
Mit Detektivarbeit gegen Sozialbetrug
Sozialbetrug durch Unternehmen hat System und die Methoden werden immer ausgefeilter. Darum hat die AK Wien 2023 die Stabsstelle Betrugsbekämpfung eingerichtet und zieht Bilanz. Die gesamte Presseunterlage zum Downloaden finden Sie hier.
Sozialbetrug kostet Milliarden
Laut Finanzpolizei beträgt der Schaden für Steuerzahler:innen und Sozialversicherung durch Sozialbetrug von Unternehmen alleine in der Baubranche 350 Millionen Euro – und zwar pro Jahr! Betriebe, die ihre Beschäftigten beim AMS zwischenparken, wälzen ihre Personalkosten auf die Arbeitslosenversicherung ab und reißen dort ein Loch von 700 Millionen jährlich. Diese Kosten fallen nicht nur der Allgemeinheit auf den Kopf und fehlen im Budget, sie schaden auch allen ehrlichen Unternehmen, die dadurch unfair verzerrtem Wettbewerb ausgesetzt sind.

Ludwig Dvořák, AK Chefjurist
Die Fälle, mit denen Arbeitnehmer:innen zu uns kommen, sind längst keine einfachen Standardprobleme mehr, sondern werden immer komplexer. Das liegt auch daran, dass manche Unternehmen Sozialbetrug regelrecht perfektionieren und ein Geschäftsmodell daraus machen. Sie nutzen komplizierte Firmengeflechte oder verschachtelte Leiharbeitskonstruktionen, um ihren Profit zu maximieren. Am Ende fehlen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Ausstehende Löhne und Gehälter werden durch gezielte Insolvenzen auf die Allgemeinheit abgewälzt. Leidtragende sind nicht nur die Beschäftigten selbst, die ausgebeutet werden, sondern auch seriöse Betriebe, die sich an Regeln halten.
Lohn- und Sozialdumping reißen Löcher ins Budget
Die Vorgängerregierung hat die Strafen für Lohn- und Sozialbetrug gesenkt. Das Kumulationsprinzip, nach dem verhängte Strafen mit der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer:innen multipliziert werden, wurde abgeschafft. Damit ist Sozialbetrug für Arbeitgeber:innen zu billig geworden. Die AK setzt alles daran, dass diejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die solch fragwürdige Systeme konstruieren und daraus Gewinn schlagen.
Warum hat die AK eine Stabsstelle gegen Betrugsbekämpfung eingerichtet?
In der täglichen Beratung geht es immer um den Einzelfall. Das heißt, dass nur die Ansprüche der einzelnen Arbeitnehmer:innen geltend gemacht werden können, die sich an die AK wenden. Die Stabsstelle Betrugsbekämpfung geht einen Schritt weiter: Sie wurde ins Leben gerufen, um Sozialbetrug durch Unternehmen strukturell zu bekämpfen: Sie deckt systematische Verstöße gegen arbeits- und sozialrechtliche Bestimmungen auf, geht Verdachtsmomenten nach und erstattet Anzeigen.
Mit Stichtag 31.8.2025 bearbeitete die Stabsstelle im heurigen Jahr 105 Fälle. In diese Zeitraum wurden alleine in der AK Wien 50 Anzeigen für 476 Arbeitnehmer:innen wegen Unterentlohnung nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) eingebracht. Bei diesen Anzeigen geht es um offene Ansprüche in der Höhe von mehr als 3 Millionen Euro.

Andrea Ebner-Pfeifer, AK Arbeitsrechtsexpertin
In den vielen Jahren, in denen ich mich intensiv mit Sozialbetrug durch Unternehmen auseinandergesetzt habe, war ich immer wieder überrascht, mit wieviel krimineller Energie und Skrupellosigkeit mitunter vorgegangen wird. Unterentlohnung ist kein Betriebsunfall, es ist ein Geschäftsmodell – und zwar eines, das auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer funktioniert. Wir leisten in der Stabsstelle zum Teil Detektivarbeit, um verschachtelte Firmenkonstrukte zu enträtseln oder dubiose Subunternehmerketten zu entwirren.
Aus der Praxis der Stabsstelle
„Dauerbrenner“
Schon seit längerem beschäftigt sich die Stabsstelle mit einem Firmengeflecht in der Immobilienbranche, das über Jahre hinweg durch dubiose Geschäftspraktiken aufgefallen ist: Mehr als hundert Beschäftigte wurden um ihren Lohn gebracht, Abgaben an ÖGK, Finanzamt und Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) wurden nicht korrekt bezahlt. Gegen zentrale Akteure dieses Firmengeflechts laufen Verfahren wegen betrügerischer Krida. Darunter befindet sich auch Lukas N.: Er ist aktuell in 11 Unternehmen Geschäftsführer, neun davon sind im Firmenbuch als insolvent oder als Scheinunternehmen gekennzeichnet.
„Wiederholungstäter“: Trotz Anzeigen weitere Verstöße
Das Thema Unterentlohnung beschäftigt die Stabsstelle täglich. In sechs Fällen mussten gegen dasselbe Unternehmen mehrfach Anzeigen eingebracht werden. Das zeigt, dass die verhängten Strafen eindeutig zu niedrig sind, um Unternehmen abzuschrecken und mit dem Lohnbetrug aufzuhören. Eine verhängte Strafe bedeutet übrigens noch nicht, dass die Beschäftigten ihr Geld bekommen. Das geht nur über ein arbeitsrechtliches Verfahren.
Anlaufstelle für „Whistleblower“
Mittlerweile wird die Stabsstelle als Anlaufstelle wahrgenommen, um betrügerisches Vorgehen oder Auffälligkeiten zu melden. In einem konkreten Fall hat sich ein Arbeitnehmer an die Stabsstelle gewandt, der von systematisch gefälschten Abrechnungen seines ehemaligen Arbeitgebers berichtete. Er konnte anhand anonymisierter Unterlagen darlegen, dass das Unternehmen ganz bewusst falsche Berechnungen angestellt hat, um seine Beschäftigten zu betrügen – und zwar gleich um einige hundert Euro pro Jahr und Person. Die Firma konnte sich so auf Kosten der Mitarbeiter:innen um zumindest 50.000 Euro pro Jahr bereichern. Die Stabsstelle wird daher bei den zuständigen Behörden eine umfassende Prüfung des Unternehmens anregen.
Insolvenz als Geschäftsmodell
Über eine Bau GmbH wurde im Juli 2025 Konkurs eröffnet. Für 114 Beschäftigte stellte die AK Wien Insolvenzanträge in Höhe von mehreren hunderttausend Euro. Kurz nach Beendigung der Dienstverhältnisse setzten viele Arbeiter ihre Tätigkeit auf denselben Baustellen fort – nun allerdings für eine neu gegründete GmbH. Diese firmiert an derselben Adresse, mit denselben Eigentümern und Geschäftsführern wie die andere – auch der Firmenname unterschied sich nur durch den Anfangsbuchstaben. Aus der „Hanni-Bau GmbH“ wurde die „Nanni-Bau GmbH“ (Anm.: Name wegen laufenden Verfahrens geändert). Dadurch werden Schulden über den Insolvenzfonds abgewickelt, während die Verantwortlichen mit neuem Namen weitermachen können – völlig legal. Der Fall zeigt, wie leicht sich Arbeitgeber im Insolvenzfall um ihre Verantwortung drücken können.
Typische Merkmale von Sozialbetrug
- Häufig werden Löhne, Überstunden sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht korrekt oder gleich gar nicht ausbezahlt.
- Beschäftigte werden oft nur geringfügig oder Teilzeit bei der Sozialversicherung angemeldet, arbeiten aber Vollzeit oder mehr. Teilweise wird das Geld dann in bar, also „schwarz“ oder über Scheinrechnungen ausbezahlt.
- Rückwirkende Abmeldungen von der Sozialversicherung, um Arbeitnehmer:innen um ihre Ansprüche zu bringen.
- Beschäftigte berichten immer wieder, dass sie während ihres Arbeitsverhältnisses ohne ihr Wissen auf einen anderen (Sub)Unternehmer umgemeldet wurden.
- Komplexe Unternehmensstrukturen bzw. lange Subunternehmerketten, die die Rechtsdurchsetzung erschweren
- Gezielte Insolvenzen, um Unternehmen zu entschulden und offene Löhne und Gehälter aus dem Insolvenzentgeltfonds zahlen zu lassen. Damit wird die unternehmerische Verantwortung auf die Allgemeinheit abgewälzt.
Unsere Forderungen
- Haftung des Erstauftraggebers für Löhne
- Haftung des Auftraggebers für Sozialversicherungsbeiträge
- Höhere Strafen bei Lohn- und Sozialdumping
- Mehr Kontrolle
- Mehr Schutz vor Scheinselbstständigkeit
- Duplum: Wenn Forderungen nicht fristgerecht bezahlt werden, soll der doppelte Betrag fällig werden.
- Kein Verfall von Ansprüchen während des laufenden Arbeitsverhältnisses
- „Cooling-Off-Phase“ bei zweifelhafter Geschäftstätigkeit
Kontakt
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Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien
Prinz Eugenstraße 20-22
1040 Wien
Telefon: +43 1 50165-0
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