Dieses Bild teilen über:
Autor: Frank Ey
In zahlreichen EU-Staaten fanden erst vor kurzem Parlamentswahlen statt. In anderen europäischen Ländern stehen sie in naher Zukunft bevor. Während die Macht von Ungarns Premierminister Orbán nun einzementiert zu sein scheint, haben die Wahlen in Deutschland und Slowenien zu einem Machtwechsel zugunsten des linken Parteispektrums geführt.
Diesen Artikel downloadenFür Spannung sorgt jedoch die französische Parlamentswahl. Sie könnte für einen stärkeren Fokus auf gesellschaftspolitische Themen sorgen. Auch mit Auswirkungen der Wahlen auf die EU-Politik ist zu rechnen – gerade bei Themen, die für Arbeitnehmer:innen und aus gesellschaftspolitischer Sicht wichtig sind:
Die Jahre 2022 und 2023 sind geprägt von einer außerordentlich großen Anzahl von Parlaments- und Präsident:innenwahlen in den EU-Mitgliedsländern mit nicht zu unterschätzenden Auswirkungen auf die Politik der Europäischen Union. Begonnen hatte der Wahlreigen jedoch bereits 2021 mit den Wahlen in Deutschland.
Bei den deutschen Bundestagswahlen im September 2021 gingen die Sozialdemokrat:innen mit dem Spitzenkandidaten Olaf Scholz das erste Mal seit 2002 mit 25,7 % als stärkste Fraktion im Bundestag hervor und gewannen dabei 5,2 Prozentpunkte hinzu. Die aus CDU und CSU bestehende Union landete mit 24,1 % nur auf Platz zwei. Einen starken Zuwachs an Wähler:innenstimmen konnten auch die Grünen mit 14,8 % erreichen – mit 5,9 % die größte Steigerung im Vergleich zu den anderen Parteien. Die liberale FDP konnte ihren Stimmenanteil leicht auf 11,5 % (+ 0,8 %) ausbauen.
Aufgrund der neuen Stimmenverteilung gibt es in Deutschland ein Novum: Erstmals bilden SPD, Grüne und FDP eine gemeinsame Koalition. In einigen Aspekten haben sich damit auch die Politikziele verändert: Auf nationaler Ebene strebt die Bundesregierung eine Erhöhung des Mindestlohns von 9,60 auf 12,00 Euro an. Für Langzeitarbeitslose fällt zumindest in den ersten zwei Jahren die Prüfung des Vermögens oder der Wohnung weg. Die Mietpreisbremse für neu vermietete Wohnungen soll beibehalten und 400.000 Wohnungen neu gebaut werden.1
Bei der neuen Ampelkoalition in Deutschland zeigen sich deutliche Anlaufschwierigkeiten.
Gleich zu Beginn der Amtszeit der Ampelkoalition wurden jedoch erste Meinungsunterschiede deutlich: Im Fall der Impfpflicht legte SPD-Gesundheitsminister Lauterbach einen Gesetzesvorschlag vor, der vorsah, dass für große Teile der Bevölkerung eine verpflichtende Impfung gelten soll. Die FDP hatte dazu jedoch gleich zu Beginn festgehalten, dass es bei der Abstimmung für die FDP-Abgeordneten keine Vorgaben geben werde. Das Votum zur Impfpflicht scheiterte im April im deutschen Bundestag letztlich deutlich und war kein guter Start für die neue Regierung.2
Auf europäischer Ebene sollte der Fokus auf der Klimakrise, der Sicherung des Wohlstands und die Wechselbeziehung zueinander liegen, und darüber hinaus Maßnahmen zur Stärkung von Demokratien beinhalten. Diese Ziele wurden aber, wie auch in anderen EU-Ländern, durch den Angriff Russlands auf die Ukraine überschattet. Nur sehr zögerlich kam die Regierung zu Entscheidungen hinsichtlich von Unterstützungsleistungen für die Ukraine. Anfangs wurden von Deutschland nur 5.000 Helme geliefert, die Lieferung von Waffen wurde von der deutschen Bundesregierung ausdrücklich abgelehnt. Von vielen anderen Ländern inklusive der Ukraine hagelte es Kritik. Mitte März sprach Bundeskanzler Scholz dann von einer Zeitenwende für die Europäische Union.3 Es folgte humanitäre Hilfe, Waffenlieferungen blieben ein Tabu. Die Diskussionen dazu zogen sich über viele Wochen, bis die Grünen sich überraschend und entgegen ihrer bisherigen Haltung nun für eine Lieferung schwerer Waffen aussprachen.4 Wesentlich länger zögerte Bundeskanzler Scholz bis er schließlich auch zustimmte.5 Auch was ein Ölembargo gegen Russland betraf, zauderte Deutschland auf EU-Ebene lange, ehe es den Weg für Sanktionen bei russischem Öl frei machte.6
Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene fehlt es den deutschen Regierungsmitgliedern damit an Entscheidungssicherheit, die derzeit aber dringend notwendig wäre.
Mit Hochspannung erwartet wurden die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Slowenien und Ungarn im April dieses Jahres. Beide Länder wurden bislang von rechtspopulistischen Premierministern angeführt.
An der Spitze in Slowenien stand bislang Janez Janša, der immer wieder durch Attacken gegen die Behörden der Europäischen Union auffiel. Im Vorfeld hatte die Europäische Kommission große Sorgen unter anderem zur Medienfreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz geäußert. Deswegen drohte Slowenien auch ein EU-Rechtsstaatlichkeitsverfahren, welches in letzter Konsequenz zur Blockade von Mitteln aus dem EU-Wiederaufbaufonds führen könnte.7
Bei den Wahlen wurde Janez Janša jedoch klar abgewählt. Der Sieger ist Robert Golob, der aus dem grün-liberalen Spektrum kommt. Zusammen mit den Sozialdemokrat:innen und kleineren Fraktionen, die der künftige Ministerpräsident für seine Koalition rechnerisch nicht bräuchte, möchte er in Slowenien regieren.8 Die Prioritäten seiner Koalition orientieren sich auch an den Top-Themen auf EU-Ebene und umfassen ua den grünen Deal, Gesundheitsversorgung sowie die Generationengerechtigkeit. EU-Abgeordnete Tanja Fajon von den Sozialdemokrat:innen soll stellvertretende Ministerpräsidentin werden.9
Die Politik Janšas erinnerte vor allem am Schluss seiner Amtszeit immer stärker an die Vorgehensweise Ungarns wie beispielsweise hinsichtlich der Medienpolitik oder des Justizwesens. Ein Verhalten, welches nun sein Ende gefunden haben dürfte.
Bereits seit 2010 ist Viktor Orbán durchgehend Ungarns Premier. Auf EU-Ebene ist er einer der umstrittensten Staatschefs. Zuerst mit Koalitionspartner:innen wie der rechtsextremen Jobbik hat er mit zahlreichen „Reformen“ dafür gesorgt, dass seine Macht einzementiert wird, während alle anderen politischen Mitbewerber:innen kaum mehr eine Chance haben, Orbán als Regierungschef abzulösen. So mussten sich laut der damaligen Wahlrechtsreform aus dem Jahr 201410 interessierte Wähler:innen persönlich im Rathaus oder bei einem Notar für die Abgabe der Wahlstimme für die Wahl der Nationalversammlung anmelden, um überhaupt wählen zu dürfen. Und das nicht nur bei der Nationalversammlungswahl, sondern bei allen Wahlen, die in der Legislaturperiode anfallen, egal ob EU-Wahlen, Kommunalwahlen oder andere Wahlen. Die 2014 verabschiedete Wahlrechtsreform sieht auch ein Verbot von Wahlwerbung bei privaten Radio- und Fernsehsendern vor. In staatlichen Medien sind für die Dauer des Wahlkampfs insgesamt zehn Stunden an Parteiwerbung vorgesehen. Keine Begrenzung gibt es dagegen für Berichte über die laufende Arbeit der Regierung. Dazu kommt, dass laut Zeitungsberichten Medienhäuser von Orbán nahestehenden Investor:innen aufgekauft wurden, die nun vor allem im Sinne der Fidesz berichten.11 Zusammen mit den öffentlichen Medien kontrolliert die Fidesz damit über weite Strecken die Medienlandschaft in Ungarn.
Orban sieht seinen Wahlsieg auch als Sieg über Selenski.
Um gegen Orbáns Partei Fidesz erfolgreich sein zu können, haben sich die Parteien fast aller anderen Gruppierungen zusammengeschlossen, um bei der Wahl zur Nationalversammlung gemeinsam gegen die Fidesz zu kandidieren.
Allein: Dieser Plan war nicht von Erfolg gekrönt. Die ungarischen Medien stehen zu einem Großteil unter der direkten oder indirekten Kontrolle von Orbán-nahen Freund:innen und servieren vor allem Positivberichte über Orbán. Über die Parteien-Koalition gegen Fidesz wird vor allem berichtet, dass sie Kriegstreiber wären. Den Widerspruch, dass Orbán ausgerechnet zu Wladimir Putin enge Beziehungen führt, also jenem Autokraten, der verantwortlich für den Angriffskrieg in der Ukraine ist, blieb in der ungarischen Berichterstattung weitgehend unbeachtet. Mittlerweile auch keine Erwähnung mehr findet ein Gesetz aus dem Jahr 2018, dass es Unternehmen erlaubt, von ihren Beschäftigten bis zu 400 Überstunden im Jahr zu verlangen. Gleichzeitig können sich die Unternehmer:innen bis zu drei Jahre Zeit lassen, die Überstunden zu bezahlen.12
Unabhängige Medien informierten außerdem darüber, dass die Fidesz ein acht- bis zehnmal so hohes Wahlkampfbudget hätten wie die Koalition gegen Orbán.13 Zudem fehlte es dem oppositionellen Bündnis mit dem Spitzenkandidaten Péter Márki-Zay an der Erfahrung, um Orbán ernsthaft herauszufordern. Ganz im Gegenteil: Die Fidesz konnte ihr Wahlergebnis unter den oben genannten Bedingungen im Vergleich zur letzten Wahl noch einmal um fast fünf Prozentpunkte auf rund 54 % steigern, während das Oppositionsbündnis um fast 13 Prozentpunkte auf etwa 34 % abstürzte.14 Das bedeutet eine erneute Zweidrittelmehrheit für die Fidesz.
Gleich bei seiner Rede zum Wahlsieg in Ungarn provozierte Premier Victor Orbán die Europäische Wertegemeinschaft erneut – so wie er es mit zahlreichen ungarischen Gesetzesinitiativen, die gegen die EU-Rechtsstaatlichkeit verstoßen, wiederholt gemacht hat. Denn Orbàn hob bei seiner Ansprache hervor, dass sein Wahlsieg auch ein Sieg über Selenski sei. Ein unfassbarer Affront. Denn die Europäische Union verabschiedet eine Sanktion nach der anderen gegen den Aggressor Russland und unterstützt die Ukraine mit umfassenden Hilfen. Bisher hatte sich Orbán zurückgehalten und die Sanktionen unterstützt. Mit dem Plan eines Ölembargos der EU verhält es sich nun anders: Die Ungarn blockierten die Verabschiedung der Sanktion lange mit ihrem Veto im Rat. Die ungarische Regierungwollte sich zwischenzeitlich ihre Zustimmung teuer abkaufen lassen. Die EU solle die Modernisierung der Energieinfrastruktur in Ungarn bezahlen, so Orbán.15 Laut der nun erzielten Einigung im Rat sollen nun Öllieferungen über dem Seeweg untersagt werden. Auf dem Landweg soll Ungarn jedoch weiterhin an der sogenannten "Druschba"-Pipeline angebunden bleiben und über diesen Weg russisches Öl beziehen können.16
Auch sonst fällt die Nähe Orbáns zum russischen de facto Diktator Wladimir Putin auf: Keine Kritik, stattdessen noch kurz vor dem Angriff auf die Ukraine ein Besuch Orbáns bei Putin, der fast den Eindruck eines Freundschaftsbesuchs machte.17
Spätestens seit Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine, hat sich Orbán mit seiner Politik in der EU weitgehend selbst isoliert.
In den letzten Jahren gab es eine Reihe von Verfahren gegen Ungarn vor dem Europäischen Gerichtshof. Zum Beispiel wegen dem ungarischen Mediengesetz, das den staatlichen Einfluss auf die ungarischen Medien drastisch erhöhte, eine Justizreform, die die Europäische Richtervereinigung als Verfassungskrise bezeichnete oder eine Gesetzesinitiative, die eine Finanzierung von NGOs über Geldeber:innen aus anderen Ländern massiv erschwert.18
Dazu kommen noch Änderungen im Hochschulgesetz, die die Central Europe University, finanziert von George Soros, aus Ungarn vertrieben hat. Stattdessen ist die Ansiedelung einer chinesischen Universität geplant, gegen die viele Ungar:innen derzeit Sturm laufen. Orbán pflegt laut Medienberichten sehr gute Beziehungen zu China und hat gegen China-kritische Beschlüsse auf EU-Ebene bereits Vetos eingelegt19.
Spätestens mit dem Beginn des Kriegs von Russland gegen die Ukraine hat sich Orbán mit seiner Politik in der EU weitgehend selbst isoliert. Frühere Mitstreiter:innen wie Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki haben sich aufgrund der fehlenden Distanzierung Ungarns von Russland nun von Orbán abgewandt, Sloweniens Mitstreiter Janez Janša wurde wiederum im April abgewählt.
Auch der neue Rechtsstaatlichkeitsmechanismus, der dafür sorgt, dass Förderungen aus dem EU-Budget gekürzt oder gestrichen werden, wenn ein EU-Mitgliedsland gegen die Grundwerte der EU verstößt, sorgen nun für einen Dämpfer bei der ungarischen Regierung.
In den kommenden Jahren könnte es für Orbán auf der EU-politischen Bühne damit zusehends eng werden.20
Am 24. April 2022 waren alle Augen auf Frankreich gerichtet: An diesem Tag fand die Stichwahl um das Präsident:innenamt zwischen dem liberalen Emmanuel Macron und der rechten Marine Le Pen statt. Der Gewinner war schließlich Macron mit einem Stimmenanteil von 58,5 %. Das klingt zwar nach einem deutlichen Sieg, richtige Begeisterung bei den Wähler:innen sieht aber anders aus.
Was war geschehen? 2017 trat Emmanuel Macron mit seiner neu gegründeten Bewegung „En marche!“ das erste Mal bei den Präsidentenwahlen an und konnte damals große Teile der Wähler:innen von seinem Programm überzeugen, die bis dahin vor allem die Parti Socialist und die konservative Partei „Les Républicains“ gewählt hatten. Bei der damaligen Stichwahl gewann er klar gegen die rechtspopulistische Marine Le Pen. Der Sieg hat mehrere Gründe: Sowohl die Sozialist:innen als auch die Republikaner:innen stolperten in den vergangenen Jahren regelmäßig über Korruptionsskandale, was bei der Bevölkerung für zunehmenden Unmut gesorgt hatte. Der letzte republikanische Präsident Sarkozy wurde wegen Bestechung und unerlaubter Einflussnahme in der Zwischenzeit zu drei Jahren Haft verurteilt21, Der Sozialist François Hollande, von 2012 bis 2017 französischer Präsident, kam wegen einer Schwarzgeldkontenaffäre in Bedrängnis. Dabei hatte er noch angekündigt, den Kampf gegen Steuersünder:innen aufnehmen zu wollen.22 Auch aus sozial- und wirtschaftspolitischer Sicht hielt er seine Versprechen nicht.
Viele Französ:innen wünschen sich einen stärkeren Fokus auf beschäftigungs- und sozialpolitische Themen.
Mit Emmanuel Macron kam ein Kandidat, der bei vielen Wähler:innen große Hoffnungen auslöste: Macron stellte sich als glühender Europäer vor, der dafür eintritt, dass die Starken den Schwachen helfen, dass gemeinsame Wirtschaftsstrukturen geschaffen werden und Flüchtlinge aufgenommen werden. In Frankreich wollte er die Kosten für Unternehmen senken, eine Umverteilung der Sozialaufwendungen, beispielsweise durch Änderungen bei den Kranken- und Arbeitslosenbeiträgen sowie eine Anpassung des Pensionseinstiegsalters erreichen.
Seine Versprechen kamen bei den Wähler:innen gut an, und er wurde mit mehr als 66 % der Wähler:innenstimmen zum jüngsten französischen Staatspräsidenten seit Napoleon Bonaparte gekürt. Seine Gegenspielerin Marine Le Pen hatte in der Stichwahl mit ihrer rechtspopulistischen Rhetorik keinen Erfolg.23
Nachdem in den folgenden Jahren immer deutlicher wurde, welche Politik Macron in der Praxis verfolgt, kam es immer häufiger zu Demonstrationen, die schließlich in den Gelbwesten-Protesten mündeten. Über die sozialen Medien organisiert, fanden sich ab Ende 2018 immer mehr Leute bei den Demonstrationen ein, die zuerst gegen eine höhere Besteuerung von fossilen Kraftstoffen zur Finanzierung der Energiewende gerichtet war, sich dann aber verstärkt auf soziale Aspekte wie der Anhebung von Mindestlöhnen und Pensionen konzentrierte.
Die Wahlen zum Staatspräsidenten 2022 standen zunächst unter dem Eindruck der Proteste und unerfüllten Erwartungen der letzten Jahre. Schließlich wurde der aggressive Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine samt den Folgewirkungen wie einem Anstieg der Teuerung zu einem immer stärkeren Thema. Macron trat von Anfang an entschieden gegen die Aggression Russlands auf, während sich Le Pen, die in einem Naheverhältnis zu Putin steht, bei diesem Thema zurückhielt und dafür auf das Problem steigender Lebensmittelpreise setzte.
Die Kräfteverhältnisse auf EU-Ebene haben sich in den letzten Jahren deutlich zugunsten des linken Parteienspektrums verändert, während die konservativen Parteien herbe Stimmenverluste verzeichnen mussten.
Neben Macron und Le Pen sorgten aber auch andere Kandidat:innen für Aufmerksamkeit, wie der Rechtsextreme Éric Zemmour, der bei den Wahlen mit einem Ergebnis von rund 7 % aber keine weitere Rolle mehr spielte. Derzeit keinerlei Relevanz haben auch die Sozialist:innen und die Republikaner:innen mit Wahlresultaten von 1,8 und 4,8 %.
Wesentlich bedeutender war jedoch das Antreten von Jean-Luc Mélenchon mit seiner Partei „La France insoumise“ (LFI): Er erreichte mit Forderungen nach einer Rente mit 60, Preisobergrenzen für Lebensmittel, dem Rückzug aus der NATO, aber auch durch eine sehr skeptische Haltung gegenüber der EU und der Forderung nach einer Neuaushandlung der EU-Verträge ein Ergebnis im ersten Wahlgang von 22 %, das nur knapp hinter Le Pen mit 23 % lag. Damit verpasste er um Haaresbreite eine Stichwahl mit Macron.24
Mélenchon hat für die Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni 2022 ein Linksbündnis namens „NUPES“ bestehend aus der LFI, den Grünen, den Kommunist:innen und der Sozialistischen Partei als Konkurrenz zu Macrons „En Marche!“-Partei geschaffen. Umfragen sehen das Linksbündnis vor Macrons Partei „En Marche!“, zum Teil mit einem Abstand von bis zu vier Prozentpunkten. Dahinter folgt Le Pens „Rassemblement National“ mit rund fünf Prozentpunkte Abstand zum Zweitplatzierten. Die National-Populistische Partei „Debout la France“ dürfte die viertstärkste Fraktion bei den Parlamentswahlen stellen.25 Sollten die Umfragen eintreffen, könnten Beschäftigungs- und Sozialthemen eine wesentliche Aufwertung erfahren, denn Macron kann sich nicht einfach über die Wünsche des Parlaments hinwegsetzen, obwohl seine Stellung als Staatspräsident stark ist.
Macron hat auf die Umfragen jedenfalls mit der Ernennung der amtierenden Arbeitsministerin Élisabeth Borne zur Premierministerin reagiert, die ursprünglich bei der Parti Socialiste verankert war, seit 2017 aber Teil der Regierung von Emmanuel Macron ist.26 Die Hoffnungen, dass die Anliegen von Beschäftigten und Beschäftigungssuchenden sowie soziale Themen nach der Wahl eine stärkere Berücksichtigung finden, könnten sich in Summe durchaus erfüllen.
Bei den politischen Kräfteverhältnissen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs gibt es im Vergleich zum Vorjahr (Mitte 2021) –wie oben ausgeführt – zwei wesentliche Veränderungen: In Deutschland hat der Sozialdemokrat Olaf Scholz die langjährige Kanzlerin Angela Merkel (CDU/CSU) abgelöst, in Slowenien wird der grün/liberale Robert Golob nun statt dem konservativ/populistischen Janez Janša Premierminister. Dadurch ändert sich das Kräfteverhältnis auf Ebene der Europäischen Staats- und Regierungschef:innen zugunsten der Sozialdemokrat:innen und der Grünen. Für die Liberalen ändert sich beim Stimmenanteil nichts, allerdings können sie bei umstrittenen Themen das Zünglein an der Waage spielen. Insbesondere die Konservativen Parteien haben teilweise dramatisch an Einfluss verloren: Noch vor zehn Jahren (2012) hatten die Konservativen Kräfte einen Stimmenanteil von über 64 % auf Ebene der Staats- und Regierungschef:innen, nun sind es gerade einmal 25,7 %.
2023 werden in Italien, Spanien, Polen, Portugal, Griechenland, Dänemark, Finnland, Luxemburg und Estland neue Parlamentsvertreter:innen gewählt.
Im Herbst 2022 folgen noch Parlamentswahlen in Schweden und in Lettland. Auf dem Terminkalender steht dann auch noch eine für Österreich entscheidende Wahl: Die des Bundespräsidenten.
Zu viel Bewegung kommt es in den EU-Mitgliedstaaten nächstes Jahr: In Italien, Spanien, Polen, Portugal, Griechenland, Dänemark, Finnland, Luxemburg und Estland werden 2023 neue Parlamentsvertreter:innen gewählt. Diese Wahlen könnten zu entscheidenden Änderungen auf EU-Ebene führen. 2024 folgen dann die Wahlen zum Europäischen Parlament.
Frank Ey, AK Wien
Diesen Artikel downloadenAbteilung EU & Internationales
Prinz Eugenstraße 20-22
1040 Wien
Telefon: +43 1 50165-0
- erreichbar mit der Linie D -
© 2024 AK Wien | Prinz-Eugen-Straße 20-22 1040 Wien, +43 1 501 65