Holzstempel auf Dokument: arbeitslos
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25.10.2024

Tagung: Auskommen mit dem Einkommen während der Arbeitslosigkeit

Studienpräsentationen und Podiumsdiskussion

Mehr als die Hälfte der von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen (54 %) können während der Arbeitslosigkeit nicht von den Leistungen der Arbeitslosenversicherung  –  also ihrem Einkommen in dieser Zeit – leben, für weitere 38 Prozent reicht es gerade noch aus. Sie müssen ihre Ausgaben für Lebensmittel und Heizen reduzieren und kommen bei Mietzahlungen in Verzug. Das sind zentrale Ergebnisse zwei neuer AK-Studien. 

Mehr als 350.000 Menschen ohne Arbeit

Dieser Befund ist besonders besorgniserregend, weil die Arbeitslosigkeit seit 1,5 Jahren kontinuierlich steigt, Ende September waren mehr als 350.000 Menschen arbeitslos beim AMS  gemeldet oder in einer Schulung des AMS. Das sind um fast 10 Prozent mehr als vor einem Jahr. Betrachtet man alle Personen, die in einem Jahr zumindest einen Tag beim AMS arbeitslos gemeldet sind, so sind das fast 900.000 Personen.

„Man kommt sich vor wie ein Schmarotzer“

Weil in der öffentlichen Debatte immer noch Vorurteile vorherrschen, die weit entfernt von der Lebensrealität arbeitsloser Menschen sind, hat die AK Wien zwei Studien beauftragt, die untersucht haben, wie es Betroffenen geht. Bei der Tagung „Auskommen mit dem Einkommen während der Arbeitslosigkeit“ am 21.10.2024 wurden die beiden Studien, eine qualitative und eine quantitative Erhebung, präsentiert. Im Anschluss wurden die Ergebnisse mit Vertreter:innen der Nationalratsparteien diskutiert.

Auskommen mit dem Einkommen vor und während der Arbeitslosigkeit

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Arbeitslosigkeit macht arm, krank und einsam

40 qualitative Interviews mit arbeitsuchenden Menschen in Wien zeigen:

  • Ob Betroffene gerade noch oder gar nicht mehr über die Runden kommen, hängt stark vom persönlichen Kontext wie dem vorangegangenen Arbeitsplatz und der Branche, Betreuungspflichten, gesundheitlichen Einschränkungen oder dem Vorhandensein familiärer bzw. externer Unterstützung ab.
  • Auch Menschen mit Lehr- und Universitätsabschlüssen berichten davon, bei Lebensmitteln einsparen zu müssen, Gesundheitskosten nicht mehr stemmen zu können und bei Mietzahlungen in Verzug zu kommen.
  • Arbeitsuchende Menschen machen sich selbst hohen Druck und isolieren sich aus Scham von ihrem sozialen Umfeld.
  • Die Verantwortung an Arbeitslosigkeit wird stark individualisiert - Ursache für die Arbeitslosigkeit ist jedoch oft der Konjunkturrückgang und strukturelle Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt.

Die quantitative Befragung von knapp 500 arbeitslosen AK-Wien Mitgliedern ergibt:

  • 54 % kommen mit dem Einkommen während der Arbeitslosigkeit nicht aus
  • Die Teuerung trifft arbeitslose Personen besonders: Fast alle Ergebnisse haben sich im Vergleich zu einer Vorstudie aus dem Jahr 2014 verschlechtert und die Teuerung ist für 90% der Befragten ein sehr großes bzw. gewisses Problem.
  • 62 % geben eine allgemeine Verschlechterung ihrer Lebenssituation an
  • 45 % sehen ihre berufliche Chancen beeinträchtigt
  • 36 % sehen negative Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf ihre Kinder
  • Mehr als die Hälfte der Befragten (52%) haben nicht mit der Arbeitslosigkeit gerechnet
  • Die Zahl der Befragten, die sich optimistisch zeigen, dass sich ihre finanzielle Lage in den nächsten 6 Monaten verbessern wird, ist von 2014 auf 2024 von 26 % auf 14 % gesunken.

Welche Antworten haben Grüne, NEOS, SPÖ und ÖVP?

Im Anschluss an die Studienpräsentationen wurden die Ergebnisse mit Vertreter:innen von den Grünen (Viktoria Spielmann), NEOS (Markus Hofer), SPÖ (Barbara Teiber) und ÖVP (Christoph Zarits) diskutiert. Die FPÖ hatte nicht auf die Einladung zur Podiumsdiskussion reagiert. Einigkeit herrschte beim Verständnis für die schwierige Lage von arbeitslosen Menschen und ihrer prekären finanziellen Situation. Für alle Diskutant:innen war klar, dass die Politik eine Verbesserung für Betroffene herbeiführen muss. Einig war man sich auch über den notwendigen Fokus auf eine rasche und vor allem gute Arbeitsmarktintegration.

Unterschiede gab es bei den dafür notwendigen Maßnahmen. Die Grünen machten sich für die Unterstützung von arbeitsuchenden Menschen mit gesundheitlichen Problemen stark. NEOS betonten die Notwendigkeit von Qualifizierung. Die ÖVP betonte den Erfolg der Aktion 20.000, kritisierte aber die fehlende langfristige Perspektive. Die SPÖ machte sich insbesondere für eine bessere budgetäre Ausstattung des AMS stark, damit arbeitsuchende Menschen gut beraten werden können. Streitpunkt war das Modell eines degressiven Arbeitslosengeldes und der Umstand, dass am aktuellen Arbeitsmarkt kein Platz für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen ist.

Arbeitslosenversicherung, die vor Armut schützt

Die Befunde der Studien zeichnen ein drastisches Bild und sind ein klarer Arbeitsauftrag an die Politik. Klar ist auch: Das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungsleistung, für die die Bezieher:innen Beiträge gezahlt haben, und keine Almosen. Eine neue Bundesregierung muss folgende Schritte umsetzen:

  • Erhöhung des Arbeitslosengeld von 55% auf 70 % Netto-Ersatzrate
  • Deutliche Erhöhung des Familienzuschlages, der seit 2001 nur 97 Cent täglich pro Kind beträgt
  • Leistungen der Arbeitslosenversicherung müssen an die Inflation angepasst werden
  • Statt erhöhtem Sanktionsdruck den Einkommensschutz, Beratung und Vermittlung beim AMS verbessern
  • Es braucht ein Recht auf Qualifizierung und eine entsprechende Beratung des AMS
  • Dazu braucht das AMS ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen und das auch längerfristig 

Die Arbeitsmarktlage ist besorgniserregend, die Situation der von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen ist oft schnell prekär. Wir brauchen daher rasch Verbesserungen in der Arbeitslosenversicherung und mehr Mittel für gute Beratung, Vermittlung und Qualifizierungen im AMS. Nur so können die Herausforderungen – wie die adäquate Arbeitsmarktintegration zugewanderter Menschen oder die Ausbildung von ausreichend Fachkräften für den sozialen und ökologischen Umbau – auf dem Arbeitsmarkt gelöst werden.