
Lieferketten: Audits und Zertifizierungen auf dem Prüfstand
Wie müssten Audits und Zertifizierungen ausgestaltet werden, um die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltschutzstandards in globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten effektiv und effizient unterstützen zu können? Dieser Frage widmete sich das Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte (LBI-GMR) in seiner unabhängigen wissenschaftlichen Studie zu „Audits und Zertifizierungen in Liefer-/Wertschöpfungsketten“.
Die Ergebnisse dieser in Kooperation mit der Kammer für Arbeiter und Angestellte (AK) Wien und dem Institut für Nachhaltigkeit, Unternehmensrecht und Reporting (INUR) der Universität zu Köln entstandenen Forschungsarbeit wurden am Freitag, 28. Februar 2025, in Wien vorgestellt.
Den Ausgangspunkt der Studie bildet die sogenannte „Lieferkettenrichtlinie“ der Europäischen Union, die seit Juli 2024 in Kraft ist. Diese verpflichtet große Unternehmen dazu, negative Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Menschenrechte und die Umwelt in ihren globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten zu minimieren, zu beseitigen und zu verhindern. Dabei können Unternehmen auch auf Unterstützungsmaßnahmen, wie etwa Audits und Zertifizierungen als Form der sogenannten „Überprüfung durch unabhängige Dritte“, zurückgreifen.
Die Studie untersuchte zwischen November 2023 und Jänner 2025, wie Nachweise und Prüfverfahren ausgestaltet werden müssten, um die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltschutzstandards in globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten effektiv und effizient unterstützen zu können.
Klarer Regelungsrahmen statt „Fairwashing“
Wie wirksam sind diese Maßnahmen? Handelt es sich bei Audits und Zertifizierungen in Liefer-/Wertschöpfungsketten um „Greenwashing“ bzw. „Fairwashing“, oder doch um wirksame Unterstützung bei der Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz durch Unternehmen?
„Unter bestimmten Voraussetzungen können Audits und Zertifizierungen einen positiven Beitrag zur Einhaltung dieser Pflichten leisten und zudem helfen, das aktuell betonte Ziel, die Erfüllung der rechtlichen Erwartungen für Unternehmen zu vereinfachen, zu erreichen“, so Michael Lysander Fremuth, wissenschaftlicher Direktor des LBI-GMR und Professor für Grund- und Menschenrechte an der Universität Wien.
„Gewährleistet soll unter anderem sein, dass diverse Interessenträger, darunter lokale NGOs, Gewerkschaften, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen vor Ort sowie Umweltschutzorganisationen, an Auditprozessen beteiligt werden, um ein möglichst umfassendes Bild abzubilden“, präzisiert er.
„Wichtig ist auch ein funktionierendes Haftungsregime für Auditierende und Zertifizierende, um die Qualität von Audit- und Zertifizierungsverfahren zu sichern“, so Camilla Sophia Haake, PostDoc am LBI-GMR. Dies sei erforderlich, um qualitativ minderwertigen, falschen oder unvollständigen Audits und Zertifizierungen vorzubeugen und den Schutz von Menschenrechten und Umwelt sicherzustellen.
Die Wissenschaftler:innen empfehlen daher einen klaren und idealerweise hoheitlichen – das heißt EU-rechtlichen oder staatlichen – Überwachungs‑ und Regelungsrahmen für Audit- und Zertifizierungsprozesse.
Valentin Wedl, Leiter der Abteilung „EU und Internationales“ der AK Wien kritisiert das Aushöhlen des Lieferkettengesetzes, das laut EU-Kommission verschoben und nur mehr für direkte Zulieferer gelten soll, statt für die gesamte Lieferkette.
Die ursprünglich vorgesehene Möglichkeit für Geschädigte, Schadenersatz einzufordern, wurde wieder gestrichen: „Unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung sollen Unternehmen auch künftig keiner Verantwortung unterliegen, wenn sie von Zwangs- und Kinderarbeit in ihrer Lieferkette wissen und nichts dagegen unternehmen. Das Lieferkettengesetz muss um- statt ausgesetzt werden. Die Studie stellt einen wichtigen Beitrag zu einer notwendigen Versachlichung der Debatte rund um die Lieferkettenrichtlinie dar.“
Am 28.2.2025 wurden die Studienergebnisse in Wien von Camilla Sophia Haake und Stephen Rabenlehner präsentiert. Auf dem Podium diskutierten außerdem LBI-GMR-Direktor Michael Lysander Fremuth, Felix Mayr als Vertreter der Abteilung „EU und Internationales“ der AK Wien sowie Anna Mago von Fairtrade. Moderiert wurde das Panel von Judith Fritz vom Programm FAKTory und von der Stabsstelle „Jugend und Beteiligung“ der AK Wien.