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Das Rettungswesen in Österreich steht nicht nur wegen der demographischen Entwicklung vor großen Herausforderungen. Die längere Lebenserwartung unserer Bevölkerung geht mit vielen komplexen Krankheitsbildern einher, die Inanspruchnahme des Rettungsdienstes verändert sich. Die Einsätze werden immer mehr und herausfordernder. Gleichzeitig wird es immer schwieriger, geeignete Mitarbeiter:innen für den Rettungsdienst zu gewinnen. Fehlende Daten erschweren die Personal- und Versorgungsplanung und damit auch eine transparente Finanzierung und Qualitätssicherung.
„Eine Reform des Rettungsdienstes ist dringend notwendig“, sagt Silvia Rosoli, AK Abteilungsleiterin Gesundheitsberuferecht und Pflegepolitik. „Die Zeit drängt, denn im Gesundheitssystem brennt es an allen Ecken und Enden, und Sanitäter:innen nehmen eine Schlüsselposition in der Gesundheitsversorgung ein!“
Clemens Kaltenberger, Vizepräsident des Bundesverband Rettungsdienst: „Abhilfe kann eine längst überfällige Novelle des Sanitätergesetzes schaffen, die insbesondere die Ausbildung neu regelt und auf europäisches Niveau hebt.“ Das steigert nicht nur die Attraktivität des Berufs, sondern entlastet auch die Spitalsambulanzen und Krankenhäuser.
Überprüfbare Zahlen zur Personalsituation im Rettungswesen existieren in Österreich nicht, da Sanitäter:innen nicht im Gesundheitsberuferegister erfasst werden. Der Bundesverband Rettungsdienst (BVRD) hat anhand der begrenzten Datenlage ursprünglich eine Einschätzung vorgenommen, die von der Gesundheit Österreich in ihrem Evaluierungsbericht mit rund 48.000 Sanitäter:innen bestätigt wurde.
Mit dem derzeitigen Ausbildungsvolumen von knapp 10.000 Personen pro Jahr wird zumindest alle 4-5 Jahre das gesamte Personal ausgetauscht. Nur ca. 15 % der Sanitäter:innen arbeiten hauptamtlich, das Gros ist freiwillig tätig, ergänzt durch etwa 4.000 Zivildiener jährlich. Die Verbleibdauer aller Sanitäter:innen wird tendenziell immer kürzer, das Engagement ist anfangs sehr intensiv, lässt aber sehr rasch auch wieder nach (FAST-in-FAST-out-Mentalität). Daten aus Tirol zeigen allerdings: Je höher die Ausbildung, desto länger die Verweildauer. Größte Rekrutierungsquelle ist derzeit der Zivildienst. Doch auch die Zahl der Zivildienstleistenden nimmt ab. Dazu kommt die Pensionierungswelle der geburtenstarken Jahrgänge, die natürlich auch vor dem Rettungsdienst nicht Halt macht.
Die Ausbildungsdauer von Sanitäter:innen in Österreich entspricht weder dem europäischen noch dem internationalem Niveau. Die höchste Ausbildungsstufe der Notfallsanitäter:innen mit der Notfallkompetenz Beatmung und Intubation (NFS-NKI) umfasst insgesamt lediglich 1.640 Gesamtstunden (ca. 65 ECTS, rund 1 Jahr) und betrifft laut GÖG Evaluierung lediglich 1,5% aller Sanitäter:innen. Die größte Gruppe der Rettungssanitäter:innen verfügt über lediglich 260 Stunden Ausbildungszeit (ca. 10 ECTS) - das ist die kürzeste Ausbildungsdauer und damit die niedrigste Einstiegsqualifikation unter allen gesetzlich geregelten Gesundheitsberufen.
Mit dieser Qualifikation werden über weite Teile Österreichs Sanitäter:innen auch alleine zur Versorgung von Notfallpatient:innen eingesetzt, die lebensbedrohlich erkrankt sind. Die kurze Ausbildungsdauer verhindert auch die Durchlässigkeit in andere Gesundheits- und Sozialberufe und die Berufsanerkennung in anderen EU-Mitgliedstaaten. Sanitäter:in ist demnach ein „Sackgassenberuf“. Viele ausgebildeten Sanitäter:innen gehen daher der Gesundheitsbranche mangels beruflicher Weiterentwicklungsmöglichkeiten verloren.
„Das derzeitige Bild des Rettungsdienstes in der Öffentlichkeit ist verzerrt, denn Lebensrettung und spektakuläre Einsätze sind im Gegensatz zu niedrig priorisierten Einsätzen weit weniger häufig“, sagt Florian Zahorka von der ostschweizer Fachhochschule und betont: „Ältere Menschen stehen heute im Fokus rettungsdienstlicher Einsätze“. Diese Einsätze führen in den allermeisten Fällen zur Hospitalisierung und damit einer Überlastung der Krankenhäuser, insbesondere der Notfallambulanzen. Aber nicht jeder Einsatz müsste zwingend in einem Spital enden. Vor allem eine gute Versorgung im mobilen und stationären Langzeitpflegeberich könnte viele Einsätze verhindern helfen.
Unerwünschten Folgen dieser Überlastung: weniger Zeit für Patient:innen, weniger Zeit für Hygiene & Aufbereitung der Rettungswägen, weniger Zeit für Training, Dokumentation bzw. die Deckung von Grundbedürfnissen.
Vor diesem Hintergrund hat die Arbeiterkammer Wien das Institut für Modellbildung und Simulation der Ostschweizer Fachhochschule mit einer Personalbedarfsermittlung für besser qualifizierte Sanitäter:innen beauftragt.
Anhand von Einsatzdaten (2 Bezirke in Tirol, 160.000 Einwohner, 30.000 Einsätze) sowie einer mehrjährig erprobten Simulationssoftware lassen sich konkrete Prognosen zum Anforderungsbedarf von Sanitäter:innen erstellen.
Von 2017 – 2023 stiegen die Einsätze um fast 21%. Damit übertreffen sie sowohl das Bevölkerungswachstum als auch die durch die demographische Verschiebung erwartete Steigerung von 1,9 % deutlich. Im internationalen Vergleich ist das Einsatzaufkommen dabei bereits ohnehin sehr hoch und liegt etwa beim 2 ½-fachen über dem von Bayern bzw. Baden-Württemberg.
Der rettungsdienstliche Alltag ist geprägt von Einsätzen mit niedriger Dringlichkeit und führt in knapp der Hälfte aller Fälle zu Patient:innen, die 65 oder älter sind. Lebensrettungen, schwere Verkehrsunfälle oder Reanimationen stellt die klare Ausnahme dar: Rund 25% aller Einsätze werden von sogenannten Mehrfachnutzer:innen ausgelöst – also Patient:innen die im Zeitraum eines Jahres drei Mal und öfter den Rettungsdienst pro Jahr kontaktieren. Bis zu 75 Einsätze/Jahr/Person ist hierbei das Maximum. 5% der Einsätze gelten sogar als Wiederholungseinsätze, sie gehen also zu Patient:innen, die innerhalb der letzten 7 Tage bereits einmal einen Rettungsdienst vor Ort hatten.
Dabei führt die Zunahme der Einsätze insgesamt dazu, dass das Versprechen des Rettungsdienstes, bei einem Notfall in maximal 15 Minuten vor Ort zu sein, in immer weniger Fällen eingehalten werden kann. Die Ergebnisse der Simulation zeigen dabei, dass bei gleichem Ressourceneinsatz bis 2030 nur mehr in 7 von 10 Fällen das Versprechen „im Notfall in 15 Minuten vor Ort“ eingehalten werden kann. Selbst eine deutliche Aufstockung durch zusätzliche Rettungsmittel (+35%) führt lediglich zu einer Abschwächung dieses Trends im Modell.
Eine Antwort auf diese Herausforderungen ist ein neues modulares Ausbildungssystem, das entsprechend auf die Bedürfnisse einer gut funktionierenden präklinischen Versorgung der Bevölkerung reagieren kann. Die Initiative Zukunft Rettungsdienst, ein Zusammenschluss des Berufsverbands Rettungsdienst (BVRD), der Gewerkschaften, der Arbeiterkammer und Expert:innenorganisationen wie der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) und der Österreichischen Gesellschaft für Ethik und Recht in der Notfall- und Katastrophenmedizin (ÖGERN) hat daher einen Vorschlag erarbeitet, wie die Ausbildung der Sanitäter:innen zukünftig ausgestaltet sein muss, um den drohenden Kollaps der präklinischen Versorgung zu vermeiden und eine Schlüsselposition im Gesundheitssystem einzunehmen:
Dieses dreistufige modulare Ausbildungssystem orientiert sich an der Pflegeausbildung und gewährleistet die Durchlässigkeit in andere Gesundheitsberufe und entlastet unser Notarztsystem und vor allem die Krankenhäuser und Langzeitpflege.
Es ist davon auszugehen, dass künftig trotz der bereits hohen Anzahl an Sanitäter:innen in Österreich der Bedarf deutlich steigen wird. Da Einsätze vor allem tagsüber stattfinden, steigt der Bedarf an beruflichem Personal, ebenso sinkt die Attraktivität für Freiwillige, wenn die Einsatzzahlen in der Nacht zunehmen und am nächsten Tag der Arbeit nicht mehr nachgegangen werden kann.
In einem österreichweit flächendeckenden Modell sind zumindest 4.000 Diplomierte Notfallsanitäter:innen nötig. Nach erfolgter Novellierung des Sanitätergesetzes könnten ab 2027 bereits die ersten Studiengänge auf Fachhochschulen, die bereits Studiengänge der Gesundheits- und Krankenpflege anbieten, erfolgen. Das kann österreichweit mit geringem finanziellem Aufwand in 9 Bundesländern mit jeweils 55 Studierenden begonnen werden und kostet rund 17 Mio. € / Jahr im Endausbau. Dieser Finanzierungsbedarf entspricht in etwa 2% der momentanen Ausgaben für den Rettungsdienst.
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