Von der Zinswende zur Schuldenkrise: Altbekannt und alternativlos?
Autorin: Miriam Frauenlob
Die aktuellen ökonomischen Verwerfungen und die steigende Inflation führen nicht nur in den kapitalistischen Zentren zu akuten Problemen. Während der Globale Süden schon von der Pandemie härter getroffen wurde, haben auch die Instrumente, die jetzt zur Inflationsbekämpfung gewählt werden, ungleiche Folgen. Eine sinnvolle Wirtschaftspolitik müsste global orientiert sein, und nicht die wirtschaftliche und soziale Lage einzelner Staaten als Kollateralschaden betrachten.
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Mit einem Krieg in Europa, Inflation im zweistelligen Bereich und sich zuspitzenden geopolitischen Spannungen, scheint die Tatsache, dass wir nach wie vor mit einer Pandemie konfrontiert sind, fast schon in den Hintergrund zu geraten. Dies liegt auch daran, dass die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie global höchst ungleich verteilt sind. Insgesamt verloren 120 Millionen Menschen ihre Arbeit und der Schuldenstand vieler Staaten im Globalen Süden stieg ruckartig an. Die UNCTAD, die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung, analysierte zuletzt, dass rund 46 Staaten mit den steigenden Schulden, aber auch mit den steigenden Kosten der Schuldentilgung zu kämpfen haben. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen nennt zudem 54 Staaten mit heftigen Schuldenproblemen. Während diese Staaten nur 3% des globalen BIPs ausmachen, stellen sie 18% der globalen Bevölkerung und die Hälfte aller Menschen, die ohnehin schon in Armut leben. Der durchschnittliche Schuldenstand von Ländern der Peripherie stieg im Jahr 2020 auf 64%, verglichen mit 52% in den Jahren zuvor.
In globalen Institutionen wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) ist nach wie vor die orthodoxe ökonomische Perspektive etabliert, dass ein hoher Schuldenstand zumeist selbstverschuldet sei. Daran hat sich in den letzten Jahren, anders als man vielleicht hoffen könnte, wenig verändert, wie auch Ökonom:innen des Netzwerkes Eurodad schreiben:
Zwar wurde in den letzten Jahren zumindest rhetorisch das Gebot der Austerität hinten angestellt. Doch in der Praxis hat der IWF weiterhin Programme zum Schuldenabbau auf Kosten von Sozialausgaben gefordert. In einer Analyse des jährlichen Treffens von IWF und Weltbank, das diesen Oktober das erste Mal seit Ausbruch der Pandemie physisch stattfand, kamen die Ökonom:innen von Eurodad zu dem Schluss, dass sich diese „Lücke“ zwischen Theorie und Praxis in den Bretton Woods Institutionen IWF und Weltbank nun wieder geschlossen habe. Dies sei jedoch dadurch geschehen, dass sich die Rhetorik der IWFs wieder mehr seiner austeritätspolitischen Praxis angeglichen habe: Sparprogramme werden jetzt also auch wieder offen gefordert und als Antwort auf die steigenden Kosten durch Pandemie, Krieg und Krisen gesehen. Im Zentrum der Politik der Bretton Woods Institutionen stehen damit wenig überraschend nach wie vor fiskalische und monetäre Konsolidierung und nicht eine Korrektur ungleicher globaler Machtverhältnisse.
Dies lässt sich auch in den Antworten auf die multiplen Krisen der letzten Jahre beobachten und insbesondere in der Reaktion auf die Covid-19 Pandemie. Zwar stellte der Internationale Währungsfonds 2021 mit sogenannten „Special Drawing Rights“, die faktisch rechtliche Verfügbarkeit über eine harte Währung bedeuten, Liquidität zur Verfügung. Langfristig bleiben aber dieselben Muster bestehen, nach denen die ungleichen ökonomischen Bedingungen in Nord und Süd wirtschaftspolitisch reproduziert werden. Special Drawing Rights sind grundsätzlich insofern spannend, als dass sie, anders als andere Hilfen vom Internationalen Währungsfonds, keine Schulden im Empfängerland darstellen und an keine Konditionalitäten (wie etwa Strukturreformen) gebunden sind. Insofern könnte man meinen, dass dies eine positive Wende in der Politik der Bretton-Woods Institutionen darstelle. Internationale Organisationen wie die UNCTAD warnen im Gegenzug jedoch davor, dass dies in gewohnter Manier „too little too late“ sei und die Verteilung der Special Drawing Rights de facto dazu führte, dass viele der hochverschuldeten Länder nicht davon profitieren konnten. Zusammenfassend waren die Hilfen zwar ausreichend, um ein akutes Schuldendomino zu verhindern, langfristig ändern sie jedoch nichts an den bestehenden Problemen und spätestens gemeinsam mit der aktuellen Inflation sind die Probleme in vielen Ländern größer als zuvor.
Währungshierarchien und Weltgeld
Noch sind wir zwar mit keiner großen Schuldenkrise konfrontiert, die Möglichkeit steht aber nach wie vor im Raum und einzelne Staaten sind schon nahe an der Kippe. Um in einer Krise, in der der Zugang zu Liquidität eines der zentralen Probleme ist, adäquat zu reagieren, müsste die ungleiche Struktur des internationalen Finanzsystems beleuchtet werden und nicht „alter Wein in neuen Schläuchen“ verkauft werden. Beim Zugang zu Liquidität sind nicht alle Staaten mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert. Die Währungen verschiedener Länder sind auf dem Weltmarkt nicht gleich viel wert. Dem Dollar als „Weltgeld“ kommt in einer krisenhaften Situation eine besondere Rolle zu. Da er als globale Reservewährung dient, bietet er Anlegern eine Sicherheit, die andere Währungen, vor allem in der Peripherie, nicht bieten können. Somit sind viele Staaten dann zusätzlich mit Kapitalflucht konfrontiert.
Geldpolitische Antworten und ihre Folgen
Nun scheint es aber, als würde es nicht bei dieser ohnehin schon angespannten Situation bleiben. Die ungleichen Folgen der multiplen Krisen spannen sich weiter. Durch den Krieg in der Ukraine und spekulative Dynamiken stiegen nicht nur die Preise für Öl und Gas, sondern auch die Preise für Getreide und Düngemittel. Für viele Staaten, die vom Import dieser Güter abhängig sind, bedeutet dies weitere steigende Kosten und das in einer Situation, wo zwei Jahre Pandemie die ökonomische Lage ohnehin schon zugespitzt haben. Zwar sind die steigenden Öl- und Gaspreise vor allem auch in Mitteleuropa, wo starke Abhängigkeiten on Russland bestehen, eine große Belastung, doch der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel und Treibstoff am Einkommen ist in vielen peripheren Staaten relativ gesehen noch einmal größer. Dies betrifft unter anderem Indonesien, aber auch Sri Lanka, das auch durch innenpolitische Instabilitäten 2022 eine der schlimmsten Wirtschaftskrisen seiner Geschichte erlebt.
Durch die Zinspolitik der US-Notenbank FED wertet nun zudem der Dollar auf, was einerseits zu verstärkter Kapitalflucht in den Dollar, aber auch zu steigenden Rohstoffpreisen führt, da diese primär in Dollar gehandelt werden. Ein Kommentar in den Financial Times fasste die Folgen daraus in einem prägnanten Titel zusammen: „The world is starting to hate the Fed“ .
Ein zentrales Problem, dass sich aus dieser ohnehin schon angespannten Gemengelage ergibt, ist die Alternativlosigkeit mit der in den kapitalistischen Zentren Zinserhöhungen als einzige Antwort auf die steigende Inflation betrachtet werden. Die Ökonomin Jayati Ghosh warnt in diesem Kontext davor, dass alte Fehler wiederholt werden. So plädiert etwa Larry Summers, ehemaliger Chefökonom der Weltbank und Wirtschaftsberater von Obama dafür, dass die FED ähnliche Zinsschritte einsetzen sollte, wie in den 1970ern unter Paul Volcker. Dass Zinserhöhungen meist zu einer Rezession führen, ist empirisch gut belegt. Ein Paper des Institut for New Economic Thinking, in dem die Zinspolitik unter die Lupe genommen wird, zitiert die nicht neue Erkenntnis, dass Zinserhöhungen in den USA die Wirtschaftsleistung von Staaten im globalen Süden substanziell verringern. In der aktuellen Situation sind neben den drastischen sozialen Verwerfungen auch die steigenden Finanzierungskosten für unter anderem ökologische Investitionen eine Nebenwirkung, die nicht unbedingt in Kauf genommen werden sollte. Das wissen auch die Vertreter:innen einer Hochzinspolitik. Ihre Logik ist jedoch, dass nach einer kurzen, schwierigen Phase ein „soft landing“ erreicht werden sollte. Dass die Logik von „kurzen, aber schmerzhaften“ Interventionen, wie aktuell die Zinserhöhungen verhandelt werden, nicht unbedingt vielversprechend ist, haben spätestens die Schocktherapie, also der Idee in einem Ruck das Fundament einer Ökonomie zu verändern, und die wirtschaftlichen Folgen davon gezeigt. So sind sowohl Russland als auch andere osteuropäische Staaten, in denen versucht wurde Marktwirtschaft auf diese Art und Weise einzuführen mit stagnierendem Wachstum und teils sogar sinkender Lebenserwartung konfrontiert. Umso dringender wäre es notwendig, sich mit alternativen Antworten auf die Inflation zu befassen. Ein Beispiel hierfür bietet die heterodoxe Ökonomin Isabella Weber, die schon vor einem Jahr gemacht hat, für selektive Preiskontrollen als Antwort auf angebotsseitige Inflation plädierte.
Und nun?
Die aktuelle Situation, in der eine Krise auf die nächste trifft, zeigt offensichtlich, wie wenig die etablierten Institutionen in der Lage sind, die bestehenden Krisen zu lösen und deckt die Widersprüche des Kapitalismus schonungslos auf. Die bestehende, neoliberale Wirtschaftspolitik wirkt hier wie ein Tischtuch, das schlichtweg zu klein für den Tisch ist, das es bedecken sollte. In einer solchen Situation sind es die Länder, die ohnehin schon strukturell benachteiligt sind, die das metaphorische Tischstück ohne Tischtuch abbilden. Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze analysiert diese ungleiche Betroffenheit auch aus einer anderen Perspektive: während sich eine fundamentale Krise im globalen Norden auf den globalen Süden schlägt, wirkt die Kausalität nicht unbedingt in die andere Richtung. Oder auch: „We live in a world of dualism in which a large part of the world’s population is excluded from the ,systemically relevant’ circuit”.
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