Fit for 55 aktuell
Streissler: Aktueller Stand des Fit for 55-Pakets © AK Wien: EU & Internationales

Fit for 55-Paket: Stand der Dinge

Autor: Christoph Streissler

Vor gut einem Jahr legte die Kommission eines der umfangreichsten Legislativpakete ihrer Geschichte vor, das sogenannte „Fit for 55“-Paket. Der Name bezieht sich auf das Ziel, bis 2030 die EU-Emissionen an Treibhausgasen gegenüber 2005 um 55% zu verringern. Wo steht der Gesetzgebungsprozess nach einem guten Jahr Verhandlungen? 

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Ende Juni dieses Jahres kam es im Rat bei mehreren Dossiers zu einer grundsätzlichen Einigung unter den Mitgliedstaaten („gemeinsamer Standpunkt“). Frankreich, das im ersten Halbjahr 2022 die Ratspräsidentschaft innehatte, hatte diesen Prozess intensiv vorangetrieben. Auch das Europäische Parlament hat zu vielen Vorschlägen, bei denen es als Gesetzgeber mitwirkt, bereits die erste Lesung abgeschlossen, also den Bericht mit den vorgeschlagenen Änderungen angenommen. Damit ist zu erwarten, dass die Trilog-Verhandlungen – interinstitutionelle Verhandlungen zwischen den drei Legislativorganen (Kommission, Rat, Parlament ) der EU – bald aufgenommen werden.


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Christoph Streissler arbeitet als Experte für Klimapolitik in der AK Wien.

Christoph Streissler
Christoph Streissler © Lisi Specht

KURZ & KNAPP

  • Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat die Notwendigkeit, von fossilen Energieträgern loszukommen, drastisch unterstrichen.
  • Die AK spricht sich wegen der problematischen Verteilungswirkungen gegen einen Emissionshandel für Heiz- und Treibstoffe für Haushalte aus.
  • Die AK unterstützt die Einführung des Grenzausgleichs, weil er bedeutend treffsicherer ist als Gratiszuteilungen. Ziel muss der Erhalt einer starken und innovationsfreudigen EU-Industrie sein.
Elemente des „Fit for 55“-Pakets
Die Elemente des „Fit for 55“-Pakets © Europäische Kommission


Ausweitung des Emissionshandels

Das Paket umfasst zunächst mehrere Rechtsakte, mit denen der EU-Emissionshandel (EU ETS) geändert wird. Das strengere Ziel für 2030 spiegelt sich zunächst in der rascheren Verringerung der Gesamtmenge der ETS-Zertifikate wider: jährlich soll das sogenannte „Cap“ um 4,2% sinken. So soll erreicht werden, dass die Emissionen des ETS-Sektors von 2005 bis 2030 um 61% sinken. Eine Änderung bei der Marktstabilitätsreserve soll sicherstellen, dass der Preis im EU ETS weiterhin hoch und möglichst stabil bleibt. Weitere Änderungen betreffen die Verpflichtungen der Luftfahrt sowie die Einbeziehung der Schifffahrt in das Emissionshandelssystem, analog der Luftfahrt.

Das Parlament schlägt vor, dass der ETS-Sektor seine Emissionen sogar um 63% reduzieren muss. Die kostenlose Zuteilung soll früher enden, als es die Kommission vorgeschlagen hat.

Die weitreichendste Änderung beim Emissionshandel ist freilich die Einführung eines eigenen, zusätzlichen Emissionshandelssystems für Heiz- und Treibstoffe im Straßenverkehr und in der Raumwärme (als ETS-2 bezeichnet oder – nach der Abkürzung von „Buildings and Road Transport“ – ETS-BRT). Dabei werden Energiehändler, die Energieträger an Endverbraucher abgeben, dazu verpflichtet, für die abgegebenen Mengen Zertifikate zu halten. Dies kommt im Wesentlichen einer Kontingentierung der Heiz- und Treibstoffe gleich.

Da der ETS-2 auch für viele Haushalte Kostensteigerungen bei Energie bedeuten kann, hat die Kommission vorgeschlagen, einen eigenen Klimasozialfonds („Social Climate Fund“ – SCF) einzurichten. Aus diesem Fonds, den die Kommission verwaltet, sollen Programme der Mitgliedstaaten zur Abfederung sozialer Härten finanziert werden. Er soll aus ETS-Erlösen gespeist werden.

Im Gegensatz zum Kommissionsvorschlag sprach sich das Parlament dafür aus, das ETS-2 zunächst nur für den Energieverbrauch von Unternehmen einzuführen – also für betriebliche Gebäude und für den Straßengüterverkehr. Der private Energieverbrauch soll demnach erst 2029 in das System einbezogen werden. Der Rat schlägt zwar keine Unterscheidung von Privaten und Unternehmen vor, spricht sich aber auch für eine spätere Einführung des Systems aus, damit ausreichend Zeit ist, um die notwendigen sozialen Ausgleichsmaßnahmen zu erlassen.

Die AK hat sich in ihrer Stellungnahme zum „Fit for 55“-Paket wegen der problematischen Verteilungswirkungen gegen einen Emissionshandel für Heiz- und Treibstoffe ausgesprochen, sofern sie von Haushalten verbraucht werden. Der Vorschlag des Parlaments geht somit in die richtige Richtung, aber aus Sicht der AK nicht weit genug.

Der vorgeschlagene Klimasozialfonds stellt ein Gegengewicht zu der immer noch anzutreffenden marktgläubigen Position der Kommission dar und wird dementsprechend von der AK unterstützt. Durch seine Konstruktion verteilt er auch zwischen den Mitgliedstaaten um; auch dies ist im vorgeschlagenen Umfang aus Sicht der AK sinnvoll.

Das Problem von „Carbon Leakage“ 

Eine weitreichende Änderung im „Fit for 55“-Paket betrifft die Art, wie in Zukunft sichergestellt werden soll, dass Unternehmen nicht wegen des hohen CO2-Preises in der EU die Produktion in Drittstaaten (Staaten außerhalb der EU) verlagern. Diese Verlagerung wird als „carbon leakage“ (CL) bezeichnet. Bisher wurde Unternehmen, die in dieser Hinsicht als gefährdet angesehen wurden, ein großer Teil der benötigten Zertifikate gratis zugeteilt; Unternehmen hingegen, die nicht als „carbon-leakage“-gefährdet gelten, müssen ihre Zertifikate bei Auktionen ersteigern, ebenso wie alle Energieversorgungsunternehmen. Im zukünftigen System wird es keine Gratiszuteilungen mehr geben; die Schieflage bei den CO2-Kosten wird dadurch ausgeglichen, dass beim Import CO2-intensiver Produkte (z.B. Stahl, Zement, Kunstdünger, …) eine CO2-Abgabe zu zahlen ist. Sie soll so hoch sein wie die CO2-Kosten, die in der EU zu zahlen wären, wenn die Produkte in der EU produziert worden wären. Dieses System wird kurz als CBAM – „Carbon Border Adjustment Mechanism“ oder „Grenzausgleich“ bezeichnet. Es soll zunächst für einige Produkte eingeführt werden; im Gegenzug wird die Gratiszuteilung über einen Übergangszeitraum zurückgefahren. Die genaue Gestaltung und die Fristen dieses Systemwechsels waren heftige Diskussionspunkte im Rat und im Parlament.

  • Das Parlament spricht sich für die Einbeziehung von mehr Sektoren in den CBAM aus und wünscht, dass die Gratiszuteilung früher ausläuft, als von der Kommission vorgeschlagen. Freilich war diese Position auch innerhalb des Parlaments sehr umstritten. Der Rat, der regelmäßig die unternehmensfreundlicher Position vertritt, spricht sich hingegen für ein langsameres Auslaufen der Gratiszuteilungen aus.

  • Die AK unterstützt die Einführung des CBAM, weil er bedeutend treffsicherer ist als Gratiszuteilungen. Wichtig ist der Erhalt einer starken und innovationsfreudigen Industrie in der EU.

Auch die Mitgliedstaaten müssen ihre Anstrengungen verstärken

Die Reduktion derjenigen Emissionen, die nicht vom (schon bisher bestehenden) EU ETS erfasst werden, bleibt Sache der Mitgliedstaaten. Da die Ziele strenger werden, müssen auch die bisher vereinbarten Ziele in der sogenannten Lastenteilungsverordnung (ESR: Effort Sharing Regulation) schärfer werden. Der Großteil der Emissionen des Verkehrs und der Raumwärme wird in Zukunft im ETS-2 erfasst; dennoch bleiben nach dem Vorschlag der Kommission die Mitgliedstaaten für die Reduktionen in diesem Bereich verantwortlich. Ein Vorschlag, der damit ebenfalls zusammenhängt, ist die Änderung der Art der Anrechnung von Emissionen aus der Land- und Forstwirtschaft bzw. der Landnutzung (LULUCF: Land use, land use change, forestry).

In den wesentlichen Punkten stimmen sowohl Rat als auch Parlament dem Vorschlag der Kommission zu. Der Rat schlägt einige Flexibilisierungen vor, während das Parlament eigene verbindliche Ziele für die Nicht-CO2-Emissionen fordert.

Zur Einführung einer CO2-Bepreisung für Heiz- und Treibstoffe mit dem ETS-2 passt die vorgeschlagene Änderung der Energiesteuerrichtline („Energy Taxation Directive“ – ETD), nach der in Hinkunft nur mehr der Energiegehalt von Energieträgern – und zwar nach einheitlichen Grundsätzen – besteuert werden soll.

Schon 2011 hatte die Kommission eine ähnliche Trennung der CO2- und der Energiekomponente bei der Besteuerung vorgeschlagen. Sie fiel damals dem Lobbying der Frächter zum Opfer, welche die relativ niedrige Besteuerung von Diesel („Dieselprivileg“) nicht verlieren wollten. Bei der Energiesteuerrichtlinie ist Einstimmigkeit im Rat erforderlich; das Parlament kann nur eine Stellungnahme abgeben. Aus diesen Gründen ist es sehr fraglich, wieviel ihres grundsätzlich sinnvollen Vorschlags die Kommission diesmal ins Ziel bringen kann.

  • Die AK unterstützt den Grundsatz, Energie und CO2-Emissionen getrennt zu besteuern, und auch den Grundsatz des gleichen Steuersatzes für gleiche Verwendung. Anstelle des ETS-2 hat die AK vorgeschlagen, neben der vorgesehenen Energiesteuer eine CO2-Steuer in der Richtlinie zu verankern. Diese gibt deutlich mehr Planungssicherheit als der stark schwankende ETS-Preis.

Verschärfung der Klimaziele führt zu neuen Zielen in der Energiepolitik

Die strengen Klimaziele haben auch unmittelbar Auswirkungen auf die Energiepolitik der Union. Dementsprechend umfasst das Paket eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie über erneuerbare Energieträger (RED) und eine zur Änderung der Energieeffizienzrichtlinie (EED). Demnach soll der Anteil erneuerbarer Energieträger im Jahr 2030 in der EU verpflichtend bei 40% liegen, nicht bei 32%, wie bisher. Für bestimmte nachhaltige Energieträger werden eigene Ziele festgelegt; Biokraftstoffe aus Lebens- und Futtermitteln hingegen werden weiter eingeschränkt. Auch die Ziele für die Energieeffizienz sollen auf EU-Ebene verbindlich werden. Der Vorschlag strebt eine Verringerung des Energieverbrauchs bis 2030 um 36 bis 39% an. 

  • Diese Vorschläge werden im Rat von den für Energiefragen zuständigen Minister:innen behandelt. Sie haben den Zielen für die erneuerbaren Energieträger weitgehend zugestimmt; in manchen Bereichen schlägt der Rat die Festlegung eigener Sektorziele vor. 

  • Im Parlament ist der Ausschuss für Industrie und Energie zuständig. Der Ausschuss spricht sich für einen Anteil von 45% erneuerbaren Energieträger bis 2030 aus. Auch bei der Energieeffizienz ist der Ausschuss für ambitionierte Politiken. So sollen die Ziele für die Mitgliedstaaten verbindlich sein; die Steigerung der Energieeffizienz soll um ein Drittel besser sein als gemäß dem Kommissionsvorschlag. Die Abstimmung über die Berichte des Ausschusses wird im September erwartet.

  • Auch die AK hält national verbindliche Ziele bei der Energieeffizienz und beim Ausbau der erneuerbaren Energieträger für notwendig. Sie hat mit Genugtuung festgestellt, dass ihr Vorschlag zur Berücksichtigung von Energiearmut in den Vorschlag zur Energieeffizienzrichtlinie Eingang gefunden hat, da die Problemlagen energiearmer Haushalte besonders berücksichtigt werden müssen.

Dringend nötige Reduktionen im Verkehrssektor

Weitere Vorschläge der Kommission betreffen den Verbrauch von Kraftstoffen auf der Straße, in der Luftfahrt und in der Schifffahrt. Einer davon zielt auf strengere Flottenziele; der Durchschnitt des CO2-Ausstoßes von neu zugelassenen PKW (Flottenziel) soll 2030 55% niedriger sein als 2021; bei leichten Nutzfahrzeugen (LNF) um 50%. Im Jahr 2035 dürfen gemäß Vorschlag nur mehr emissionsfreie Fahrzeuge neu zugelassen werden. Das ist gleichbedeutend mit einem Verbot der Zulassung von Autos mit Verbrennungsmotor.

Im Bereich der Luftfahrt und der Schifffahrt schlägt die Kommission Mindestanteile von erneuerbaren Kraftstoffen vor, die mit der Zeit ansteigen. Auch hier sind Kraftstoffe ausgeschlossen, die aus Lebens- und Futtermitteln produziert werden. Die Regeln gelten für alle Schiffe, unabhängig von der Flagge, unter der sie fahren, und zwar bei einer Fahrt zwischen zwei EU-Häfen in vollem Umfang, bei der Fahrt zwischen einem EU-Hafen und einem Drittstaat für die Hälfte des Treibstoffs. Auch für die Luftfahrt soll es in Zukunft vergleichbare steigende Beimengungsverpflichtungen von fortschrittlichen biologischen oder synthetischen Kraftstoffen geben.

  • Der Umweltrat stimmt dem Vorschlag für die CO2-Flottenziele im Wesentlichen zu. Ausnahmen vom Zulassungsverbot soll es für Fahrzeuge in „Kleinserien“ geben – ein Lobbyingerfolg der Hersteller sogenannter Sportwagen. Auch im Parlament war das Aus für Verbrennungsmotoren Thema; schlussendlich konnte sich die Gruppe, die einen Ausstieg bereits 2030 befürwortete, aber nicht durchsetzen. Damit gibt es sowohl vom Rat als auch vom Parlament in den Grundzügen Zustimmung zum Kommissionsvorschlag über die Flottenziele.

  • Die Vorschläge zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe und für die Kraftstoffe in der Luftfahrt und der Schifffahrt wurden im Verkehrsrat behandelt. Sie sind wenig kontrovers. Das Parlament konnte dennoch erst zum Vorschlag bezüglich der Luftfahrt eine Einigung erzielen; über die zwei weiteren Berichte wird im Herbst abgestimmt.

  • Die AK lehnt die Herstellung von Kraftstoffen aus Grundstoffen für Lebensmittel und Futtermittel ab. Skepsis besteht auch gegenüber Technologien zur Erzeugung alternativer Kraftstoffe, die auf erneuerbare Elektrizität angewiesen sind. Denn erneuerbarer Strom ist ein knappes Gut und wird in vielen anderen Bereichen benötigt, wo er viel effizienter eingesetzt werden kann.

Der Krieg in der Ukraine ist ein weiterer Turbo für das Fit-for-55-Paket 

Damit ist die Positionsfindung von Rat und Parlament zu den Rechtsakten des Pakets vom Juli 2021 weitgehend abgeschlossen. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat die Notwendigkeit, von fossilen Energieträgern loszukommen, drastisch unterstrichen. Dementsprechend hat die EU den Plan „Repower EU“ beschlossen, der auf die Synergien zwischen dem Ziel der Unabhängigkeit von russischen Energieimporten und dem Ziel der Klimaneutralität setzt. So soll z.B. die 2030-Zielmarke für den Ausbau der erneuerbaren Energieträger von 40 auf 45 % erhöht werden. Damit ist zu erwarten, dass der klimapolitische Schwung erhalten bleibt, wenn das „Fit for 55“-Paket nun im Trilog verhandelt wird. Wichtig ist nun, dass auch die soziale Komponente – vor allem Fragen der Verteilung und der Probleme der energiearmen Haushalte – noch mehr Berücksichtigung findet. Denn in diesem Bereich haben die dramatisch gestiegenen Energiepreise der letzten Monate einen enormen Handlungsbedarf offenbart.


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