20.06.2022

Das EU-Lieferkettengesetz endlich am Start: Der Weg bis zum Ziel wird lang und steinig

Autorin: Julia Wegerer

Nach etlichen Verzögerungen war es am 23. Februar 2022 endlich soweit: Die EU-Kommission präsentierte ihren Entwurf für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit. Während ein Blick auf die Überschriften zunächst positiv stimmen mag, offenbart eine Analyse des Textvorschlags, dass zahlreiche Schlupflöcher und Mängel bestehen. 

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Eines ist unbestritten: Es handelt sich um nichts weniger als einen Paradigmenwechsel. Jahrelang hat sich ein breites Bündnis aus Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft dafür eingesetzt, dass Unternehmen endlich Verantwortung für die Arbeitsbedingungen und Umweltstandards in ihren Wertschöpfungsketten übernehmen müssen. Nun ist es endlich soweit. Die EU-Kommission hat einen verbindlichen Textvorschlag geliefert – der Weg bis dahin war alles andere als einfach.

Die Vorgeschichte

Wie heftig bereits bis zur Veröffentlichung des Vorschlags in der EU-Kommission gegen diesen lobbyiert wurde, zeigt die Vorgeschichte: Nachdem der Text ursprünglich im Juni 2021 hätte präsentiert werden sollen, kam es im gleichen Monat ohne nähere Begründung zu einer ersten zeitlichen und kompetenzrechtlichen Verschiebung. Justizkommissar Didier Reynders bekam EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton bei der Erarbeitung der Initiative an die Seite gestellt. Ein nicht öffentliches Gutachten des Regulatory Scrutiny Board (RSB) war negativ ausgefallen. Dieses Gremium sollte grundsätzlich für eine zusätzliche Qualitätssicherung bei neuen Initiativen sorgen.

Dem intransparent agierenden Regulatory Scrutiny Board kommt im Gesetzwerdungsprozess eine äußerst mächtige Rolle zu. 

Nach weiteren Verzögerungen sollte der Text dann Anfang Dezember 2021 präsentiert werden. Eine Woche vor der Präsentation verschwand der Termin über Nacht von der Tagesordnung der EU-Kommission. Während die Öffentlichkeit über die Gründe im Dunkeln gelassen wurde, bejubelten nordische Wirtschaftsverbände ihre Lobbyingleistungen bei den EU-Institutionen, einschließlich des RSB, im Internet. Das RSB hatte – was äußerst selten vorkommt – ein zweites (öffentlich wiederum nicht einsehbares) negatives Gutachten erstellt. Nach zwei negativen Stellungnahmen des RSB muss ein besonderes Verfahren eingeleitet werden, damit ein Legislativvorschlag überhaupt noch weiterverfolgt werden kann. Aus demokratie- und rechtsstaatlichen Überlegungen heraus völlig verheerend ist die Tatsache, dass Stellungnahmen des RSB erst mit der Veröffentlichung des Vorschlags selbst für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wird eine Initiative hingegen bereits zuvor zurückgezogen, ist es für die Öffentlichkeit nicht einmal möglich, die Gründe dafür in Erfahrung zu bringen. Dem intransparent agierenden RSB kommt damit eine äußerst mächtige Position im Gesetzwerdungsprozess zu. 

Es folgte lautstarker Protest von Gewerkschaften, Zivilgesellschaften sowie engagierten Entscheidungsträger:innen aus dem EU-Parlament und nationalen Parlamenten. Zudem ist es aber auch dem Engagement der französischen Ratspräsidentschaft des ersten Halbjahres 2022 zu verdanken, dass nach weiterem zähen Ringen am 23. Februar 2022 schlussendlich doch ein Richtlinientext von der EU-Kommission präsentiert wurde. Dieser Vorschlag musste – so weit, so vorhersehbar – Federn lassen. So betont die EU-Kommission in den Erläuternden Bemerkungen, dass der vorgelegte Vorschlag erheblich von den Empfehlungen abweicht, die die eigens durchgeführte Folgenabschätzung vorsah und, dass aufgrund der Stellungnahmen des RSB die Anwendbarkeit des Entwurfs entscheidend eingeschränkt wurde.

Die Lektüre der im Übrigen recht lapidar ausgefallenen Stellungnahmen des RSB liest sich wie eine Wunschliste von Wirtschaftslobbyisten7: vom Anwendungsbereich über die Durchsetzungsmechanismen bis hin zu den einzuhaltenden Sorgfaltspflichten im Umweltbereich und den mitgeregelten Vorstandspflichten. Überall werden Einschränkungen gefordert und wird mit den Allgemeinplätzen „Verhältnismäßigkeit“ und „bürokratischem Mehraufwand“ argumentiert. 

Der Entwurf

Was verlangt der Richtlinienvorschlag nun konkret von Unternehmen? Unternehmen müssen ihre eigene Tätigkeit, aber auch die Tätigkeit ihrer Tochterunternehmen und anderer Unternehmen in ihren Wertschöpfungsketten, mit denen „etablierte Geschäftsbeziehungen“ bestehen, auf negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt prüfen und Maßnahmen setzen, um diese zu verhindern oder abzustellen. Die EU-Kommission orientiert sich dabei an unverbindlichen internationalen Standards wie den UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, den OECD Leitsätzen für Multinationale Unternehmen und der Dreigliedrigen Grundsatzerklärung der Internationalen Arbeitsorganisation über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik. In einem insgesamt sechsgliedrigen Sorgfaltspflichtenprozess, der an die OECD-Leitsätze angelehnt ist, sollen Unternehmen:

  • Sorgfaltspflichten in ihre Geschäftspolitik integrieren
  • negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt identifizieren
  • Maßnahmen zu deren Prävention bzw. Abstellung treffen
  • gesetzte Maßnahmen evaluieren
  • diese kommunizieren und
  • einen Beschwerdemechanismus einrichten

Der vorliegende Entwurf ist branchenübergreifend und verpflichtet alle Kapitalgesellschaften und gelisteten Finanzdienstleister, die gewisse Größenkennzahlen überschreiten.

Grafik:WelcheUnternehmenSindErfasst
Grafik: Welche Unternehmen sind erfasst? © Grafik: Julia Stern

Verstoßen Unternehmen gegen die genannten Verpflichtungen, soll ein zweisäuliges Durchsetzungsregime ein hohes Maß an Normbefolgung garantieren: Einerseits soll eine nationale Überwachungsbehörde eingerichtet werden, die überprüft, ob sich Unternehmen an die Anforderungen halten und Sanktionen verhängen kann. Andererseits soll es im Falle von Schäden in engem Rahmen die Möglichkeiten für Betroffene geben, den Klagsweg zu beschreiten, wenn der Schaden vom Unternehmen bei Einhaltung der Sorgfaltspflichten hätte verhindert oder abgemildert werden können.

Die auf kurzfristige Gewinnsteigerung ausgerichteten Geschäftsmodelle vieler Unternehmen stehen nachhaltigem Wirtschaften konträr entgegen.

Wo ist die nachhaltige Unternehmensführung?

Die Initiative der EU-Kommission trug ursprünglich den Namen „Nachhaltige Unternehmensführung“ und sah – neben der Einführung von Sorgfaltspflichten – gleichberechtigt die Regelung von Pflichten für die Unternehmensleitung vor. Der Grund für diese Koppelung liegt auf der Hand und wurde auch durch eine Studie untermauert, die die EU-Kommission in Auftrag gegeben hat: In einer Vielzahl von Fällen orientieren sich Unternehmensleitungen sehr stark an kurzfristigen, finanziellen Zielen wie dem Aktienkurs oder der Gewinnsteigerung. Langfristige Nachhaltigkeitsaspekte wie Umwelt oder Soziales spielen demgegenüber kaum eine Rolle. Ein auf Gewinnsteigerung ausgerichtetes Geschäftsmodell wird immer danach trachten, Waren und Dienstleistungen von den Lieferanten zu den günstigsten und für das Unternehmen vorteilhaftesten Konditionen zu erlangen und auch seine Wirtschaftsmacht in Verhandlungen einsetzen, um diese Bedingungen durchzusetzen. Besonders negativ für Arbeiter:innen in globalen Lieferketten ist dieses Geschäftsmodell in Branchen, die bereits jetzt eine hohe Marktkonzentration aufweisen, etwa in der Kakaobranche oder der Textilindustrie, wo einseitige Preisdiktate die Regel sind.

Denn ein solches Geschäftsmodell zieht unweigerlich Einkaufs- und Beschaffungspraktiken nach sich, die nachhaltigem Wirtschaften konträr entgegenstehen: die Bezahlung von Preisen an Lieferant:innen, die unter den Herstellungskosten liegen. Lieferfristen, die so knapp bemessen sind, dass sie nur eingehalten werden können, wenn auf illegale Maßnahmen wie Auslagerung in sogenannte Schattenfabriken, überlange Arbeitszeiten ohne Pausen und Kinderarbeit zurückgegriffen wird, Last-Minute-Stornierungen bereits produzierter Ware ohne Schadenersatz für die Produzent:innen – wie während der Corona-Pandemie aufgetreten. Dieses Handeln führt unweigerlich zu Menschenrechtsverletzungen in der weiteren Lieferkette. Zu Löhnen, mit denen kein Auskommen zu finden ist. Zu Eltern, die ihre Kinder arbeiten schicken müssen, damit die Familie irgendwie über die Runden kommt. Zu Umweltzerstörung, wenn giftige Stoffe aus der Textilfärbung einfach in Flüsse eingeleitet werden.

Der jetzige Entwurf sieht nur noch wenige Bestimmungen im Hinblick auf Pflichten der Unternehmensleitung vor. Übrig geblieben ist die Bestimmung, dass Unternehmen, wenn sie im besten Interesse des Unternehmens handeln, die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf Nachhaltigkeitsbelange berücksichtigen. Es fehlen jedoch eine verbindliche Sprache und klare Zielsetzungen, in welcher Form dies zu geschehen hat. Hier braucht es eine eindeutige Verknüpfung mit den SDGs, den Europäischen Klimazielen und anderen Benchmarks. Sofern vorhanden sollen nationale Bestimmungen für den Fall des Verstoßes von Vorstandspflichten zur Anwendung kommen. Zudem sind die Mitglieder der Unternehmensleitung für die korrekte Umsetzung des Sorgfaltspflichtenprozesses verantwortlich. Diese Bestimmungen sind zentral, stellen sie doch sicher, dass die Leitung des Unternehmens Sorgfaltspflichten vorgeben und mitgestalten muss. Leider bleibt jedoch die im Entwurf gewählte Sprache sehr unverbindlich und vage. Es fehlen konkrete Zielvorgaben und Inhalte. Was, wenn die zu berücksichtigenden Interessen im Widerspruch zueinanderstehen? Wie wird sichergestellt, dass die notwendige Expertise in der Unternehmensleitung Einzug hält? Zuletzt äußert sich eine Bestimmung zur Möglichkeit variabler Vergütung bei der Erfüllung klimabezogener Verpflichtungen. Diese ist allerdings fakultativ und damit in der Praxis wirkungslos. Auch hier ist eine Nachbesserung zu fordern, variable Vergütung ist verpflichtend mit der Einhaltung nachhaltigkeitsbezogenen Leistungskriterien zu verknüpfen.

Im Tauziehen mit dem Big Business hat die EU-Kommission bei den Pflichten der Unternehmensleitung nur wenige effektive Bestimmungen retten können. Es bleibt abzuwarten, was der weitere Gesetzgebungsprozess hier noch für Entwicklungen mit sich bringt. 

Wie in vielen anderen Gesetzgebungsprozessen haben es – zumindest vorerst – auch in diesem Fall die Wirtschaftsverbände geschafft, eine Ausnahme für mehr als 99  % der EU-Unternehmen zu erwirken

Von Schlupflöchern und anderen Fallstricken

Eine wirksame Richtlinie hat das Potential, die Arbeits- und Lebensbedingungen in unseren globalen Lieferketten zu verbessern – wenn sie gut gemacht ist. Der vorliegende Entwurf enthält jedoch an entscheidenden Stellen Schlupflöcher und Einschränkungen. Werden diese nicht behoben, droht ein weiterer Papiertiger das Licht der Welt zu erblicken. Im Folgenden sollen die vier wichtigsten Schwachstellen diskutiert werden. Hier liegt es am EU-Parlament und den Mitgliedstaaten, Nachbesserungen zu erreichen.

1. 
Sorgfaltspflichten für alle Unternehmen!

0,06 %. Das ist der Anteil jener österreichischen Unternehmen, die künftig direkt Sorgfaltspflichten einzuhalten haben. Umgerechnet sind das ein paar wenige hundert österreichische Unternehmen. Wie in vielen anderen Gesetzgebungsprozessen haben es – zumindest vorerst – auch in diesem Fall die Wirtschaftsverbände geschafft, eine Ausnahme für mehr als 99 % der EU-Unternehmen zu erwirken. Das Zeichen, das damit gesetzt wird, ist fatal. Die Europäische Union heftet sich Menschenrechte an die Fahne, sieht sich selbst als Vorreiter und Hüter der Menschenrechte. Die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards werden im jetzigen Entwurf aber zum Nischenprogramm für einige wenige Großkonzerne erklärt. Damit weicht der Entwurf der EU-Kommission zudem eklatant von internationalen Standards ab, die die verhältnismäßige und angemessene Einbeziehung aller Wirtschaftsteilnehmer fordern.

Für eine effektive Regelung ist dieses Vorgehen auch aus anderer Hinsicht hinderlich: Wertschöpfungsketten sind – je nach Branche – mitunter sehr komplex und können viele Glieder enthalten. Umso wichtiger wäre es, dass eine starke verbindliche Regelung alle Unternehmen in die Verantwortung nimmt und sämtliche europäischen Lieferkettenglieder in die Pflicht genommen werden. Denn nur so kommt der so genannte Brüssel-Effekt zustande, der dafür sorgt, dass eine Hebelwirkung einsetzt und die Möglichkeiten zu tiefergehender Kooperation und Einflussnahme auf außereuropäische Geschäftsbeziehungen und Lieferanten steigen. 

Kurzfristige Geschäftsbeziehungen, in denen das Risiko von  Menschenrechtsverletzungen besonders hoch sind, werden von der Sorgfaltspflicht ausgenommen.

Zweitens ist dies auch aus Unternehmensperspektive vorteilhaft. Möchte die EU ihr selbst deklariertes Ziel eines Level Playing Field erreichen, muss eine Regelung für alle am Binnenmarkt tätigen Unternehmen gelten. Ansonsten bleibt die Situation gerade für vorbildliche Unternehmen besonders nachteilig. Während sie höchstmögliche Arbeitsrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten zu gewährleisten versuchen, können vom Vorschlag nicht erfasste Unternehmen weiterhin Sozial- und Lohndumping betreiben und am Markt billigere Produkte aus ausbeuterischer Arbeit vertreiben. Rechtsunklarheit gibt es hingegen für jene Unternehmen, die zwar selbst nicht direkt von der Regelung erfasst sind, die aber als Zulieferer für große Unternehmen fungieren. Für sie gelten die Regelungen nicht direkt, ihr großer Vertragspartner wird ihnen jedoch seine Vorgaben weitertragen und deren Einhaltung fordern. 

Als Argument für die Ausnahme von KMUs wird von Wirtschaftsseite meist der Kostenfaktor vorgebracht. Diesen Vorwand hat jedoch die EU-Kommission bereits vorab entkräftet. Eine dazu in Auftrag gegebene Studie kommt zum Ergebnis, dass KMUs Mehrkosten in Höhe von 0,074 % und große Unternehmen in Höhe von 0,005 % des jährlichen Umsatzes zu gewärtigen hätten. Dass Unternehmen, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit bis dato kaum oder nicht auseinandergesetzt haben, Unterstützung brauchen, ist unbestritten. Das berücksichtigt der Entwurf bereits umfassend: So sollen Leitlinien mit Umsetzungshilfen von der EU-Kommission erarbeitet werden, auf nationaler Ebene soll es zudem Unterstützung in Form von Information und Beratungen bis hin zur Möglichkeit finanzieller Unterstützung geben. 

2.
Die gesamte Wertschöpfungskette durchleuchten!

Der vorgelegte Textentwurf sieht vor, dass grundsätzlich die gesamte Wertschöpfungskette erfasst ist. Was bedeutet das genau? Die Änderung der Terminologie weg von „Lieferketten“ hin zu „Wertschöpfungsketten“ ist sehr zu begrüßen. Denn dadurch wird nicht nur die vorgelagerte Lieferkette (upstream) erfasst, sondern explizit auch nachgelagerte Schritte bis hin Entsorgung des Produkts (downstream). Zudem werden so grundsätzlich alle Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Produktion von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen der Sorgfaltspflicht unterworfen.

Es ist die grundlegende Aufgabe von Gewerkschaften, sich für  bessere Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer:innen einzusetzen. Der Entwurf sieht jedoch nur eine punktuelle, freiwillige Einbindung von Interessenträgern vor.

Alle Tätigkeiten? Mitnichten. Eine gewichtige Ausnahme droht gerade jene Bereiche auszusparen, in denen das Risiko für Menschenrechtsverletzungen besonders hoch ist. Denn die Ausübung der Sorgfaltspflichten beschränkt sich auf „etablierte“ Geschäftsbeziehungen. Dieser Begriff bezeichnet „eine direkte oder indirekte Geschäftsbeziehung, die in Anbetracht ihrer Intensität oder Dauer beständig ist oder sein dürfte und die keinen unbedeutenden oder lediglich untergeordneten Teil der Wertschöpfungskette darstellt“. Abgesehen davon, dass es vielen Unternehmen sehr schwer fallen wird, eine Kategorisierung aufgrund der vorstehenden Definition vorzunehmen, werden damit kurzfristige Geschäftsbeziehungen von der Sorgfaltspflicht ausgenommen. Dies könnte dazu führen, dass so manches Unternehmen versucht sein wird, seine Geschäftsbeziehungen mit juristischer Spitzfindigkeit so darzustellen, dass sie der Sorgfaltspflicht entzogen sind. 

Auch in diesem Punkt gehen internationale Standards von einem streng risikobasierten Ansatz aus. Gemäß dem Ansatz der Priorisierung sollen Unternehmen sich darum bemühen, genau dort hinzusehen, wo das Risiko besonders schwerwiegender oder irreversibler Missstände in den Lieferketten hoch ist. Wird dieser Ansatz nicht umgesetzt, besteht die Gefahr, dass ein Sorgfaltspflichtenprozess zur reinen Ankreuz-Übung wird. 

3.
Sorgfaltspflichtenprozess: Audit­industrie regulieren
und Stakeholder verpflichtend einbinden!
 

Der Textentwurf sieht viele einseitige Maßnahmen vor, die bereits lange aus unternehmerischen Corporate Social Responsability (CSR)-Ansätzen bekannt und in Anwendung sind. Code of Conducts, vertragliche Zusicherungen und Überprüfung der Compliance durch Audits oder Zertifizierungen. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass sich die im Entwurf angeführten Maßnahmen als nachweislich ineffektiv herausgestellt haben. Alle großen Katastrophen, sei es der Zusammensturz der Textilfabrik in Rana Plaza, der Dammbruch in Brumadinho oder der Brand der pakistanischen Textilfabrik Ali Enterprises, hatten eines gemeinsam: Kurz vor dem Unglück wurden „erfolgreiche“ Audits bzw. Zertifizierungen durchgeführt. Qualitativ minderwertige Audits verdecken damit Missstände und erhöhen sogar menschenrechtliche Risiken. Das ist möglich, weil die milliardenschwere Auditindustrie keiner Regulierung unterliegt. Es gibt keine Mindeststandards für die Ausbildung von Auditor:innen, keine einheitlichen Standards, die festlegen, welche Kriterien abgeprüft werden, und keine Vorgaben für Interessenskonflikte oder klare Haftungsregelungen. Ein systemisch mangelhaftes System in eine Richtlinie zu übertragen, ohne dieses einer Mindestregulierung zu unterwerfen, ist schlichtweg fahrlässig. Und es bedeutet Wasser auf die Mühlen derjenigen, die im Lieferkettengesetz ein kostenaufwändiges Bürokratiemonster sehen wollen. 

Der Entwurf verschriftlicht privatwirtschaftliche Ansätze wie Code of Conducts, vertragliche Zusicherungen und Audits, die sich bereits nachweislich als ineffektiv erwiesen haben.

Neben einer dringend notwendigen Regulierung der Auditindustrie bedarf es einer Ergänzung des Sorgfaltspflichtenprozesses durch kooperative Maßnahmen zwischen den Unternehmen in der Lieferkette: langfristige Zusammenarbeit, Schulungen und regelmäßige Dialoge.

Der vorliegende Entwurf der EU-Kommission sieht außerdem nur eine punktuelle, fakultative Einbindung von Stakeholdern in den Sorgfaltspflichtenprozess vor. Völlig inakzeptabel ist dabei, dass Gewerkschaften und Arbeitnehmer:innenvertretungen unter der Definition von Stakeholder nicht einmal explizit angeführt werden. Die fehlende verpflichtende Einbindung von Arbeitnehmer:innenvertretungen und Gewerkschaften ist nicht nachvollziehbar: Sie kennen die Risiken am Arbeitsplatz und wissen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um diese abzustellen.

Aus diesem Grund wurde Stakeholderbeteiligung auch in der Resolution des EU-Parlaments vom 10. März 2021 zur Unternehmensverantwortung in Wertschöpfungsketten verankert. Laut vorliegendem Entwurf sind Gewerkschaften und Arbeitnehmer:innenvertretungen nur im Rahmen des einzurichtenden Beschwerdemechanismus berechtigt, Beschwerden beim Unternehmen einzureichen und über das anschließende Verfahren unterrichtet zu werden. Wiewohl diese Einbeziehung zu begrüßen ist, stellt sie eine rein reaktive Maßnahme dar, die erst greift, wenn bereits Verletzungen von Rechten erfolgt sind. Im Sinne eines präventiven Ansatzes braucht es aber eine gesamtheitliche Einbeziehung. 

4.
Klimakrise bekämpfen

Die Klimakrise spitzt sich immer weiter zu. Wie ein Bericht aufzeigt, sind alleine 100 Konzerne weltweit für rund 70 % der CO2-Emissionen verantwortlich – darunter auch europäische Riesen wie Total, Eni, RWE und die österreichische OMV. Der Richtlinienvorschlag soll dazu beitragen, negative Auswirkungen unternehmerischer Tätigkeit auf die Umwelt zu reduzieren. Klimabezogene Sorgfaltspflichten fehlen jedoch. Stattdessen sollen sehr große Unternehmen einen Klimaplan erstellen1, „mit dem sie sicherstellen, dass das Geschäftsmodell und die Strategie des Unternehmens mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C gemäß dem Übereinkommen von Paris vereinbar sind“. Wird „der Klimawandel als ein Hauptrisiko […] der Unternehmenstätigkeit ermittelt“, müssen zudem Emissionsreduktionsziele in den Plan mitaufgenommen werden. Die Einhaltung der Vorgaben kann von der Aufsichtsbehörde kontrolliert werden, eine Klagsmöglichkeit gibt es hier jedoch nicht. Im Rahmen einer Richtlinienüberprüfung kann sieben Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie bewertet werden, ob der Sorgfaltspflichtenprozess auf negative Klimaauswirkungen ausgeweitet werden soll. Nota bene: Zu diesem Zeitpunkt, voraussichtlich etwa im Jahr 2030, soll es die EU bereits geschafft haben, die EU-internen Treibhausgasemissionen um mindestens 55  % gegenüber 1990 gesenkt zu haben. 

Die vorliegende Bestimmung zum Klimaplan ist noch nicht viel mehr als eine Überschrift. Vieles bleibt im Unklaren. Die unkonkrete und unverbindliche Ausgestaltung stellt mehr Fragen als sie beantwortet. Es müsste einerseits sichergestellt werden, dass alle Unternehmen einen Klimaplan erstellen und andererseits darauf geachtet werden, dass Unternehmen nicht nur Scope1, sondern insbesondere Scope2 und Scope3 Emissionen zu berücksichtigen haben. Offen ist auch die Frage, wie Behörden prüfen, ob ein Unternehmen seinen Verpflichtungen nachkommt. Reicht die bloße Existenz eines Dokuments mit der Überschrift Klimaplan? Der Dringlichkeit und der Wucht der Klimakrise ist diese Bestimmung nicht angemessen. Es braucht einklagbare, klimabezogene Sorgfaltspflichten. 

Und wie geht es jetzt weiter?

In den kommenden Monaten wird der Richtlinienentwurf im EU-Parlament und von den Mitgliedstaaten verhandelt. Es liegt jetzt an den EU-Abgeordneten und den Regierungen der Mitgliedstaaten, den Entwurf so nachzubessern, dass bestehende Schlupflöcher geschlossen werden und die Umsetzung von Sorgfaltspflichten in Wertschöpfungsketten nicht als Ankreuz-Übung verstanden wird, sondern als kontinuierlicher, partizipativer Prozess, der nachhaltige Verbesserungen für Arbeitnehmer:innen und Umwelt erzielen kann.

Das aus AK, ÖGB und NGOs bestehende Bündnis „Menschenrechte brauchen Gesetze! Damit Lieferketten nicht verletzen“ bringt sich einerseits in diesen Prozess mit Stellungnahmen und Expertise ein und schafft andererseits gezielt mit Aktionen und Veranstaltungen ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer starken Regelung ohne Schlupflöcher. Umfragen zeigen klar auf, dass sich die Bürger:innen in Europa und insbesondere auch in Österreich mit überwältigender Mehrheit ein strenges Gesetz wünschen. Wenn die Europäische Union ihrer Vorreiterrolle beim Schutz von Menschenrechten und bei der Klimakrise nachkommen will, muss sie die an sie gerichteten Erwartungen auch erfüllen. 

Julia Wegerer, AK Wien 

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1 Laut Entwurf sind das EU-Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Jahresnettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro sowie ausländische Unternehmen mit einem Jahresnettoumsatz in der EU von mehr als 150 Millionen Euro.



 

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