Lehrerin hilft Schülerin
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11.10.2021

Wie Schüler:innen und Eltern Deutschförderklassen erleben

Seit mehr als drei Jahren werden Schüler:innen mit „ungenügenden” Deutschkenntnissen an Österreichs Pflichtschulen in Deutschförderklassen getrennt von ihrer Regelklasse unterrichtet. Bislang gibt es nur wenige gesicherte Befunde über die Wirksamkeit – vor allem die Erfahrungen der Betroffenen selbst, d.h. von Schüler:innen und ihren Eltern, fanden bis jetzt kaum Gehör. Sie standen daher am 7. Oktober 2021 im Zentrum einer Diskussionsveranstaltung im Bildungszentrum der Arbeiterkammer Wien.   


Erfahrungen aus drei Jahren Deutschförderklassen

Eröffnet wurde der Nachmittag von Oliver Gruber, bildungspolitischer Referent in der AK Wien, mit einem Rückblick auf die bisherige Entwicklung der Deutschförderklassen sowie auf Erfahrungsberichte bisheriger Veranstaltungen (Deutschförderklassen: Erfahrungen & Perspektiven / Deutsch wirksam fördern). Die dort artikulierten Schwierigkeiten bei der Durchführung dieses Modells hätten die Basis für die Entwicklung eines integrativeren Fördermodells gebildet – dem AK-Sprachschlüssel: dieser sehe ausgebaute sprachlicher Frühförderung im Kindergarten, kontinuierlichere, mehrjährige Förderung sowie ein engeres Betreuungsverhältnis zwischen Pädagog:in und Kindern vor ohne Kinder weitreichend vom Regelunterricht zu trennen (Präsentation). 

Im Anschluss daran präsentierten die beiden Germanist:innen Hannes Schweiger & Beatrice Müller Studienergebnisse aus qualitativen Elterninterviews zu Deutschförderklassen an der Volksschule Deckergasse in Wien. Betroffene Eltern würden das Fehlen von Sprachvorbildern für das Deutsche und Peer-Momente des sprachlichen Lernens in den Deutschförderklassen beklagen. Zwar begrüßten Eltern mehrheitlich das Angebot einer spezifischen Deutschförderung, wünschten sich jedoch eine stärkere Einbindung ihrer Kinder in den Regelunterricht – die Erfahrung getrennter Klassen habe bisweilen sogar negative Auswirkungen auf die Beziehung des Kindes zur deutschen Sprache. Eltern würden die getrennten Klassen selbst als Ausgrenzung erleben und auch einen Schullaufbahnverlust ihrer Kinder aufgrund fehlender fachlicher Förderung befürchten. 

Ähnliches zeigten die abschließend präsentierten Elternstimmen aus einer Master-Arbeit von Hümeyra Kestane und Verena Al-Khazraji am Germanistik-Institut der Universität Wien: Eltern schildern darin, dass die Nachvollziehbarkeit der Zuweisung zu Deutschförderklassen für Eltern zu wenig transparent ist, sie zu wenig Information bekämen und nicht eingebunden würden. Sie fühlten sich unter Druck, jedoch nur bei Eltern mit hohem Hintergrundwissen führe dies zu elterlichem Widerstand, etwa durch einen Schulwechsel oder einen Anruf der Schulbehörde (Präsentation).

Diskussionen zeigen Handlungsbedarf & Verbesserungsmöglichkeiten

In fünf Diskussionsforen tauschten sich die Teilnehmer:innen über Erfahrungen aus schulischen und außerschulischen Perspektiven aus. Darin wiederkehrende Motive: Gerade Eltern von Deutschförderklassen-Schüler:innen seien eine besonders „stimmlose Gruppe“ und auf außerschulische Angebote angewiesen, um fehlende Information und Förderung zu kompensieren. Mehrsprachigkeit als didaktischer Vorteil gehe derzeit verloren und werde eher als Hemmnis behandelt. Stattdessen plädierten die Teilnehmer:innen für stärkere Durchmischung auf Ebene der Schüler:innen und der Eltern, für stärkere Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen, sowie für eine intensivere Einbindung der Erstsprachen der Betroffenen (hier die gebündelten Ergebnisse der Diskussionsforen). 

Diese Erfahrungen bildeten schließlich den Input für eine Podiumsdiskussion mit Bildungsexpert:innen aus vier unterschiedlichen Arbeitsfeldern: 

Die Bildungspsychologin und Leiterin einer Evaluierungsstudie zu den Deutschförderklassen, Univ-Prof. Christiane Spiel unterstrich, dass die von ihr derzeit geleitete Evaluierung aus wissenschaftlicher Perspektive versuche, evidenzbasierte Aussagen dafür zu liefern, wie die bestehende Deutschförderung weiterzuentwickeln wäre. Wenn man für Chancengerechtigkeit durch Bildung eintrete, so müssten aber bereits Elementarpädagogik und Ganztagsschulen flächendeckend bzw. mit hoher Qualität ausgebaut werden, um die sozialen Unterschiede der Elternhäuser auszugleichen – denn Investitionen in Bildung seien immer auch Investitionen in viele andere Politikfelder zugleich. 

Bildungsombudsfrau, Ines Garnitschnig, berichtete von den Schilderungen der Ausschlussgefühle jener Eltern, die sich an die Kinder- und Jugendanwaltschaft wenden. Die Ombudsstelle sei bestrebt, den betroffenen Eltern und SchülerInnen Scham zu nehmen und Handlungsfähigkeit wiederzugeben. Denn aus kinderrechtlicher Sicht müssen auch Migrationssprachen eine aktive Rolle als Medium des Lernens und Lust zur individuellen Sprachaneignung gegeben werden, statt einsprachiger Förderung, die primär am Korrigieren von Fehlern orientiert ist. 

Diese Negativorientierung kritisierte auch der Vorsitzende des Wiener Landeselternverbandes, Karl Dwulit. Er erlebe in seiner Arbeit, dass Eltern wie Kinder stets aufs Defizit reduziert würden, während ihre sonstigen mitgebrachten Kompetenzen ausgeblendet bleiben. Stattdessen plädierte Dwulit für ein Bildungsverständnis, dass das Gemeinsame sucht, die vorhanden Stärken der Kinder stärkt und nicht ständig belehrt. Evidenz dafür sei bereits ausreichend vorhanden, vielmehr erwarte er sich endlich politisches Handeln – denn es gehe um konkrete Kinder und Jugendliche, denen einfach die Zeit davonlaufe. 

Wie stark auch außerschulische Lernanbieter damit konfrontiert sind, erläuterte Martina Polleres-Hyll, Leiterin der Lerncafés der Caritas Wien. Sie berichtete von verängstigten und wütenden Eltern, die zu wenig Information bzw. einen diskriminierenden Umgang beklagen. Der Bedarf an Lerncafé-Plätzen übersteige die verfügbaren Plätze bei weitem, was den akuten Handlungsdruck verdeutliche: Langfristig müsse das Bildungssystem insgesamt so reformiert werden, dass es auch Kinder ohne elterliche Unterstützungsmöglichkeiten auf einen erfolgreichen Bildungsweg mitnehmen kann; kurzfristig wären aber schon mehr Ressourcen, mehr (ausgebildetes) Personal für kleinere Gruppen sowie mehr Förderkontinuität wichtige erste Schritte.  

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