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Rabenlehner: Entwicklungen beim EU-Lieferkettengesetz © AK Wien
März 2023

Aktuelle Entwicklungen beim EU-Lieferkettengesetz: Keine Verantwortung des Finanzsektors? 

Nachdem die Europäische Kommission Anfang 2022 ihren Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz veröffentlichte, hat auch der Rat im Dezember 2022 seine Verhandlungsposition festgelegt. Dieser will den Finanzsektor nicht zwingend in die Pflicht nehmen, Menschenrechte und die Umwelt zu achten. Dies wäre ein großes Schlupfloch im EU-Lieferkettengesetz. Jetzt ist das Europäische Parlament am Zug und muss nachbessern. 

Autor: Stephen Rabenlehner

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Das EU-Lieferkettengesetz ist eine künftige EU-Richtlinie, die sich derzeit im Gesetzgebungsprozess befindet. Große Unternehmen sollen dazu verpflichtet werden, entlang ihrer Produktions- und Lieferkette sicherzustellen, dass es zu keinen negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und die Umwelt kommt. Der Rat möchte eine Ausnahme für Banken und andere Finanzunternehmen. Diese sollen nur optional, nach Maßgabe der EU-Mitgliedstaaten, aber nicht zwingend erfasst werden. Es gibt aber auch Gegenstimmen zu diesem Vorschlag.

Die niederländische Ministerin für Wirtschaft und Klimapolitik, Micky Adriaansens, bringt es auf den Punkt: „Finanzinstitutionen spielen eine entscheidende Rolle beim Schutz der Menschen und des Planeten. [D]urch den Ausschluss des Finanzsektors würde die EU viel Einfluss auf die Vermeidung von Schäden in Wertschöpfungsketten verschenken.“

Über den Autor

Stephen Rabenlehner ist Researcher am Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte und absolviert derzeit ein Praktikum in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien.
Stephen Rabenlehner
Stephen Rabenlehner © AK Wien

Kurz und Knapp

  • Finanzinstitutionen spielen eine entscheidende Rolle beim Schutz der Menschen und des Planeten. Durch den Ausschluss des Finanzsektors würde die EU viel Einfluss auf die Vermeidung von Schäden in Wertschöpfungsketten verschenken.

  • Im Vorschlag der Kommission für das EU-Lieferkettengesetz sind Finanzunternehmen grundsätzlich erfasst, wenn auch mit Einschränkungen.

  • Im Gegensatz zur Kommission möchte der Rat keine zwingende Einbeziehung des Finanzsektors in das EU-Lieferkettengesetz.

  • Durch die Stimmenthaltung im Rat hat Österreich nicht zur Stärkung des EU-Lieferkettengesetzes beigetragen.

Die Rolle des Finanzsektors bei Menschenrechtsverletzungen 

Finanzunternehmen können durch Projekte und Unternehmen, die sie finanzieren, zu negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und die Umwelt beitragen. Ein tragisches Beispiel dafür ist die Ermordung der honduranischen Umweltaktivistin Berta Cáceres. Sie setzte sich als Mit-Begründerin der indigenen Organisation COPINH mit vielen anderen Angehörigen des indigenen Volkes der Lenca gegen den Bau eines umstrittenen Wasserkraftwerkes ein. Die Umsetzung des Projektes hätte die umliegende Umwelt und dadurch die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung zerstört. Vorab fand keine ausreichende Konsultation mit der Gruppe der Lenca statt. Obwohl bereits Gewalt gegen Protestierende angewendet wurde und Cáceres wiederholt an die das Projekt mitfinanzierende niederländische Entwicklungsbank FMO und den finnischen Finnfund schrieb, um von den Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem geplanten Bau des Wasserkraftwerkes zu berichten, zogen diese ihre Finanzierung nicht zurück. Nach anhaltenden Aggressionen gegen die Gemeinschaft der Lenca wurde Berta Cáceres 2016 ermordet. Erst danach zogen sich die beiden Finanzinstitutionen aus dem Projekt zurück.6

Fälle wie dieser zeigen auf, dass der Finanzsektor eine tragende Rolle bei der Achtung oder eben auch der fortschreitenden Miss­achtung der Menschenrechte spielen kann. Deshalb sollten auch Finanzunternehmen dazu verpflichtet werden, menschen- und umweltrechtliche Sorgfaltspflichten umzusetzen. Diese sollen negative Auswirkungen auf Umwelt- und Menschenrechte im Zusammenhang mit finanzierten Projekten und Unternehmen effektiv verhindern, mindern oder in Fällen von Schäden, zu Wiedergutmachung führen. FMO hat laut eigenen Angaben vor dem Beginn des Projekts und währenddessen einen Sorgfaltsprozess und Konsultationen durchgeführt. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen. Es braucht daher eine gesetzliche Regelung, die auch den Finanzsektor einbezieht. 

Ermittlung von Menschenrechtsrisiken wird  von Finanzinstituten kaum offen gelegt
Ermittlung von Menschenrechtsrisiken wird von Finanzinstituten kaum offen gelegt © AK Wien

Die EU hat bereits einige Rechtsvorschriften erlassen, die Unternehmen zur Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen verpflichten – darunter auch deren Achtung von Umwelt- und Menschenrechten. Es handelt sich dabei jedoch um Berichtspflichten und nicht um Sorgfaltspflichten. Bei fehlenden oder unzureichenden Schutzmaßnahmen sehen die bestehenden Rechtsvorschriften daher keine Sanktionen und auch keine Haftung vor. Dies ist eine Lücke, die ein umfassendes EU-Lieferkettengesetz schließen sollte. 

Welchen Ansatz verfolgt der Kommissionsentwurf?

Im Vorschlag der Kommission für ein EU-Lieferkettengesetz sind Finanzunternehmen grundsätzlich erfasst, wenn auch mit Einschränkungen: Der Entwurf der Kommission sieht vor, dass nur große Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von €150 Mio. erfasst sein sollen bzw. Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von €40 Mio. in Hochrisikosektoren. Diese werden dazu verpflichtet, negative Auswirkungen auf Menschenrechte und die Umwelt in ihrer „Wertschöpfungskette“ zu identifizieren, zu verhindern und zu beenden. Die Definition von „Wertschöpfungskette“ im Kommissionsvorschlag deckt sowohl den vorgelagerten als auch den nachgelagerten Bereich der Wertschöpfungskette ab. Vorgelagerte Prozesse betreffen die Herkunft und Produktion einer Ware bzw. Dienstleistung. Der nachgelagerte Teil betrifft die weitere Verwendung der Ware bzw. Dienstleistung. Im Finanzsektor ist vor allem der nachgelagerte Bereich relevant: Banken sollen beispielsweise bei der Kreditvergabe einen Sorgfaltsprozess anwenden.

Grundsätzlich orientiert sich der Entwurf der Kommission stark an international anerkannten, aber rechtlich nicht bindenden Standards wie den OECD Leitsätzen für Multinationale Unternehmen sowie den UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP). Die Umsetzung der Sorgfaltspflicht wird von beiden Standards als dynamischer und fortlaufender Prozess beschrieben. Bedauerlicherweise wählt die Kommission für den Finanzsektor eine abweichende Regelung: „Stellen Unternehmen […] Kredite, Darlehen oder andere Finanzdienstleistungen bereit, so werden die tatsächlichen und potenziellen negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt noch vor Erbringung der betreffenden Dienstleistung ermittelt.“ Ein fortlaufender Prozess ist hingegen nicht vorgesehen. Dies widerspricht deutlich den Herangehensweisen der OECD-Leitsätze und der UNGP. 

Der Kommissionsentwurf verlangt von Finanzunternehmen auch leider nicht, KMU in die Umsetzung der Sorgfaltspflicht miteinzubeziehen. Dabei ist es nicht abhängig von der Größe des Unternehmens, ob es durch seine Aktivitäten negative Auswirkungen auf Menschenrechte oder die Umwelt haben kann oder nicht. Viel relevanter als die Größe des Unternehmens ist die Wahrscheinlichkeit, mit der es Umwelt- und Menschenrechte negativ beeinflussen kann. Je höher diese ist, desto wichtiger ist die Umsetzung von Sorgfaltspflichten. 

Selbst Finanzmarktteilnehmende wie etwa Mitglieder der Investor Alliance for Human Rights plädieren in einer gemeinsamen Stellungnahme für eine umfassende Umsetzung der Sorgfaltspflicht und argumentieren, dass dies schlussendlich auch die eigenen (Reputations- und/oder Finanz-)Risiken minimieren würde. 

Welchen Ansatz verfolgt die allgemeine Ausrichtung des Rats?

Aufbauend auf dem Entwurf der Kommission hat auch der Rat Anfang Dezember 2022 seine Verhandlungsposition veröffentlicht. Im Gegensatz zur Kommission möchte der Rat keine zwingende Einbeziehung des Finanzsektors in das EU-Lieferkettengesetz. 

Es soll den Mitgliedsstaaten überlassen werden, ob sie dem Finanzsektor verbindliche Sorgfaltspflichten auferlegen möchten. Dies würde die Anwendung der Richtlinie auf diesen Bereich äußerst unwahrscheinlich machen. Auf Grund der Tatsache, dass sich einige Mitgliedsstaaten um eine Ausnahme für den Finanzsektor bemüht haben, ist davon auszugehen, dass sie die Richtlinie nicht auf diesen anwenden werden. Da den anderen Mitgliedstaaten Wettbewerbsnachteile durch eine Umsetzung dieses Teils der Richtlinie erwachsen könnten, wäre auch eine Umsetzung ihrerseits fraglich. Den Mitgliedsstaaten die Anwendung auf den Finanzsektor zu überlassen, widerspricht außerdem dem selbstauferlegten Ziel der europaweiten Harmonisierung der Regelungen bezüglich der unternehmerischen Sorgfaltspflichten.

Großteils behält der Rat die Regelungen des Kommissionsentwurfes betreffend den Finanzsektor bei (keine fortlaufende Umsetzung der Sorgfaltspflicht, keine Anwendung bei KMU), in einigen Aspekten bleibt er allerdings hinter diesem zurück. Der Geltungsbereich (die von der Richtlinie betroffenen Finanzmarktteilnehmenden) wird beibehalten, durch die Einführung des Konzepts der „Aktivitätskette“ hebelt der Rat jedoch die Umsetzung der Sorgfaltspflichten im Finanzsektor – außer für Banken und Versicherungen – aber quasi aus. Die Definition von „Aktivitätskette“ erfasst nämlich vorrangig den vorgelagerten Bereich der Wertschöpfungskette. Im Finanzsektor ist aber wie bereits erwähnt der nachgelagerte Bereich relevant. Kreditvergabe, Versicherungen und Rückversicherungsverträge sind immerhin erfasst. 

Da KMU auch in der Position des Rates einen Sonderstatus genießen und nicht als Teil der „Aktivitätskette“ von Finanzunternehmen gelten, muss bei Investitionstätigkeiten von Finanzunternehmen in diese keine Sorgfaltspflicht umgesetzt werden. Und das, obwohl Investierende einen relevanten Lenkungsfaktor auf das Verhalten von Unternehmen haben können, in die investiert wird. Das Konzept der „Aktivitätskette“, wie sie der Rat vorsieht, wäre hier zu eng gefasst. Das ist problematisch. Denn es bedeutet, dass Tätigkeiten mit erheblichem Einfluss auf Menschenrechte und die Umwelt, wie etwa Investments in große Infrastrukturprojekte, nicht unter die verpflichtende Umsetzung der Sorgfaltspflicht im Sinne des EU-Lieferkettengesetzes fallen. 

Enttäuschung: Österreich schweigt im Rat zum EU-Lieferkettengesetz 

Österreich, vertreten durch Wirtschaftsminister Martin Kocher, hat sich bei der Abstimmung über die allgemeine Ausrichtung zum EU-Lieferkettengesetz am 1. Dezember 2022 enthalten. Trotz der oben erwähnten Schwächen in der Position des Rates ist die allgemeine Ausrichtung ein Meilenstein im EU-Gesetzgebungsprozess und eine wichtige Hürde, die überwunden wurde. Die Befürworter:innen des EU-Lieferkettengesetzes haben es begrüßt, dass der Rat relativ rasch einen Kompromiss gefunden und abgestimmt hat. Im Vorfeld des Ratstreffens hatten die zuständigen Ressorts in Österreich – Justizministerium und Wirtschaftsministerium – eine breite Einbindung gewährleistet und eine offene und konstruktive Debatte mit Organisationen der Zivilgesellschaft sowie der AK und dem ÖGB geführt. Die Enttäuschung über das Abstimmungsverhalten von Minister Kocher war daher groß. Bezüglich des Finanzsektors verwies Kocher auf die Position des Finanzministeriums, das auf eine Ausnahme pocht.

Welchen Ansatz verfolgt das Europäische Parlament?

Bevor das EU-Lieferkettengesetz endgültig beschlossen werden und in Kraft treten kann, muss es noch einige Hürden nehmen. Die Regelung betreffend den Finanzsektor ist noch nicht in Stein gemeißelt. Das EU-Parlament wird voraussichtlich im Mai über seine Verhandlungsposition abstimmen. Einige Ausschüsse haben bereits abgestimmt, darunter der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON), der im Hinblick auf den Finanzsektor im EU-Lieferkettengesetz eine tragende Rolle einnimmt.

Es ist positiv hervorzuheben, dass sich der ECON für eine verpflichtende Anwendung des EU-Lieferkettengesetzes auf den Finanzsektor ausspricht und eine Ausweitung auf weitere Finanzdienstleistungen fordert. Zusätzlich sollen nach der Meinung des Ausschusses auch alle von der Richtlinie erfassten Finanzunternehmen ihre Sorgfaltspflichten regelmäßig und nicht bloß vor Beginn der Finanzdienstleistung umsetzen. Somit unterscheidet sich die Position des ECON in dieser Hinsicht deutlich von der des Rates und der Kommission. 

Im Gegensatz zur Position des Rates bezieht sich der ECON nicht auf das Konzept der Aktivitätskette“, sondern behält das Konzept der „Wertschöpfungskette“ aus dem Kommissionsentwurf bei. Dies bedeutet, dass der für den Finanzsektor relevante nachgelagerte Bereich der Wertschöpfungskette effektiv abgedeckt wird. KMU erhalten jedoch auch in der Position dieses Ausschusses einen Sonderstatus und gelten nicht als Teil der „Wertschöpfungskette“ von Finanzunternehmen. Somit sind letztere nicht angehalten, sie in die Umsetzung ihrer Sorgfaltspflichten zu inkludieren. Die finale Position des Parlaments zum EU-Lieferkettengesetz gilt es noch abzuwarten. 

Conclusio 

Kommission und Rat haben unterschiedliche Zugänge in Bezug auf die Pflichten des Finanzsektors im EU-Lieferkettengesetz. Die Position des Europäischen Parlaments wird mit Spannung erwartet. Nach Ansicht des Verfassers dieses Beitrags sollte das EU-Lieferkettengesetz den Finanzsektor zur Sorgfalt im Hinblick auf Menschenrechte und die Umwelt verpflichten. Dies sollte nicht im Ermessen der Mitgliedsstaaten liegen, da auf diese Weise keine Harmonisierung erreicht werden würde.

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