Buchbesprechung Earth for All – Fünf Kehrtwenden zur Rettung des Planeten
Autor: Norbert Templ
„Die Grenzen des Wachstums“ – das war der Titel des bahnbrechenden ersten Berichts des Club of Rome, der eine weltweite Debatte über die Zukunft der Menschheit und unseres Planeten in Gang setzte. 50 Jahre später versucht der Club of Rome mit seinem jüngsten Bericht „Earth for All – Ein Survivalguide für unseren Planeten“ erneut, die Menschheit wachzurütteln. Brauchen wir noch noch mehr Berichte?
Diesen Artikel downloadenNein, eigentlich brauchen wir keine neuen Berichte, die uns wachrütteln. Davon gibt es genug. Wir wissen, dass die CO2-Emissionen weiter ansteigen, auch wenn sich ihr Zuwachs abgebremst hat.
Bisher sind die CO2-Emissionen nur in Krisensituationen zurückgegangen. Und daran wird sich auch nichts ändern, wenn die Klimakonferenzen weiterhin so wenig konkrete Vereinbarungen bringen wie zuletzt die COP27 in Ägypten. Die Einigung auf die Schaffung eines Fonds, der arme Länder bei der Bewältigung von klimabedingten Verlusten und Schäden finanziell unterstützt, ist durchaus ein Schritt vorwärts. Aber diese Einigung war nur möglich, weil die zentrale Entscheidung, wer in den Fonds einzahlen soll, auf nächstes Jahr verschoben wurde. Erneut geht damit wertvolle Zeit verloren. Und nach wie vor gibt es kein Ausstiegsszenario aus der Nutzung fossiler Energieträger.
Jetzt hilft nur mehr ein Riesensprung
Eine dauerhafte globale Rezession ist keine Option. Es muss einen anderen Weg geben, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die Klimakrise zu bewältigen. Das es diesen Weg gibt, ist die hoffnungsvolle Botschaft der Autoren:innen des neuen Club-of-Rome-Berichts. Voraussetzung ist, dass sich im kommenden Jahrzehnt die „schnellste wirtschaftliche Transformation der Geschichte“ vollzieht. Das erfordert einen „Riesensprung“ („Giant Leap“) in Form außerordentlicher Kehrwenden, die das Buch in fünf Schlüsselbereiche darstellt: Armut, Gleichheit, Gleichstellung, Ernährung und Energie.
Dem wird ein Szenario von „Zu wenig, zu spät“ („Too Little Too Late“) gegenübergestellt, das den gegenwärtigen Kurs fortschreibt: Darin begnügen sich die meisten Ländern mit halbherzigen und unsystematischen Maßnahmen zur Beseitigung der Armut und zur Stabilisierung des Klimas. Dieses Szenario birgt die Gefahr eines gesellschaftlichen Kollapses, der durch zunehmende soziale Spaltung und Umweltkatastrophen ausgelöst würde.
Konkrete Ziele und Maßnahmen
In den Kapiteln 3 bis 7 wird detailliert dargestellt, was diese Kehrtwenden beinhalten. Es werden Ziele definiert, Lösungen skizziert und die Hürden sowie Hindernisse auf dem Weg dorthin analysiert. Folgende Ziele werden aufgelistet:
- Armut: Eine Wachstumsrate des BIP von mindestens 4-5% für einkommensschwache Länder, bis das BIP pro Kopf und Jahr über 15.000 US-Dollar beträgt.
- Gleichheit: Die reichsten 10 % einer Gesellschaft verfügen über weniger als 40 % des Nationaleinkommens.
- Gleichstellung: Geschlechtergerechtigkeit als Beitrag zur Stabilisierung der Weltbevölkerung unter 9 Milliarden bis 2050.
- Ernährung: Gesunde Ernährung für alle ohne Ausweitung der landwirtschaftlichen Anbauflächen, Verringerung der Lebensmittelverschwendung.
- Energie: Halbierung der globalen Treibhausgasemissionen alle zehn Jahre ab 2020, um bis 2050 „Netto-Null“ zu erreichen.
Die Lösungen, die im Bericht dargestellt werden, sind weder originell noch neu. Wer sich mit der Klimakrise und den Vorschlägen zu deren Bewältigung bereits auseinandergesetzt hat, wird kaum eine Maßnahme finden, die nicht bereits thematisiert wurde: eine neue Finanzarchitektur zur Schaffung von Anreizen für grüne Investitionen, Umgestaltung der globalen Handelsarchitektur, massive Aufstockung der Klimafinanzierung, Verbesserung der Systeme des Technologietransfers, eine neue Welthandelsarchitektur, progressive Umverteilung von Einkommen und Vermögen, Einführung eines allgemeinen Grundeinkommens in Form einer Dividende auf die globalen Gemeingüter, Bildung als ausschlaggebender Faktor zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit und zur Verringerung des Bevölkerungswachstums, grundlegende Umstellung auf ein neues Nahrungsmittelsystem, Elektrifizierung aller Sektoren bei gleichzeitig beschleunigtem Ausbau der erneuerbaren Energien. Dennoch kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass wir über den notwendigen Werkzeugkasten verfügen, um die Klimakrise in den Griff zu kriegen.
Zentrale Aussagen
Zwei Aspekte sind es, die aus meiner Sicht den Bericht zusätzlich lesenswert machen. Zum einen stellt der Bericht „Wachstum“ nicht pauschal in Frage. Das ist insofern bemerkenswert, als der Club of Rome mit dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ zu einem der bekanntesten Thinktanks der Welt wurde. Klar zeigt sich das in der Zielsetzung eines jährlichen Wirtschaftswachstums von 4 bis 5 Prozent in einkommensschwachen Ländern. Klar weist der Bericht darauf hin, dass allein die Energiewende das Wirtschaftswachstum vorantreiben und Arbeitsplätze in allen Sektoren schaffen wird. Ich teile diese Position. Letztlich ist auch die Beseitigung der Ungleichheit ein Wachstumsprogramm, das bisher benachteiligten Menschen Zugang zu Gütern und Dienstleistungen verschafft, die sie sich bisher nicht leisten konnten. Allerdings fordern die Autoren:innen ein „neues wirtschaftliches Betriebssystem“, das das schädliche Finanzsystem überwindet und eine „Ökonomie des Wohlergehens“ in den Fokus rückt. Wichtig ist zudem, dass zukünftiges Wachstum in ökologische Bahnen gelenkt wird, was auch eine Begrenzung des Überkonsums der Reichen erfordert. Beides wird im Bericht thematisiert.
Zum anderen stellt der Bericht unmissverständlich klar, dass ohne eine Umverteilung des Reichtums die Klimakrise nicht zu lösen ist. Ausgehend von der empirischen Erkenntnis, dass Länder, in denen eine größere Gleichheit herrscht, in allen Bereichen des menschlichen Wohlergehens und der Leistungsfähigkeit besser abschneiden, formuliert der Bericht eine Forderung, die wahrscheinlich den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen wird: Die reichsten 10 Prozent einer Gesellschaft dürfen nicht mehr besitzen „als dem Gesamteinkommen der ärmsten 40 Prozent entspricht“. Diese Forderung ist so radikal wie wichtig. Ihre Umsetzung reduziert den Überkonsum der Reichen, der maßgeblich zur Klimakrise beiträgt. Bekanntlich werden die weltweiten Emissionen fast zur Hälfte von den reichsten 10 Prozent erzeugt.
Drei Maßnahmen werden im Bericht angeführt, um mit einem „Riesenschritt“ zu mehr Gleichheit in den Gesellschaften zu kommen:
- eine progressive Besteuerung einschließlich einer Erbschafts- und Vermögenssteuer,
- die Stärkung der Verhandlungsmacht von Arbeitnehmer:innen und
- die Einführung einer allgemeinen Grunddividende, finanziert durch Umverteilung eines Teils jenes Vermögens, das aus gemeinsamen Ressourcen wie fossilen Brennstoffen, Land oder Daten aus sozialen Medien gewonnen wird.
Kritische Würdigung
Wie bei vielen Studien und Bücher zur Klimakrise bleibt auch hier der Eindruck: Die Analysen sind stimmig, die Lösungen unterstützenswert, aber niemand weiß, wie sie umgesetzt werden sollen. Wiederholt wird der Staat angesprochen, der handeln muss. Gefordert werden aktive Regierungen, die bereit sind, die Märkte umzugestalten. Es stimmt: Nur der Staat kann die Transformation des Energiesystems erzwingen, sei es durch Anreize oder Verbote. Viele Entscheidungen sind auch bereits in diesem Sinne auf allen Kontinenten gefallen. Allein – und das hat die Klimakonferenz in Ägypten erneut gezeigt – Tempo und Umfang der Maßnahmen reichen bei weitem noch nicht aus, um die Klimakrise zu bewältigen. Es erstaunt nicht, dass gerade junge Menschen immer verzweifelter werden. Noch blicke ich optimistisch in die Zukunft, weil es viele Entwicklungen gibt, die in die richtige Richtung weisen. Aber ich weiß, dass sich das Zeitfenster rasch schließt. Was bleibt ist die Hoffnung, dass mit der Verschärfung der Klimakrise auch die notwendigen Maßnahmen rascher umgesetzt werden und wir einen „Riesensprung“ vorwärts in eine klimaneutrale Zukunft machen.
Buchtipp
Earth for All.
Ein Survivalguide für unseren Planeten.
Der neue Bericht an den Club of Rome,
50 Jahre nach „Die Grenzen des Wachstums“.
Herausgegeben vom Club of Rome;
Oekom Verlag, München 2022, 256 Seiten
Der Club of Rome ist einer der bekanntesten Thinktanks der Welt. Er wurde 1968 gegründet und setzt sich für eine nachhaltige Zukunft ein. Dem Zusammenschluss von Expert:innen verschiedener Disziplinen aus mehr als 30 Ländern gehören u.a. Maja Göpel und Hans J. Schellnhuber an.
Bekannt wurde die gemeinnützige Organisation durch den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ (1972), der über 30 Millionen Mal verkauft wurde.
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