Arbeitswege Klimafit: Weichenstellungen für die Ostregion
Österreich hat sich verpflichtet, bis 2040 klimaneutral zu werden. Der Verkehrssektor ist bei der Eindämmung des Klimawandels das größte Problem. Seine Emissionen haben seit 1990 um 75 % zugenommen, statt zu sinken.
Sowohl die auf EU-Ebene derzeit in Verhandlung befindlichen Strategien wie das „Fit for 55“-Paket als auch der im Juli 2021 seitens des BMK vorgestellte Mobilitätsmasterplan verdeutlichen, dass Veränderungen in der Gestaltung des Verkehrssystems auch Auswirkungen auf die Mobilität der Beschäftigten haben werden. Der unmittelbar im zeitlichen Umfeld der Veranstaltung aufflammende Konflikt in der Ukraine und die damit verbundenen steigenden Treibstoffpreise gaben der Thematik eine zusätzliche Brisanz.
Welche verkehrspolitischen Entscheidungen sind notwendig, damit mehr Pendler:innen eine echte Alternative zum Auto haben? Diesen und weiteren Fragen gingen die Sprecher:innen und Podiumsgäste der gemeinsamen Veranstaltung der Arbeiterkammern Wien, Niederösterreich und Burgenland unter der Moderation von Lydia Ninz am 28. März 2022 nach.
Neben den Studienautor:innen waren Gäste aus dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), dem Austrian Institute for Technology (AIT), dem Verkehrsverbund Ostregion (VOR) und dem Pendlerforum Burgenland am Podium. Etwa 120 Personen verfolgten das Event vor Ort und online über den Livestream.
Anliegen der Pendler:innen müssen berücksichtigt werden
Die Wichtigkeit des Themas und die gemeinsame Arbeit der drei Länderkammern spiegelte sich schon in der Besetzung des Eröffnungspodiums wider, bei dem alle drei Präsident:innen der Arbeiterkammern Wien, Niederösterreich und Burgenland die Herausforderungen und Chancen klimafreundlicher Arbeitswege aus Sicht der Arbeiterkammern vorstellten.
Präsidentin Renate Anderl verdeutlichte dabei, dass die Pendler:innen dringend Lösungen und Angebote brauchen, damit sie leistbar und klimafreundlich zu ihren Arbeitsplätzen kommen können. Sie sprach dabei vor allem auch die finanziellen Belastungen und die Notwendigkeit der Reformierung des Pendlerpauschale an.
Präsident Markus Wieser unterstrich die Forderung nach einem Maßnahmenpaket zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs, damit die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen auch ohne eigenes Auto gewährleistet werden kann.
Präsident Gerhard Michalitsch erklärte, dass für die Pendler:innen neben Pünktlichkeit und verlässlichen Anbindungen auch Komfort und bequemes Umsteigen wichtig sind und dass es vor allem Angebote für junge Menschen braucht, um sie für den Öffentlichen Verkehr (ÖV) zu begeistern.
Eröffnungsstatements der Präsident:innen, ab 12:45
Studien verdeutlichen dringenden Handlungsbedarf
In ihrer Präsentation der Studie „PendlerInnenströme in der Ostregion“ berichteten Andrea Weninger (Rosinak & Partner ZT GmbH) und Andreas Friedwagner (Verracon GmbH) über die Entwicklung der Pendlerzahlen in der Ostregion und wie das Bahnangebot 2030 aussehen müsste, um nicht nur das Bevölkerungswachstum, sondern auch einen ÖV Anteil von 45 % zu stemmen.
Es zeigt sich, dass 80 % der 1,3 Millionen Mitglieder der Arbeiterkammern der Ostregion für ihren Arbeitsweg ihre Wohngemeinde bzw. bei den Wiener:innen ihren Wohnbezirk verlassen müssen, um an ihren Arbeitsplatz zu kommen. Damit sind derzeit etwa eine Million Mitglieder auf leistbare und klimaneutrale Angebote angewiesen, aktuell sind jedoch immer noch rund 70 % mit dem Pkw und nur 30 % mit dem ÖV unterwegs.
Hinsichtlich der Frage nach dem notwendigen Bahnangebot für die Wiener Einpendler:innen zeigt die Studie dass 2030 davon auszugehen ist, dass von elf Stadtgrenzen überschreitenden Korridoren nach Wien, vier überlastet sein werden. Zwar gaben die Studienautoren bei ihrem Vortag an, dass viele der in der Studie geforderten Projekte zwischenzeitlich in die Ausbauprogramme der ÖBB aufgenommen worden seien, dass sich aber vor allem an den Nadelöhren der Stammstrecke und der Donauquerung Stadlau-Simmering bislang keine zufriedenstellenden Lösungen abzeichnen würden.
Im Rahmen der Präsentation gab Andreas Friedwagner auch zu bedenken, dass sich die Stadt Wien mit dem Klimafahrplan ja dazu verpflichtet habe, den Pkw-Anteil beim Stadtgrenzen überschreitenden Verkehr von 80 % auf 40 % zu halbieren. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass sich der ÖV Anteil von 20 % auf 60 % verdreifachen müsste. Anhand der vorliegenden ÖV-Projekte sei aber sehr schwer vorstellbar, wie dies gelingen könne. Ein wichtiges Handlungsfeld, um die vorhandene Infrastruktur besser zu nutzen sei jedenfalls auch die Entzerrung der Spitzenzeiten.
Klimafitter öffentlichen Verkehr in Niederösterreich
Tadej Brezina (TU Wien) stellte die Studie „ÖV Klimafit: Handlungsfelder für einen klimafitten öffentlichen Verkehr in Niederösterreich“ vor. In dieser wurde das Angebot des öffentlichen Verkehrs aus Sicht der Wohn- und Arbeitsorte basierend auf den ÖV-Güteklassen untersucht. Als grundlegendes Ergebnis zeigt sich, dass in Niederösterreich mehr als ein Drittel der Beschäftigten keinen oder nur Zugang zu einem Angebot mit dem geringsten Versorgungsgrad an ÖV haben. Letzterer umfasst Haltestellen an denen etwa alle zwei bis dreieinhalb Stunden ein Bus oder ein Zug fährt. Auch 25 % der Arbeitsstätten sind ebenfalls nicht oder unzureichend mit dem ÖV erreichbar.
Die Studie beziffert das zusätzlich notwendige Investitionsvolumen für den Ausbau der notwendigen Infrastruktur in einer ersten Ausbaustufe mit etwa 9,5 Milliarden Euro. Die Versorgung mit bedarfsorientierten Angeboten für die Bereiche außerhalb der Güteklassen – etwa 90.000 Arbeitnehmer:innen – beziffert die Studie mit rund 98 Millionen Euro jährlich. Tadej Brezina betonte in seinem Vortrag, dass zusätzlich zu den Maßnahmen in der Studie endlich auch der Fuß- und Radverkehr als ÖV-Zubringer gestärkt werden müsse. Er wies auch darauf hin, dass rund ein Fünftel der ArbeitnehmerInnen Gemeinde-Binnenpendler:innen sind. Auch diese würden von attraktiveren Rahmenbedingungen für das zu Fuß gehen und Radfahren profitieren. Auch eine stärkere Ausrichtung der Siedlungsentwicklung an ÖV-Haltestellen ist laut dem Studienautor notwendig.
Lösungsansätze aus Politik und Forschung
Hans-Jürgen Salmhofer, Leiter der Abteilung Mobilitätswende im BMK, stellte in seiner Präsentation die Überlegungen und Zielsetzungen des Mobilitätsmasterplans 2030 (MMP2030) vor. Demnach sei das Null-Emissions-Ziel bis 2040 für das BMK nicht verhandelbar. Daher wurde im MMP2030 ein mögliches Verkehrsszenario 2030 nicht anhand von Prognosen entworfen, sondern dieses auf Basis eines sogenannten Backcasting Ansatzes entwickelt.
Dabei wurde versucht, ein aus Sicht des BMK, möglichst realistisches Szenario zu erarbeiten, wie die Klimaziele im Verkehr mit den vorhandenen Technologien und Ressourcen erreicht werden können. So sollen etwa drei Millionen Tonnen CO2 durch verändertes Mobilitätsverhalten eingespart werden. Dazu hält Hans-Jürgen Salmhofer fest, dass dies eine knappe Verdoppelung des ÖV bedeuten würde. Die Pkw-Verkehrsleistung solle auf das Niveau der 1990er Jahre zurückgehen – in Summe können die Personenkilometer in etwa gleichbleiben.
Hans-Jürgen Salmhofer betonte auch in den Diskussionen, dass es aus Sicht des BMK nicht möglich sei, das derzeit überwiegend fossil abgewickelte Verkehrssystem eins zu eins auf erneuerbare Energien umzustellen. Zum einen sei es nicht möglich, bis 2030 die erforderliche Menge an erneuerbarer Energie zur Verfügung zu haben zum anderen nicht zu annehmbaren Preisen.
Alexandra Millonig (AIT) präsentierte Forschungserkenntnisse zu den Rahmenbedingungen für Veränderungen im Mobilitätsverhalten. Sie verwies darauf, dass die im MMP2030 genannten Eckpfeiler von vermeiden, verlagern und verbessern bereits seit 1991 auf der verkehrspolitischen Agenda stünden und bislang nicht einmal annähernd umgesetzt worden seien. Als Beleg führt sie an, dass die Verkehrsmenge in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen sei und auch die Verlagerung nicht in Richtung Umweltverbund stattgefunden habe.
Darüber hinaus legte sie Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt mobalance vor, bei dem auf Basis von Daten des Umweltbundesamtes die Umsetzung der Klimaziele auf Tageswegdistanzen für einzelne Personen und Verkehrsträger heruntergebrochen worden waren. Es zeige sich, dass mit dem E-Pkw im besten Fall Tagesdistanzen von drei und mit der Bahn von elf Kilometer möglich sein würden. Dem stünden die aktuellen Distanzen von etwa 35 Kilometern am Tag entgegen. Das verdeutliche, so Millonig, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten ein Mobilitätssystem geschaffen haben, das es schwer möglich machen wird, die Klimaziele im Verkehr zu erreichen. Als Hauptgründe nannte sie die durch Zersiedelung einhergehenden großen Distanzen zu Zielen des täglichen Lebens wie Arbeit, Einkauf, Bildung etc.
Betriebliches Mobilitätsmanagement umsetzen
An der Abschlussdiskussion nahmen Hans-Jürgen Salmhofer, Wolfgang Schroll (Geschäftsführer des VOR), Alexandra Halper-Antal (Obmann Stellvertreterin Pendlerforum Burgenland) und Sylvia Leodolter (Abteilungsleiterin Abteilung Umwelt und Verkehr) teil. Dabei wurden einige der im Tagesverlauf auftauchenden offenen Punkte beleuchtet. Insbesondere wurde die Einbindung der Arbeitnehmer:innen-Interessen bei den im Rahmen des MMP2030 folgenden Umsetzungsschritten, wie etwa dem Zielnetz 2040 oder auch zukünftigen Verkehrsbestellungen, diskutiert.
Alexandra Halper-Antal, gab aus ihren Erfahrungen einige Schlaglichter auf die sich rasant ändernden Rahmenbedingungen für die Pendler:innen: beginnend bei durch Covid verursachten Ängsten den ÖV zu nutzen, über vermehrte Kurzarbeit bis hin zur Zunahme der Arbeit im Homeoffice. Auch berichtete sie von langen Arbeitswegen vor allem der Burgenland Pendler:innen und Schwierigkeiten am Arbeitsweg durch die Wiener Parkraumbewirtschaftung sowie den von einem Tag auf den anderen steigenden Treibstoffpreisen.
Wolfgang Schroll gab an, dass die Einführung des Klimatickets die Menschen dazu animiert habe, den ÖV auch für mehr Fahrten in der Freizeit zu nutzen. Er gab aber auch zu bedenken, dass in Folge dessen die Kostendeckung im ÖV empfindlich von rund 25 % auf 15 % sinke. Weiters gehe damit einher, dass damit der Wert von Mobilität, auch im ÖV, bei den Nutzer:innen verloren ginge.
Sylvia Leodolter forderte in ihrem Statement, dass mittelfristig alle Betriebe ab 50 Mitarbeiter:innen ein verpflichtendes Mobilitätsmanagement umsetzen müssen. Gerade wenn es um die Rahmenbedingungen geht, müssen auch die Arbeitgeber:innen ihre Verantwortung übernehmen. Die Parkraumbewirtschaftung hat sehr gut aufgezeigt, dass bislang die Frage der Bewältigung des Arbeitsweges individuell den Arbeitnehmer:innen überlassen worden ist. Die Betriebe entscheiden ja schon alleine aufgrund ihrer Standortwahl über ihre Erreichbarkeit. Notwendig ist aus Sicht der AK daher unter anderem die vermehrte Einführung von Werksbussen, die Ermöglichung von Fahrgemeinschaften und vernünftige Homeoffice Regelungen.
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