Rezension: Unter- und Obergrenzen für ein angstfreies Miteinander
Die eigene soziale und wirtschaftliche Lage bereitet vielen Menschen Sorge. Existenz- und Abstiegsängste sind ein bestimmender Teil des Lebens, selbst in einem so reichen Land wie Österreich. Markus Marterbauer und Martin Schürz beschreiben in ihrem Buch, wie ein gut ausgebauter Sozialstaat diese Ängste nehmen kann und eine gerechte Gesellschaft möglich wird.
Autorin: Tamara Premrov
Angst als politisches Instrument
Kann ich mir nach der nächsten Erhöhung meine Miete noch leisten? Wovon soll ich leben, wenn ich meinen Job verliere? Was tun, wenn meine Eltern pflegebedürftig werden? In einer ungleichen Gesellschaft sind solche Abstiegs- und Existenzängste berechtigt und weit verbreitet.
Diese Ängste werden von neoliberaler Seite bewusst genützt und befeuert, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Angst dient als Instrument zur Disziplinierung: Wer um die eigene Existenz fürchtet ist eher bereit, schlechte Arbeitsbedingungen, miserable Wohnverhältnisse oder andere Missstände hinzunehmen. Kürzungen bei Sozialleistungen und ein höherer Druck auf Arbeitslose werden zumeist als Leistungsanreiz dargestellt. Dabei besteht ihr eigentliches Ziel darin, Abstiegsängste bei Betroffenen und all jenen, die es einmal sein könnten, zu schüren und damit Akzeptanz für bestehende Ungleichheiten herzustellen.
Ängste nehmen
Politik kann jedoch auch anders aussehen. Marterbauer und Schürz legen in ihrem Buch ausführlich dar, an welchen Stellschrauben in Österreich gedreht werden müsste, um Armut abzuschaffen und den Menschen Sicherheit in allen Lebenslagen zu geben. Das Herzstück des Buches ist somit nicht die Angst, sondern widmet sich vielmehr jenen Strategien, die Menschen wieder Hoffnung geben können.
Finanzielle Absicherung wird etwa durch eine Anhebung der Sozialleistungen (Ausgleichszulage bei Pensionen, Mindestsicherung, Arbeitslosengeld und Notstandshilfe etc.) über die Armutsschwelle erreicht. Die Autoren machen deutlich, dass es auch einen Ausbau bei den sozialen Diensten geben muss: mehr niederschwellig zugängliche Pflegeleistungen, die Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin und kostenlose psychotherapeutische Angebote, mehr Chancengleichheit im Bildungssystem und ein Ausbau des sozialen Wohnbaus. Zuletzt muss eine Wirtschaftspolitik auch die Ängste am Arbeitsmarkt nehmen, angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen sicherstellen und in jenen Fällen, wo keine Jobvermittlung möglich ist, durch eine Jobgarantie ein Recht auf Arbeit garantieren.
Grenzen für Armut und Reichtum setzen
In einer gerechten Gesellschaft, in der es Untergrenzen für Armut gäbe, fordern die Autoren auch Obergrenzen für Reichtum. Eine mutige Forderung, die bisher noch keinen Einzug in die aktuelle wirtschaftspolitische Debatte gefunden hat. Eine Polarisierung wie bisher – enormen Wohlstand am oberen Rand, bei gleichzeitig hoher Armut am unteren Ende – soll es dann nicht mehr geben. Eine solche Obergrenze bei Vermögen sollte in einem demokratischen Prozess ausgehandelt werden. Denn die Ungleichheit in Österreich steigt vor allem deshalb, weil eine kleine Elite mit ihren ökonomischen und politischen Ressourcen die Möglichkeit besitzt, ihren Reichtum und Einfluss nicht zur halten, sondern weiter auszubauen. Aufgrund fehlender Daten, die auch aus politisch motivierten Gründen nicht erhobene werden, ist über das Vermögen und die transnationalen Netzwerke der Superreichen bisher nur wenig bekannt.
Soziale Absicherung ist keine Utopie
Die wichtigste Erkenntnis des konsequent argumentierten Buches ist, dass die geforderten Unter- und Obergrenzen für eine gerechte Gesellschaft nicht nur richtig, sondern auch realisierbar und jedenfalls leistbar sind. Die Autoren rechnen vor, dass bereits durch moderat angesetzte Erbschafts- und Vermögenssteuern ausreichend Steuereinnehmen generiert werden könnten, um die Untergrenzen des Sozialstaates auf ein Niveau zu heben, das den Menschen Hoffnung statt Angst verspricht. Mit dem Buch gelingt somit eine allgemein leicht verständliche Aufbereitung komplexer Inhalte sowie ein optimistischer Ausblick in einer krisenhaften Zeit.
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Markus Marterbauer/Martin Schürz
Angst und Angstmacherei:
Für eine Wirtschaftspolitik, die Hoffnung macht
Zsolnay, 2022, 384 Seiten.
Zu den Autoren:
Markus Marterbauer, leitet seit 2011 die Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien. Lehrbeauftragter an mehreren Universitäten und Kolumnist der Wiener Stadtzeitung Falter.
Martin Schürz arbeitet als Psychotherapeut in Wien und forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten zur Vermögensverteilung in Europa. Lektor an der WU Wien. Preisträger des Progressive Economy Award des Europäischen Parlaments 2015.
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