Buchbesprechung: Deregulierte Arbeitsmärkte als Ziel neoliberaler Strategien
Autor: Nikolai Soukup
Die Auflagen der Troika ab 2010 und mehrere Empfehlungen im Europäischen Semester zielten massiv auf deregulierte Arbeitsmärkte ab – und veränderten die politische Ökonomie der EU nachhaltig. Das Buch „Neue Europäische Arbeitspolitik“ von Felix Syrovatka erlaubt nun wertvolle Erkenntnisse in die Mehrebenen-Machtkämpfe und (Gegen-)Strategien, die damit einhergingen.
Diesen Artikel downloadenVerschiebungen in der EU-Arbeitspolitik
Als im Zuge der EU-Krisenpolitik ab 2010 Arbeitsmärkte verstärkt in den Fokus der europäischen Economic Governance rückten, lief das vor allem auf eines hinaus: Druck in Richtung des Abbaus von Arbeitsrechten und gewerkschaftlicher Macht unter dem Deckmantel vermeintlich dringend notwendiger „Strukturreformen“.1 Doch wie konnte sich diese Agenda als zentraler Strang des europäischen Krisenmanagements durchsetzen? Hier setzt das Buch „Neue Europäische Arbeitspolitik“ des Politikwissenschafters Felix Syrovatka an. Dem Autor gelingt mit seiner Dissertation eine detaillierte Analyse der Machtkämpfe, die zu massiven Verschiebungen in den EU-Politiken zu Arbeitsmärkten und industriellen Beziehungen geführt haben.
Detailliert wird nachgezeichnet, wie Akteur:innen rund um die Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der Kommission, den Unternehmensverband BusinessEurope und Brüsseler Think Tanks wie Bruegel die Neoliberalisierung der Arbeitspolitik vorantrieben.
Als Analyseinstrumentarium dient dabei ein komplexer neomarxistischer Theorierahmen, der einen regulationstheoretischen Zugang um Elemente der Hegemonie- und Staatstheorie erweitert. Methodisch basiert die Untersuchung der Auseinandersetzungen um die EU-Arbeitspolitik zwischen 2009 und 2017 auf der Analyse zahlreicher Dokumente und mehreren Interviews.
Strategien des neoliberalen Akteursnetzwerks
Das Buch beschreibt detailliert zwei Akteursnetzwerke – ein neoliberales und ein sozialregulatives –, die sich in diesen Auseinandersetzungen gegenüberstanden. Die empirische Analyse bezieht sich in erster Linie auf vier Debattenfelder: die Auseinandersetzungen um die Europa-2020-Strategie, das Europäische Semester und die „Six Pack“-Reformen der Economic Governance, die Reform der Kohäsionspolitik und die nationalen Produktivitätsausschüsse. Detailliert wird nachgezeichnet, wie Akteur:innen rund um die Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der Kommission, den Unternehmensverband BusinessEurope und Brüsseler Think Tanks wie Bruegel die Neoliberalisierung der Arbeitspolitik vorantrieben. Akteur:innen dieses Netzwerks versuchten, Konflikte auf die europäische Ebene zu verlagern, weil diese ein strategisch günstigeres Terrain darstellt, und Entscheidungen stärker in wirtschaftspolitische Gremien zu überführen. Aus Sicht des Autors handelt es sich dabei aber um kein Top-down-Intervenieren in nationale Arbeitspolitiken, sondern um Auseinandersetzungen im Mehrebenensystem der EU, an denen nationale Akteur:innen mitwirken. Während das neoliberale Akteursnetzwerk bis 2014 eine dominante Stellung innehatte, begann diese aber danach, der Analyse zufolge, allmählich zu bröckeln.
Höchst spannende Einblicke erlaubt das Buch in die Machtkämpfe innerhalb der EU-Kommission. So wurde die Generaldirektion Beschäftigung (DG EMPL) über mehrere Jahre an den Rand gedrängt, während die DG ECFIN ihre marktliberalen Vorstellungen zur Arbeitsmarktpolitik weitgehend ungefiltert in offizielle Kommissionspositionen umwandeln konnte. Nicht völlig klar wird jedoch, warum die soziale Basis des neoliberalen Netzwerks primär das weltmarktorientierte europäische Industriekapital sei, wo doch der überwiegende Teil der Gesamtnachfrage nach den Gütern und Dienstleistungen der EU aus dem europäischen Binnenmarkt selbst kommt.2
Fazit
Das Buch stellt eine empfehlenswerte Lektüre für Leser:innen dar, die an der politischen Ökonomie der europäischen Integration interessiert sind, einschließlich jener, die sich selbst als politische Praktiker:innen am untersuchten Feld der EU-Arbeitspolitik beteiligen.
Nikolai Soukup, AK Wien
Diesen Artikel downloaden- Christoph Hermann, Strukturelle Reformen in Europa: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft (2015), https://www.arbeiterkammer.at/infopool/wien/Studie_Forba_Strukturelle_Reformen_in_Europa.pdf.
- Georg Feigl, Sepp Zuckerstätter, Wettbewerbs(des)orientierung (2013), https://www.wifo.ac.at/bibliothek/archiv/36286/WWWforEurope_PP_02.pdf.
Buchtipp
Felix Syrovatka: Neue Europäische Arbeitspolitik – Umkämpfte Integration in der Eurokrise; Campus Verlag, 2022
Zum Autor: Felix Syrovatka ist Politikwissenschafter und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsrecht der der Freien Universität Berlin. Sein Forschungsschwerpunkt ist die politische Ökonomie der europäischen Integration mit einem Fokus auf der Arbeits- und Sozialpolitik.
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