni über seine Verhandlungsposition zum EU-Lieferkettengesetz abgestimmt – nun beginnen die Trilog-Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und EP. 

Autorin: Sarah Bruckner

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Mit dem EU-Lieferkettengesetz werden Unternehmen künftig verpflichtet, Verantwortung für Menschenrechte, Arbeitsrechte und die Umwelt in globalen Lieferketten zu übernehmen. Die Europäische Kommission hat Anfang 2022, nach einigen Verzögerungen durch das Regulatory Scrutiny Board, ihren Vorschlag präsentiert. Nachdem der Rat Ende letzten Jahres seine Position festgelegt hat, fand am 1. Juni 2023 die Abstimmung im EU-Parlament (EP) statt. Dabei hat es seine Verhandlungsposition mit 366 zu 225 Stimmen bei 38 Enthaltungen angenommen.


Über die Autorin

Sarah Bruckner ist Referentin in der Abteilung EU und Internationales der AK Wien.

Sarah Bruckner
Sarah Bruckner © AK WIEN

Kurz und Knapp

  • Das EU-Lieferkettengesetz weist einige Lücken auf im Vorschlag der Kommission und in der Position des Rates. Das EU-Parlament schärft nach.  

  • Das EU-Parlament hat seine Verhandlungsposition mit 366 zu 225 Stimmen bei 38 Enthaltungen angenommen.

  • Betroffene brauchen eine Beweislastumkehr, damit sie gegen internationale Konzerne vor Gericht eine Chance haben.

  • Das EU-Parlament will Unternehmen zur Reduktion von Emissionen entlang der Wertschöpfungskette verpflichten.

Es waren insgesamt neun EP-Ausschüsse mit dem EU-Lieferkettengesetz befasst. Der federführende Rechtsausschuss hat Ende April seinen Bericht (Berichterstatterin Lara Wolters, S&D) mit breiter Mehrheit (19 zu 3 Stimmen bei 3 Enthaltungen) verabschiedet und ambitionierte Regeln gefordert. Die Position des Rechtsausschusses wurde vom Plenum in weiten Teilen übernommen. 

Lobbying der Unternehmensverbände abgewehrt 

Unternehmensverbände haben im Vorfeld der Abstimmung intensives Lobbying betrieben und wollten das Ergebnis monatelanger Verhandlungen im EP torpedieren. In letzter Minute wurden Änderungsanträge zur Verwässerung der EP-Position eingebracht. Nach den Wünschen der Lobbyist:innen hätten wichtige Punkte, wie Klimaschutz-Verpflichtungen, die Haftung der Unternehmen und der Geltungsbereich des EU-Lieferkettengesetzes, abgeschwächt oder gestrichen werden sollen. Die Änderungsanträge fanden schlussendlich im EP keine Mehrheit. Die Reaktionen der Wirtschaftsseite auf das Abstimmungsergebnis lassen allerdings keinen Zweifel daran aufkommen, dass weiterhin versucht werden wird, das EU-Lieferkettengesetz abzuschwächen. 

Wichtige Hürde überwunden  

Aus der Sicht von Gewerkschaften und NGOs ist das EU-Lieferkettengesetz ein Meilenstein. Die Rechte von Arbeitnehmer:innen entlang globaler Lieferketten werden künftig besser geschützt. Gleichzeitig handelt es sich um eine wichtige Maßnahme für den Umwelt- und Klimaschutz. Angesichts der bevorstehenden EU-Wahlen 2024 herrscht großer Zeitdruck in den Verhandlungen. Mit der Abstimmung im EP wurde eine wichtige Hürde genommen. Inhaltlich bessert das EP gegenüber dem Vorschlag der Kommission und der Position des Rates deutlich nach. Das Abstimmungsergebnis ist als Erfolg für Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz zu werten. 

Grafik: Trilog: Verhandlungspositionen von Kommission, Rat und EP
Grafik: Trilog: Verhandlungspositionen von Kommission, Rat und EP © AK WIEN

Betroffene brauchen Beweislastumkehr 

Leider erfüllt die EP-Position nicht alle Anforderungen an ein wirksames EU-Lieferkettengesetz. Betroffene, die wegen Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden gegen Unternehmen vor Gericht ziehen, haben bisher in vielen Fällen keinen Erfolg. Die Umkehr der Beweislast zugunsten der Betroffenen ist eine wichtige Anforderung an ein wirksames EU-Lieferkettengesetz, damit Betroffene in Zukunft ihr Recht durchsetzen können. Leider fehlt dieser Punkt in der EP-Position. 

Bei den Strafen schärft das EP allerdings deutlich nach: Es will bei Verstößen gegen das EU-Lieferkettengesetz finanzielle Höchststrafen von mindestens 5 % des weltweiten Jahresumsatzes des Unternehmens und ein „Naming and Shaming“ von Unternehmen, gegen die eine Strafe verhängt wird (Veröffentlichung durch die Behörden). Weiters fordert das EP den Ausschluss von Produkten vom EU-Binnenmarkt bzw. vom Export sowie in bestimmten Fällen einen Ausschluss von der öffentlichen Auftragsvergabe. Das EP schärft auch in einigen anderen Punkten nach. Im Folgenden wird auf die vom EP geforderte Verpflichtung der Unternehmen zum Klimaschutz und die Rolle von Zertifizierungen im EU-Lieferkettengesetz eingegangen. 

EP will Unternehmen beim Klimaschutz in die Pflicht nehmen 

Im Kommissionsvorschlag ist vorgesehen, dass Unternehmen einen Plan zur Eindämmung des Klimawandels festlegen müssen. Anders als bei Menschenrechten und Umweltschutz werden Unternehmen beim Klimaschutz aber nicht zur Sorgfalt verpflichtet. Das ist ein großer Schwachpunkt, denn Unternehmen werden im Kommissionsvorschlag nicht verbindlich verpflichtet, negative Auswirkungen auf die Erderwärmung zu vermeiden bzw. minimieren. Das EP bessert hier nach, indem es konkrete Anforderungen an den Plan stellt (Emissionsreduktionsziele für die scopes 1, 2 und 3 bis 2030 respektive 2050) sowie den Klimaschutz als Gegenstand der Sorgfaltspflicht und möglichen Haftungsfall definiert. Das EP fordert außerdem, dass der variable Anteil der Vorstandsvergütung bei Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten an den Plan gekoppelt werden soll.  

Kampagne Gerechtigkeit

Gerechtigkeit geht alle an

Angesichts des Beginns der Trilog-Verhandlungen befindet sich der Legislativprozess nun in der entscheidenden Phase. Über 90% der österreichischen Bevölkerung begrüßen das Lieferkettengesetz. 

ÖGB und AK unterstützen gemeinsam mit über 100 NGOs die europaweite Kampagne „Gerechtigkeit geht alle an“ (Justice Is Everybody´s Business) für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz. 

Auf der Website gibt es die Möglichkeit, eine Petition zu unterstützen und noch viele weitere Aktionen. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um gemeinsam den Druck zu erhöhen! 

EP will strenge Regeln für Audits und Zertifizierungen 

Im Kommissionsvorschlag ist vorgesehen, dass Unternehmen vertragliche Zusicherungen von ihren direkten Geschäftspartnern (und diese wiederum von ihren Geschäftspartnern) einholen können hinsichtlich der Achtung von Menschenrechten und Umweltschutz. Ob die zugesicherten Standards tatsächlich eingehalten werden, muss laut Kommissionsvorschlag überprüft werden, z.B. durch „geeignete Industrieinitiativen“ oder „unabhängige Dritte“. Wurde eine Überprüfung durchgeführt und tritt dennoch ein Schaden in der Sphäre eines indirekten Geschäftspartners ein, so soll das Unternehmen laut Kommission von der Haftung befreit sein. Dieser Vorschlag wurde von vielen Akteuren, die sich für ein wirksames Lieferkettengesetz einsetzen, stark kritisiert. In der Vergangenheit sind entlang der globalen Wertschöpfungsketten von Unternehmen Menschen und die Natur trotz Audits und Zertifikaten viel zu häufig zu Schaden gekommen. Der Kik-Zulieferer Ali Enterprises in Pakistan hatte, kurz bevor im Jahr 2012 bei einem Fabrikbrand 258 Arbeiter:innen starben, ein Zertifikat nach einem Sozialaudit erhalten. Für den Staudamm einer Eisenerzmine in Brumadinho, Brasilien, der 2019 brach und zum Tod von mindestens 270 Menschen führte, war kurz zuvor vom Prüfkonzern TÜV-Süd ein Sicherheitszertifikat ausgestellt worden. Diese Beispiele zeigen, dass Audits und Zertifikate Sorgfaltsmaßnahmen für Menschenrechte und Umwelt nicht ersetzen können.

Das EP fordert, dass im EU-Lieferkettengesetz ausdrücklich festgehalten wird, dass die Verantwortung für die Durchführung von Sorgfaltsmaßnahmen beim Unternehmen bleibt, auch wenn das Unternehmen Vertragsklauseln mit Geschäftspartnern vereinbart. Unabhängige Dritte können laut EP einzelne Aspekte der Sorgfaltspflicht überprüfen, wobei das Unternehmen weiterhin für Schäden haftbar bleiben soll. Für die Überprüfung sollen nur bestimmte Akteure in Frage kommen, z.B. unabhängige, staatlich zugelassene bzw. akkreditierte Jahresabschlussprüfer, die frei von Interessenkonflikten sein müssen und Erfahrung und Kompetenz in Umwelt-, Klima- und Menschenrechtsfragen vorweisen sowie hinsichtlich der Qualität und Zuverlässigkeit der Prüfung oder Bewertung rechenschaftspflichtig sein müssen. 


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