18.08.2022

Wer zahlt für die Hygiene Austria?

Lenzing macht Gewinn, für die Hygiene Austria springt der Insolvenzentgeltfonds ein

„Die Hygiene Austria ist das Paradebeispiel dafür, wie das Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz als Wall gegen Ausbeutung untergraben wird“, sagt Ludwig Dvořak, Leiter des Bereichs Arbeitsrechtliche Beratung und Rechtsschutz in der AK Wien. „Das Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz wirkt zwar, aber: Bezahlt wird allzu oft nicht vom Auftraggeber, sondern vom Insolvenzentgeltfonds, den die korrekt arbeitenden Unternehmer finanzieren.“

„Im Fall Hygiene Austria heißt das: Der ehemalige Miteigentümer Lenzing AG schreibt die Hygiene Austria vollständig ab und vermeldet im ersten Quartal 2022 ein Betriebsergebnis von 88 Millionen Euro (EQS-News: Lenzing AG: Lenzing meistert erheblichen Kostendruck und meldet solides erstes Quartal | Lenzing AG, 04.05.2022 (ots.at)). Die Lenzing AG schüttet sogar noch mehr Dividende aus, nämlich 115,5 Millionen Euro (AK Dividendenreport: Rekorde, wohin das Auge reicht! | Arbeiterkammer Wien, 19.05.2022 (ots.at)). Aber für eine halbe Million Euro an ausstehenden Löhnen, Steuern und Sozialabgaben, die wir für 113 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einklagen, muss der Insolvenzentgeltfonds einspringen. Diese Rechnung geht wohl nicht nur für mich nicht auf!“, so der AK Jurist.

Die AK hat daher FORBA mit einem Bericht über die gesetzlichen Lücken bei der Auftraggeberhaftung beauftragt. Hier die wichtigsten Ergebnisse und die gesetzlichen Lückenschlüsse, die die AK jetzt fordert:

Beispiel Hygiene Austria: Keine Haftungsbeschränkung bei Arbeitskräfteüberlassung

Beim Einsatz von Arbeitskräfteüberlassungsfirmen können sich Auftraggeber wie folgt der Haftung entziehen: Der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin hat einen Anspruch auf das Arbeitsentgelt gegenüber dem Überlasser oder der Überlasserin. Falls Letztere:r nicht zahlt, dann kann er oder sie sich an den Beschäftiger oder die Beschäftigerin wenden, weil dieser oder diese gemäß § 14 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz unter bestimmten Umständen als Bürge bzw. Bürgin haftet.

Die Voraussetzungen dafür sind aber überaus eng gehalten. Insbesondere entfällt der Anspruch gegen den Beschäftiger oder die Beschäftigerin, wenn der Überlasser oder die Überlasserin insolvent ist, wie das im Fall der Hygiene Austria derzeit bei vier Firmen der Fall ist. Dies ist aber der in der Praxis wichtigste Fall; außerdem entfaltet die Bürgenhaftung dadurch keine präventive Wirkung. Dem Beschäftiger oder der Beschäftigerin kann es also weitgehend egal sein, wie solvent oder seriös der Überlasser oder die Überlasserin ist.

Konstruktion in Causa Hygiene Austria


Für offene Entgelte von bis zu einer halben Million Euro brutto und rund 100.000 Euro an Verfahrenskosten muss jetzt wohl der Insolvenzentgeltfonds aufkommen. Für entgangene Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlt überhaupt die Allgemeinheit.

Die Lösung

„Beschäftiger:innen, wie die Hygiene Austria, sollen gegenüber den Arbeitnehmer:innen immer als Bürge und Zahler haften“, so AK Bereichsleiter Dvořak. „Damit wären die Ansprüche des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin abgesichert. Und es ist ein Mittel zur Vorbeugung: Denn der Auftraggeber oder die Auftraggeberin würde dann nur seriöse Arbeitskräfteüberlassungsfirmen heranziehen.“

Beispiel Lieb Bau Weiz: Keine Teilhaftung

Ein anderes aktuelles Beispiel aus der AK Arbeitsrechtsberatung: Die Firma Lieb Bau Weiz GmbH & Co KG hat den Auftrag von der Bundesimmobilien GmbH erhalten, Fassadenarbeiten an der Universitätsklinik für Kleintiere an der VetMed in Wien durchzuführen. Die Firma Lieb Bau hat den Auftrag (zum Teil) an die Firma R. H. L. Bau GmbH weitergegeben, obwohl sie dafür keine Zustimmung seitens der Auftraggeberin hatte. Diese unerlaubte Weitergabe eines öffentlichen Auftrags löst eine Haftung nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz aus. Hier zeigt sich, welches Potenzial umfassende Haftungsbestimmungen hätten: Wer unerlaubt Unternehmen beauftragt, die ihren Arbeitnehmer:innen Geld schuldig bleiben, muss selbst dafür zahlen.

Doch selbst in einem solchen Fall ist der Weg der Arbeitnehmer:innen zu ihrem Geld kompliziert und steinig – und der Auftraggeber haftet auch nicht für alles. 40% der geforderten Beträge sind noch ausständig, weil Aufwandsersätze wie Taggelder bzw. Diäten nicht der Haftung unterliegen. Auch hier wird der Insolvenzfonds einen Teil der offenen Forderungen zu tragen haben.

Die Lösung

„Bei unerlaubter Weitergabe eines öffentlichen Auftrags soll die betreffende Firma für alle Ansprüche der Arbeitnehmer:innen haften, auch z.B. für Taggelder“, so AK Bereichsleiter Dvořak. 

„Wenn es um die überfällige Besteuerung von Zufalls- und Überprofiten von Energiekonzernen geht, sorgt sich die Regierung um die angebliche Störung von Marktkräften. Die Regierung sollte sich intensiver damit beschäftigen, wie lückenhafte Haftungsbestimmungen tatsächlich den Markt stören. Denn sie begünstigen das Abwälzen von Lohnkosten auf die Allgemeinheit und auf ehrliche Unternehmen, zerstören faire Wettbewerbsbedingungen und gefährden arbeitsrechtliche Standards in ganzen Branchen.“ 

FORBA-Bericht zeigt kratergroße Schlaglöcher in der Auftraggeberhaftung 

Rechtliche Bestimmungen zur Auftraggeberhaftung für Löhne, also um den Auftraggeber des eigenen Arbeitgebers haftbar zu machen, gibt es seit einigen Jahren. Über die praktische Bedeutung dieser Haftung war bislang wenig bekannt. Die AK hat daher FORBA damit beauftragt, die Erfahrungen zur Auftraggeberhaftung und allfällige Schwachstellen zu untersuchen. Das Ergebnis war im Wesentlichen ernüchternd. Die gesetzlichen Bestimmungen sind kompliziert und die rechtliche Durchsetzung sehr aufwändig. Zum Teil scheitert die Möglichkeit den Auftraggeber zu belangen daran, dass diese Form der Haftung nur in bestimmten Fällen anwendbar ist und selbst dort wesentliche rechtliche Lücken bestehen. Um die Wirksamkeit zu erhöhen, müssten etliche Verbesserungen vorgenommen werden. Um diese Verbesserungen geht es im Folgenden. 

Beispiel Hauptbahnhof: Subunternehmerketten, zusätzlich mit Auslandsbezug 

Subunternehmerketten bilden den Nährboden für Schwarzarbeit, Sozialbetrug und Lohndumping. Der Druck auf die Arbeitsbedingungen wird nach unten immer größer und die Verantwortung für die Einhaltung des Gesetzes und der Kollektivverträge immer dünner. Für die betroffenen Arbeitnehmer:innen werden die Verhältnisse immer intransparenter und die Geltendmachung der Ansprüche immer schwieriger. Die Arbeitgeber:innen am unteren Ende der Kette bleiben häufig Sozialversicherungsbeiträge, Steuern und einen Teil der Löhne schuldig, bevor sie in Konkurs gehen. 

Ein Beispiel ist die Baustelle eines Immobilienunternehmens am Wiener Hauptbahnhof: Hier wurde (der Bau ist mittlerweile vollendet) die Bau AG als Generalunternehmer beauftragt, ein großes, österreichisches Bauunternehmen, das folgende Subunternehmerkette gebildet hat:

Konstruktion in Causa Hauptbahnhof


Ende 2016 erhielten die spanischen Arbeitnehmer des slowakischen Sub-Auftragnehmers die letzten beiden Monatslöhne nicht. Anfang 2017 wandten sich 6 Arbeitnehmer an die Abteilung Arbeitsrecht der AK Wien. Die Arbeitnehmer waren durch einen österreichischen Journalisten, der spanisch spricht, auf die AK aufmerksam gemacht worden. Die Rechtsvertretung der Arbeitnehmer forderte das ausstehende Entgelt beim slowakischen Unternehmen, also ihrem direkten Arbeitgeber, ein. Die offiziellen, schriftlichen Lohnabrechnungen wiesen einen slowakischen Mindestlohn von € 405,- brutto für eine Vollzeitbeschäftigung aus. Tatsächlich war den Arbeitnehmern ein Gehalt von € 10 netto pro Stunde bezahlt worden. Entsandten ArbeitnehmerInnen steht aber zumindest das Entgelt nach dem österreichischen Kollektivvertrag zu. Die rechtlich zustehenden Löhne wären daher höher gewesen. Daraus ergaben sich vorenthaltene Löhne und damit ein Streitwert von durchschnittlich € 4.000 brutto pro Arbeitnehmer.

Ein aufwändiges grenzüberschreitendes Exekutionsverfahren gegenüber dem slowakischen Subauftragnehmer folgte. Die Notwendigkeit, eine Zustelladresse ausfindig zu machen und alle rechtsverbindlichen Dokumente ins Slowakische zu übersetzen, führte zu hohen Kosten des Verfahrens und zu einer sehr langen Verfahrensdauer. Das von den Forderungen betroffene slowakische Unternehmen ging schließlich in Insolvenz.

Erst im Jahr 2021 (!) konnte für die Arbeitnehmer das offene Entgelt in der Höhe von je € 4.000 brutto aus dem Jahr 2016 eingebracht werden. Beglichen wurden die Forderung schließlich aus dem Insolvenzentgeltfonds.

Die Lösung

Haftung des Hauptauftraggebers“, fordert AK Experte Walter Gagawczuk. „Haftet neben dem Arbeitgeber/der Arbeitgeberin auch der Hauptauftraggeber/die Hauptauftraggeberin für die Löhne der Arbeitnehmer:innen, dann wird der Hauptauftraggeber/die Hauptauftraggeberin Vorkehrungen treffen, dass nur seriöse und solvente Unternehmen einen Subauftrag bekommen und weiters, dass von vornherein keine langen, intransparenten Subunternehmerketten entstehen.“

Kontrollen und wirksame Strafen

„Wir fordern Regierung und Parlament auf, diese drei Gesetzeslücken bei der Haftung umgehend zu schließen“, so AK Experte Walter Gagawczuk. „All das kann aber nur wirken, wenn die Wahrscheinlichkeit da ist, dass unseriöse Arbeitgeber:innen auch auffliegen und Strafe zahlen.“

„Daher müssen die Kontrollen verstärkt werden. Die 2021 im Amt für Betrugsbekämpfung gegründete SOKO Scheinunternehmen mag ein erster Schritt sein, sie löst aber ein Problem nicht: Es gibt zu wenig Personal, um die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, ausreichend zu erhöhen. Die SOKO vermeldet als Erfolg, eine Schadenssumme von 100 Millionen Euro ermittelt zu haben. Wenn man dem die Schadenssumme allein bei der Hygiene Austria gegenüberstellt – eine halbe Million Euro! – dann reicht die Bündelung von Kompetenzen in einer SOKO nicht. Die Finanzpolizei braucht mehr Personal und soll auf 1.000 Personen aufgestockt werden.“

„Der zweite, notwendige Teil sind die Strafen: Unseriöse Arbeitgeber müssen im Wesentlichen nur nachzahlen, was sie sowieso schuldig geblieben sind. Im Vorjahr hat die Regierung die Strafen im LSDBG deutlich entschärft. Das Gegenteil wäre notwendig. Als Präventionsmaßnahme gehören Strafen her, die wirken: Also Mindeststrafen und Strafen, die kumulativ für jeden betroffenen Arbeitnehmer anfallen, statt einer Betrugspauschale."

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